Der Faktor 1,27 wurde für eine Variante errechnet,
bei der alle Regionalverkehrszüge,
die heute noch über die Berliner Stadtbahn
verkehren, in Falkensee enden. Damit sollen
Kosten für einen „Parallelverkehr“ von
Regional- und S-Bahn-Zügen vermieden
werden.
Diese Lösung erzielt einen großen Nutzen
für Berlin und einen nur geringen für Brandenburg,
weil die Regionalverkehrskunden
in Falkensee zwangsweise auf die S-Bahn
umsteigen müssen, wenn sie nach Berlin
zum Zoo oder zum Alex wollen. Laut der
Studie würden aus dem Havelland deshalb
sogar 300 Fahrgäste pro Tag weniger mit
öffentlichen Verkehrsmitteln nach Berlin
fahren als mit einem attraktiven Regionalverkehrsangebot.
Mit der S-Bahn-Variante
verlängert sich also die Fahrzeit nach Berlin,
so dass laut Studie heutige Fahrgäste zum
Auto abwandern.
Protest aus Brandenburg
Nach verständlichem Protest aus dem Land
Brandenburg wurde zusätzlich eine Variante
untersucht, bei der die RB von Nauen in der
HVZ wenigstens bis Charlottenburg verkehren.
Diese Variante erbrachte den Nutzen-
Kosten-Faktor von 1,31. Aber auch in dieser
Variante verlieren die Havelländer ihre umsteigefreie
Regionalbahnverbindung auf die
Berliner Stadtbahn. Deshalb ist der günstige
Faktor nur auf die sehr guten Werte auf
Berliner Stadtgebiet zurückzuführen. Hier
steigen durch die neuen Haltepunkte der
S-Bahn auf Spandauer Gebiet (Nauener Straße
und Hackbuschstraße) die Fahrgastzahlen
auf diesem S-Bahn-Abschnitt erheblich.
So werden in der S-Bahn zwischen Falkensee
und Seegefeld 2000 Fahrgäste pro Tag
prognostiziert, zwischen Hackbuschstraße
und Nauener Straße sind es aber bereits
14 900, und den Spandauer Hauptbahnhof
erreichen 21 700 mit der S-Bahn von Westen
aus.
Die abwandernden Fahrgäste aus Falkensee
werden durch die viel höhere Zahl der
neu gewonnenen Fahrgäste in Spandau
um ein vielfaches ausgeglichen. Unter dem
Strich steht also ein deutlicher Fahrgastzuwachs.
Aber Falkensees Bürgermeister Heiko
Müller (SPD) hat sich gegen die S-Bahn ausgesprochen.
Er favorisiert einen Ausbau der
Regionalbahn, möglichst mit einem dritten
Gleis zwischen Bahnhof Spandau und Falkensee.
Unzufrieden zeigten sich auch die
Havelländer und die Landesregierung.
Doch dem Bund kam diese Situation sehr
gelegen: Wenn von einer Variante nicht die
Fahrgäste beide Bundesländer profitieren,
werde die Maßnahme vom Bund nicht finanziert.
Mit dieser Argumentation hat
sich der Bund aus dem S-Bahn-Vorhaben
Berlin-Spandau—Falkensee praktisch verabschiedet.
Dabei wäre es angesichts wachsender
Fahrgastzahlen im öffentlichen Verkehr
sinnvoll, eine fahrgastfreundliche Variante
zu untersuchen, bei der sowohl die S-Bahn
als auch Regionalzüge nach Falkensee verkehren.
Doch weil das in die Schublade „unwirtschaftlicher
Parallelverkehr“ gepackt
wird, wurde eine solche Variante gar nicht
erst untersucht.
Fragen bleiben offen
Auch nach Lektüre der Nutzen-Kosten-
Untersuchungen bleiben allzu viele Fragen
offen. So ist unklar, von welcher S-Bahn-
Infrastruktur genau ausgegangen wird. Die
Studie stützt sich auf eine Grobplanung
von DB Netz, die einen eingleisigen Ausbau
mit Begegnungsstellen vorsieht. Bis Hackbuschstraße
soll in der Hauptverkehrszeit
ein 10-Minuten-Takt angeboten werden, ansonsten
ist eine Bedienung alle 20 Minuten
bis Bf Falkensee geplant.
Es wurde in der Untersuchung davon
ausgegangen, dass die RE4 und RE2 über
Jungfernheide in den Hauptbahnhoftunnel
geführt werden, obwohl das gemäß Landesnahverkehrsplan
für den RE2 Rathenow—
Cottbus nicht geplant ist. Das begründet der
Gutachter mit einem alten Planungsstand.
Somit wird die S-Bahn in der Untersuchung
sogar bevorteilt, da eine „schnelle
Konkurrenz“ auf die Stadtbahn vermieden
wird.
Auch in Spandau wurden heftige Anpassungsmaßnahmen
angenommen: So wurde
die Hälfte der M37er-Fahrten aus dem Falkenhagener
Feld vom Rathaus Spandau abgekoppelt.
Stattdessen sollen die Fahrgäste
am neuen S-Bahnhof Nauener Straße in die
S-Bahn umsteigen. Das ist wenig attraktiv,
denn die S-Bahn fährt nur in der HVZ alle
10 Minuten, sonst alle 20. Viele Fahrgäste
haben den Verkehrsknoten Rathaus als Ziel,
um sich dort für U-Bahn, Regionalbahn oder
weitere Buslinien zu entscheiden oder in der
Altstadt einzukaufen, zu Behörden oder zum
Arzt zu gehen. Ein zusätzlicher Umstieg an
der Nauener Straße für einen guten Kilometer
S-Bahnfahrt ist schwerlich als attraktiv zu
bezeichnen.
Begrenzte Aussagekraft für die Praxis
Die hier untersuchten Varianten sind im
Detail nicht immer fahrgastfreundlich. Das
mag an der grundsätzlichen Charakteristik
einer „Standardisierten Bewertung“ liegen,
deren Aufgabe es ist, eine Infrastrukturinvestition
volkswirtschaftlich zu bewerten.
Bestellerkosten werden dort zum Beispiel
überhaupt nicht betrachtet. Der Ergebnis-
Indikator größer 1,0 gibt nur an, ob eine
Infrastrukturfinanzierung
durch Bundesmittel
möglich ist. Eine Aussage über die
Finanzierung des Betriebes wird nicht getroffen
und ist auch nicht Fragestellung der
„Standardisierten Bewertung“. Hierfür sind
weitere Untersuchungen notwendig.
Es wäre sinnvoll gewesen, im Gutachten
weitere Varianten zu untersuchen.
Für die Praxis sinnvoll wäre die Betrachtung
der Führung der S-Bahn bis Finkenkrug,
um die flächig besiedelte Gemeinde
Falkensee besser zu erschließen. Ferner
dürfen S-Bahn und Regionalverkehr nicht
als Konkurrenz, sondern müssen als Ergänzung
betrachtet werden. So verkehren z. B.
nach Erkner, Potsdam, Bernau, Ahrensfelde
und Strausberg auch S-Bahn UND schnelle
Regionalzüge, gewissermaßen als Express-
S-Bahn.
Bahnhofsstandorte optimieren
Ferner sind die Bahnhofsstandorte auf
Spandauer Gebiet zu optimieren. Sinnvoller
als der Standort Hackbuschstraße wäre zum
Beispiel ein Haltepunkt am Klosterbuschweg.
Der Bahnhof Albrechtshof wäre am
Finkenkruger Weg deutlich besser aufgehoben
als am bisherigen Standort in direkter
Nähe zum Bahnhof Seegefeld. So können
die Fahrgastzahlen für die S-Bahn zusätzlich
gesteigert werden, ohne dass die Passagiere
von der Regionalbahn auf die S-Bahn
zwangsumgeleitet werden.
Beste Lösung für Spandau
und für Falkensee gesucht
Untersuchenswert wäre ebenso eine Führung
der S-Bahn auf dem Gleis der Havelländischen
Eisenbahn (Bötzowbahn) bis zum
Bahnübergang der Falkenseer Chaussee.
Hier könnten wirkliche Fahrzeitvorteile für
die Bewohner des drittgrößten Neubaugebietes
in West-Berlin erzielt werden.
Ziel muss es sein, sowohl für die Spandauer
als auch für die Falkenseer und Brieselanger
Interessen eine Lösung anzubieten, von der
alle profitieren. Dem käme eine Gleichstrom-
S-Bahn bis Finkenkrug und die weitgehende
Beibehaltung des Regionalverkehrsangebotes
am nächsten.
Das brandenburgische Ministerium für Infrastruktur
und Raumordnung (MIR) als Besteller
des Regionalverkehrs hat allerdings schon
angekündigt, dass – unabhängig vom Bau der
S-Bahn – die RB10/14 grundsätzlich bis Charlottenburg
zurückgezogen wird, da die Verbindung
zum Flughafen BBI künftig durch den
Tunnel geführt werden soll. Der RE6 entfällt
perspektivisch in Falkensee ebenfalls. Im Mai
2006 war schon der RE5 auf die Stettiner Bahn
umgelegt worden. Bisher profitierte Falkensee
vom Umleitungsverkehr. Diese Zeit neigt
sich dem Ende. Eine langfristige, leistungsfähige
und attraktive Lösung muss also her.
Die Studie ist im Internet auf der Seite des
Ministeriums für Infrastruktur und Raumordnung
(MIR) herunterzuladen (www.mir.
brandenburg.de). Diese Veröffentlichung
und die neue Transparenz des Ministeriums
sind ausdrücklich zu begrüßen. (fm)
IGEB S-Bahn und Regionalverkehr
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