Straßenbahn im Westen

Viele Schatten und ein Lichtstreif im Ruhrgebiets-ÖPNV

Erfolgsmeldungen zur Straßenbahn kommen derzeit aus Mainz, Kehl am Rhein und Ulm. Berlin wagt sich nun immerhin mit ambitionierten Ausbauplänen hervor, doch im Ruhrgebiet wachsen vor allem die Sorgenfalten.

Duisburg beendet Kooperation

VIA, das war bis zum 31. Dezember 2016 ein Verbund der Verkehrsunternehmen aus Mülheim, Essen und Duisburg für Beschaffungen und Personalverwaltung. Doch die erhofften Einsparungen konnte VIA nicht bringen, denn die Lokalpolitik wollte ihren Einfluss auf das jeweilige Unternehmen gewahrt haben. Am Ende stieg nun Duisburg aus finanziellen Gründen aus. Die Lage dort ist düster, denn viele Fahrzeuge fehlen dem täglichen Betrieb, so dass es zu Ersatzverkehren mit Bussen kommt. Mit rigider „Spar-Sanierung“ soll der Wagenpark wieder ausreichend fit gemacht werden, um das eigentliche Angebot bis zur Lieferung neuer Fahrzeuge irgendwann wieder anbieten zu können.

Mülheim sorgt für Negativmeldungen

Auch Mülheim an der Ruhr bietet wenig Grund zur Freude. Die „betriebliche Sperrung“ der Flughafenstrecke als defacto-Stilllegung sorgte 2012 deutschlandweit für Schlagzeilen und deutlichen Widerstand bei der Aufsichtsbehörde. 2015 erfolgte, nun rechtlich korrekt geregelt, die nächste Stilllegung mit dem Ast nach Friesenstraße – bei deutlichen Mehrkosten für den neu angebotenen Busverkehr. Doch trotz vielfacher Gutachten fand sich bisher niemand, der der Stadtpolitik eine Gesamt-Stilllegung schönrechnen wollte.

Am 8. Januar 2017 gab es den nächsten Einschnitt: Die im Nahverkehrsplan vorgesehene Einführung eines 15-Minuten-Taktes wurde bei der Straßenbahn vorgezogen. Was auf manchen Strecken eine positive Verdichtung von 20 auf 15 Minuten bringt, sorgt auf anderen Abschnitten für eine Verschlechterung von 10 auf 15 Minuten – samt überfüllter Bahnen und teils zurückbleibender Fahrgäste. Doch egal ob Verdichtung oder Ausdünnung, die Anschlüsse zu den Buslinien im 20-Minuten-Takt sind dahin. Ebenfalls ärgerlich: Trotz vollständiger Auslieferung fabrikneuer Niederflurfahrzeuge und der verringerten Umlaufzahl werden wegen schlechter Fahrzeugverfügbarkeit noch immer reine Hochflurfahrzeuge eingesetzt.

Auswirkungen auf Oberhausen

Besonders kritisch sieht das die Nachbarstadt Oberhausen, die zwar selbst bei VIA nicht mitmachte, ihre Straßenbahn aber durch die Mülheimer Verkehrsgesellschaft (MVG) betreiben lässt. Die neuen Mülheimer Fahrzeuge sind zu schwer für die marode Thyssenbrücke, die in den nächsten Jahren ersetzt werden soll. Bei den älteren Niederflurwagen ist die Verfügbarkeit aber so gering, dass Hochflurfahrzeuge – teils aus Essen geliehen – „aushelfen“. Mit einer Aufarbeitung der 1996 beschafften Niederflurfahrzeuge soll nun künftig (wieder) ein barrierefreies Angebot garantiert werden. Zugleich aber plant Oberhausen weiter am Bedarf vorbei: Der bisherige 20-Minuten-Takt wurde zwar nun tagsüber verdichtet, so dass wieder alle Fahrten der Linie 112 im neuen 15-Minuten-Takt nach Oberhausen fahren, doch diese Verdichtung endet bereits um 18 Uhr, obwohl die Strecke direkt am CentrO, Deutschlands größtem Einkaufszentrum, vorbei führt. Nach 18 Uhr endet wieder jeder zweite Bahn an der Stadtgrenze, so dass dann nur noch alle 30 Minuten gefahren wird – verdichtet durch die unzähligen Busse, die die deutschlandweit einzigartige Kombitrasse befahren.

Probleme in Essen

Essen, als dritte Stadt im ehemaligen VIA-Verbund, kämpft mit Personal- und Fahrzeugproblemen. Ein angedachter Notfahrplan wurde aber zunächst doch nicht umgesetzt. Der Spurbus, der einst als Innovation mehrere Straßenbahnstrecken ersetzte, wird weitgehend zurückgebaut. Einzig die Strecke in der Mitte der A40 soll saniert werden und zunächst erhalten bleiben. Eine Barrierefreiheit der betroffenen Haltestellen ist mit der Sanierung aus Platzgründen allerdings nicht zu schaffen. So bleibt die Hoffnung, dass die Rechtslage ab 2022 doch noch für eine Rückkehr der Straßenbahn sorgen könnte, wie sie beim Bau der Spurbustrasse für den Fall der Außerbetriebnahme vereinbart wurde.

„Ruhrbahn” bestenfalls ein Lichtstreif

Straßenbahn
Zur Friesenstraße in Mülheim fährt keine Straßenbahn mehr. Trotz Stilllegungen, Taktumstellung und Neufahrzeugen kommen noch immer solche kurzen Hochflurfahrzeuge zum Einsatz. In Duisburg ersetzen längerfristig Busse fehlende Bahnen. Foto: Florian Müller, September 2015

Bei all den negativen Entwicklungen ergab sich jedoch Ende 2016 ein kleiner Lichtblick. Mit dem Duisburger VIA-Ausstieg vereinbarten Mülheim und Essen zugleich einen Zusammenschluss von MVG und EVAG zur Ruhrbahn. Sollte da etwa der erste Schritt zu einem gemeinsamen Verkehrsunternehmen für das Ruhrgebiet gelingen? Das bleibt abzuwarten, denn in die erste Euphorie mischte sich schon schnell auch der erste Frust. Zwei Vorstände sollen das neue Unternehmen führen, einer aus Mülheim und einer aus Essen.

Doch während dem Betriebspersonal in den letzten Jahren durch Sparrunden und Leistungskürzungen viel abverlangt wurde, um einen Beitrag zur Unternehmskonsolidierung zu leisten, beschloss der Aufsichtsrat nicht nur eine Angleichung der beiden Vorstandsgehälter, sondern sogar eine saftige Erhöhung. Wie so häufig mit der Begründung, dass Vorstände anderer Verkehrsunternehmen noch deutlich mehr verdienen würden. Nach viel Kritik in den örtlichen Medien wollte dann aber plötzlich keiner mehr die Erhöhung initiiert haben. Beide Vorstände erhalten nun 200 000 Euro jährlich und erklärten inzwischen, für 2017 auf den möglichen Bonus von 50 000 Euro verzichten zu wollen.

Dennoch sorgten die negative Berichterstattung und der Vertrauensverlust der Mitarbeiter sowie die Mülheimer Fahrgastvergrämung per Taktausdünnung für einen denkbar schlechten Start ins Jahr 2017. Vom Lichtblick bleibt nur ein kleiner Lichtstreif übrig. (ge)

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 1/2017 (März 2017), Seite 23

 

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