1 Zwei Welten im ländlichen öffentlichen
Verkehr
Der öffentliche Verkehr im ländlichen Raum
stellt sich derzeit oftmals in „zwei Welten“
dar. Während man mit der Eisenbahn meist
schnell und zu allen Zeiten reisen kann,
bricht das Angebot abseits der Schiene oftmals
ein und ist in erster Linie auf den Schülerverkehr
ausgerichtet. Für Berufspendler,
Besorgungen oder Ausflüge sind die Busangebote
meistens nicht geeignet.
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Abb. 1: Potenzielle Korridore für ein Landesbusnetz in Brandenburg Grafik: ETC |
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In Brandenburg wurde der SPNV in den
vergangenen Jahren auf den nach Berlin
ausgerichteten radialen Achsen deutlich
ausgebaut, während er auf ergänzenden
tangentialen Strecken reduziert bzw. ganz
eingestellt wurde. Ohne adäquate Alternativangebote
im Busverkehr haben sich die
Verkehrsangebote in der Fläche damit oftmals
verschlechtert. Dies betrifft in besonderem
Maße solche Relationen, die über
Kreis- oder sogar Landesgrenzen führen.
Hier haben die Landkreise als Aufgabenträger
und die dort tätigen Verkehrsunternehmen
bisher nur ein geringes Interesse
gezeigt, den Hauptachsen folgende Linien
einzurichten. Oftmals orientiert sich die
Angebotsplanung vordergründig am Schülerverkehr,
der ja in der Regel innerhalb der
Landkreise stattfindet. Von gleichwertigen
Lebensbedingungen bezüglich der Verkehrsanbindung
kann im ländlichen Raum
daher derzeit nicht gesprochen werden, da
zumeist nur Gemeinden mit Bahnanschluss
über ein verlässliches ÖV-Angebot verfügen.
2 Bahn und Bus aus einem Guss
Dabei können attraktive Reiseketten
bei einer intelligenten Verzahnung von
Bahn- und Busangeboten auch abseits
des SPNV-Netzes entstehen. Durch die geringeren
Betriebskosten des Busverkehrs
kann auf nachfrageschwächeren Strecken
bei gleichem Mitteleinsatz
ein umfassenderes
Verkehrsangebot als mit
dem SPNV sichergestellt
werden.
Um den Fahrgästen ein
Verkehrsangebot aus einem
Guss anzubieten, sind
dabei beide Verkehrsträger
optimal miteinander
zu vernetzen durch:
- attraktive Schnittstellen
mit kurzen Übergangswegen
zwischen Bahn
und Bus,
- abgestimmte Fahrpläne mit kurzen
und gesicherten Anschlüssen zwischen
Bahn und Bus und zwischen den Buslinien,
- Fahrtmöglichkeiten zu allen Tages- und
Wochenzeiten (auch abends und am Wochenende),
- durchgehende Tarife und Fahrplaninformationen
(im VBB weitestgehend gegeben),
- Verkehrsangebot auch über die Grenzen
von Gebietskörperschaften hinweg (z. B.
Linien durch mehrere Landkreise).
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Abb. 2: Beispielkorridor Oranienburg—Bernau Grafik: ETC |
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Einige Bundesländer haben solche Angebote
mit großem Erfolg umgesetzt. Genannt
seien hier Rheinland-Pfalz, welches als erstes
Bundesland seit 1996 ein solches Konzept
unter der Bezeichnung „Regiolinien“
etablierte, oder Sachsen-Anhalt, wo seit
2007 „Landeslinien“ in einem umfangreichen
Netz fahren. In vielen weiteren Ländern
sind Netze mit landesbedeutsamen
Buslinien inzwischen etabliert oder in der
Entwicklung.
3 Wie sieht es derzeit in Brandenburg
aus?
Einen vergleichbaren Ansatz verfolgt nun
der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg
(VBB) mit den PlusBus-Linien, die in einem
festen Takt Aufkommensschwerpunkte
abseits der Schiene bedienen sollen. In
zwei Landkreisen (Teltow-Fläming und
Ostprignitz-Ruppin) haben die dortigen
Verkehrsunternehmen PlusBus-Linien
eingerichtet, die die Aufkommensschwerpunkte
in gestraffter Linienführung und
im Stundentakt verbinden. An Wochenenden
werden zumindest einzelne Fahrten
angeboten. Eine Ausweitung der PlusBusse
in weiteren Landkreisen ist in Planung.
Damit kann der öffentliche Verkehr im
ländlichen Raum deutlich verbessert und
neue Fahrgäste gewonnen werden. Dies
belegen auch die ersten Erfahrungen mit
den PlusBussen im VBB. Im Schnitt konnten
die Fahrgastzahlen dort im ersten Jahr
nach der Einführung um rund 10 Prozent
gesteigert werden.
Die PlusBusse verkehren aber bisher
nur innerhalb der Landkreise. Daher besteht
weiterhin Handlungsbedarf, um
die Hauptachsen und die Aufkommensschwerpunkte
in Brandenburg und der
benachbarten Regionen landkreisübergreifend
auch dort zu verbinden, wo kein
SPNV-Angebot (mehr) besteht. Im Landesentwicklungsplan
gibt es zahlreiche
überregionale Verbindungen ohne SPNV-Angebot,
die jedoch für den öffentlichen
Verkehr von Bedeutung sind. Ziel einer
landesweiten ÖV-Planung muss es daher
sein, für diese Achsen ein integriertes
Bahn- und Bus-Angebot zu schaffen, um
möglichst gleichwertige Verkehrsangebote
in allen Landesteilen herzustellen.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im
Brandenburger Landtag beauftragte daher
die ETC Transport Consultants GmbH mit
einer Studie zu den Potenzialen landesbedeutsamer
Buslinien in Brandenburg. Aufbauend
auf den PlusBus-Ansätzen im VBB
sowie Erfahrungen aus anderen Bundesländern
wurden zunächst Angebotsmerkmale
für landesbedeutsame Buslinien definiert
und anschließend ein landesweites Zielnetz
für die Hauptlinien des öffentlichen
Verkehrs auf Schiene und Straße entwickelt.
Schließlich wurde anhand von vier Beispielkorridoren
gezeigt, wie das Angebot auf diesen
landesbedeutsamen Buslinien konkret
aussehen könnte und welche Effekte sich
damit erreichen ließen.
Das Zielnetz für ein landesweites Bahnund
Busnetz zeigt Abbildung 1.
Im Folgenden wird ein Beispielkorridor
ausführlich vorgestellt.
4 Beispielkorridor Oranienburg—Wandlitz—Bernau
4.1 Verflechtungen und Potenziale
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Abb. 3: Gegenwärtiges Angebot im Beispielkorridor Oranienburg—Bernau. Grafik: ETC |
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Abb. 4: Zielkonzeption im Beispielkorridor Oranienburg—Bernau. Grafik: ETC |
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Durch die Lage dieses Korridors im Berliner
Umland sind vor allem die auf Berlin ausgerichteten
Pendlerströme dominant. Aber
auch die Verflechtungen zwischen Bernau,
Wandlitz und Oranienburg mit zusammen
rund 100 000 Einwohnern rechtfertigen
eine Verbesserung der Verkehrsangebote.
Das stärkste Potenzial liegt in diesem Korridor
in der Schaffung einer bisher fehlenden
Direktverbindung zwischen Bernau und
Oranienburg über die Kreisgrenze hinweg.
Damit wird nicht nur eine schnelle, umsteigefreie
Verbindung zwischen den beiden
Mittelzentren erreicht, sondern auch eine
Erschließung des Bereichs dazwischen. Dieser
ist gekennzeichnet durch:
- Insgesamt hohes Pendleraufkommen
(insbesondere Wandlitz mit 21 660 Einwohnern)
- Sehr hohe Nachfrage in den Sommermonaten
für Naherholung (z. B. Wandlitzsee
und Liepnitzsee)
- Überregional bedeutende Einrichtungen,
z. B. Brandenburg-Klinik (Waldsiedlung
Bernau) und Polizeischule Oranienburg
(im Osten der Stadt)
Optional möglich ist auch eine Einbeziehung
der Gedenkstätte Sachsenhausen in
den Streckenverlauf. Dies müsste in Form
einer Stichfahrt (zusätzliche Streckenlänge
rund 1,6 km) erfolgen, so dass hier zwischen
der zusätzlichen Erschließung und der verlängerten
Gesamtreisezeit abzuwägen ist.
4.2 Verkehrsangebot und Zielkonzept
Gegenwärtig fährt im Korridor keine durchgehende
Linie über die Gesamtrelation Bernau—Wandlitz—Oranienburg.
Fahrgäste müssen
daher einen Umweg über Berlin-Gesundbrunnen
(RE, RB, S-Bahn) in Kauf nehmen.
Abbildung 3 zeigt das gegenwärtige
Angebot. Auffällig ist die fehlende Verbindung
über die Kreisgrenze hinweg (bis auf
einzelne Schülerfahrten – nicht gesondert
abgebildet).
Als Zielkonzept wird eine durchgehende
Verbindung in der Relation Oranienburg—Wandlitz—Bernau
vorgeschlagen. Im Abschnitt
zwischen Schmachtenhagen und
Wandlitz-Bahnhof wird alternierend über
Zehlendorf—Stolzenhagen—Wandlitzsee
oder Wensickendorf—Wandlitz-Dorf gefahren.
Die Abbildung 4 zeigt dieses vorgeschlagene
Angebot.
Das Diagramm (Abbildung 5) zeigt das
Reisezeitverhältnis für ausgewählte Relationen
innerhalb des Korridors im ÖPNV (Status
Quo) im Vergleich zur Fahrt mit einem
Pkw (Motorisierter Individualverkehr – MIV)
sowie zu einer potenziellen landesbedeutsamen
Buslinie (blau markiert). Hier wird
sichtbar, dass mit der Einführung einer direkten
Linie die Reisezeitersparnisse im ÖPNV
deutlich verkürzt werden können.
5 Ausblick
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Abb. 5: Reisezeitverhältnisse im Korridor Oranienburg—Bernau Grafik: ETC |
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Die Untersuchung zu landesbedeutsamen
Buslinien in Brandenburg zeigt, dass:
- es einen erheblichen Handlungsbedarf
und Verkehrspotenziale für hochwertige
öffentliche Verkehrsverbindungen im
ländlichen Raum auch abseits der Schiene
gibt,
- der grundlegende Verbesserungsansatz
in einer optimalen Verzahnung der Bahnund
Busangebote und einem auf den
Hauptrelationen ausgeweiteten und systematisierten
Busangebot besteht und
- in Brandenburg derzeit schon in mehreren
Landkreisen PlusBus-Linien eingeführt
wurden und in weiteren Landkreisen
geplant werden. Diese PlusBus-Linien
entsprechen weitgehend dem hier dargestellten Angebotsniveau landesbedeutsamer
Buslinien, überwinden aber bislang
noch keine Landkreisgrenzen. Zudem
stellt das Land kein zusätzliches Geld für
diese Linien zur Verfügung.
Damit ist der Weg für ein landesbedeutsames
Busnetz als Ergänzung zum Schienenverkehr
in vergleichbarer Angebotsqualität
recht klar vorgegeben. Die in einigen Regionen
Brandenburgs im Aufbau befindlichen
PlusBus-Netze bilden hierfür eine sehr gute
Ausgangsbasis.
Es bleibt die Frage, wie die Einführung landesbedeutsamer
Buslinien durch das Land
Brandenburg unterstützt werden kann – über
die bisherigen, auf eine koordinierende Funktion
und Marketing beschränkten Aktivitäten
hinaus. Hierfür kann die finanzielle Unterstützung
landesbedeutsamer Linien in anderen
Bundesländern als Beispiel dienen, indem die
die Kreisgrenzen überschreitenden Buslinien
durch das Land gefördert werden. Die jährlichen
Förderbeträge je Bundesland liegen
in einer Bandbreite zwischen rund 4 und 12
Millionen Euro. Dabei können diese entweder
von den Landkreisen selbst oder im Rahmen
eines zu definierendes Bus-Landesnetzes direkt
vom VBB bestellt werden.
Ingolf Berger, Torsten Perner (ETC Transport Consultants GmbH)
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