Wie? Haben Sie es doch nicht erkannt?
Dann ist ein Ausflug mit der Berliner S-Bahn
auf der Stadtbahn zwischen den Bahnhöfen
Alexanderplatz und Zoologischen Garten
wärmstens zu empfehlen. In diesem
Bereich ist es mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, dass
Sie dieses Lied in einer sehr freien Interpretation
nicht zu Gehör bekommen. Aber
auch andere Werke der Musikgeschichte
werden dargeboten: „Kalinka“ des russischen
Komponisten Larionow oder der
Rock ‘n‘ Roll-Klassiker „Tutti Frutti“ von
Little Richard. Zum Entstehungszeitpunkt
dieses Artikels sind auch diverse Stücke
der weihnachtlichen Unterhaltung bunt
unter die vorgenannten gemischt. Selbstverständlich
in gleichbleibender – ausbleibender
– Qualität. Wie zu sehen ist, oder
besser noch zu hören, wird alles getan, um
den Fahrgästen für die gezahlten und auch
zum Jahreswechsel wieder gestiegenen
Fahrpreise ein möglichst umfangreiches
Angebot zu bieten.
Bei genauerer Betrachtung der unrhythmischen
Reisebegleitung sucht man die
sonst unter DB-Mitarbeitern mit Kundenkontakt
übliche Unternehmensbekleidung
vergebens. Ebenso die eigentlich verplombt
erwartete Spendendose in Form eines gebrauchten
Kaffeepappbechers mutet beim
taktlosen Marschieren durch die S-Bahn-Züge
merkwürdig an. Und spätestens jetzt
sollte auch dem letzten taubblinden Fahrgast
klargeworden sein, dass hier etwas
nicht stimmen kann.
Exakt. Denn bei beschriebenem Personenkreis
handelt es sich mitnichten um
Freunde der guten Musik oder gar um, der
Nächstenliebe Willen, selbstlose und großherzige
Menschen im Feldzug für eine bessere
und gerechtere Welt. Vielmehr ist hier
eine brutale und gut organisierte Bande am
Werk, die nur (oh Wunder, wer hätte es gedacht)
darauf aus ist, ahnungslosen Mitbürgern
das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und
nicht nur das.
Die Methode hierbei ist denkbar einfach:
Mittels dargebotener „Musik“ (Kenner würden
diese Form der Emission auch schlicht
als Lärm bezeichnen.), welche über einen
mp3-Player samt eines mobilen Verstärkers
erzeugt und vom Getröte der dazugehörigen
Personen begleitet wird, soll das Portemonnaie
gutgläubiger Fahrgäste geöffnet
werden. Ist der Spendenwillige nicht schnell
genug oder gar unwillig, wird mit dem Becher
(in einer edel anmutenden Ausführung
auch aus Plastik) solange penetrant vor der
Nase beglückter Personen umher gefuchtelt,
bis das Geld seinen Bestimmungsort
erreicht hat. Die verplombte Spend… äh …
den Kaffeepappbecher.
Vielfahrer kennen und lieben diese
Form der Unterhaltung. Besonders in
den zur Hauptverkehrszeit gut gefüllten
Bahnen ist sie eine lieb gewonnene Abwechslung
zum entspannten Schlürfen
eines koffeinhaltigen Heißgetränks oder
dem vertieften Lesen einer hiesigen Tageszeitung.
Wobei Letzteres beim Zusammentreffen
mit einem der fünf bis zehn
(!) Spielmannszüge dann tendenziell doch
eher nicht möglich ist.
Und selbstverständlich kommen auch die
Touristen in Berlin während ihrer Fahrt mit
der S-Bahn in diesen auditiven Hochgenuss.
Zufall? Wohl kaum, denn genau jene sind es,
die ihr Portemonnaie im Urlaub immer ein
wenig mehr geöffnet haben, als der geizige
Einheimische. So kommt es, dass gerade bei
größeren Gruppen gleich mehrere Personen
scheinbar zu viel Geld übrig haben. Animiert
vom klimpernden Kleingeld im Pappbecher
des Kapellmeisters rollt der Euro. Ganz nebenbei
und natürlich vollkommen ungeplant
kann dann schon einmal die ein oder
andere Brieftasche des gutgläubigen Lärmliebhabers
den Besitzer wechseln. Natürlich
nur versehentlich und das während eines
nicht einmal gut getarnten Antanzversuchs.
Oder einfach dann, wenn sich weitere, nicht
als Blasharmonikaspieler getarnte, Taschendiebe
zwischen den schunkelnden Touristenschwärmen
hindurch schlängeln und an
der nächsten Station mit einer beachtlichen
Auswahl neuster Handymodelle die S-Bahn
wieder verlassen. Und Verlass ist auch darauf,
dass es im nächsten Wagen mit gleicher Masche
weiter geht.
Sollte einem treuen Fahrgast das akustische
Hintergrundrauschen nun doch etwas
laut erscheinen, dem ist ein Wechsel des
Wagens oder Zuges zu empfehlen. Denn
angesprochen auf ihr Tun (wahlweise in
Kombination mit der Bitte, das Lärmen einzustellen),
folgt nicht selten keine sachliche
Grundsatzdiskussion, sondern der direkte
Schlag auf den Kopf des Kritikers. Gewählt
werden kann hier lediglich, welche Art von
Trompete oder Saxophon als Abdruck im
Nacken genehm ist. Daher sollte grundsätzlich
eine direkte Konfrontation mit besagten
Sängerknaben vermieden werden. Wer
sich aber trotz fluchtartigem Wagenwechsel
den Anblick besagten Personenkreises nicht
entgehen lassen möchte, dem ist ein Besuch
einer oder mehrerer Fastfoodketten entlang
der Stadtbahn ans Herz zu legen. Hier trifft
man sich, tauscht Beute und Geld und stärkt
sich für die nächste Vergnügungstour durch
die S-Bahn.
Weshalb dieser Artikel entstanden ist?
Weil der Umstand dieser (organisierten)
Bettelei nicht nur verboten, sondern äußerst
lästig und unattraktiv für den ÖPNV ist. Eine
Stadt wie Berlin mit einem historisch so stark
verwurzelten Verkehrsmittel wie der S-Bahn
in den Farben Rot und Ocker, hat es nicht
nötig, sich von solchen Banden als Mittel
zur Bereicherung ausnutzen zu lassen. An
dieser Stelle ist einmal mehr ein klares und
entschiedenes Handeln des Unternehmens
in Kooperation mit der Exekutive nötig, um
das Fahren mit der S-Bahn wieder zu einem
möglichst entspannten und positiven Erlebnis
werden zu lassen. Aber auch der normale
Fahrgast ist hier gefragt: So lange mit dieser
Form der Bettelei Geld und weitere Wertgegenstände
erbeutet werden können, lohnt
es sich und wird weiter praktiziert. Daher:
Hand auf Portemonnaie und Tasche. Denn
auch der Euro fühlt sich im heimischen Sparschwein
viel wohler als im gebrauchten Kaffeepappbecher.
Mario Fischbach
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