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BVG-Fahrzeitgarantie – ein Angebot mit Haken

Im Eisenbahnverkehr in Deutschland und Europa gilt seit dem Inkrafttreten der europäischen Verordnung (EG) 1371/2007 am 3. Dezember 2009 eine einheitliche Regelung für Rechte und Entschädigungen für die Reisenden im Verspätungsfall.

Ja, aber…

Dies gilt nicht für die Beförderungsleistungen der BVG, denn diese fallen unter das Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Hingegen existiert bei der BVG seit 1997 eine freiwillige Garantie, bei der u. a. Ankunftsverspätungen von 20 Minuten am Zielort mit einem Einzelfahrausweis ABC entschädigt werden.

Die Frist zur Einreichung einer Fahrzeitgarantie beträgt 14 Tage.

Einige Haken gibt es allerdings: Die Verspätungsursache muss im Einflussbereich der BVG liegen. Verspätungen durch beispielsweise Verkehrsunfälle, Falschparker usw. zählen nicht. Auch muss die Fahrt vom Start- zum Zielort ausschließlich mit Verkehrsmitteln der BVG erfolgen.

Dass diese Details jedoch nirgends erwähnt werden, scheint niemanden zu stören. Auch dann nicht, wenn zum Beispiel aufgrund der nicht selten vorkommenden verfrühten Abfahrten von Bussen und Straßenbahnen eine nur im 20-, 30- oder 60-Minuten-Takt verkehrende S- oder Regionalbahn nicht erreicht wird.

Was können wir weiter nicht für Sie tun?

Die Verweigerung einer Entschädigung ist nicht selten. Absagen auf eingereichte Garantiescheine lauten dann wie folgt:

„Eine Auswertung der Daten unseres rechnergesteuerten Betriebsleitsystems bestätigt die planmäßige Abfahrtzeit des Busses. Deshalb können wir Ihrer Forderung bedauerlicherweise nicht entsprechen. Dass Sie an diesem Tag Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen mussten, bedauern wir. Wir hoffen, Sie in Zukunft wieder in unseren Verkehrsmitteln begrüßen zu dürfen.“

Aber auch für andere Ausreden ist sich die BVG nicht zu fein. Hierbei werden o. g. Sätze scheinbar wahllos durch andere Textbausteine ersetzt. „Eine Auswertung des Fahrtenschreibers bestätigt die planmäßige Abfahrtzeit des Busses.“

Dieser Satz wird, vermutlich von der Tagesform des Bearbeiters abhängig, noch mit entsprechenden Busliniennummern und Abfahrtzeiten des Aushangfahrplans ergänzt, um den beanstandeten Missstand zu relativieren.

Auch freut sich die BVG, den Fahrgast künftig wieder von ihrer Leistungsfähigkeit überzeugen zu können. Mit diesem Satz die negative Beantwortung eines Reklamationsschreibens zu beenden, ist – vorsichtig formuliert – ungeschickt.

Garantiekarte
BVG-Garantieschein zum Ausdrucken und Ausfüllen auf bvg.de, zu finden unter „Kundengarantie“. bvg.de

Gern versteckt sich die BVG auch hinter den Beförderungsbedingungen des VBB, insbesondere dem §18 Ausschluss von Ersatzansprüchen: „Abweichungen von Fahrplänen durch Verkehrsbehinderungen, Betriebsstörungen oder -unterbrechungen sowie Platzmangel begründen keine Ersatzansprüche; insoweit wird auch keine Gewähr für das Einhalten von Anschlüssen übernommen.“

Wollte die BVG mit ihrer Garantie nicht gerade kundenfreundlicher sein, als es die weit zu Lasten des Fahrgastes auslegbaren VBB-Beförderungsbedingungen erlauben?

Gern stützt sich die BVG auch auf die auf den Aushangfahrplänen angebrachten Hinweise, alle Angaben seien ohne Gewähr. Dies lässt nun allerdings den Schluss zu, dass man auf Fahrpläne eigentlich auch verzichten könnte.

Aufwand versus Nutzen

Es stellt sich die Frage, ob es nicht besser, attraktiver und nicht zuletzt günstiger wäre, einfach pünktlich und nicht verfrüht zu fahren, als im Nachhinein Mitarbeiter im Beschwerdemanagement zu beschäftigen. Geschätzte Kosten:

  • 0,70 Euro Porto (Versand des nicht freigemachten Garantiescheins)
  • 0,70 Euro Porto (Versand der Eingangsbestätigung/Vorgangsnummer)
  • 0,70 Euro Porto (Versand des finalen Antwortschreibens)
  • 3,40 Euro Einzelfahrausweis Berlin ABC als Entschädigung (je Beschwerde)
Dies sind Kosten von 5,50 Euro je Vorgang. Hinzu kommen Lohn- und Arbeitsplatzkosten der bearbeitenden Mitarbeiter für die Eingangsbestätigung und das Antwortschreiben.

Auch wenn viele Abläufe automatisiert sind, so müssen die Antwortschreiben manuell mit Textbausteinen versehen und unterschrieben werden. Auch das Anbringen bzw. Beilegen der Fahrkarten Berlin ABC erfolgt händisch und beansprucht Zeit. Schätzungsweise liegt diese bei 15 Minuten je Vorgang.

Wenn ein Stundenlohn von 30 Euro (Kosten für den Arbeitgeber) zugrunde gelegt wird, kommen noch einmal 7,50 Euro hinzu. Somit ergeben sich geschätzte Kosten je Vorgang in Höhe von 13 Euro.

Und ohne zufriedenstellendes Beschwerdeergebnis?

Wer mit der Antwort der BVG nicht zufrieden ist, kann die söp Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr anrufen. In jedem SIGNAL wird ein Beispielfall abgedruckt und die Arbeit der söp aufgezeigt.

Diesen Weg ist auch der Autor gegangen, nachdem die BVG einen Garantiefall einer Verfrühung abgelehnt hat. Interessanterweise enthielt das Ablehnungsschreiben einen Soll-Ist-Abgleich, der die Verfrühung deutlich zeigte. Somit sah sich der Autor gezwungen, diesen Weg zu gehen – mit Erfolg. Durch den von der BVG akzeptierten Schlichterspruch der söp gab es eine Entschädigung von einem Einzelfahrausweis Berlin ABC.

Die Kosten einer Schlichtung liegen im mittleren dreistelligen Eurobereich und sollten sinnvoller Weise in kulanteres Beschwerdemanagement investiert werden – oder besser noch in ein zuverlässigeres Verkehrsangebot.

Fazit

Als zahlender Fahrgast möchte ich, dass das zu nutzenden Verkehrsmittel pünktlich abfährt und ankommt. Da die BVG jedoch nicht alleiniger Nutzer der Straßen- und Verkehrswege ist, kann und kommt es immer wieder zu Beeinträchtigungen. Dies ist nicht schön, aber nicht zu ändern. Und deshalb ist ein Ansprechpartner, ein Beschwerdemanagement, dauerhaft wichtig.

Zu ändern ist allerdings sofort und unverzüglich, dass die Verkehrsmittel nicht mehr zu früh abfahren! Steht der Fahrgast pünktlich zur Abfahrtzeit an der Haltestelle und das entsprechende Verkehrsmittel ist bereits abgefahren, im schlimmsten Fall nicht einmal mehr zu sehen, so hat diese Fahrt aus Sicht des Fahrgastes nicht stattgefunden. Ein Anspruch auf die Fahrzeitgarantie ist hiermit entstanden und muss anerkannt werden. (fi)

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 3/2018 (August 2018), Seite 14

 

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