Stammbahn

Die Stammbahn für die ganze Region

Die Weiterentwicklung der Stadt-Umlandverkehre zwischen Berlin und Brandenburg auf der Schiene (S- und Regionalbahn) sind Gegenstand einer Untersuchung, die das Land Brandenburg 2016 beim VBB in Auftrag gegeben hat. Diese Verkehre wurden politisch bisher sehr stiefmütterlich behandelt, von Berliner wie von Brandenburger Seite. Trotzdem gewinnt der grenzüberschreitende SPNV immer mehr Fahrgäste und das System wird absehbar an seine Grenzen stoßen – und auf einigen Korridoren tut es das bereits – wenn keine Maßnahmen zur Ausweitung des Angebots ergriffen werden.

Das auch als „Korridoruntersuchung“ bekannte Gutachten hat alle Schienen-Korridore zwischen Berlin und Potsdam und alle tangentialen Korridore im direkten Berliner Umland betrachtet. Darunter befindet sich auch der Korridor der ehemaligen Stammbahn von Berlin über Zehlendorf nach Potsdam. Für diesen Korridor hat der VBB zwei Lösungsansätze mit mehreren Varianten untersucht:

  • Betrieb als Regionalbahn mit Verlängerung von zwei Zügen pro Stunde von Griebnitzsee ins Berliner Zentrum

    • einmal mit Wiederaufbau der Strecke zwischen Griebnitzsee und Potsdamer Platz auf der ursprünglichen Trasse
    • alternativ Führung ab Griebnitzsee über Wannsee und Wiederaufbau nur zwischen Zehlendorf und Potsdamer Platz
und
  • Betrieb als S-Bahn und Verlängerung einer zukünftigen S-Bahn-Linie S 15 von Zehlendorf bis nach Dreilinden bzw. Potsdam Hbf im 20-Minuten-Takt

    • eine Variante mit Wiederaufbau der Stammbahn zwischen Griebnitzsee und Zehlendorf und Führung der S 15 von Berlin aus bis Potsdam Hbf
    • eine beschleunigte Variante S 15X mit Auslassen einiger Halte zwischen Zehlendorf und Schöneberg, dadurch Fahrzeitverkürzung um 3 bis 4 Minuten
    • zwei verkürzte Varianten von Zehlendorf aus nur bis Dreilinden bzw. Stahnsdorf ohne Durchbindung nach Potsdam, die weniger gut bewertet wurden und hier nicht weiter betrachtet werden
    • in allen Varianten würde die S 15(X) zwischen Zehlendorf und Berlin-Mitte die bestehenden S-Bahn-Gleise benutzen
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Vorzugsvariante S 15X des VBB für den Korridor Stammbahn. Zeichnungen: BI Stammbahn, Simon Heller
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Gegenvorschlag der BI Stammbahn zur Vorzugsvariante des VBB Zeichnungen: BI Stammbahn, Simon Heller

Als Vorzugsvariante ermittelte die Untersuchung die S-Bahn-Variante S 15X (s. Abb. „Vorzugsvariante“). Diese Variante hat auch unter allen untersuchten Korridoren einen der besten Werte bezüglich des erwarteten Mehr-Verkehrs auf der Schiene. Dabei sind zwei Punkte positiv hervorzuheben: Erstens zeigt die Untersuchung, dass es grundsätzlich sinnvoll ist, im Stammbahnkorridor wieder durchgehende Züge zwischen Potsdam und Berlin anzubieten – und zwar auf der ursprünglichen, gradlinigen Trasse über Kleinmachnow. Zweitens werden drei Züge pro Stunde und Richtung auf der Stammbahn geplant, während in früheren Untersuchungen nur Varianten mit zwei Zügen in Betracht gezogen wurden.

Die BI Stammbahn begrüßt dieses Ergebnis. Wir sind jedoch überzeugt, dass die Wiederinbetriebnahme der Strecke als Regionalbahn sehr viel besser für die zukünftige Entwicklung der Region Berlin-Brandenburg ist.

Die unserer Einschätzung nach vielversprechendste Variante wurde allerdings gar nicht untersucht: Eine mit dem Zugangebot der Variante S 15X, aber technisch als Regionalbahn ausgeführt (siehe Abb. „Gegenvorschlag“).

Diese Variante hätte gegenüber der S-Bahn-Lösung entscheidende Vorteile:

  • In allen S-Bahn-Varianten endet das neue Angebot in Richtung stadtauswärts zwangsläufig in Potsdam Hbf. Für die westlichen Stadtteile Potsdams und die Region dahinter entsteht keine Verbesserung. Für die Verkehre zwischen den Uni-Standorten Griebnitzsee und Golm entsteht sogar ein neuer Umsteigezwang. Dem wachsenden Ballungsraum wird damit nicht Rechnung getragen. In der Regionalbahnvariante können die Stammbahnzüge dagegen westlich Potsdams flexibel in alle Richtungen weitergeführt werden: nach Werder, Brandenburg, Golm und bei Bedarf bis nach Magdeburg.
  • Ein wesentliches Ziel der Stammbahn ist, Autoverkehr auf die Schiene zu verlagern. Die Fahrzeiteinsparung der S 15X gegenüber der heutigen S-Bahn beträgt gerade mal 3 bis 4 Minuten, da die Expresszüge dieselben Gleise nutzen, wie die übrigen S-Bahnen auch. Das reicht nicht aus, um in Größenordnungen Autofahrer zum Umsteigen auf die Bahn zu bewegen. Die Regionalbahn auf den Stammbahngleisen könnte zwischen Zehlendorf und Potsdamer Platz 10 Minuten Fahrzeit einsparen (13 statt 23 Minuten), zwischen Potsdam Hbf und Potsdamer Platz ca. 15 Minuten (25 statt 38 bis 41 Minuten mit S 15X).
  • Insbesondere ist angesichts der langen Fahrzeit der S 15X nach Berlin-Mitte unklar, ob sich nicht eine Mehrheit der Fahrgäste aus Potsdam auf die verbleibenden zwei Regionalzüge je Stunde konzentrieren und dort statt zu einer Entlastung zu einer weiteren Überlastung der Züge führen wird.
  • Nur mit einem Wiederaufbau mit Regionalbahntechnologie tritt der Netzeffekt für den Regionalverkehr der Region ein. Bei Überlastung der Stadtbahn – wie derzeit – können zusätzliche Züge von Potsdam zum Nord-Süd-Tunnel gefahren werden. Das Gleiche gilt für bau- oder störungsbedingte Sperrungen der Stadtbahn. Und je nach zukünftiger Entwicklung der Nachfrage können durchgehende Angebote von Westbrandenburg nach Nordbrandenburg geschaffen werden. Eine S-Bahn-Lösung würde diese positiven Effekte dauerhaft verbauen.
  • Die hier vorgeschlagene Regionalbahnvariante bietet dieselbe Zugzahl wie die Vorzugsvariante, d. h. 3 Züge je Stunde zwischen Potsdam und Zehlendorf und 12 zwischen Zehlendorf und Berlin-Mitte (davon 9 mit Halt an allen S-Bahn-Stationen). Im Gegensatz zu den vom VBB untersuchten Regionalbahnvarianten führt diese Variante also zu keiner Mehrung der Zugkilometer zwischen Zehlendorf und Berlin-Mitte. Gleichzeitig könnten aber bei zukünftigem Bedarf weitere Züge auf der Infrastruktur Platz finden.
  • Die Umsetzung der S-Bahn-Lösung ist abhängig vom Bau des zweiten Nord- Süd-S-Bahn-Tunnels, dessen Realisierungshorizont angesichts der jüngeren Kostenschätzungen unklar ist. Eine stabile Betriebsdurchführung der Variante S 15X im alten Tunnel bei 12 Zügen je Stunde allein auf der Wannseebahn erscheint unrealistisch. Die Regionalbahnvariante hat hier den großen Vorteil, dass der schwierigste Abschnitt bereits gebaut ist: der Nord-Süd-Fernbahntunnel mitsamt seiner Ausfädelung zur Stammbahn.

Der kürzlich veröffentlichte Plan des VBB zur Ausweitung des Angebots auf dem RE 1 zeigt das ganze Dilemma: Einerseits stößt das Angebot schon heute an seine Kapazitätsgrenze, andererseits wird auch im Jahr 2022 in der Spitzenstunde kein einziger zusätzlicher Zug zwischen Potsdam und Berlin verkehren. Die zusätzlichen Züge des RE 1 müssen durch Streichung von durchgehenden Zügen zwischen Golm und Berlin erkauft werden.

Um die Lebensqualität in der Region aufrecht zu erhalten, ist es aber unausweichlich, Pendlerströme von der Straße auf die Schiene zu verlagern – seien es Berufspendler oder Freizeitpendler, sei es von Brandenburg nach Berlin oder umgekehrt. Dies wird nur mit mehr Kapazität im Schienennetz und mit Angeboten einer ganz neuen Qualität möglich sein: mit der Geschwindigkeit der Regionalbahn, dem Takt der S-Bahn und ohne neue Umsteigezwänge an den S-Bahn-Endhaltestellen. Die BI Stammbahn fordert deswegen die Länder Berlin und Brandenburg auf, endlich eine gemeinsame Konzeption für den Schienenverkehr der Region von morgen vorzulegen und unverzüglich mit der Planung für die Stammbahn zu beginnen. (Simon Heller)

BI Stammbahn

aus SIGNAL 4/2017 (Oktober 2017), Seite 22-23

 

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