Alle Berliner wollen die Straßenbahn ausbauen.
Nein, nicht alle. Ein besonders großes
und einflussreiches Gallierdorf befindet sich
mitten in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
und Umwelt. Das ist nicht neu.
Neu ist, dass die „Widerständler“ sich der
Presse anvertraut haben. „Massiver Tram-Ausbau
ist irreal. Senat dämpft Erwartungen
der Straßenbahnfans“ meldete die Berliner
Zeitung am 17. März 2016.
Das ärgerte den Leser Michael Peglau,
weshalb er noch am selben Tag eine Mail
an den zuständigen Senator Andreas Geisel
sendete – in Kopie an den Berliner Fahrgastverband
IGEB und den Fachausschuss Mobilität
der Berliner SPD.
Ein enttäuschter Leser
Herr Peglau schrieb: Sehr geehrter Herr Senator,
als Sie am 14.12.2014 die Straßenbahnstrecke
zum Hauptbahnhof eröffneten und
Ihre ersten Verlautbarungen zum Thema
Straßenbahn bekannt wurden, traute man
seinen Ohren kaum. Endlich ein Mann, der die
Systemvorteile „Straßenbahn“ erkennt und sie
ideologiefrei für „Ganz“-Berlin vorschlägt.
Alle bekannten Fakten, die zur Einstellung
des Gesamtnetzes „West“ führten, spare ich
mir hier, sie sind wohl bestens bekannt. Jahrzehntelang
hielten sich die Vorbehalte hartnäckig
in den Köpfen der Politiker und den Amtsstuben
des Senats.
Da wurde es höchste Eisenbahn, über einen
Neubeginn nachzudenken und ich war voller
Hoffnung, dass sich unter Ihrer Ägide tatsächlich
ein Wechsel – hin zur Straßenbahn – vollziehen
würde.
Nun liegen inzwischen aktuelle Vorschläge
vom Fahrgastverband (100 km Straßenbahn)
und vom Fachausschuss Mobilität der SPD vor,
die in weiten Teilen sogar deckungsgleich sind.
So schön, so gut.
Die ersten Zweifel, ob sich hinter der Straßenbahn-Offensive
womöglich nur „heiße
Luft“ verbirgt, kamen mir bei der kürzlichen
Vorstellung des „Neuen“ Pankower Tors.
Die vom Bezirksamt geforderte Straßenbahnstrecke
ist sang und klanglos verschwunden
und lediglich eine Tassenfreihaltung kündet
von dem Versuch, eine absolut sinnvolle
Netzergänzung umzusetzen. Eine Verbindung
zwischen Pankow (alter Ortskern) und Weißensee
ist überfällig. Nicht nur, dass die Züge
der M 1 und der 50 von Weißensee (Betriebshof)
aus lange und unwirtschaftliche Umwege
fahren müssen, um auf ihren Strecken
zum Einsatz zu kommen (Niederschönhausen
wurde ja geschlossen), nein da quälen sich die
Fahrgäste mit den Bussen der Linien 255 und
X 54 in drangvoller Enge auf ihren Wegen nach
Weißensee.
Für die geänderte
Bebauung
des „Pankower
Tors“ sollen nun
U- und S-Bahn,
Straßenbahn
und Bus am
Bahnhof Pankow
reichen.
Eine Schule
mit 1600 Schülern
soll in der
Nachbarschaft
des ehemaligen
Ringlokschuppen
entstehen.
1600! Wie bitte
kommen die
dorthin? Mit der
S-Bahn? Wohl
kaum. Mit der
50 und dann
über den A114-Anschluss? Mit
den Bussen der
BVG im Minutentakt?
Ich bin schon
sehr verwundert,
wie in der viel gepriesenen „wachsenden“
Stadt jede vernünftige Idee erst jahrelang debattiert
wird, dann noch einmal genauso lange
geplant und am Ende dann nicht gebaut
wird.
Nun aber kommt der absolute Hammer
[
…] „Der Senat zerstört Träume von massivem
Tram-Ausbau“.
Und alte Muster spuken schon wieder durch
die Flure. Zu wenig Planer? Ja bestimmt. Erst
war es jahrelang ein Planer (1!), und nun sind
es nach Ihren Angaben 3. Drei Planer für ein
ambitioniertes, aber erforderliches Programm.
Es müssten 10 sein!
Und dann kommt die BVG zu dem Schluss,
dass eine Straßenbahn nach TXL unwirtschaftlich
ist. Ja, weil sie die U 6 flügeln will
und einen Teil der Züge nach TXL fahren lassen
will. [
…]
Genauso ist die Feststellung, die Strecken
nach Spandau würden sich nicht rechnen absurd.
Die Busse über die Heerstraße fahren im
Minutentakt und sind trotzdem voll. Sehr voll.
[…
]
Ich wohne schon seit Mitte der 1980er Jahre
im weitgehend straßenbahnfreien „West“-
Berlin und hatte gehofft, eines Tages mit der
Straßenbahn nach Steglitz fahren zu können
oder aber über Treptow nach Schöneweide.
[
…]
Ich würde mich sehr freuen, wenn aus Ihren
Ankündigungen auch mutige und visionäre
Beschlüsse und Umsetzungen (Taten!)
resultierten. Ein bisschen Hoffnung habe ich
ja noch, wenngleich deutlich weniger als bei
Ihrem Amtsantritt 2014.
Der Senator antwortet umgehend
Das wollte Andreas Geisel, Senator für Stadtentwicklung
und Umwelt, so nicht stehen
lassen und antwortete bereits am 18. März
persönlich:
Sehr geehrter Herr Peglau, vielen Dank
für Ihre Email. Keine Unruhe, das Ziel ist
klar. Die Berliner Zeitung beschreibt hier
nur die Stimmung unter den Planern in
der Verwaltung. Deren Sicht ist vor allem
dadurch geprägt, dass neben den vielen
Plänen zunächst erstmal die Umsetzung der
nächsten Schritte abgesichert werden muss.
Eine Auffassung, die ich übrigens teile, denn
die BVG kommt mit verschiedenen Planfeststellungsverfahren
langsamer voran, als wir
uns das wünschen.
Deshalb: Der ÖPNV wird in Berlin Schritt für
Schritt ausgebaut. Dafür nehmen wir viel Geld
in die Hand, haben neue Mitarbeiter eingestellt
und werden das auch weiterhin tun. Und
Visionen für die nächsten 20 oder 30 Jahre sind
gut und wichtig, weil wir wissen müssen, wo
wir hin wollen. Aber aktuell müssen wir uns
um mehr Tempo bei der Umsetzung der bereits
bestehenden Pläne kümmern.
Ich danke Ihnen für Ihr Engagement!
Berliner Fahrgastverband IGEB
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