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Woran merkt man, dass Wahlen nahen?
Noch bevor die Straßen mit Plakaten verziert
werden, bekommt man plötzlich Post
von Personen, die einem bislang völlig
unbekannt waren und nun mitteilen, seit
Jahren wären sie „Ihr Abgeordneter“ oder
„Ihre Abgeordnete“. Noch auffälliger: Die
Regierung, die sie tragenden Parteien und
Parlamentsfraktionen entwickeln eine ungewohnte
Aktivität und verkünden, was
sie alles in der kommenden Legislaturperiode
gern machen möchten – in der Regel
natürlich ohne zu erklären, weshalb sie all
die schönen Dinge in der zu Ende gehenden
nicht getan haben.
So brachten die Fraktionen von SPD und
CDU im Berliner Abgeordnetenhaus Mitte
Juni einen Antrag ein (und beschlossen ihn
auch mit ihrer Mehrheit), demzufolge der
Senat doch bitte mal prüfen solle,
welche
U-Bahn-Strecken man verlängern könnte.
Oder genauer: „bei der Fortschreibung des
StEP Verkehr die politisch diskutierten Erweiterungen
des U-Bahn Streckennetzes in Berlin
hinsichtlich ihrer verkehrlichen Nutzung
zu prüfen“.
Not schweißt zusammen
Angesichts der Tatsache, dass die Gemeinsamkeiten
zwischen den beiden Koalitionspartnern
inzwischen weitgehend aufgebraucht
zu sein scheinen, wirkt diese Aktion
recht ungewöhnlich. Doch Not schweißt
bekanntlich zusammen. Und was den Ausbau
des Berliner Bahnnetzes angeht, hat
dieser Senat in den vergangenen fünf Jahren
weder viel zustande noch auf den Weg
gebracht.
Achteinhalb Jahre nach der Eröffnung des
Hauptbahnhofs wurde auch die Straßenbahnstrecke
dorthin eröffnet (2,3 Kilometer
plus 1,1 Kilometer Wendeschleife). An den
2,2 Kilometern des „Lückenschlusses“ der
U 5 wurde, wie bereits seit 2009 weitergearbeitet
(womöglich schon 2020 wird er fertig
sein). Auch an der S-Bahn-Strecke vom
Nordring zum Hauptbahnhof ging es voran
– wobei man nicht zuletzt feststellte, dass
sich dort die unterirdische S-Bahn-Station
zumindest bis auf Weiteres nicht so bauen
lassen wird wie gedacht, weshalb hier auf
unabsehbare Zeit nur Kurzzüge werden
fahren können. Ja, und mittlerweile hat der
Senat sich sogar entschieden, dass er die
gut einen Kilometer lange Tramtrasse vom
Hauptbahnhof zum U-Bahnhof Turmstraße
über die Turmstraße und nicht über die Straße
Alt-Moabit führen will.
Bei einer solchen Bilanz kann es nichts
schaden, noch ein bisschen mehr zu erwägen
und zu prüfen (und dann in aller Regel
zu verschieben, manchmal aber auch zu verwerfen).
Auf der U-Bahn-Liste von SPD und
CDU stehen ja auch schöne Sachen:
Zum Beispiel die kühne Idee, die 1994 bis
zu jenem Punkt, an dem die S-Bahn (bzw.
deren Vorgänger) schon seit 1877 hält, verlängerte
U 8 wirklich wie einst geplant ins
Märkische Viertel hinein zu führen. Oder der
alte Dauerbrenner Krumme Lanke—Mexikoplatz.
Warten auf den zweiten Haveltunnel
Wirklich originell ist der Einfall, man
könnte doch mal die beiden auch schon
seit langem geplanten U-Bahn-Strecken
durch Spandau errichten: Nicht nur die
U 7 zur (längst nicht mehr so neuen) Neubausiedlung
Heerstraße-Nord verlängern,
sondern auch die U 2 zum Falkenhagener
Feld. Letztere müsste man dafür natürlich
erst einmal von Ruhleben bis Rathaus
Spandau bauen, wo in dem 1984 eröffneten
Bahnhof die damals noch der U 1 zugedachten
Gleiströge wohlweislich nicht
nur bis heute leergeblieben sind, sondern
am Nordende der Bahnsteighalle auch an
einer Wand enden.
Wäre es nicht spannend zu erleben,
wie die Planer herausfinden, dass überhaupt
nur eine weitgehend unterirdische
Streckenführung zwischen Ruhleben und
Rathaus Spandau möglich ist? Wie sie auf
diese Weise auch noch eine zweite Havelunterquerung
durchsetzen? Auch der ersten
wegen gilt der U 7-Abschnitt zwischen
Rohrdamm und Rathaus Spandau als die
teuerste U-Bahn-Strecke, die jemals in Berlin
gebaut wurde. Na ja, das ist doch schon
lange her.
Zum (Ex-) Flughafen Tegel mit der U 6
Die Verkehrsexperten von SPD und CDU
warten auch mit Überraschendem auf: So
zählt zu den Verlängerungen, die sie gern
geprüft hätten, „U 6 Tegel“. Wie? Eine Ausfädelung
aus der U 6 bauen, um von dieser
Züge zum Tegeler Flughafengelände zu leiten,
obwohl es eine Ausfädelung aus der U 7
dorthin bereits seit fast vierzig Jahren gibt?
Und diese endlich zu nutzen, nicht in der
Prüfliste auftaucht, obwohl die BVG heilfroh
sein dürfte, wenn sie einen guten Vorwand
hätte, bloß noch jeden zweiten Zug der U 7
über die mäßig frequentierte Strecke durch
Siemensstadt nach Spandau zu führen? Aber
klar, warum nicht stattdessen lieber den Verkehr
nach Alt-Tegel ausdünnen? Vielleicht
wird ja zum Ausgleich dafür die Kremmener
Bahn zweigleisig ausgebaut, damit die
im Berufsverkehr notorisch überlastete S 25
endlich im Zehn-Minuten-Takt verkehren
kann?
Überraschend auch, dass in der Prüfliste
die U 9 von Rathaus Steglitz nach Lankwitz,
Kirche fehlt: Eine Strecke, die seit Jahrzehnten
von ganzen Buskolonnen bedient wird,
momentan von drei, in der Leonorenstraße
sogar sechs Linien gleichzeitig. Klingt das
nicht U-Bahn-würdig?
Aber die Prüfliste, zu der auch die U 1 zum
Ostkreuz, die U 7 zum BER sowie ein Weiterbau
der U 2 durch Pankow gehören, möchte
ja ausdrücklich nur Beispiele auflisten. Der
Kreativität sind also keine Grenzen gesetzt.
Wo bleibt die U-Bahn nach Köpenick?
Wo wir schon mal bei Ideen aus den Sixties
sind: Was ist eigentlich mit dem Vorschlag,
die U 6 nach Lichtenrade zu verlängern?
Oder der Kudamm, braucht der
nicht ganz dringend endlich die Strecke
von Uhlandstraße zum Adenauerplatz?
(Die Straße dürfte für diese Verlängerung
um zwei Stationen rund zehn Jahre lang
zur Baustelle werden, wie man am Beispiel
Unter den Linden sieht.) Warum steht die
U-Bahn nach Marzahn nicht auf der Liste?
Oder Köpenick, weshalb hat Köpenick eigentlich
immer noch keine U-Bahn? Nach
Kladow sollte übrigens auch mal eine fahren
(schlag nach beim großen Ernst Reuter).
Prüf doch mal! Und die U 10, später U 3,
jetzt U zahlenlos, jedenfalls die Linie von
Weißensee über den Alex, durch die Leipziger
Straße nach Westen oder Südwesten
– was ist denn mit der? Man sollte sie schnell
bauen, bevor durch die Leipziger Straße
wieder die Tram fährt!
Na gut, das war ein kleiner Scherz für Eingeweihte
– wer Berlins Verkehrspolitik kennt,
der weiß, dass die Straßenbahn auch in den
nächsten 20 bis 30 Jahren nicht in die Leipziger
zurückkehren wird. Aber wenn man jetzt,
also nach der nächsten Senatsbildung, mit
dem Prüfen des Nutzens und übrigens auch
der Finanzierbarkeit neuer U-Bahn-Strecken
beginnt – dann könnte man zur nächsten
Abgeordnetenhauswahl 2021 vielleicht
sogar schon mit der konkreten Planung
anfangen. (Zumindest wenn die SPD dies
ebenso hartnäckig vorantreiben würde wie
die Verlängerung der Stadtautobahn A100.)
Und bei dem inzwischen üblichen Tempo
des Berliner Verkehrsbaus und der allseits
bekannten Leistungsfähigkeit der Berliner
Verwaltung dürfte es nicht vollkommen ausgeschlossen
sein, dass bereits 2030 der erste
Zug über die erste neue U-Bahn-Strecke rollt.
Zum Beispiel zum Flughafen Tegel, der bis
dahin womöglich wirklich durch den BER
ersetzt worden ist.
Dorthin eine Straßenbahn zu bauen, ginge
natürlich – ebenso wie auf vielen anderen
Trassen – schneller, wäre billiger, würde
eine bessere Flächenerschließung und
mehr Direktverbindungen ermöglichen.
Aber das zu fordern, wäre ja nun wirklich
Traumtänzerei.
Jan Gympel
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