i2030

RE 1 – die Mutter aller Regionalexpresse braucht Verstärkung

Er war eine Innovation in der deutschen Regionalzuglandschaft. Am 27. Mai 1994 ging zwischen Berlin Ostbahnhof und Frankfurt (Oder) die erste Regionalexpresslinie Deutschlands in Betrieb. Ziel war es, die regionalen Zentren miteinander und mit der Hauptstadt Berlin schneller zu verbinden, indem die kleinen Zwischenhalte zeitweise ausgelassen werden. Das Projekt wurde zum Erfolgsmodell, und nachdem der RE 1 ab 24. Mai 1998 über die Berliner Stadtbahn fahren und somit Ost- und Westbrandenburg verbinden konnte, wurde er zur mit Abstand wichtigsten brandenburgischen Bahnlinie und brach alle Fahrgastrekorde.

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Foto: BfVst

Auch heute noch ist der Erfolg ungebrochen. Die Kehrseite dieser positiven Entwicklung: Insbesondere zu den Hauptverkehrszeiten sind die Züge regelmäßig überlastet. Verschärft wird die Situation, weil nicht wenige „Randberliner” den RE 1 ab Potsdam bzw. Erkner als schnellen S-Bahn-Ersatz benutzen. Gegenwärtig wird die Linie täglich von zwei Zugpaaren pro Stunde mit jeweils 5 Doppelstockwagen von DB Regio bedient. Das reicht jedoch oft nicht mehr aus. Zu den Berufsverkehrszeiten erwarten die berlinnahen Zusteiger nur noch Stehplätze. Und die Fahrgastzahlen werden weiter steigen. Für 2030 prognostiziert der VBB einen Anstieg um bis zu 63 Prozent gegenüber 2015.

Mehr Sitzplätze durch Taktverdichtung

Aufgrund der aktuellen und prognostizierten Fahrgastzuwächse sollen ab Dezember 2022 im Berufsverkehr pro Tag acht zusätzliche Zugpaare auf dem Abschnitt Frankfurt (Oder)—Berlin—Brandenburg an der Havel verkehren, die nur auf den wichtigsten Bahnhöfen halten, zwischen Frankfurt (Oder) und Berlin Ostkreuz zum Beispiel nur in Fürstenwalde (Spree) und Erkner.

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Die Sorge, ein haltender RE 1 könnte den Güterverkehr behindern, führte dazu, dass DB Netz die Planungen für den vom Land Berlin bestellten Regionalbahnhof Köpenick einstellte. Die Lösung: Der künftige Regionalbahnhof soll auf einem dritten Gleis umfahren werden können. Endlich geht es weiter mit den Planungen, aber mit der Fertigstellung ist nun nicht vor 2027 zu rechnen. Foto: BfVst

Im Zusammenhang mit dieser Angebotsausweitung wurde immer wieder von einem 20-Minuten-Takt auf dem RE 1 gesprochen. Für den Abschnitt Erkner—Berlin Stadtbahn—Potsdam Hbf, auf dem die Züge auf allen Regional- und Fernbahnhöfen halten, trifft das auch annähernd zu – allerdings auch nur in den Hauptverkehrszeiten Montag bis Freitag.

Außerhalb dieses Abschnittes fahren drei Züge in einer Stunde, aber nicht in einem „sauberen” Takt. Das ist aufgrund der unterschiedlichen Haltekonzeptionen für die drei Umläufe auch gar nicht möglich.

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© VBB Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg GmbH 2018

Und außerhalb der Hauptverkehrszeiten, in denen der dritte Zug pro Stunde nicht verkehrt, aber die Fahrplanlage der beiden verbleibenden Züge wegen der Zugfolge auf der Berliner Stadtbahn erhalten bleiben muss, wird es auf allen Stationen, auf denen beide halten, zu einem „Humpeltakt” von ungefähr 20/40 kommen. Das ist die Kehrseite der Einführung des 20-Minuten Taktes zwischen Erkner und Potsdam. Nur die RE 1-Fahrgäste, auf deren Station auch ab Dezember 2022 nur ein Zug pro Stunde hält, sind davon nicht betroffen und behalten ihren Stundentakt.

Mehr Sitzplätze durch längere Züge

So attraktiv die zusätzlichen Züge für die Mehrzahl der Fahrgäste sind, so problematisch sind sie für einen stabilen Bahnverkehr, denn seit dem 18. Dezember 2013 wird die Stadtbahn im Abschnitt Charlottenburg—Ostbahnhof von der DB Netz AG als überlasteter Schienenweg definiert.

Deshalb konzentrieren sich die Untersuchungen und Planungen für den RE 1 im Rahmen von i2030 auf eine Erhöhung der Sitzplatzkapazität durch Verlängerung der Züge. Dies ist gegenwärtig jedoch nicht möglich, da zahlreiche Bahnhöfe und Haltepunkte nicht die erforderliche Bahnsteiglänge aufweisen. In Brandenburg sind das die Halte Wusterwitz, Kirchmöser, Götz, Groß Kreutz, Fangschleuse, Hangelsberg, Berkenbrück, Briesen (Mark), Jacobsdorf (Mark), Pillgram, Frankfurt(Oder)-Rosengarten, Kraftwerk Finkenheerd, Finkenheerd, Wiesenau und Ziltendorf. Für sie werden nun Bahnsteigverlängerungen auf die Normlänge von 210 Metern geprüft.

Kurios ist, dass das Eisenbahn-Bundesamt derzeit ein Planfeststellungsverfahren für den Bahnhof Eisenhüttenstadt durchführt, in dem der Rückbau auf 140 m lange Bahnsteige (optional 170 m) vorgesehen ist. Hier kommt i2030 gerade noch rechtzeitig, um auf 210 m lange Bahnsteige umzuplanen.

Das i2030-Teilprojekt „Korridor RE 1” sollte nach Auffassung des Berliner Fahrgastverbandes IGEB aber auch eine Überprüfung der Stadtbahn beinhalten, um beispielsweise durch Anpassungen der Leit- und Sicherungstechnik die Trassenkapazitäten erhöhen zu können. Zur Entlastung des am stärksten genutzten RE 1-Abschnitts Berlin-Charlottenburg—Potsdam Hbf sollte außerdem die S-Bahn durch zweigleisigen Ausbau der Strecke zwischen Berlin-Wannsee und Potsdam Hbf beschleunigt und stabilisiert werden. Die Verlängerung des zweigleisigen Abschnitts von Potsdam Hbf Richtung Potsdam-Babelsberg, in Betrieb genommen am 25. März 2019, war ein Schritt in die richtige Richtung, ist aber noch nicht ausreichend.

ODEG erhält Zuschlag ab 2022

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Diesen Triebzug, den Desiro HC von Siemens, will die ODEG ab Dezember 2022 auf dem RE 1 einsetzen. Sie hat im März 2019 zwei vierteilige und 21 sechsteilige Züge bestellt. Die Endwagen sind einstöckig, die Mittelwagen doppelstöckig. Züge dieser Bauart fahren bereits jetzt im Ruhrgebiet als „Rhein-Ruhr-Express“ RE 11 für Abellio. Abb: ODEG

Im Rahmen des großen Vergabeverfahrens „Netz-Elbe-Spree” war auch der RE 1 neu ausgeschrieben worden. Am 25. Januar 2019 teilte der VBB mit, dass diese Linie ab dem Fahrplanwechsel im Dezember 2022 nicht mehr von DB Regio, sondern bis 2034 von der Ostdeutschen Eisenbahn GmbH (ODEG) befahren werden wird.

Bereits am 25. März 2019 unterzeichneten die ODEG und Siemens einen Vertrag über die Herstellung von 23 Triebzügen vom Typ Desiro HC (High Capacity) mit angetriebenen einstöckigen Endwagen und doppelstöckigen, nicht angetriebenen Mittelwagen. Von den bestellten 23 Zügen sind 21 sechsteilig und zwei vierteilig. Die sechsteiligen Züge sind für den Einsatz auf dem RE 1 vorgesehen. Sie sind 157,6 m lang, also kaum länger als die DB-Doppelstockzüge mit 5 Wagen und Lok, haben aber 637 statt 607 Sitzplätze.

Bei künftig weiter steigender Nachfrage auf dem RE 1 hat der VBB die Option, bei der ODEG auch Züge mit 800 Sitzplätzen zu bestellen. Das kann dann durch Kauf weiterer vierteiliger Desiro-Züge gewährleistet werden, die 400 Sitzplätze bieten, beim Einsatz in Doppeltraktion also 800, die dann allerdings nur dort halten können, wo die Bahnsteige 210 m lang sind.

Dazu äußerte ODEG-Geschäftsführer Arnulf Schuchmann im März in einem Interview mit der Märkischen Oderzeitung: „Der zweite Punkt einer Optionsausübung wäre im Dezember 2025. Dort könnten wir auch aus Sechsteilern Achtteiler machen. Die Option haben wir bei Siemens im Vertrag verankert. Dabei muss man abwarten, wie sich die Bahnsteigproblematik entwickelt. Wenn ich mir vorstelle, wir haben nur noch lange Züge, dann funktioniert das nach jetzigem Stand beim RE 1 nicht. Da wäre ein vernünftiger Druck auf die Politik und DB Netz nötig, Finanzierungsmittel bereitzustellen, damit eine solche Linie Bahnsteige bekommt, die eben 210 Meter lang sind. Wenn man wollte, bekommt man das bis Ende 2025 natürlich hin.“

Hoch hinaus – bei den Bahnsteigkanten

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21 Zentimeter Höhenunterschied, die für mobilitätseingeschränkte Reisende eine starke Beeinträchtigung darstellen. Für den „normalen” Reisenden mag es „nur” ein großer Schritt sein, für Rollstuhlfahrer beispielsweise ist es ein unüberwindbares Hindernis. Vom Untergeschoss zur Tür ist die Steigung schon sportlich, eine weitere Erhöhung des Neigungswinkels durch eine Rampe wäre nicht zu schaffen. Mitte und rechts ist deutlich ersichtlich: Die Bahnsteighöhe mit 55 cm ist optimal an die Einstiegshöhe der Fahrzeuge angepasst. Bei Erhöhung des Bahnsteigs wäre die Barrierefreiheit nicht mehr gegeben. Foto: BfVst
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Foto: BfVst
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Foto: BfVst

So eher nebenbei tauchen in den Präsentationen zu i2030 Bekenntnisse auf, die verkünden, dass nach ohnehin anstehenden Bahnsteigum-, -aus- und -neubauten auf dem RE 1 alle Bahnhöfe künftig eine einheitliche Bahnsteighöhe aufweisen sollen. Vater des Gedankens ist der Bund, der das Bahnsteighöhen-Chaos zwischen 38 und 96 Zentimetern beenden will, um eine genormte Barrierefreiheit herzustellen. Das Maß aller Dinge soll dann 76 Zentimeter betragen. Warum? Bereits seit 1905 empfiehlt die Eisenbahnbau- und Betriebsordnung EBO diese Höhe, die im Fernverkehr großflächig angewendet wird und auf den RE 1-Bahnhöfen in Berlin sowie auf dem östlichen Streckenast nach Frankfurt (Oder) vorhanden ist.

Das Ansinnen ist zwar löblich, dessen Umsetzbarkeit aber schwierig. Denn im Regionalzugverkehr hat sich mit der Ausbreitung der Doppelstockwagen ab den 1990er die ideale Einstiegshöhe von 55 Zentimetern etabliert. Das entspricht dem Maß der Bahnhöfe auf dem westlichen Streckenast Wusterwitz—Potsdam. Im Jahre 2011 haben alle Bundesländer und die Deutsche Bahn in den Regelwerken diese Höhe dann auch festgeschrieben. In vielen Verkehrsverträgen ist sie die Maßgabe für die Barrierefreiheit, und Bahnhof für Bahnhof wurde bzw. wird auf 55 Zentimeter angepasst. Bundesweit ist Thüringen hierbei mit 95 Prozent seiner Bahnsteige Vorreiter. Daher kommt der Widerstand von den Ländern nicht von ungefähr.

Beim RE 1 hat man sich entschlossen, das Problem fahrzeugseitig zu lösen. Die neuen Züge vom Typ Desiro HC haben zur Gewährleistung der Barrierefreiheit in den beiden Wagen mit barrierefreiem WC jeweils eine Tür passend für 55 und eine passend für 76 cm hohe Bahnsteige.

Die unendliche Geschichte: Regio-Bahnhof Köpenick

Eigentlich sollte er schon 2007 ans Netz gehen, der Regionalzughalt in Berlin-Köpenick. Doch die Deutsche Bahn machte einen ersten Rückzieher, als sie die Kosten nicht allein tragen wollte. Als eine Kostendeckung vom Land Berlin zugesichert wurde, ging es mit der Planung weiter. Da bei Wuhlheide die Güterzüge nach Osteuropa vom Berliner Außenring auf die Frankfurter Strecke eingefädelt werden, fürchtete DB Netz jedoch, durch den Regionalbahnhof könne die Streckenkapazität beeinträchtigt und der Güterverkehr behindert werden. Sie ließ das Vorhaben erneut ruhen.

Nun ist es wieder in den Fokus gerückt. Auch wenn der Halt nicht zu den vordringlichen Kernthemen von i2030 gehört, so war er dennoch ein Bestandteil der Voruntersuchungen und hatte Einfluss auf die RE 1-Planungen. Mittlerweile haben sich Bund, Land und Bahn geeinigt, ein drittes Gleis einzuplanen, um die Güterzüge von der Frankfurter Strecke am künftigen Regionalbahnhof vorbei direkt auf die Abzweigung zum Berliner Güterring zu lenken. Immer wieder kommt es hier schon heute zu Trassenkonflikten und gegenseitigen Behinderungen zwischen dem Regional- und dem Güterverkehr.

Nach vorsichtigen Schätzungen könnte im Jahre 2020 ein neuer Planfeststellungsbeschluss vorliegen und ab 2022 mit dem Bau begonnen werden. Sofern keine juristischen Winkelzüge Dritter für zusätzliche Verzögerungen sorgen, kann 2027 mit der Inbetriebnahme gerechnet werden. Dann werden, so ergaben die Voruntersuchungen, etwa 5400 Menschen mehr in Berlin-Köpenick ein-, aus- oder umsteigen. Noch nicht berücksichtigt ist dabei das größte Bauvorhaben Köpenicks. Der Bezirk will das gesamte Areal des alten Güterbahnhofs bebauen. Dann werden hier auf 58 Hektar Fläche zwischen den S-Bahnhöfen Köpenick und Hirschgarten etwa 1700 Wohnungen für bis zu 5000 zusätzliche Köpenicker entstehen.

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 1/2019 (Mai 2019), Seite 16-18

 

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