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Bahnhof Marktredwitz – einst Fernzugknoten für Ost-West wie Nord-Süd, heute nur noch Regionalzughalt. Rechts ein Zug der Vogtlandbahn, links der Sonderzug für die Teilnehmer des DBVForums. Foto: Oswald Richter |
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Anmerkung: Der Schienenpersonennahverkehr ist Ländersache. Das Bundesgesetz gibt es bis heute nicht. |
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Die DBV-Delegation zu Gast bei der Agilis Verkehrsgesellschaft, einer Tochter von BeNEX und Hamburger Hochbahn AG, in ihrem Werk in Marktredwitz, rechts Agilis-Pressesprecher Michael Rieger. Foto: Oswald Richter |
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Frankenpost, 9. November 2011 |
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Im Mittelpunkt des Forums – auch im Wortsinne: Der Fernverkehr für die Fläche, wie er einst mit dem InterRegio existierte. Foto: Henning Bösherz |
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Das Forum zeigte für DBV-Präsident Gerhard
J. Curth, „wo es im Argen liegt“. Der Tagungsort
Marktredwitz selbst stand stellvertretend
für all jene Regionen in Deutschland, die in
den letzten 10 bis 15
Jahren systematisch
vom Fernbahnverkehr
abgekoppelt worden
sind. So sind allein
33 Oberzentren in
Deutschland derzeit
nicht mit einem Zug
des DB-Fernverkehrs
erreichbar. Auch Kurstädte
und Heilbäder
klagen zunehmend
über die schlechte
Erreichbarkeit mit der
Bahn.
Laut Uwe-Bernd Vogel, DBV-Landesverband
Bayern, stellt sich der Fernverkehr im
Freistaat als „Knochen“ dar mit den Enden
Nürnberg und München plus deren jeweiligem
S-Bahn-Netz und der Neubaustrecke
über Ingolstadt. Der Fernverkehr könne und
müsse wieder ein richtiges Netz werden, forderte
Vogel.
Vernachlässigter Bahnknoten Marktredwitz
Die Oberbürgermeisterin von Marktredwitz,
Dr. Birgit Seelbinder (parteilos), erinnerte an
die Lage von Marktredwitz im deutschen
und europäischen Bahnnetz: Marktredwitz
war einst „Achsenkreuz“ der Fernstrecken
(Paris—)Nürnberg—Cheb/Eger—Prag und
Berlin—Leipzig—Nürnberg/München. Dabei biete allein die tschechische Nachbarregion
mit zwei Millionen Einwohnern und
den weltbekannten Kurbädern genügend
Potenzial für den Fernverkehr der Bahn. Die
Oberbürgermeisterin, die auch Präsidentin
des Städtenetzwerkes „EgroNet“ ist, forderte
nach der Fertigstellung der Autobahn A6,
dass nunmehr die Eisenbahninfrastruktur
folgen müsse. „Die Tschechen wissen nicht,
ob es sich lohnt, bis zur deutschen Grenze
zu planen“, tadelte die Oberbürgermeisterin
die Untätigkeit und Verschleppungstaktik
von DB AG und Bund.
Ihr Kollege aus Hof, Oberbürgermeister
Dr. Harald Fichtner (CSU), pflichtete ihr in
den meisten Punkten bei und ergänzte: Hof
habe die fünftmeisten Bahn-Umsteiger im
Freistaat. Das Image der Stadt sei gerade in
Bezug auf die Bahn sehr positiv. Dazu beigetragen
habe auch der Fokus der Weltpolitik,
die im Oktober 1989 auf Hof und die
Flüchtlingszüge aus Prag schaute. Doch seit
2006 habe Hof keinen Fernverkehr mehr.
„Es ist kaum vermittelbar: Es gibt keine Reservierung,
keine Informationen, keine Verpflegung.
Dabei hat der VT 612 sehr gute
Fahrzeiten. Platzangebot und Fahrkomfort
sind aber nicht fernverkehrswürdig“, sagte
Harald Fichtner.
Bund missachtet Artikel 87e GG
Im Lauf der Vorträge, die von namhaften Experten
gehalten wurden, kristallisierte sich
heraus, dass die Bundesrepublik Deutschland
ihrer in Artikel 87e Grundgesetz formulierten
Daseinsvorsorge in Bezug auf
den Fernverkehr völlig unzureichend nachkommt.
Das arbeitete Moritz Kirchesch von
der Bundesanstalt für Landwirtschaft und
Ernährung, Referat ländliche Strukturentwicklung,
in seinem Vortrag heraus. Gerhard
J. Curth kritisierte, dass „eine Grundgesetzaufgabe
einem Privatunternehmen überlassen
wird. Es wird von Politik und Bahn AG am
Grundgesetz heruminterpretiert.“ Aufgabe
sei es daher, die Bahnreform von 1993 so
nachzubessern, dass die Monopolstellung
eines Unternehmens herausgehalten wird.
Prof. Dr. Karl-Dieter Bodack legte dar, dass
ein Fernbahn-Zugsystem „InterRegio neu“
mit beherrschbarem finanziellen und infrastrukturellen
Aufwand realisiert werden
könne, dass sich obendrein in weniger als
vier Jahren amortisiere und somit selbst
tragen könne. Der „InterRegio neu“ schließe
alle Lücken und binde auch alle 33 derzeit
nicht bedienten Oberzentren wieder an. Die
DB AG, so sagte Karl-Dieter Bodack, setze
mit der Konzentration auf Hochgeschwindigkeitsstrecken
und den ICE die falschen
Prioritäten. Obendrein sei diese Strategie
extrem teuer und führe auch nicht zu Fahrgastzuwächsen,
wie sie mit einem in die
Fläche gehenden Fernzug-System möglich
wären.
Kritik an DB-Fernverkehrsstrategie
Diese Ansicht vertrat auch Dipl.-Ing. Andreas
Schulz, Prokurist und Abteilungsleiter
Planung der Bayerischen Eisenbahngesellschaft
mbH (BEG): „Der Fernverkehr hatte
zwischen 1993 und 2008 einen Zugewinn
nach Personenkilometern von drei Prozent
– trotz 30 Milliarden Euro Investitionen“,
kritisierte er die falsche Prioritätensetzung.
„Faktisch stagniert er, während im
Nahverkehr Zugewinne von 48 Prozent zu
verzeichnen sind.“
Harmen van-Zijderveld, Leiter Angebotsmanagement
der DB Fernverkehr AG, erläuterte
die Fernverkehrsstrategie der DB AG für
die kommenden Jahre. Die DB AG werde mit
Tagesrand-IC, neuen Doppelstockwagen
und dem neuen Fahrzeug ICx künftig wieder
mehr Fernverkehr in der Fläche anbieten. Er verwies aber auf die Eigenwirtschaftlichkeit
des Fernverkehrs,
die ein Minimum an Fahrgastzahlen
erfordere.
Schienenverkehrspreis für Karl-Dieter Bodack
Am Rande des 2. Fernbahn-Forums
wurde auf einem Empfang, den
Oberbürgermeisterin Dr. Birgit
Seelbinder im Rathaus von Marktredwitz
gab, der Deutsche Schienenverkehrspreis
2011 in der Kategorie
„Lebenswerk“ verliehen. Er
ging an Prof. Dr. Karl-Dieter Bodack
in Würdigung seines Lebenswerkes
(siehe auch Seite 10). Karl-Dieter
Bodack, so DBV-Präsident Gerhard
J. Curth in seiner Laudatio, war der
Erfinder des InterRegio und des
Zugsystems „IC ‚79“ der Deutschen
Bundesbahn. Er habe es stets als
seine Aufgabe verstanden, den
Fahrgästen ein Reiseerlebnis zu
schaffen. Karl-Dieter Bodack nahm
den Preis aus den Händen der
Oberbürgermeisterin entgegen,
die 1998 selbst Preisträgerin war.
In seiner Rede dankte der Preisträger
seinen Mitstreitern, ohne die er
seine Ideen nicht hätte umsetzen
können. (hg)
Ein Tagungsband für die DBV-Foren
in Jena (2010) und Marktredwitz
(2011) ist in Vorbereitung. Deutscher Bahnkunden-Verband
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