Berlin

Das größte E-Auto-Problem scheint gelöst

Der Berliner Senat tut etwas für die Elektromobilität. Er bewirkt zwar nur wenig beim Ausbau der Netze von S-Bahn, U-Bahn und Straßenbahn, aber er engagiert sich sehr für Elektroautorennen – zuletzt im Mai auf der Karl-Marx-Allee.

Berlin hat viele Probleme. Zwei der drängendsten: Es ist in der Stadt einfach zu wenig los. Und es lassen sich kaum Touristen blicken.

Diese Ansicht scheint jedenfalls der rotschwarze Senat zu vertreten, und deshalb ließ er nichts unversucht, damit auch 2016 ein Elektroautorennen in Berlin ausgetragen werden konnte – genauer: der „Berlin ePrix“ in der „FIA Formula E Championship“.

Als neuer Veranstaltungsort auserkoren wurde das Westende der Karl-Marx-Allee (plus Strausberger Platz und Lichtenberger Straße), wo einst die SED-Führung bis zum bitteren letzten Geburtstag der DDR 1989 ihre Menschen hatte aufmarschieren lassen, damit diese den Oberen ihre Dankbarkeit und Ergebenheit ausdrücken konnten.

Blick auf die Rennstrecke
Elektrorennwagen an der Tribüne auf der Karl-Marx-Allee. Zutritt nur mit gekaufter Eintrittskarte – wieder ein Fall der Privatisierung des öffentlichen Straßenraums. Eine Etage tiefer war die Elektromobilität derweil außer Betrieb. Foto: Tom Gerlich

Wenn der Senat hier nun ein Autorennen ansiedelt, so könnte man sagen: Es hat eben jedes System seine eigenen Götter. Der Vergleich hinkt jedoch, denn zu DDR-Zeiten bedeuteten die bestellten Jubelparaden nicht, dass Anwohner und Geschäfte wochenlang unter Absperrungen, Verkehrsbehinderungen, lautstarken Aufbau- und Aufräumarbeiten zu leiden hatten. Und Eintritt verlangt wurde für den Besuch des sozialistischen Gottesdienstes auch nicht.

Das verhält sich im Kapitalismus natürlich ganz anders. Und so können nicht einmal ewige Miesepeter und Kritikaster leugnen, wie zukunftsorientiert es bei dem Elektroautorennen zuging: Im steten neoliberalen Streben nach der Kommerzialisierung von allem und jedem wurde hier – umstellt von Sichtblenden – ein weiterer Schritt getan zur Privatisierung des öffentlichen Raums. Stellt sie doch die Voraussetzung dafür dar, aus Straßen und Plätzen privaten Profit zu schlagen. So privat, dass der Senat den beiden betroffenen Bezirken sogar nahelegte, wenigstens auf einen Teil der üblichen Straßennutzungsgebühr zu verzichten – wegen der „gesamtstädtischen Bedeutung“ des Autorennens.

Wann sieht man schon mal Elektrofahrzeuge mit 225 km/h?

Zukunftsorientiert war außerdem das, was hier am 21. Mai präsentiert wurde: Elektromobilität. Freilich nur auf und nicht unter der Karl-Marx-Allee, denn die U-Bahn, die dort schon seit 1930 mit Strom fährt, war in jenen Tagen außer Betrieb – eine Maßnahme, die sich genausowenig verschieben ließ wie das Autorennen, schließlich stand sie im Zusammenhang mit dem „Lückenschluss“ der U 5 zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor, und an diesen rund zwei Kilometern wird ja erst seit sechs Jahren gebaut (und aller Voraussicht nach noch bis 2020).

Den Schienenersatzverkehr – auch in den Tagen vor und nach dem Rennen zusätzlich behindert, da für Tribüne, Absperrungen und Sichtblenden einige Fahrspuren der stark befahrenen Karl-Marx-Allee gesperrt waren – mochte die BVG am Renntag denn auch erst gar nicht empfehlen: Statt sich vom U-Bahnhof Strausberger Platz per Bus zum Ostbahnhof oder zum Platz der Vereinten Nationen kutschieren zu lassen, um dort in S-Bahn bzw. Straßenbahn umzusteigen, sei man zu Fuß sicher viel schneller am Alex.

Ein kleines Opfer, das die BVG-Fahrgäste sicher gern brachten. Diente es doch der Möglichkeit, zu zeigen, was Elektroautos inzwischen so alles können. Wer hätte gedacht, dass man auch mit solch einem Gefährt bis zu 225 km/h schnell durch die Stadt rasen kann? Zumal es ja kaum stromgetriebene Fahrzeuge gibt, die solche Geschwindigkeiten erreichen. Abgesehen von einigen Dutzend Zügen, die Tag und Nacht durch Deutschland fahren.

Zu geringe Höchstgeschwindigkeiten dürften auch der Hauptgrund sein, weshalb es mit der von der schwarz-roten Bundesregierung angestrebten Elektroautoflut auf unseren Straßen bislang nicht so recht klappt. Nicht etwa die mangelnde Flexibilität dieser Fahrzeuge wegen zu geringer Leistung und Verlässlichkeit der Batterien, zu hoher Kosten, zu langer Ladezeiten, zu weniger Ladestationen.

Kleine Kinderkrankheiten – seit 1900

Der Senat, der Berlin gern als Elektromobilitätskompetenzzentrum sehen möchte (wozu für ihn offenkundig nicht der flotte Ausbau der Netze von S-Bahn, U-Bahn und Straßenbahn gehört), war anscheinend auch zu beschäftigt mit dem Erteilen von Ausnahmegenehmigungen und der Entmachtung des störrischen Bezirks Mitte, um sich mal bei der BVG zu erkundigen: Die schickte ja im vergangenen Herbst mit viel Tamtam (und Fördergeldern) nicht zwei, nicht drei, sondern ganze vier Elektrobusse in den Linienbetrieb. Bis es nach wenigen Wochen völlig überraschend Probleme mit jenen Komponenten gab, an denen schon um 1900 die Versuche mit Elektrobussen und oberleitungslosen Elektrotrams gescheitert waren: den Batterien.

Mit solchen Kleinigkeiten konnte sich Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) ebensowenig befassen wie mit den Problemen von Gewerbetreibenden an der Elektrorennstrecke, denen dank vieler Absperrungen wochenlang die Kunden wegblieben. Sie ließ verlauten, die „Formel E“ wäre „ein Event mit Innovation für mehr Nachhaltigkeit“ und dieses fördere den „Sport-, Wirtschafts- und Tourismusstandort Berlin“.

Nicht auszudenken, wäre statt Berlin die einzige deutsche Station dieser Rennserie Hamburg, München oder Köln gewesen und die ganzen Touristen wären dorthin gefahren! (Die Veranstalter zählten bei dem Rennen nicht weniger als 14 000 Zuschauer – zahlende, versteht sich.)

Frau Yzer hat übrigens bereits angekündigt, dem Senat nach der Wahl im September nicht mehr angehören zu wollen. Statt sich für das Gemeinwohl aufzuopfern, möchte sie ihre Fähigkeiten künftig wieder der freien Wirtschaft zur Verfügung stellen. Doch sicher nicht der E-Auto-Industrie?

Jan Gympel

aus SIGNAL 3/2016 (Juli 2016), Seite 2

 

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