Der Fahrgastsprechtag für die BVG-Kunden
fand auch 2016 wieder im Straßenbahnbetriebshof
Lichtenberg statt. Dr. Sigrid Evelyn
Nikutta, Vorstandsvorsitzende der BVG,
stand für anderthalb Stunden persönlich
Rede und Antwort, danach waren noch fünf
Mitarbeiter aus den Verkehrsbereichen und
dem Querschnittsbereich Planung und Entwicklung
für die Fahrgäste da.
In ihrem Einführungsvortrag erinnerte
Frau Nikutta noch einmal an die Höhepunkte
2015/2016 und hob dabei das Überschreiten
der Milliardengrenze bei den BVG-Fahrgastzahlen
im Geschäftsjahr 2015 hervor.
Erfreulich sei auch die gesamtstädtische
Situation mit einem ständig anwachsenden
Anteil des Umweltverbundes am Verkehrsmarkt
(Modal Split). So stieg von 2008 bis
2013 der Anteil der umweltschonenden Verkehrsteilnehmer
Fußgänger, Radfahrer und
Fahrgäste in Bus und Bahn von schon guten
67 Prozent auf rund 71 Prozent, darunter der
Fahrgastanteil von 24 auf 27 Prozent. Den
kleiner werdenden Rest machte der motorisierte
Individualverkehr aus, für den auch
im Land Berlin leider immer noch der größte
Anteil am Straßenraum reserviert ist.
Diesem Trend entsprechend stiegen seit
2008 auch die Fahrgeldeinnahmen der BVG
um 56 Prozent und decken rund die Hälfte
der Kosten. Besonders erfreulich für die
BVG-Chefin war das starke Wachstum der
Stammkundschaft, seit 2008 um fast 91 Prozent
– also eine Verdoppelung!
Mehrfache Angebotsverbesserungen
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Populär in Berlin: Laufveranstaltungen wie Big25 oder Marathon. Für die Fahrgäste sind damit allerdings über zwei Tage gravierende Einschränkungen verbunden. Das lässt sich nicht vermeiden, aber sehr wohl begrenzen. Bei einem solchen langfristig geplanten und jährlich wiederkehren Großereignis wie dem Berlin-Marathon muss es möglich sein, die gesperrten Straßenbahnabschnitte auf ein Minimum zu begrenzen, ausreichend Kehrmöglichkeiten anzubieten und bei S-Bahn und U-Bahn auf Wochenendbauarbeiten mit Verkehrseinstellungen zu verzichten – nicht zuletzt im Interesse der auf BVG und S-Bahn angewiesenen Sportler und Zuschauer. Foto: Michael Otto |
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Angesichts dieser erfreulichen Entwicklung
wurde auch vom Senat der Handlungsbedarf
erkannt und das Programm „Wachsende
Stadt“ aufgelegt, mit dem seit einigen
Jahren Mehrleistungen bei der BVG finanziert
werden. Bis jetzt sind 92 Maßnahmen
auf 78 Linien umgesetzt, und bis einschließlich
des Fahrplanwechsels im Dezember
2016 kommen nochmals rund 30 Maßnahmen
dazu. Nach Frau Nikuttas Aussage
wurden dafür von der BVG rund 1500 Fahrschichten
umgeschrieben, aber erstaunlicherweise
nur 31 zusätzliche Fahrzeuge
und 161 neue Vollzeitstellen benötigt. Wie
im SIGNAL schon berichtet liegt das daran,
dass die Angebotsverbesserungen kaum in
den Hauptverkehrszeiten (HVZ) erfolgten,
sondern hauptsächlich durch Verlängerung
derselben oder des dichteren Tagesverkehrs
in den späten Abend hinein.
Der Grund für dieses Vorgehen liegt in
der immer noch angespannten Fahrzeugsituation
bei der BVG. Und seit 2015 wissen
wir, das es bei den Fahrpersonalen nicht
anders aussieht. Frau Nikutta berichtete, der
Personalmarkt sei nahezu leergefegt, viele
der jetzt noch kommenden Bewerber hätten
nicht die erforderlichen Eignungen für
den Fahr- und Schichtdienst. Es werden deshalb
neue Wege gegangen, beispielsweise
Nachwuchswerbung auf Youtube. Die große
Fahrerkrise bei der Straßenbahn sei aber
überwunden.
Neue Straßenbahn- und
U-Bahn-Fahrzeuge
Die BVG plant erfreulicherweise, die 4. und
letzte Option für die Bestellung neuer
Flexity-Straßenbahnen zu ziehen. Die Finanzierungsgespräche
mit dem Senat sind aufgenommen
worden. Das gleiche gilt für neue
U-Bahn-Wagen: Die gesamte Serie des neuen
Kleinprofiltyps IK zuzüglich einer Option
von 11 Einheiten für zeitweisen Einsatz auch
im Großprofil ist bestellt. Inklusive der zwei
Prototypen werden also 40 Halbzüge in den
nächsten beiden Jahren geliefert.
Doch der größte Engpass besteht künftig
beim U-Bahn-Großprofil, für das die
nächste Fahrzeuggeneration erst in der
Entwicklung ist. Ziel der BVG ist eine Erneuerungsquote
von 50 Prozent bei den Straßenbahnen
und 60 Prozent bei den U-Bahnen.
Dies besonders vor dem Hintergrund,
dass sich die nächsten Serien der Baureihe
F ihrem Lebensende nähern und aufgrund
der Elektronik und der Wagenkästen nicht
mehr sanierbar sind. Dagegen wird die
Sanierung der 40 Doppeltriebwagen der
Serie F74/76 2017 abgeschlossen. Die Serie
F79 wird aus den oben genannten Gründen
nicht saniert. Der derzeitige Engpass sorgt
so für das bahntouristische Highlight, dass
die Museumswagen der Baureihe D im Linienverkehr
auf der U 55 fahren werden. Frau
Nikutta kündigte außerdem an, dass im
Rahmen des Zusatzverkehrs zur IGA 2017
auch auf der Stammstrecke der U 5 historische
Wagen fahren werden, nämlich die EIII
aus der DDR-Zeit.
Noch offene Fragen bei Bussen
Während die BVG für Schienenfahrzeuge
und -strecken nun auf das „Sondervermögen
Infrastruktur wachsende Stadt“ (Siwa)
zurückgreifen kann, muss sie die Busse
selbst bezahlen. Darum gibt es für den großen
Doppeldecker noch keinen Nachfolger.
Es wurde erkannt, dass die getesteten kleineren
Zweiachser nicht den Erwartungen
entsprechen, aber einen Bus der passenden
Größe bietet die deutsche (und auch
europäische) Industrie nicht an. Nochmals
eine nur für diese Stadt maßgeschneiderte
Konstruktion kann sich die BVG leider nicht
leisten (wobei die benötigten Stückzahlen
durchaus dafür sprechen, dass sich die Konstruktionskosten
vertreten ließen, meint die
IGEB).
Dasselbe gilt auch für neue Antriebstechnologien.
Berlin und Hamburg haben eine
gemeinsame Elektrobus-Bestellung angekündigt,
um der Industrie zu zeigen, dass es
einen Markt gibt, der die Entwicklungskosten
lohnt. Selbstverständlich müssen auch
Elektrobusse besser werden: 75 Prozent Verfügbarkeit
sind kein guter Wert, wenn das
Fahrzeug doppelt so teuer wie ein Dieselbus
ist. Es müssen keine deutschen Fahrzeuge
sein, aber für z B chinesische Busse fehlt in
Deutschland noch die Zulassung.
Die BVG will daher zunächst den Sanierungsaufwand
der vorhandenen dreiachsigen Doppeldecker ergründen und dann
entscheiden, ob sie 2017 eine Ausschreibung
über neue Fahrzeuge dieser Kategorie
startet. Alle neuen Fahrzeuge sollen die Abgasnorm
Euro 6 einhalten.
U-Bahnhöfe bald vollständig mit
Aufzug
Besser als bei den Fahrzeugen sieht es bei
der Infrastruktur aus: Besonders die barrierefreie
Ausstattung des U-Bahn-Netzes ist
auch im internationalen Vergleich gut. Bis
2022 sollen alle Stationen entsprechend zugänglich
sein. Noch 2016 sollen die Bahnhöfe
Hallesches Tor (U 6), Zitadelle, Hansaplatz
und Neue Grottkauer Straße fertig werden.
Letzterer wird dann zum Fahrplanwechsel
umbenannt in Kienberg – Gärten der Welt.
Für eine Fertigstellung in 2017 sind die
Bahnhöfe Jannowitzbrücke und Yorckstraße
schon im Umbau. Weil die Zeit bis 2022
knapp wird, plant die BVG nun alle noch ausstehenden
U-Bahnhöfe gleichzeitig.
Sorgen bereiten die Sanierungen der Altanlagen,
weil einerseits die Substanz wesentlich
schlechter ist als erwartet (der Bahnhof
Leinestraße war ein warnendes Beispiel)
und weil gerade in den Stationen aus den
1970er Jahren immer Asbest mit entsorgt
werden muss, aktuell auf der U 9. Dazu kommen
dann Auflagen des Denkmalschutzes
(Beispiel Schloßstraße), und das alles muss
mit den neuesten Bau- und Betriebsvorschriften
kompatibel werden.
Erfolgreich war der WLAN-Test im Bahnhof
Osloer Straße. Es sollen 76 Stationen
entsprechend ausgerüstet werden, so dass
zwei Drittel aller U-Bahn-Fahrgäste damit
erreicht werden.
Auch Neubaustationen können ihre Tücken
haben. Die Posse um das Dach der
Straßenbahn-Haltestelle am Hauptbahnhof
ist noch in Erinnerung, und auch die schönen
Säulen des U-Bahnhofs Rotes Rathaus
(so soll er nun zur Eröffnung heißen) machten
Nacharbeiten erforderlich. „Wenn in
Zukunft ein Architekt zu uns sagt, das wird
eine Weltsensation, dann bauen wir das garantiert
nicht“, sagte die BVG-Chefin.
Als Herausforderung beschrieb sie den
Bau des neuen Bahnhofs Museumsinsel direkt
unter der Spree, bei dem durchaus noch
Verzögerungen durch Findlinge auftreten
können. Bis jetzt ist das Jahr 2020 offizieller
Termin für den Lückenschluss der U 5.
Neue Straßenbahnstrecken – noch ein
weiter Weg
Ebenfalls 2020 ist die Zielmarke für die
nächsten Neubaustrecken der Straßenbahn:
vom Hauptbahnhof zur Turmstraße,
von der Wista in Adlershof zum Bahnhof
Schöneweide und die Verlegung der Linie
21 an den Bahnhof Ostkreuz. Außerdem hat
der Senat die BVG beauftragt, nun auch die
Neubaustrecken zum Potsdamer Platz und
ins Wohngebiet Elisabethaue zu planen. Um
die heute leider übliche starke Verzögerung
solcher Verbesserungen zu vermeiden, wird
auch das schon in der DDR praktizierte Verfahren,
die Erschließung von Neubaugebieten
mit der Tram rechtzeitig zum Einzug der
ersten Bewohner fertig zu stellen, wieder
zum Ziel.
Erfreulich ist die positive Sicherheitsbilanz
im öffentlichen Verkehr. Die Zahl der Straftaten
ist im BVG-Bereich in allen Kategorien
zurückgegangen – außer bei Taschendiebstählen.
Etwa 6000 Mal pro Jahr fragt die
Polizei BVG-Videomaterial ab.
Auch die Außendarstellung der BVG
kommt gut an. Frau Nikutta stellte einen
Film der neuesten Werbekampagne vor, der
im Internet schon erfolgreich war.
Eine gute Nachricht gab es zur Buslinie
TXL: Die Zurückziehung vom Alexanderplatz
zum Invalidenpark wird zum 17. Oktober
aufgehoben. Nachdem auch die örtlich davon
betroffene Wirtschaft beim Senat protestierte,
wurde endlich erkannt, dass der
ÖPNV-Vorrang eine wirtschaftliche Notwendigkeit
ist. Zahlreiche von der BVG schon
länger beantragte Beschleunigungsmaßnahmen
werden nun umgesetzt, so dass die
Auslöser der Linienverkürzung (hoffentlich)
entfallen werden.
Lebhafte Fragerunde
Bei den anschließenden Fahrgastfragen
zeigte sich aber gleich, dass noch viel zu tun
ist: Für den Wunsch nach besserer Koordination
von Großveranstaltungen mit den
Belangen des öffentlichen Verkehrs (Beispiel
Berlin-Marathon) sieht die BVG-Chefin aufgrund
der Bedeutung dieser Veranstaltungen
keine Chance. Aus Fahrgastsicht haben
in Berlin also die diversen Events bei den Politikern
Vorrang vor einer funktionierenden
Daseinsversorgung.
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Wegen Bauarbeiten enden die Züge der U 2 fast neun Monate am Olympia-Stadion statt in Ruhleben. Das wird korrekt angezeigt. Als aber im Sommer die Züge der U 9 wegen Bauarbeiten viele Wochen in Walther-Schreiber-Platz statt Rathaus Steglitz endeten, wurde auf den Zugzielanzeigern dennoch Rathaus Steglitz angegeben. Die BVG will dieses jahrelange Problem nun intern prüfen, um künftig einheitlicher zu informieren. Foto: Marc Heller |
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Ein großer Teil der Fragen kam zum Thema
Fahrgastinformation – wie jedes Jahr.
Insbesondere die Beschilderung bei abweichenden
Betriebszuständen und die Linieninformationen
in den Fahrzeugen waren
zu bemängeln. Während in den Straßenbahnen
immerhin Gesamtnetzübersichten
hängen, die alle angefahrenen Haltestellen
zeigen, waren in den Bussen bisher Seitenpappen
üblich, die speziell die befahrene
Linie abbilden. Diese werden in letzter Zeit
immer häufiger „eingespart“, womit sogar
gegen gesetzliche Auflagen verstoßen wird.
Bei der Zielbeschilderung zeigten vor allem
die Bauphasen der Tram am Prerower Platz,
dass es eine Einheitslösung nach „Schema F“
nicht geben kann. In diesem Zusammenhang
stand auch das immer wiederkehrende Problem
der fehlerhaften Inhalte an den elektronischen
Anzeigern (Daisy). Bezeichnend
war die Antwort der BVG: Dieses schon alte
System erlaubt der Leitstelle nicht den Zugriff
auf den aktuellen Anzeigestatus des Endgerätes.
Allerdings will die BVG das Problem der
Zielschilderung bei abweichenden Linienverkehren
noch einmal vertiefend prüfen.
Überraschenderweise noch offen scheint
die Bestellung von Prototypen vor den Serienfahrzeugen
für die neue Großprofil-U-Bahn.
Angesichts der vielen „Kinderkrankheiten“
bei Neuentwicklungen sollte
die BVG dieses Risiko nicht eingehen, auch
wenn sie derzeit deutlich hinter dem ursprünglichen
Zeitplan für die Neubeschaffung
zurückliegt.
Zahlreiche Fragesteller bemängelten,
dass Busfahrer die Haltestellen aus diversen
Gründen nicht richtig anfahren. War
dies bis vor wenigen Jahren nur ärgerlich,
so wird es mit dem gestiegenen Anteil
mobilitätseingeschränkter Kunden zum
echten Problem für die versprochene Barrierefreiheit.
Hier muss die BVG ihre Fahrer
besser schulen – und von den Tiefbauämtern
besser unterstützt werden (siehe auch
nachfolgende Antworten auf offen gebliebene
Fragen).
Insgesamt war der Sprechtag dieses Jahr
deutlich optimistischer als bisher, der Aufwärtstrend
des öffentlichen Verkehrs ist
unübersehbar und auch in der Politik offensichtlich
angekommen. Bis zur praktischen
Umsetzung ist meist noch ein weiter Weg,
zumal die „Verkehrslenkung Berlin“ Busse
und Straßenbahn im Regelfall eher behindert
als beschleunigt. Dennoch gelang es
Frau Nikutta, die Probleme der „Wachsenden
Stadt“ als Chance für den öffentlichen
Verkehr darzustellen und so etwas wie Aufbruchstimmung
zu vermitteln. (af) IGEB Stadtverkehr
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