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Wieder einmal ist der Zugverkehr auf der U 9 unregelmäßig. Zugabstände von zehn Minuten und mehr sind daher auch in der Hauptverkehrszeit keine Seltenheit. Noch einmal eigens hinweisen möchte die BVG aber lieber auf Dinge wie das Rauchverbot. Immerhin können sich erfahrene Nutzer der Berliner U-Bahn trösten, dass sie womöglich doch nicht so lang auf den nächsten Zug warten müssen, wie angegeben. Denn sie wissen: Was auf den Anzeigetafeln passiert, hat nur bedingt mit dem zu tun, was auf den Gleisen geschieht. Foto: IGEB |
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Der Blick
auf die Anzeigetafel zaubert ein Lächeln ins
Gesicht: „Osloer Straße in 3 min“ Wie erwartet
kommt nach vier Minuten dann auch
die vertraute Ansage vom Computer: „Sehr
geehrte Fahrgäste. Der Zugverkehr auf der
U-Bahn-Linie 9 ist zurzeit unregelmäßig. Wir
bitten um Ihr Verständnis.“ Aber klar doch.
Davon haben wir schließlich fast so viel
wie Geld für die jahrelang – natürlich nach
streng wissenschaftlichen, absolut objektiven
Kriterien – steigenden Fahrpreise. Und
es wird einem ja auch einiges geboten. Zum
Beispiel eben auf der U 9.
„Das ist wegen der Weihnachtseinkäufe“,
meint eine ältere Frau belustigt, die diese
Linie offenkundig selten nutzt und daher
denkt, die BVG, die uns erklärtermaßen liebt,
bräuchte irgendeinen besonderen Grund,
um auf einer fast geradlinig und vollständig
unterirdisch verlaufenden U-Bahn-Strecke
ohne Verzweigungen oder Kreuzungen keinen
geregelten Verkehr hinzubekommen.
„Das ist jeden Tag so“, erwidert eine junge
Frau mit fremdländischem Akzent, die womöglich
noch nicht lange in Berlin, aber mit
den hiesigen Gepflogenheiten anscheinend
bereits bestens vertraut ist.
Menschen, die es nicht sind, geben sich
dadurch zu erkennen, dass sie immer wieder
auf die Anzeigetafel blicken, in dem naiven
Glauben, was dort zu lesen ist, hätte irgend
etwas mit dem Geschehen auf dem Gleis zu
tun. Wie ich aus dem Augenwinkel sehen
konnte, wurde ein bis zwei Minuten lang
durch Blinken behauptet, am Bahnsteig
stünde gerade ein Zug abfahrbereit. Jetzt
soll dies mal wieder in drei Minuten der Fall
sein. Darüber hinaus werden wir wie üblich
über Wichtiges informiert: das Rauchverbot
und dass wieder mal „Girl´s Day“ ist.
Das mit der Abfahrt in drei Minuten erscheint
realistisch, denn da kommt auch
schon unser Zug. Auf der Gegenseite. Erfahrene
Nutzer wissen: der muss jetzt nur
noch entleert werden, dann jenseits der
Bahnsteighalle kehren, und schon geht es
los in Richtung Osloer Straße. Zehn Minuten
Warten bis zum nächsten Zug auf einer
stark frequentierten U-Bahn-Linie mitten im
Berufsverkehr ist doch nun wirklich Berliner
Tempo.
Zudem tut die BVG etwas dafür, dass
die Hauptstädter einander näherkommen.
Denn in diesen Zug, als er denn endlich abfahrbereit
ist, drängen sich natürlich so viele
Fahrgäste, wie eigentlich auf zwei bis drei
Züge hätten verteilt werden sollen. So fördert
die BVG nicht nur zwischenmenschliche
Kontakte der als besonders höflich und rücksichtsvoll
bekannten Berliner, sondern auch
das Gewerbe der Taschendiebe. Und das,
obwohl es ihr selbst gar nicht gut geht – wie
groß nach all den Jahren des Optimierens
und Sanierens die Fahrzeugnot ist, erkennt
man unter anderem daran, dass einige Wagen
dieses Zuges großflächig beschmiert
sind. Sollten so zugerichtete Fahrzeuge dereinst
nicht im Depot bleiben? Das ist lange
her. Bei dem mittlerweile herrschenden
Wagenmangel darf man dankbar sein, wenn
man in der Stoßzeit nicht in einen Kurzzug
gequetscht wird.
Womöglich sind ja auch die Dauerprobleme
auf der U 9, die schon seit weit über
einem Jahr andauern und sich an manchen
Tagen bis in den Abend hinziehen, auf das
Wirken kluger Politiker, Manager und anderer
Angehöriger unserer Bildungselite
zurückzuführen. Sind vielleicht auch die
Kehranlagen an den Endstationen dieser Linie
nicht mehr so in Ordnung und damit so
leistungsfähig, wie sie es in jenen schauderhaften
Zeiten waren, bevor der segensreiche
Neoliberalismus über uns kam? Wohlweislich
habe auch ich mich in den überfüllten
Zug Richtung Osloer Straße gequetscht und
nicht auf den nächsten gewartet. Denn der
ist zwar längst eingetroffen, steht aber, als
meiner abfährt, noch immer an der gegenüberliegenden
Bahnsteigkante, statt in die
Kehranlage einzurücken.
Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich
zuletzt, und vielleicht wird sich die BVG eines
Tages auch mal der alltäglichen Sorgen
und Nöte ihrer Kunden annehmen können.
Einstweilen scheint sie mehr damit beschäftigt,
Auszeichnungen einzusammeln – nicht
für ihren Verkehr, sondern für tolle Werbekampagnen
und drollige Videos, in denen
sie sich über die eigenen Dauerprobleme
lustig macht. Und über Fahrgäste, die sich
über diese zu beklagen wagen.
Weshalb ich auch nicht als Nörgler, Querulant
und feindlich-negatives Element
erscheinen möchte, indem ich erwarte, für
mein Fahrgeld eine ordentliche Leistung zu
bekommen. Bitte, liebe BVG, akzeptiere es
doch als freundlich-konstruktiven Vorschlag,
der dir sicherlich auch Kosten sparen könnte,
wenn ich dir rate: Lass auf deinen U-Bahn-Linien
nur noch dann Durchsagen laufen,
wenn der Zugverkehr mal regelmäßig ist.
Jan Gympel
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