|
Anarchie am Marktplatz Friedrichshagen: Die haltende Straßenbahn wird wie befürchtet links überholt. Die Straße wurde in den letzten 3 Monaten nicht einmal behelfsmäßig markiert. Anstelle des eigenen Bahnkörpers südlich vom Marktplatz wird nun auf der alten Fahrspur illegal quer geparkt. Foto: Tom Gerlich |
|
Der Umbau der Böschestraße erregte vorab
die Gemüter. Manche fürchteten, die Straße
verlöre ihren Charakter. Andere bemängelten
den Verlust an (illegalen) Parkmöglichkeiten.
Und wieder andere wünschten eine
Querbarkeit der Straße an jeder erdenklichen
Stelle. Resultat war ein berlinweit
einmaliger Vorgang: die Aufgabe eines
besonderen Bahnkörkers zugunsten einer
straßenbündigen Führung der Straßenbahn.
Verantwortlich dafür waren – wieder
einmal – die Lobbyisten des motorisierten
Individualverkehrs. Die Anlage von Radverkehrsanlagen,
hier ein aufgepinselter
Schutzstreifen, hätte zu viele „heilige“ Parkplätze
gekostet. Und so wurde ein Planfeststellungsverfahren
mit allen Beteiligungen
durchgeführt – mit dem für die Straßenbahn
unbefriedigenden Ergebnis.
Ein Musterprojekt?Inzwischen stellt sich auch die Frage, ob die Bölschestraße nur ein Testballon war. Nach Eröffnung der Minna-Todenhagen-Brücke gibt es auch in Oberschöneweide Überlegungen, den abmarkierten Gleiskörper in der Edisonstraße zugunsten heute nicht vorhandener Parkplätze zur Gemeinschaftsspur umzugestalten. Ob sich der Durchgangsverkehr aus dem irgendwann vierspurigen Sterndamm so einfach abschrecken und über die neue Brücke umleiten lässt, darf bezweifelt werden.
Während der Bauphase zeigte die BVG
wieder einmal ihr Beschilderungstalent:
Die Züge schilderten immer das Ziel, das
sie nicht erreichen. Der Schienenersatzverkehr
wurde dank Einbahnstraßenregelung
auch nur als Ringlinie südwärts durch die
Bölschestraße geführt und dann ohne Halt
über Hirschgarten zurück zum Bahnhof
Friedrichshagen geschickt. Als klarer Vorteil
für alle Fahrgäste erwies sich die Baustellenampel
am S-Bahnhof, denn die Grünphasen
für Fußgänger waren deutlich häufiger als
bei der üblichen Ampelschaltung, wie sie
nun wieder gilt.
Fast schon berlintypisch verzögerte sich
die Wiederinbetriebnahme, da die Fahrleitungsarbeiten
nicht rechtzeitig beendet
werden konnten. In den ersten Betriebstagen
wurden die Züge dann auch häufiger
umgeleitet, denn an die mehrmonatige
Betriebsunterbrechung hatten sich die Autofahrer
schnell gewöhnt.
|
An der Haltestelle Drachholzstraße fehlt zwar die Markierung, aber die zweifelhafte Nutzungspflicht für Radfahrer ist bereits ausgewiesen. Auf beiden Seiten ist der Radweg jedoch zugeparkt. Foto: Tom Gerlich |
|
Das Ergebnis der Bauarbeiten ist relativ
ernüchternd. Die Haltestelle Müggelseedamm/Bölschestraße ist nun als Haltestelleninsel
barrierefrei ausgeführt, doch für die
Mitnutzung durch den Nachtbus ist sie laut
Aussagen zur Planfeststellung nicht geeignet
– begrüßenswerterweise hält dort nun
dennoch auch der Nachtbus. Das vormalig
überfahrbare Haltestellenkap am Marktplatz
wurde nicht zurückgebaut, sondern
lediglich abgepollert – die Autos fahren ja
jetzt auf dem Gleis. Zum Gehweg hin besteht
aber weiterhin eine Bordsteinkante!
Der Radweg, für den ungerechtfertigterweise
eine Nutzungspflicht angeordnet
wurde, führt zwischen den Pollern hindurch
über das alte neue Kap. Er ist allerdings nicht
asphaltiert, sondern gepflastert und optisch
kaum vom umgebenden Straßenpflaster zu
unterscheiden, so dass die Fahrgäste – nach
der Gewöhnung an den fehlenden Autoverkehr
– nun auf dem Radweg warten.
Und während Radfahrer per beschilderter
Nutzungspflicht auf die Haltestellenkaps
gezwungen werden sollen, haben sie arge
Probleme, diese überhaupt zu erreichen
oder zu verlassen. Denn es hat nicht einmal
für eine provisorische gelbe Markierung gereicht.
So wird der (künftige) Schutzstreifen
gnadenlos zugeparkt.
Im südlichen Teil der Bölschestraße hat
sich dank großzügigem Platz durch den aufgehobenen Bahnkörper nun das regelwidrige
Querparken eingebürgert.
|
Der neue Zugang zum S-Bahnhof Friedrichshagen (rechts hinter dem roten Banner) wird hoffentlich demnächst eröffnet. Umsteiger zur Straßenbahn müssen allerdings weiterhin lange auf die kurze Grünphase warten. Ausgerechnet die Haltestelle am S-Bahnhof wurde wegen offener Streitigkeiten nicht barrierefrei umgebaut. Foto: Tom Gerlich |
|
Eigentlich wurde mit dem Planfeststellungsbeschluss
auch ein Überholverbot
im Haltestellenbereich angeordnet. Auch
hier haben die beteiligten Akteure bisher
versagt und es nicht geschafft, wenigstens
eine temporäre Markierung aufzubringen.
Folglich werden haltende Straßenbahnen
am Marktplatz trotz fehlender Einsehbarkeit
der folgenden Kreuzung nun links überholt.
Der Gewöhnungseffekt setzt ein, und ob
eine irgendwann in ein paar Monaten mal
aufgebrachte durchgezogene weiße Linie
dann noch beachtet wird, muss bezweifelt
werden.
Das größte Ärgernis aber ist, dass die
wichtigste Haltestelle (am S-Bahnhof Friedrichshagen)
von den Umgestaltungsmaßnahmen
ausgeschlossen wurde, da sich
BVG, Senatsverwaltung und Bezirk bisher
nicht über die künftige Haltestellengestaltung
einig sind. Und so bleibt ausgerechnet
am Bahnhof alles beim Alten. Jedenfalls
fast alles, denn die zum Zeitpunkt der Betriebsaufnahme
noch nicht abgeschlossenen
Baumaßnahmen sorgten dafür, dass
die Autos nun durch die Pförtnerampel das
Gleis blockierten und die Straßenbahn somit
nicht in die Haltestelle einfahren konnte. Ein
Spektakel, dass M 10-Fahrgäste nur allzu gut
vom U-Bahnhof Eberswalder Straße kennen.
Zumindest dort gab es inzwischen eine kleine
Abhilfe durch Beseitigung der Baustellenabsperrung.
Inwiefern sich die Autos in den
Gleisbereich zurückstauen, wird sich erst
nach Fertigstellung aller Baumaßnahmen
zeigen, wenn in die Bölschestraße auch wieder
aus südlicher Richtung legal eingefahren
werden darf. (ge)
IGEB Stadtverkehr
|