Berlin: Fahrplanwechsel Dezember 2006

Neuer Fahrplan: BVG macht Metronetz zum Mogelnetz

Die BVG hat mit dem Fahrplanwechsel am 10. Dezember 2006 zum wiederholten Mal ihr Verkehrsangebot bei Bussen und Bahnen reduziert. Sie unterschreitet damit (noch stärker als bisher) die ihr durch den geltenden Unternehmensvertrag auferlegten Verkehrsleistungen – offensichtlich mit Duldung des Senats. Der Berliner Fahrgastverband IGEB hat dafür kein Verständnis.

Bus am Berliner Hbf
M 41 am neuen Hauptbahnhof. Seit der Verlängerung zum Hauptbahnhof hat die Metrobuslinie M 41 auch auf ihrem Kreuzberger und Neuköllner Linienabschnitten deutliche Fahrgastzuwächse zu verzeichnen. Die BVG hat dennoch in den Vormittagsstunden das Fahrtenangebot auf dem Kreuzberger Abschnitt halbiert. Foto: Raul Stoll

Gerade angesichts der finanziellen Lage der BVG ist es der falsche Weg, das Fahrgeld einbringende Verkehrsangebot zu kürzen, während die Kosten für die Verwaltung auf einem viel zu hohen Niveau verbleiben. Somit entfernt sich die BVG immer mehr von einem „durchschnittlich gut geführten Verkehrsunternehmen“. Dieses Kriterium ist aber nach EU-Recht die Voraussetzung dafür, dass die BVG – wie vom rot-roten Senat geplant – ab 2008 weiterhin alle Bus-, Straßenbahn- und U-Bahn-Verkehre in Berlin erbringen kann.

Paradoxerweise sind von der aktuellen Angebotskürzung insbesondere die Metrolinien betroffen, obwohl diese nach Angaben der BVG stark steigende Fahrgastzahlen aufweisen. Die Folge: längere Wartezeiten und weniger Komfort durch vollere Fahrzeuge.

BVG kürzt Angebot auf Hauptachsen

Konkret wurden von der BVG zum 10. Dezember auf folgenden vier Hauptachsen Kürzungen vorgenommen:

  • Bei der Metrobus-Linie M 32 vom Rathaus Spandau in die Louise-Schröder-Siedlung nach Staaken ist ein Viertel des Angebots montags bis freitags zwischen 9 und 13 Uhr sowie an Sonnabenden entfallen. Gerade angesichts der hohen Einwohnerdichte dieser Hochhaussiedlung mit über 20 000 Einwohnern und der deutlichen Fahrgastzunahme auf dem M 32, welche durch Taktverdichtungen Ende 2004 auf der Hauptachse Brunsbütteler Damm ausgelöst worden sind (kostenneutral finanziert durch die gleichzeitigen starken Angebotskürzungen auf dem Magistratsweg), hat die IGEB kein Verständnis für die nun erfolgten Einschränkungen des Angebots.
  • Bei der Metrobus-Linie M 41, die seit ihrer Verlängerung zum Hauptbahnhof erhebliche Fahrgastzuwächse aufweist, hat die BVG das Angebot zwischen dem Halleschen Tor und dem Hermannplatz in den Vormittagsstunden auf einen 10-Minuten-Takt halbiert. Hier zeigt sich sehr deutlich, dass die Einführung des Metro- Netzes auch ein Marketing-Trick der BVG war, um Angebotskürzungen vor Medien, Politik und Fahrgästen kaschieren zu können. So wurden im ersten Schritt viele im Umkreis der Blücher- und Urbanstraße liegende Ergänzungslinien wie 248 und 341 eingestellt und die Kunden auf die ersatzweise verdichtete Linie M 41 (ehemals 241) verwiesen. Nun folgte der zweite Schritt, bei dem der M 41 wieder weitgehend auf die Fahrtenhäufigkeit vor der Angebotsverbesserung reduziert wurde. Das Ergebnis ist für viele Kunden ernüchternd – längere Wege zur Haltestelle und mehr Umsteigezwänge, weil die Ergänzungslinien alle ersatzlos gestrichen wurden. Und auf der Hauptachse wird auch nicht häufiger gefahren als früher! So wird das Metro-Netz zum Mogel-Netz!
  • Gleiches gilt auch für die Metrobus-Linie M 82 vom Rathaus Steglitz nach Marienfelde. Hier reduzierte die BVG den Takt und das Platzangebot im Schüler- und Berufsverkehr durch die Umstellung vom 5 auf den 7 oder 10-Minuten-Takt. Für die IGEB ist diese Maßnahme angesichts der Bedeutung der Linie M 82, welche das Zentrum von Steglitz über Lankwitz Kirche und die Gallwitzallee mit der rund 20 000 Einwohner zählenden Hochhaussiedlung rund um die Waldsassener Straße in Marienfelde verbindet, völlig unverständlich. Gerade im Schülerverkehr herrscht auf der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung in Steglitz drangvolle Enge, liegen doch fünf große Oberschulen mit zusammen über 5 000 Schülern an der Linie M 82. Auch hier ist der Vergleich mit dem Angebot vor der Einführung des Metronetzes interessant: Die damals auf der Gallwitzallee verkehrenden Linien 182 und 187 hatten ein dichteres Fahrtenangebot als der heutige Metrobus M 82. Neben Kapazitätsproblemen sorgt die Angebotsreduzierung zudem noch für schlechtere Anschlüsse zur S-Bahn – eine logische Folge der unterschiedlichen Grundtakte. So sind im Berufsverkehr bei Fahrten in die Innenstadt teilweise 9 Minuten Umsteigezeit das Ergebnis. Die falschen Angebotskürzungen der BVG werden also auch die S-Bahn treffen.
  • Bei der Straßenbahn ist die durch Friedrichshain und Prenzlauer Berg fahrende Metro-Tram M 10 von den Kürzungen betroffen. Auf dieser Linie kommt zwischen 18 und 20 Uhr nur noch alle 7 statt alle 5 Minuten ein Zug. Das hat zur Folge, dass am U-Bahnhof Warschauer Straße alle direkten Umsteigeanschlüsse von und zur im 5-Minuten-Takt fahrenden U-Bahn entfallen.

Bus am Bhf Südkreuz
Mit einem halben Jahr Verspätung wurde nun vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg die Straßenanbindung zum östlichen Zugang des Bahnhofs Berlin Südkreuz hergestellt, so dass auch BVG-Busse hier vorfahren können. Die Buslinien 184 und 248 bieten über die neue Straße namens Ballonfahrerweg wichtige Direktverbindungen zwischen dem Fern-, Regional- und S-Bahnhof sowie den benachbarten Ortsteilen. Foto: Raul Stoll

Ergänzungsnetz ebenfalls reduziert

Auch abseits der Hauptachsen gab es einige Kürzungen im Verkehrsangebot der BVG. So fährt der Kiezbus in Hermsdorf (Linie 326) nicht mehr an Sonntagen – er hatte wegen seiner bisher auf fünf Stunden beschränkten Einsatzzeit ohnehin nur eine begrenzte Nachfrage.

Der Betrieb auf der Buslinie 347 in den Abendstunden und am Wochenende wurde weiter reduziert. Damit schikaniert die BVG die vielen treuen Fahrgäste dieser Linie, die sich hartnäckig gegen alle Vertreibungsversuche der BVG wehren, weiter. Nachdem eine von der BVG geplante Verkürzung der Linie im Jahr 2003 am Widerstand der Anwohner gescheitert ist, hat auch die teilweise Umstellung auf den 30-Minuten-Takt nicht dazu geführt, dass die Busse leerer geworden sind. Kein Wunder, denn kaum ein anderes, so dicht bebautes innerstädtisches Wohnquartier ist so schlecht mit dem ÖPNV erschlossen, wie das von der Linie 347 bediente Quartier um den Rudolfplatz und die Corinthstraße. Insofern hat die IGEB keinerlei Verständnis für die nun erfolgte erneute Angebotskürzung der BVG.

Bus am Groß-Berliner Damm
Es ist nicht lange her, da plante man noch eine neue Straßenbahnstrecke zwischen Berlin-Schöneweide und Adlershof und hat dafür eine eigene Trasse (der Sandstreifen rechts) in der Mitte des neuen Groß-Berliner Damms freigehalten. Heute wird die großzügig dimensionierte Straße von der sinnvoll veränderten Buslinie 163 bedient, allerdings nur zu ausgewählten Zeiten. Ausgerechnet zu den Stunden, in denen hier das höchste Verkehrsaufkommen zu erwarten wäre, verkehrt sie nicht. Soll bewiesen werden, dass man die Straßenbahn nicht braucht? Foto: Raul Stoll

Auch positive Veränderungen

Allerdings gab es zum Fahrplanwechsel am 10. Dezember auch positive Veränderungen im Angebot der BVG:

  • So wird in Adlershof das Liniennetz aufwandsneutral so verändert, dass die Wissenschaftsstadt WISTA besser über den Groß-Berliner Damm aus Schöneweide erreichbar ist und zum anderen ein neu entstandenes Gewerbegebiet mit einem Baumarkt am Adlergestell durch die Buslinie 163 mit dem ÖPNV erschlossen wird. Leider hat sich die Eröffnung dieser Linie um mehr als eine Woche verschoben, weil die zuständige Senatorin erst dann Zeit hatte, den schon lange fertig gestellten neuen Groß-Berliner Damm zu eröffnen. Klare Prioritätensetzung des Senats: Ein paar positive Medienberichte mit einer lächelnden Verkehrssenatorin sind eben wichtiger als ein planmäßiger ÖPNV-Betrieb. Sehr ärgerlich ist zudem, dass die neue Linie 163 zwischen 8 und 14 Uhr den Streckenabschnitt zwischen Schöneweide und Adlershof nicht bedient, wo dies doch gerade die Hauptanreisezeit der Studierenden zur Wissenschaftsstadt ist. Auch wird das Busangebot an der Haltestelle Magnusstraße – dem Zentrum der WISTA – durch diese Maßnahme weiter reduziert. Es wird Zeit, dass der Senat endlich die schon planfestgestellte und vorbereitete Straßenbahntrasse vom S-Bahnhof Adlershof zur WISTA baut. Dieser aufstrebende Uni- und Forschungsstandort braucht endlich auch eine gute ÖPNV-Anbindung und nicht nur einen Autobahnanschluss!
  • Positiv ist auch, dass die Buslinie 248 nach Fertigstellung einer neuen Straßenverbindung nun endlich direkt den Bahnhof Südkreuz erreicht und damit eine attraktive Verbindung aus Kreuzberg zum neuen Fern- und Regionalbahnhof herstellt. Leider entsprechen aber die neu gebauten Haltestellen am Bahnhof Südkreuz keinem zeitgemäßen ÖPNV-Standard. Dass Linien busse noch in Busbuchten verschwinden, damit der Autoverkehr sie überholen kann, ist Verkehrspolitik der 60er Jahre. Und da ein Kasseler Bord fehlt, ist die Haltestelle auch nicht behindertengerecht.
  • Außerdem fährt mit der Buslinie 349 wieder ein Bus in die Siedlung Eichkamp, wobei allerdings das Angebot eines Stundentakts deutlich unter dem erforderlichen Minimalstandard bleibt, so dass der verkehrliche Erfolg dieser Linie wohl ausbleiben wird. Kurios ist der von der BVG durchgeführte Betrieb der Linie 349: Der Bus fährt eine Runde in 25 Minuten und steht danach 35 Minuten am Endpunkt herum – und das jede Stunde. Unwirtschaftlicher kann man ÖPNV nicht betreiben. Daher fordert die IGEB die sofortige Verdichtung des Angebots der Linie 349 auf einen 30-Minuten- Takt.

Trotz dieser drei positiven Maßnahmen überwiegen die Angebotsverschlechterungen. Zusammen mit der Fahrpreiserhöhung zum 1. April 2007 (auch wenn diese nur einen Teil der Fahrgäste trifft) wird die BVG so keine neuen Fahrgäste gewinnen. Es bleibt zu hoffen, dass nun auch die politisch Verantwortlichen erkennen, dass die Angebotskürzungen beim Berliner ÖPNV – wie wir sie nun schon seit einem Jahrzehnt erleben – ein Ende haben müssen. Ansonsten wird die Mobilität der Berliner, die ohne eigenes Auto leben (und das sind bemerkenswerte 68% der Einwohner, also fast 2,3 Millionen Menschen) dauerhaft eingeschränkt sein – mit verheerenden sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen.

Positive Tendenzen im Koalitionsvertrag

Erste positive Tendenzen enthält der Koalitionsvertrag, der fordert, dass „mit der BVG ein Verkehrsvertrag abgeschlossen wird, der die im Nahverkehrsplan festgelegten Verkehrsleistungen definiert und deren finanzielle Abgeltung durch das Land regelt.“ Dies würde bedeuten, dass das jetzige Verkehrsangebot – was dem in den Eckpunkten des Nahverkehrsplans festgelegten Umfang weitgehend entspricht – fortbestehen würde. Doch eines ist dafür auch nötig, und daran scheint es der Politik zu fehlen: Der Wille zur ausreichenden Finanzierung der BVG entsprechend ihrer (überdurchschnittlich hohen) Kosten. Denn wenn man die BVG wie im bisherigen Unternehmensvertrag chronisch unterfinanziert, kann die Spirale aus steigendem Schuldenberg und Angebotskürzungen nicht gestoppt werden.

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 1/2007 (Februar/März 2007), Seite 14-16

 

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