Fernverkehr

Bundesverkehrsminister Dobrindt: „Kein Bedarf für ein Schienenpersonen-Fernverkehrs-Gesetz“
Die Länder sehen das anders

In SIGNAL 2/2016 wurde der DBV- bzw. IGEB-Entwurf für ein Gesetz zur Gestaltung des Schienenpersonenfernverkehrs (Schienenpersonenfernverkehrsgesetz – SPFVG) vorgestellt, der auf einem Entwurf des Bundeslandes Rheinland-Pfalz basiert.

Ergänzt wurde der Gesetzentwurf um einen Verordnungsentwurf. Mit der Verordnung sollen verschiedene Details geregelt werden, zum Beispiel zur Ausgestaltung eines Grundangebots für den Tagesreisezugverkehr und zum Nachtreisezugverkehr.

Beide Entwürfe wurden zwischenzeitlich sowohl den zuständigen Ministern der Bundesländer als auch dem Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) zugeschickt.

Kurz und knapp: Nein, ich will nicht!

Brücke
Regionalzug auf der Moselbrücke bei Bullay. Obwohl Trier 115 000 Einwohner hat, gibt es auf der Moselstrecke mittlerweile keine Fernverkehrsangebote mehr. Die Kundenoffensive der Deutschen Bahn sieht erst ab Dezember 2030 (!) wieder eine Anbindung der Großstadt Trier an das InterCity-Netz vor. Foto: Christian Schultz

Während es positive Rückäußerungen seitens der Länderverkehrsminister gab, beispielsweise aus Bayern und Thüringen, erhielt der DBV von Bundesminister Alexander Dobrindt (CSU) eine negative Antwort (s. Kasten Seite 25). Die Argumentation des BMVI zeigt ein kaum zu übertreffendes Desinteresse an diesem Thema; eine ernsthafte Beschäftigung mit den Entwürfen hat offenkundig nicht stattgefunden.

So wird von Herrn Dobrindt argumentiert, dass die Gewährleistung bestimmter Verkehrsangebote im Fernverkehr einer starren Festlegung vorhandener Rahmenbedingungen gleich käme. Es würde verhindert, dass sich der Schienenpersonenfernverkehr parallel zu den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung entwickelt.

Diese Aussage ist jedoch falsch, denn im Entwurf des Schienenpersonenfernverkehrsgesetzes ist die Erstellung bzw. Fortschreibung eines Schienenpersonenfernverkehrsplans (SPFV-Plan) vorgesehen. So heißt es in § 2 Absatz 1 bzw. 2:

  1. Die erforderliche Entwicklung des SPFV, mindestens jedoch das sicherzustellende Grundangebot nach §1, stellt der Bund in einem SPFV-Plan dar, welcher der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die Aufstellung erfolgt erstmals bis spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten dieses Gesetzes. Er wird spätestens alle drei Jahre fortgeschrieben und veröffentlicht. […]
  2. Der SPFV-Plan stellt mindestens die pflichtig durch Züge des Fernverkehrs anzubindenden Orte, die Verknüpfungspunkte, die zu befahrenden Linien, die Taktfolge und die tägliche Bedienungszeit auf den einzelnen Linien dar. Insbesondere sind alle Oberzentren anzubinden. […]
Und: Siedlungsstrukturen und Verkehrsbedürfnisse verändern sich nicht so rasch, dass dem durch Angebotsvorgaben nicht gefolgt werden kann.

Die üblichen Argumente

Auch weitere in der Diskussion um ein Schienenpersonenfernverkehrsgesetz häufig vorgebrachte Argumente des Bundes sind nicht haltbar, zum Beispiel:

  • Der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) sei ein eigenwirtschaftliches Angebot der Eisenbahnverkehrsunternehmen.

    Es gibt jedoch gar keine gesetzliche Vorgabe, die eine Eigenwirtschaftlichkeit des SPFV vorschreibt.
  • Die Verantwortung des Bundes für den SPFV werde durch die Bereitstellung von Investitionsmitteln für die Schienenwege in ausreichender Weise wahrgenommen.

    Auch dieses Argument ist falsch. Der Artikel 87e Absatz 4 des Grundgesetzes ist eindeutig und weist dem Bund die Verantwortung für den SPFV bzw. für die Gewährleistung von Verkehrsangeboten auf dem Schienennetz zu. Eine Beschränkung auf die Infrastrukturförderung hat in der Vergangenheit nicht zu Mehrverkehr auf der Schiene geführt bzw. kann auch gar nicht sicherstellen, dass anschließend auch entsprechende Verkehrsangebote im SPFV erbracht werden.
  • Ein SPFV-Gesetz wäre eine Einladung zu unwirtschaftlichem Handeln.

    Die im Jahr 1996 umgesetzte Regionalisierung, d.h. die Übertragung der Aufgabenund Ausgabenverantwortung für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) auf die Bundesländer hat keinesfalls zu Unwirtschaftlichkeit geführt – im Gegenteil: Wettbewerb ist durch Ausschreibungen erst entstanden. Die Sorge ist daher unbegründet.

Bahnhof
Dessau Hbf. Mit einem Schienenpersonenfernverkehrsgesetz würden verbindliche Rahmenbedingungen für die Anbindung auch dieser 83 000-Einwohner-Stadt an den Fernverkehr der Bahn geschaffen. Foto: Christian Schultz

Demgegenüber scheinen den Bund keine Zweifel am wirtschaftlichen Umgang mit Steuergeldern zu plagen, wenn er so fragwürdige Großprojekte wie beispielweise „Stuttgart 21“ verfolgt. Auch bei den vielfältigen finanziellen Förderungen von Elektroautos, deren Kauf zum Beispiel mit 600 Millionen Euro Steuergeldern bezuschusst wird (hinzu kommt ein Eigenanteil von weiteren 600 Millionen Euro seitens der Automobilindustrie), kann von einem sparsamen Umgang mit Steuergeldern keine Rede sein. Zusätzlich will der Bund auch noch die erforderliche Ladeinfrastruktur mit 300 Millionen Euro fördern. Hier steht offensichtlich nicht das Allgemeinwohl, sondern das Wohl der Automobilindustrie im Vordergrund!

Neue Belastungen drohen durch das Eisenbahnregulierungsgesetz

Schon heute ist der Fernverkehr auf der Schiene durch die Fernbusse, die keine Streckenmaut zahlen müssen, wirtschaftlich unter Druck.

Für zusätzliche Probleme des Schienenpersonenfernverkehrs – und auch des Schienengüterverkehrs – dürfte das neue Eisenbahnregulierungsgesetz sorgen. Es sieht vor, den Trassenpreisanstieg für Züge des Regionalverkehrs auf 1,8 Prozent pro Jahr zu begrenzen. Was positiv für die Kunden des Regionalverkehrs ist, wird sich nachteilig auf den Fern- und Güterverkehr auswirken.

Brücke
Für den Regionalverkehr wird mit dem Eisenbahnregulierungsgesetz der jährliche Trassenpreisanstieg begrenzt, aber dadurch besteht die Gefahr überdurchschnittlicher Trassenpreiserhöhungen für den Fern- und Güterverkehr. Gefährdet wird dadurch nicht zuletzt die Umsetzung der Fernverkehrsoffensive der Deutschen Bahn. Foto: Christian Schultz (Pündericher Hangviadukt auf der Strecke Koblenz—Trier)

Kalkuliert wird mit einer jährlichen Steigerung der Kosten des Schienennetzes in einer Höhe von 2,4 Prozent. Da es sich auf dem Schienennetz überwiegend um Züge des Regionalverkehrs handelt, ist ein umso stärkerer Anstieg der Trassenpreise für den Fern- und Güterverkehr zu befürchten.

Die Problematik wird anhand nachfolgender Zahlen deutlich: So verkehrten im Jahr 2015 allein bezogen auf die Geschäftsbereiche der Deutschen Bahn insgesamt 22 809 Züge des Regionalverkehrs pro Tag, dagegen nur 1304 Züge des Fernverkehrs und 4520 Güterzüge.

Nicht zuletzt dürfte mit den neuen Kostenregelungen die Umsetzung des Zielnetzes IC-NEU entsprechend der Kundenoffensive der Deutschen Bahn gefährdet sein. Deshalb ist für die Umsetzung der DBFernverkehrsoffensive eine staatliche Flankierung notwendig!

Fazit

Die Regelung der in Artikel 87e Grundgesetz geforderten Gemeinwohlaufgaben sind sachlich berechtigt. Das Grundgesetz muss vom Bund beachtet und daher das bislang fehlende Bundesgesetz zum Schienenpersonenfernverkehr auf den Weg gebracht bzw. beschlossen werden. Da Bundesminister Alexander Dobrindt sich dem verweigert, muss es ein Thema der neuen Bundesregierung nach den Wahlen 2017 werden.

Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV) und IGEB Fernverkehr

aus SIGNAL 4/2016 (September 2016), Seite 24-25

 

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