Damit macht die Schweiz Europa vor, wie
ein Verkehrsgroßprojekt erfolgreich durchgeführt
werden kann und wie eine kluge
und nachhaltige Verkehrspolitik aussieht.
Mit dem Rückenwind erfolgreicher Volksentscheide
arbeiten die Eidgenossen seit
bald drei Jahrzehnten daran, den Schutz des
Alpenraums und unseres Klimas mit den Mobilitätsbedürfnissen
vereinbar zu machen.
Dazu setzen sie konsequent auf die Verlagerung
des Verkehrs von der Straße auf
die Schiene. Der Gotthard-Basistunnel ist
das sichtbarste Zeichen der vorbildlichen
Schweizer Verkehrspolitik und eine Investition
in die Zukunft für ganz Europa.
Und auch die Finanzierung ist vorbildlich:
Das Geld für den Eisenbahntunnel resultiert
im Wesentlichen aus der Leistungsabhängigen
Schwerverkehrsabgabe (LSVA),
die auf allen Straßen und für alle Lkw ab
3,5 Tonnen erhoben wird. Sie ist dreimal
so hoch wie in Deutschland, wo sie nur auf
Autobahnen und einigen Bundesstraßen
gilt und nur für Lkw ab 7,5 Tonnen. Und
ab 2017 wird sie in der Schweiz sogar noch
um fast 5 Prozent erhöht, während sie in
Deutschland in den letzten Jahren um 13
Prozent gesenkt wurde.
Der Verkehr auf dem wichtigsten europäischen
Eisenbahnkorridor Rotterdam–Genua
wird durch den neuen Tunnel deutlich
attraktiver, denn alle Personen- und Güterzüge
können künftig schneller, energiesparender
und mit mehr Last unterwegs sein.
Das ermöglicht vor allem die Verlagerung
von Gütern von der Straße auf die Schiene.
In der Schweiz ist der Anteil des Schienen-Güterverkehrs
mit 38 Prozent mehr als doppelt
so hoch wie in Deutschland, wo er nur
17 Prozent beträgt.
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Schweizer Botschaft in Berlin. Die Schweizer sind stolz auf ihren Gotthard-Basistunnel. Zu Recht. Jetzt müssen Deutschland und Italien endlich ihre „Hausaufgaben“ auf den Zulaufstrecken erledigen. Foto: IGEB |
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Einen Haken gibt es jedoch – und der ist
nicht in der Schweiz zu suchen: Die Potenziale
des neuen Tunnels können für viele
Jahre noch nicht voll ausgenutzt werden,
weil sowohl Deutschland wie auch Italien
die Zulaufstrecken im Norden und im Süden
nicht wie vereinbart ausgebaut haben.
Obwohl bereits 1996 (!) in der „Vereinbarung
von Lugano“ klare Abmachungen getroffen
wurden, soll der Ausbau auf deutscher Seite
zwischen Karlsruhe und Basel erst 2041
abgeschlossen sein. Dieser Vertragsbruch ist
beschämend für Europa!
Und die italienische Regierung will zwar
Milliardenausgaben für Konkurrenzprojekte
nach Österreich (Brenner-Basistunnel) und
Frankreich (Basistunnel Lyon—Turin) tätigen,
lässt aber die Anbindung des Gotthard-Basistunnels
auf ihrem Staatsgebiet mit 140
Millionen Franken durch die Schweiz finanzieren.
Dabei ist es für Italien kein Problem, eine
Kostensteigerung für Lyon—Turin von 12
auf 26 Milliarden Euro zu akzeptieren, obwohl
danach statt drei lediglich fünf TGV-Züge
pro Tag (!) verkehren werden. Ein Armutszeugnis!
Daher rate ich allen, die Expertise der
Schweiz zu nutzen, damit der Missstand auf
den Zulaufstrecken zum Gotthard-Basistunnel
schnellstmöglich behoben werden kann
bzw. zu schauen, wie Großprojekte im Kosten-
und Zeitplan abgeschlossen werden
können.
Michael Cramer
Mitglied des Europäischen Parlaments – Die Grünen/EFA und
Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und Tourismus
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