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Im Schatten der elektronischen Gesundheitskarte hat sich die Fahrcard ähnlich zu einem nicht mehr zeitgemäßen Produkt entwickelt. Foto: IGEB |
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Ein Arzneimittelskandal im Jahre 2001 zeigte
auf, dass Patienten Medikamente verordnet
bekommen, ohne dass die behandelnden
Ärzte wussten, dass der Patent andere
Medikamente einnahm, die in Verbindung
mit dem neu verschriebenen Medikament
in gefährliche Wechselwirkung treten. Die
Idee der elektronischen Gesundheitskarte
war geboren. Auf ihr sollte eine Patientenakte
gespeichert sein, die solch einen fatalen
Medikamenteneinsatz verhindern würde.
Dann gab es von mehreren Seiten Kritik
an der Form der Datenspeicherung; die
Speicherkonzepte wurden mehrfach geändert.
Mal sollten die Patientendaten auf
der Karte gespeichert werden, mal in einem
Hintergrundsystem, zu dem die Karte nur
der Schlüssel wäre. Das führte wiederum
zu technischen Fehlentwicklungen und diversen
Datenschutzskandalen. So stellten
beispielsweise Journalisten fest, dass auch
EDV-Techniker Zugang zu den sensiblen Patientendaten
hatten.
Im Jahre 2018 existiert nun ein verkorkstes
System, das vieles will, wenig davon kann,
viele Lücken aufweist und dessen Zweck
überholt ist, was dann auch der neue Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn (CDU)
erkannte, die Notbremse zog und nun alternative,
zeitgemäße Konzepte prüfen möchte
– viele Milliarden Euro später.
Themenwechsel
Ungefähr gleich alt ist auch die Idee einer
deutschlandweit einheitlichen elektronischen
Fahrkarte. Das ambitionierte Projekt:
Sämtliche Tarifsysteme und -stufen, sämtliche
Arten von Fahrausweisen, die in der
Bundesrepublik existieren und jemals existieren
könnten, sollten auf dieser einen Karte
abbildbar sein, um den Papierfahrausweis
überflüssig zu machen.
Auch hier ist man im Jahre 2018 Lichtjahre
von einer deutschlandweiten Einführung
entfernt. Die technische Entwicklung hat
die in den jungen 2000er-Jahren entwickelte
Plastikkarte längst überholt. Auch von
der Abschaffung des Papiertickets wagt inzwischen
keiner mehr zu reden. Und wenn
ein Verbund das E-Ticket einführt, dann nur
in einer abgespeckten Variante – meist aus
Angst vor Datenschutzpannen.
Und die gab es zur Genüge. Berlin als Spitze
des Eisbergs ist besonders bekannt geworden,
doch gab es auch in Brandenburg
Unternehmen, die das eine sagten und das
andere taten – meist ohne es zu wissen.
Die Ursachen dafür liegen tief,
die Symptome aber offen
Nach dem Skandal 2016 behaupteten VBB
und BVG lange, es gäbe gar keinen Skandal,
da „nur“ eine Funktion entdeckt wurde, die
ja eh vorgesehen war. Später versprach man
Besserung, doch tat für die bessere Information
der Kunden über den Datenfluss genau:
gar nichts! Über zwei Jahre sind nun vergangen,
seitdem der VBB in einem Gespräch mit
dem Berliner Fahrgastverband IGEB zusagte,
alle Fragen zum Thema Datenschutz ausführlich
darzulegen. Über zwei Jahre vergingen,
seit man versprach, die Verbände
zukünftig über Änderungen und die weiteren
Planungen zu informieren. Doch nichts
davon geschah.
Auf der Webseite des VBB ist stattdessen
weiterhin nur das Dementi aus dem Jahre
2006 zu lesen – ebenso wie die nachweisliche
Falschaussage, dass es „[…] weder technisch
noch organisatorisch möglich [sei], sogenannte
Bewegungsprofile auf der Karte
oder im System zu speichern. […]“. Dass dies
aber technisch doch möglich ist, haben zigtausende
VBB-Fahrgäste auf ihren eigenen
Karten sehen können.
Doch mehr Sorgen bereiten den Fahrgästen
die Bewegungsdaten, die bei den
Kontrollen und Lesevorgängen in den
diversen Hintergrundsystemen vermutlich
abgespeichert werden. Seit 2013 wird
danach öffentlich gefragt: Was passiert
mit diesen Kontrolldatensätzen?
Wer hat
Zugriff darauf? Wohin werden sie übertragen?
Wie lange und wo werden sie gespeichert?
Als IGEB-Sprecher Jens Wieseke diese Fragen
anfang des Jahres 2018 erneut öffentlich
stellte, erhielt er eine pöbelnde E-Mail
von VDV-E-Ticket-Sprecher Daniel Ackers,
welcher in bester Trump-Manier sich selbst
zum Opfer böswilliger Propaganda erklärte
und behauptete, die Firma hinter dem E-Ticket
Deutschland sei eine gemeinnützige
„Non-Profit-Organisation“. Ein Blick ins Handelsregister
spricht allerdings nach wie vor
von einer „GmbH & Co. KG“, eine Rechtsform,
die zur Gewinnorientierung verpflichtet ist
und deren aufwändige Organisationsstruktur
hauptsächlich dafür gewählt wird, Haftungsrisiken
zu vermeiden.
Antworten auf die klaren Fragen gab es
allerdings wieder nicht.
Ursachenforschung
Doch dieser Umgang mit der Kritik zeigt die
Ursachen auf. Statt für die Fahrgäste zu arbeiten,
begreifen sich die Verantwortlichen
als eine Art hoheitliche Person einer hoheitlichen
Institution. Da das gegenwärtige System
E-Ticket nach Meinung der Verantwortlichen
keine Fehler habe, wird jegliche Kritik
als ehrenrührig empfunden.
Die Verkehrsunternehmen sind darüber
hinaus mit der Situation häufig überfordert.
Sie bekommen ein Ticket-System übergestülpt
und verordnet, das ihnen niemand
genau erklärt und sie auch nicht über deren
Funktionsweise und Risiken aufklärt.
Denn Risiken oder Gefahren, so haben wir
bereits gelernt, kann es ja per Definition
gar nicht geben. Als Unternehmen, dessen
Unternehmensziel es ist, Personen von A
nach B zu befördern, vertraut man der Expertise
der hochbezahlten Experten, weil
es gar keine Alternative dazu gibt. Doch es
gibt Risiken und Gefahren, denn die eigenen
Kunden und deren Daten werden an
jemand anderes „verkauft“ – meist ohne
deren Kenntnis.
Der Verkehrsverbund wiederum muss mit
dem System und den daraus resultierenden
Daten arbeiten – oder auch nicht. So genau
ist das nicht bekannt. Und der Verkehrsverbund
beschäftigt nach eigenen Angaben
in der Regel auch keine Techniker und Informatiker,
die ein solches System umfangreich
pflegen oder betreuen könnten. Da
kommen dann nicht weiter benannte Dritte
ins Spiel. Und dann soll da ja noch mit anderen
Verkehrsunternehmen und Verbünden
irgendetwas abgeglichen werden. Die Kette
wird immer länger. Nur, einen Vertrag mit
dem Fahrgast, dessen Daten dies betrifft,
hat der Verkehrsverbund nicht.
Und der Fahrgast? Der hat eigentlich nur
einen Vertrag mit „seinem“ Verkehrsunternehmen
geschlossen. Nutzt mit dem Ticket
aber auch andere. Und er hat Fragen. Ist
seine „Fahrcard“ beispielsweise von der
BVG und er wird in der S-Bahn kontrolliert?
Was passiert dann? Oder bei der Fahrt mit
einem kommunalen Busunternehmen, wo
man seine Fahrcard beim Fahrer scannen
muss? Wird auf dem Kontrollgerät ein Kontrolldatensatz
gespeichert? Datum, Uhrzeit,
Ort und ID der Fahrcard? Und was passiert
dann damit? Wo fließt das hin? Wird es mit
anderen Kontrolldatensätzen von anderen
Unternehmen zusammengeführt? Dann
bestünde in diesem Hintergrundsystem
eine genaue Aufzeichnung über die Fahrtwege
abertausender Fahrgäste. Wer hat
Zugriff darauf? Und das womöglich bei Unternehmen,
von denen der Fahrgast noch
nie in seinem Leben gehört hat? Geschweige
denn, dass er einen Vertrag mit ihnen
hat.
Wozu das alles?
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Längst überfällig ist ein Neustart beim Thema elektronisches Ticketing. Wer traut sich, den Reset-Knopf zu drücken, wie es der Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei der elektronischen Gesundheitskarte gewagt hat? Bildmontage: IGEB |
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Die wichtigste Frage lautet: Wozu? Wozu das
alles? Wieso wird solch ein aufwändiges und
sündhaft teures System (allein die Jahresgehälter
der auf der Website der angeblichen
Non-Profit-Organisation „VDV eTicket Service
GmbH & Co. KG“ dargestellten 19 Führungskräfte
werden wohl die Millionengrenze
überschreiten) betrieben? Wo doch der Nutzen
(Jahreskarte auf Plastik statt Papier) auf
absehbare Zeit eher übersichtlich bis nicht
vorhanden ist? Wozu die Geheimniskrämerei
und das Gewinde um den Datenschutz?
Gerade letzteres Thema wird in nächster
Zeit immer wichtiger für Unternehmen. Die
Bevölkerung nimmt es nicht länger hin, von
Privatfirmen durchleutet und datenmäßig
ausgenutzt zu werden. Und sie fordert
Lösungen von der Politik. Diese wiederum
liefert. Als ein Resultat ist die aktuell allseits
diskutierte Datenschutz-Grundverordnung
(DSGVO) als hauptsächlich verwaltungstechnischer
und organisatorischer Alptraum
bei den Unternehmen angekommen. Und
das wird nicht die letzte Verordnung zum
Thema Datenschutz bleiben.
Ist es in dem Zusammenhang eine gute
Idee, weiterhin auf ein System zu setzen, an
dem unübersichtlich viele Beteiligte mitwirken?
Wie lange wird man sich hinter den
für den Nutzer undurchschaubaren Verwaltungs-
und Unternehmensstrukturen verstecken
können, bevor es doch mal kracht?
Kann man als Verkehrsunternehmen allen
am System E-Ticket Deutschland beteiligten
Schwester-, Mutter-, Tochter- oder Fremdunternehmen
uneingeschränkt vertrauen?
Durch die Kommanditgesellschaft sind die
Haftungsrisiken für die Systemlenker minimiert.
Doch was passiert, wenn doch mal ein
Fahrgast, und einer unter Millionen reicht ja,
auf die Idee kommt und seine neuen Rechte
der Informationsselbstbestimmung nutzt,
um hinter das Ganze zu blicken? Dann ist
sein Vertragspartner dran. Und das ist nicht
die KG.
„Ist ja nicht mein Geld“ wird der eine oder
die andere Pressesprecherin der Verkehrsunternehmen
jetzt denken, während er
oder sie zur Tastatur greift, um den nächsten
Floskelbrief oder die nächste Pöbelmail
zu verfassen. Oder vielleicht überraschen sie
uns auch? Vielleicht flattert zum Beispiel das
vor über zwei Jahren versprochene Datenflussdiagramm
vom VBB ins Haus? Es bleibt
spannend.
Berliner Fahrgastverband IGEB
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