Schon in den letzten zwei Jahren vor der
Eröffnung der sogenannten Mainzelbahn
wurden die erforderlichen Fahrpersonale
angeworben und ausgebildet. In dieser Zeit
erreichte ein Hilferuf aus Berlin die Stadt
Mainz.
In Berlin waren, auch mit Zustimmung
des seinerzeitigen Senats als verantwortlichem
Aufgabenträger, in den letzten Jahren
alle Reserven der BVG in den Bereichen
Infrastruktur, Wagenpark und Personal
wegrationalisiert worden. Immer, wenn in
der Öffentlichkeit Forderungen nach einer
Ausweitung des ÖPNV laut wurden, sind
sie mit eben diesen „Argumenten“ und
natürlich mit der Standardformel, dafür
sei kein Geld da, abgelehnt worden. Selbst
so kleine Maßnahmen wie Zusatzzüge bei
U-Bahn oder Straßenbahn an einzelnen
Abenden für Großveranstaltungen oder
die gegenseitige Aushilfe S-Bahn/BVG bei
baubedingten Streckensperrungen durch
zeitweilige Taktverdichtungen wurden abgelehnt.
|
Am 28. November 2016 wurden mit den verschiedenen Fahrzeugtypen (im Vordergrund Variobahn) die ersten Testfahrten durchgeführt. Foto: Reinhard Halbritter |
|
Nach 2010 zeichnete sich aber ab, dass
Berlin wächst, und darum wurde vom Senat
vor vier Jahren das Programm „Wachsende
Stadt“ beschlossen, das zu einer
Kehrtwende bei der ÖPNV-Angebotspolitik
führte. Die BVG freute sich auf die voraussehbaren
Mehrleistungen, die der Senat
bestellen und bezahlen würde – allerdings
zu früh. Sie hatte keine Reserven mehr, die
sich bis zur Ausbildung neuer Mitarbeiter
und der Auslieferung neuer Fahrzeuge mobilisieren
ließen. Im Gegenteil. Schon die
ersten eingegangenen Verpflichtungen
im Bereich Straßenbahn führten 2015 zur
„Fahrerkrise“, auf deren Höhepunkt so viele
Fahrten ausfielen, dass in Abstimmung mit
dem Senat an bestimmten Verkehrstagen
ganze Linien eingestellt werden mussten,
um nicht im restlichen Netz eine Lotterie
täglich wechselnden Versagens zu veranstalten.
Das Fahrzeugproblem war durch einen
glücklichen Umstand nicht ganz so drückend,
denn gerade hatte die Lieferung neuer
Flexity-Wagen begonnen, die eigentlich
nur zum Ersatz der Tatrabahnen und nicht
zu einer Leistungsausweitung gedacht waren.
Aber dies ließ sich durch das Ziehen
der zusätzlich vereinbarten Lieferoptionen
ändern.
Fahrpersonal zu finden, war in der
Hartz-IV-Hauptstadt Berlin aber schwierig. Denn
wer die vom arbeitsmedizinischen Dienst
geforderten Eigenschaften hat und die
notwendige technische Bildung besitzt, ist
nicht darauf angewiesen, sein Geld an allen
sieben Wochentagen mit Schichtarbeit
rund um die Uhr zu verdienen. Wenn diese
Arbeitsplätze nicht mit wesentlich besseren
Bedingungen verknüpft sind (und dabei
geht es um mehr als Geld), dann werden
die Probleme der BVG und auch der S-Bahn
nicht dauerhaft zu lösen sein.
Die BVG benötigte also kurzfristig Fahrer,
die nicht zu viel Zeit für die Schulung auf den
hier eingesetzten Wagentypen benötigen.
Da war es hilfreich, dass in Berlin als erste Generation
von Niederflurfahrzeugen (GT6N)
ein Wagentyp läuft, der es zu deutschlandweiter
Verbreitung geschafft hat. Auch
Mainz hatte sich für diesen Typ entschieden
und konnte dadurch Berlin schnell helfen.
Insgesamt 16 Kollegen (darunter auch drei
Fahrlehrer) waren für ein Jahr auf dem Betriebshof
Marzahn zu Hause und bedienten
viele Kurse der Linie 16.
|
Vier Monate vor der Streckeneröffnung waren die ersten Haltestellen fertig, hier die Station Wiesenstraße in Marienborn – noch ohne Oberleitung – am 16. August 2016. Foto: Reinhard Halbritter |
|
In Mainz hatte man also trotz der Netzerweiterung
um rund die Hälfte rechtzeitig
und genügend Personal und konnte so der
BVG helfen. Demgegenüber gab es in Berlin
mit einer prozentual kaum messbaren und
erheblich verspäteten Erweiterung zum
Hauptbahnhof zu wenig Fahrpersonal – ein
Fall von Missmanagement.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB gratuliert
den Mainzern und ihren Verkehrsbetrieben
zu der gut geplanten neuen Straßenbahn
und hofft, dass in Zukunft auch
die Netzerweiterungen in Berlin ähnlich
professionell erfolgen. Der neue rot-rotgrüne
Senat hat eine stärkere Förderung
des öffentlichen Verkehrs versprochen und
nun zusammen mit der BVG fünf Jahre Zeit
zu zeigen, dass es hier genauso gut klappen
kann wie in Mainz. (af)
IGEB Stadtverkehr
|