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Wir schreiben die 1990er Jahre, ganz Berlin
ist eine Baustelle im Zuge der Wiedervereinigungs-Euphorie.
Alle freuen sich, es geht voran,
die Bürgermeister können im Jahrestakt
neue Strecken eröffnen und die Bauindustrie
lebt wie die Made im Speck. Alle freuen
sich? Nein, etliche Fahrgäste haben von den
ewigen Schienenersatzverkehren langsam
die Nase voll und beginnen sich zu wehren.
Insbesondere das unkoordinierte nebeneinander
Bauen bei den verschiedenen Verkehrsmitteln
nervt, weil dadurch öfter einmal
ganze Stadtviertel von der Außenwelt
abgeschnitten werden.
Die BauKo-Runde entsteht …
„Das hat es so noch nicht gegeben: Der Südwesten
der Stadt wird im Sommer wochenlang
weitgehend vom Schnellbahn-Netz
abgekoppelt“, meldete der Tagesspiegel
am 17. Februar 2001. „Den Anfang macht die
S-Bahn-Linie S 1, die zwölf Wochen lang in
zwei Etappen total gesperrt wird. (…) Ein
Ausweichen auf die U-Bahn-Linie U 1 [die
heutige U 3] wird auch nicht immer möglich
sein.“ Denn zwischen Breitenbachplatz und
Krumme Lanke fuhren wegen Bauarbeiten
der Senatsbauverwaltung und der BVG auch
keine Züge.
Der Fahrgastverband IGEB forderte: Wenn
der ÖPNV ein Teil der Daseinsvorsorge ist
wie Wasser und Strom, dann darf der Senat
nicht zulassen,
dass er so vollständig ausfällt.
Vielmehr müsse er seine Rolle als Aufgabenträger
ausfüllen und für die von ihm bestellten
Leistungen eine sinnvolle Koordinierung
gewährleisten.
Daraufhin hat die Senatsverkehrsverwaltung
ein Gremium zur Koordinierung von
Großbaustellen, kurz: die BauKo-Runde, eingeführt.
Dort treffen sich zweimal im Jahr die
DB (für ihre Konzerntöchter S-Bahn und Regio)
und die BVG unter Moderation des Landes
Berlin und stimmen Großbaustellen mit
längeren Streckensperrungen zeitlich aufeinander
ab. Dabei sollte idealerweise keiner
der Beteiligten schon feste Termine haben,
damit ausgewogene Kompromisse gefunden
werden können. Darum werden die
zu besprechenden Baustellen in der Regel
mit einem Jahr Vorlaufzeit eingebracht. So
können dann die Bauaufträge für die abgestimmten
Termine ausgeschrieben werden.
… und wird marginalisiert
Die erste Sitzung einer BauKo-Runde fand
2002 statt, und für die nächsten Jahre war
erkennbar, dass hier kundengerecht gedacht
und geplant wird. Das größte Lob für eine
funktionierende Verwaltung ist ja, wenn alles
so reibungslos läuft, dass deren Arbeit gar
nicht bemerkt wird. Das mag zwar manchmal
für die Beteiligten frustrierend sein, weil
ihre Leistungen nicht gewürdigt werden,
aber dieses Los teilen sie mit den allermeisten
Büromenschen.
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Schienenersatzverkehr – das Schreckenswort für Bahnfahrgäste, hier am Bahnhof Lichtenberg. Foto: Frank Lammers |
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Doch in den letzten Jahren war eine schleichende
Verschlechterung bei der Abstimmung
der Bauplanungen festzustellen, und
auch die Interventionsmöglichkeiten des
Fahrgastverbandes IGEB, der in den BauKo-Runden
seine Meinung äußern darf, wurden
immer geringer. Dafür gibt es gleich mehrere
Gründe:
- Die Bauplanungen werden immer länger,
und deshalb ist die Vorlaufzeit von einem
Jahr oft schon zu kurz, um noch Termine
ändern zu können. Die Deutsche Bahn
zum Beispiel plant ihre Großbaustellen oft
schon drei Jahre im Voraus! Sie begründet
das mit den weltweit gebundenen Spezialisten
für Aufgaben wie die Programmierung
elektronischer Stellwerke. Für ein Unternehmen
wie die BVG, die bis vor kurzem
immer nur ein Jahr im Voraus planen konnte,
weil der Haushaltsplan des Senats nicht
weiter reicht, ist dann keine Einflussnahme
mehr möglich.
- Bauarbeiten werden kaum noch „unter
rollendem Rad”, also ohne Streckensperrung
durchgeführt. Früher konnte die IGEB
manchmal eine andere Baumethode vorschlagen
und damit einen Ersatzverkehr
per Bus noch verhindern. Die heutigen
Vorschriften zur Absicherung einer Bahnbaustelle
vom laufenden Betrieb lassen
leider viele früher mögliche Bauverfahren
nicht mehr zu.
- Die Beteiligten sehen eine fahrgastfreundliche
Lösung nicht immer als ihre Aufgabe
an. Die im deutschen ÖPNV gültige Vertragslandschaft
ermuntert die Verkehrsbetriebe,
nicht die Fahrgäste, sondern nur
noch die Aufgabenträger als Kunden zu
sehen – von denen kommt schließlich das
Geld (insbesondere bei Bruttoverträgen,
bei denen der Verkehrsbetrieb seine Fahrgelderlöse
vollständig an den Aufgabenträger
weiterreicht). Wenn dann dem Aufgabenträger
die Kompetenz oder schlicht
die Motivation fehlt, gegen zu steuern,
dann wird am runden Tisch die Terminüberschneidung
nur noch „mit Bedauern”
zur Kenntnis genommen und weiter geht
es in der Tagesordnung.
- Die gute Idee, in einer Großbaustelle viele
Arbeiten zu bündeln, um nicht mehrmals
Löcher zu buddeln und wieder zu zu schütten,
erfordert einen hohen Koordinationsaufwand.
Wenn dann eine der betroffenen
Firmen (zum Beispiel die Wasserbetriebe
mit ihren Leitungen), nicht in dem angestrebten
Zeitraum bauen kann, dann war
dieser Aufwand umsonst.
- Die beste Planung nützt nichts, wenn etwas
im Bauablauf dazwischen kommt und
die Bauzeit überschritten wird oder eine
vorher nicht geplante Sperrung zusätzlich
nötig wird (Rastatt 2017 lässt grüßen).
Damit sich verschiedene Bauvorhaben,
die fahrgastfreundlich zeitlich versetzt
geplant wurden, dann nicht doch noch
überschneiden, sollten bei anspruchsvollen
Projekten auch Pufferzeiten eingeplant
werden – was aber durch die Vielzahl der
erforderlichen Baustellen oft unrealistisch
ist.
Alle diese Gründe führen zu ständig mehr
Stress und Abstimmungsbedarf für die Bauplaner
bei zugleich schlechteren Ergebnissen
und damit letztlich auch zu einer gewissen
Frustration und Demotivation.
Die Ergebnisse dieses Prozesses zeigen
sich nun sehr deutlich, als Fahrgast könnte
man zurzeit denken, dass es die Bau-Koordinierungsrunde
gar nicht mehr gibt. Einige
Beispiele.
Kein Schienenverkehr im Berliner Süden
Vom 19. März bis 9. April waren der Südring
der S-Bahn und die U-Bahn-Linie 7 im selben
Bereich unterbrochen und nur per SEV zu benutzen.
Die U-Bahn zwischen Hermannplatz
und Möckernbrücke, die S-Bahn zwischen
Südkreuz und Hermannstraße (siehe Skizze
aus der Fahrgast-Informationsbroschüre).
Genau diese Abschnitte der beiden betroffenen
Strecken dienen sonst gegenseitig als
Ausweichroute.
Ärgerlich war diese gleichzeitige Sperrung
auch deshalb, weil es kaum eine andere Stelle
im Berliner Schnellbahnnetz gibt, wo sich
S- und U-Bahn gegenseitig so gut aushelfen
können. Lediglich das Linienpaar U 3 und S 5
ist diesbezüglich noch besser nutzbar. Also
sollte an eben diesen Strecken besonders auf
eine gute Baustellen-Koordination geachtet
werden.
Bauarbeiten während der U5-Sperrung
Die Verlängerung der U 5 zum Hauptbahnhof
ist DAS Großprojekt der Berliner Verkehrsbetriebe
und dementsprechend auch bei allen
anderen Verkehrsunternehmen bekannt.
Nachdem genau diese U-Bahn-Linie wegen
ihrer Quasi-Parallelität zur S 5 jahrelang von
der DB als S-Bahn-Ersatzverkehr genutzt
wurde, legte die DB Netz AG zweimal genau
die S-Bahn-Strecken still, die im Zeitraum einer
lange angekündigten Sperrung der U 5
als Ausweichrouten für die betroffenen BVG-Fahrgäste
dienen.
Die Sperrung der U-Bahn dauerte vom
8. Januar bis zum 8. April 2018, und die
S-Bahn war in diesem Zeitraum sowohl für
ein Wochenende zwischen Alexanderplatz
und Ostbahnhof gesperrt als auch an einem
weiteren Wochenende zwischen Ostkreuz
und Karlshorst. Das scheint vernachlässigbar,
aber wenn man bedenkt, dass es bei
der S-Bahn nicht um teure, unaufschiebbare
Spezialarbeiten ging und andererseits gerade
in Berlin auch am Wochenende genauso
viel Nachfrage herrscht wie an Werktagen,
dann wird die unnötige Belastung für die
Kunden deutlich.
Noch deutlicher wird die dahinterstehende
Haltung zur zahlenden Kundschaft,
wenn man weiß, dass es schon im Jahr 2017
zeitgleiche Sperrungen von Stadtbahn und
U 5 östlich des Alexanderplatzes gab, den
Verantwortlichen dieser Konflikt also schon
hätte bekannt sein müssen. Damals wurde
diese Doppelbaustelle sogar eingerichtet,
obwohl die für den Ersatzverkehr nötigen
Straßen zu dieser Zeit ebenfalls gesperrt waren!
Nur darum gelang es Senat und IGEB, die
beiden Verkehrsunternehmen zu einem gemeinsamen
SEV zu bewegen, der wegen der
Straßensperrungen als Ringlinie in nur einer
Richtung gefahren werden musste.
Der Ersatzverkehr nach Karlshorst hat nur
auf den ersten Blick nichts mit der U 5 zu tun.
Die Straßenbahnen Köpenick/Schöneweide
einerseits und Hohenschönhausen/Weißensee
andererseits erweitern das Einzugsgebiet
aller S-Bahn-Linien der Stadtbahn (3, 5,
7 und 75) und der U 5 und dienen zugleich als
universeller Zubringer zu den drei Umsteigestationen
Karlshorst, Tierpark und Friedrichsfelde
Ost – zumal viele der Umsteiger
ohnehin erst mit der Straßenbahn zu einem
dieser Schnellbahnhöfe fahren müssen und
dann bei Streckensperrungen von einer der
betroffenen Linien kein Problem damit haben,
ein paar Haltestellen weiter oder in die
andere Richtung mit der Tram zu fahren, um
ins Stadtzentrum zu kommen. Wenn aber –
siehe oben – gleich zwei der drei in Frage
kommenden Strecken unterbrochen sind,
dann ist das für die Fahrgäste erträgliche
Maß eindeutig unterschritten.
Was können die Verantwortlichen tun?
Die Beispiele stehen stellvertretend für weitere,
die immer ärgerlich und ein Ausdruck
mangelhafter Kundenorientierung sind. Dabei
kommt es dem Fahrgastverband IGEB darauf
an, dass mehr als nur die Basisleistungen
eines Ersatzverkehrs oder einer nicht-parallelen
Baustelle erfüllt sind. Am Beispiel U 5
und Karlshorst ist gut zu sehen, dass die Kundensicht
und die teilweise komplexen Verkehrsbeziehungen
in einem Netz wie dem
in Berlin erst wieder zur Geltung gebracht
werden muss. Zwar gibt es einen (tariflichen)
Verkehrsverbund, aber sämtliche Informationsunterlagen
werden in Berlin noch auf der
Ebene der einzelnen Verkehrsbetriebe herausgegeben.
Zumindest bei S- und U-Bahn werden die
großen Baustellen seit etwa einem Jahr auch
beim jeweils anderen Unternehmen angezeigt,
aber das ist zum Beispiel angesichts
der wachsenden Rolle des Regionalverkehrs
im engeren Verflechtungsraum um Berlin
oder bei der herausragenden Stellung der
Straßenbahn im weitgehend U-Bahn-freien
Osten Berlins nicht genug!
Die BauKo-Runde muss also die einzelnen
abzustimmenden Maßnahmen wesentlich
früher besprechen, alle beteiligten Infrastrukturbetreiber
müssen zu Verschiebungen
und Kompromissen bereit und in der
Lage sein und der Senat von Berlin oder der
VBB müssen bei nicht mehr verschiebbaren
Doppelbaustellen nicht nur auf die Einhaltung
der Formalien achten (Bedienung aller
betroffenen Stationen, gleiche oder bessere
Taktfolge usw), sondern auch fahrgastorientiert
in komplexen Wegeketten denken und
so den ÖPNV-Kunden während dieser Härteprüfungen
Ersatzlösungen mit Mehrwert
anbieten.
IGEB Stadtverkehr
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