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Nice (Nizza) – einer von vielen neuen Straßenbahnbetrieben in Frankreich. Foto: Carolin Behrens |
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Inzwischen lässt sich nicht mehr übersehen,
dass wir uns in einer dauerhaften Umweltund
Rohstoffkrise befinden. Wurde der
Klimawandel noch vor gar nicht so langer
Zeit oft als Spinnerei abgetan, gelangen
nun immer mehr Menschen zu der Erkenntnis,
dass die Situation weitaus ernster als
angenommen und maßgeblich auf unser
(Konsum-)Verhalten zurückzuführen ist.
Parallel wuchs in letzter Zeit die Erkenntnis,
dass viele Rohstoffe und insbesondere das
Öl immer knapper und damit immer teurer
werden. Langsam aber sicher führt beides
zu einem grundlegenden Wandel auch auf
dem Gebiet der Verkehrssysteme. Solche,
die auf hohem Verbrauch beruhen, geraten
in die Defensive oder verschwinden gar –
so zum Beispiel der Transrapid München,
dessen Bau wegen der ausufernden Bauund
Materialkosten aufgegeben werden
musste.
Selbst kurzfristige Preisnachlässe wie
zurzeit beim Erdöl ändern nichts daran: Wir
sind gefordert, wesentlich effizienter und
sparsamer mit den Ressourcen umzugehen
und Schadstoff-Emissionen zu verringern. In
diesem Sinne hat sich die Stadt Berlin im Dezember
2007 verpflichtet, den CO2-Ausstoß
bis 2050 um 80% zu verringern, und im Juli
2008 bekräftigte der Regierende Bürgermeister
Berlins, Klaus Wowereit, den Klimaschutz
als zentrales Arbeitsfeld.
Zukunftsorientiert: Fahrrad und
Straßenbahn
Für die Verkehrspolitik bedeutet das konsequenterweise,
vor allem zwei Verkehrsmittel
zu fördern, die in der Vergangenheit in Berlin
eher vernachlässigt wurden: das Fahrrad und
die Straßenbahn.
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Stubenrauchstraße mit Massantebrücke über den Teltowkanal. Beim Brückenneubau wurde bereits eine Trasse für die Straßenbahnneubaustrecke von Johannisthal nach Rudow (U-Bf Zwickauer Damm) berücksichtigt. Ansonsten wird an diesem die alte Grenze von Ost- nach West-Berlin überschreitenden Projekt ebenso wenig gearbeitet wie an allen anderen Straßenbahnprojekten. 19 Jahre nach dem Mauerfall ist die Bilanz des Berliner Senats hinsichtlich der Straßenbahn erbärmlich. Foto: Marc Heller (Oktober 2008) |
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Letztere soll uns hier beschäftigen. Es
kann nicht oft genug betont werden, dass im
Bereich der öffentlichen Verkehrsmittel die
Tram das günstigste Verhältnis zwischen Bausowie
Betriebskosten und der erzielbaren
Nachfrage aufweist. Dies zeigt sich derzeit
besonders anschaulich auf der Straßenbahnlinie
M 2, deren Fahrgastzahlen nach Inbetriebnahme
der Neubaustrecke zum Alexanderplatz
dauerhaft um 30 bis 40% gestiegen
sind. Die BVG hat inzwischen, wie vom Fahrgastverband
IGEB gefordert, mit zusätzlichen
Fahrten reagiert.
Geht man in die Verkehrsgeschichte der
letzten 40 Jahre zurück, so fällt auf, dass es
speziell die Energiekrisen waren, die zu Erhalt,
Ausbau oder Weiterentwicklung von Straßenbahnsystemen
beitrugen. War um 1970 in
West-Europa noch die Rede davon, dass die
Tram in wenigen Jahrzehnten ausgestorben
sein dürfte, machte bereits 1973 die Ölkrise
einen ersten Strich durch diese Rechnung.
Die Verbannung dieses Verkehrsmittels aus
den Städten verlangsamte sich nach 1973 zunehmend,
und seit Mitte der 1980er Jahre ist
der gegenteilige Trend zu verzeichnen.
Die Ölkrise der 1970er Jahre holte auch die
DDR ein, allerdings fünf bis zehn Jahre später.
Wie im Westteil Deutschlands besann man
sich auch hier auf die Tram, die man vorher
bereits in einigen Städten bzw. Stadtteilen
beseitigt hatte. In der DDR sorgte die Renaissance
der Tram vor allem dafür, dass Neubaugebiete
einen Straßenbahnanschluss erhielten
und selbst kleinere Betriebe, zum Beispiel
in Gera, Nordhausen und Zwickau, erhalten
blieben.
Städte hingegen, die noch in den 1970er
oder 80er Jahren ihre Elektrische aufgaben –
zum Beispiel Bremerhaven, Hamburg und
Kiel – erkennen heute, dass dies eine Fehlentscheidung
war. Deshalb wird in Hamburg
und Kiel an der Wiedereinführung der Tram
gearbeitet, allerdings gibt es leider noch immer
auch starke Widerstände gegen diese
Projekte. Allzu verbreitet ist noch die Vorstellung,
dass teure U-Bahn-Projekte oder Verbesserungen
bei Bussystemen eine Lösung
sein könnten.
Straßenbahnboom in Frankreich
Unsere Nachbarn in Frankreich sind da schon
weiter, mussten sich aber mit denselben Vorurteilen
bzw. Fehleinschätzungen gegenüber
der Tram auseinandersetzen. In den 1980er
und 90er Jahren gab es dort immer wieder
heftige Proteste gegen Straßenbahnplanungen,
teilweise (zunächst) durchaus erfolgreich
(Brest, Reims). Das erste Projekt zur
Wiedereinführung der Tram in West-Europa
wäre ebenfalls beinahe gescheitert: Nantes
(übrigens Geburtsstadt von Jules Verne) hatte
sich zukunftsweisend für die Tram entschieden,
doch konnte dort in den 1980er Jahren
ein straßenbahnkritischer Bürgermeister sein
Amt antreten. Pech für ihn: Die Bauarbeiten
waren schon zu weit fortgeschritten, um das
Vorhaben stoppen zu können.
Einige Städte Frankreichs entschieden
sich schließlich für automatische U-Bahnen
(VAL-Metro, z. B. in Toulouse) oder setzten
auf Straßenbahnen mit Gummirädern (Nancy,
Caen). Doch in mehr und mehr Städten
setzte sich die „klassische“ Straßenbahn
durch, die auch technisch weiterentwickelt
wurde. In vielen Stadtteilen führte die Tram
zu einer Neuaufteilung des Verkehrsraums –
mehr Platz für Fußgänger, Radfahrer und
öffentliche Verkehrsmittel. Als vorteilhaft
erwies es sich hierbei immer wieder, dass
die Tram mit vergleichsweise wenig Platz
auskommt.
Durchweg erfreuen sich die neuen Betriebe
einer guten bis sehr guten Nachfrage.
Bekanntlich ist nichts erfolgreicher als der
Erfolg: So kommen auch Reims und Toulouse
jetzt doch noch in den Genuss der Tram. Die
Bus-Tram-Mischungen in Nancy und Caen
wiederum bewährten sich im Alltagsbetrieb
nicht recht oder es traten Schwierigkeiten auf,
weitere Fahrzeuge für diese „exotischen“ Systeme
zu beschaffen.
Renaissance der Straßenbahn weltweit
Die guten Erfahrungen in Frankreich bestärken
nunmehr auch andere Länder darin,
Straßenbahnen einzuführen. Den einschlägigen
Fachzeitschriften kann man Ausgabe für
Ausgabe entnehmen, wo in aller Welt neue
Projekte gedeihen oder vorhandene Straßenbahnsysteme
ausgebaut werden.
Dass mit modernen Straßenbahnlinien
außerordentliche Nachfragen und eine hohe
Kundenzufriedenheit erreicht werden können,
ist auch in Berlin nachweisbar. Vom Erfolg
der M 2 war bereits die Rede. Damit nicht
genug: Die Tram auf Osloer und Seestraße hat
beinahe zu einer Verdoppelung der Nachfrage
gegenüber den früheren Buslinien geführt.
Auf eine Verzehnfachung der Fahrgastzahlen
bringt es sogar die M 10 in der Bernauer Straße,
wo vorher der Bus 245 im 20-Minutentakt
verkehrte.
Dabei haben alle drei der genannten Strecken
noch Mängel aufzuweisen: Die Züge auf
Osloer und Seestraße enden am Virchow-
Klinikum, es fehlt der Lückenschluss zum S-Bf
Beusselstraße. Die M 2 wiederum steht oft
lange vor roten Ampeln an der Mollstraße.
Und die noch am Nordbahnhof endende M 10
verfügt in der Bernauer Straße über keine eigene
Trasse. Gäbe es diese Einschränkungen
nicht, wären die Fahrgastzahlen wahrscheinlich
noch höher.
Somit ist es naheliegend, die Erfolge der
modernen Tram fortzuführen. Um die eingangs
aufgeworfene Frage von Herrn Necker
zu beantworten: Diese Stadt braucht den raschen
weiteren Ausbau der Tram, vor allem
Richtung Westen!
Die Anti-Straßenbahnpolitik im einstigen
West-Berlin wirkt noch immer nach
Wären da nicht die Vorbehalte gegen dieses
Verkehrsmittel, die insbesondere aus dem
früheren West-Berlin stammen. Dort hatte
bekanntlich vor allem die BVG dafür gesorgt,
dass die Elektrische bis Oktober 1967 aus dem
Stadtbild verschwand – und das, obwohl die
Tram noch Ende der 1950er Jahre das wirtschaftlichste
Verkehrssystem der BVG war!
Einen förmlichen Beschluss des Berliner Senats
zur Abschaffung der Straßenbahn hat es
übrigens nie gegeben. Straßenbahnen durch
eine ungleich höhere Zahl von Bussen und
stellenweise durch (teure) U-Bahn-Linien
zu ersetzen, war damals nur möglich, weil
Energie bzw. Rohstoffe billig zur Verfügung
standen und die Bundesregierung die Rechnung
zahlte. Den Interessen der im früheren
West-Berlin einflussreichen Gewerkschaften
wiederum dürfte eine höhere Zahl von Busfahrern
eher entsprochen haben als eine geringere
Zahl von Straßenbahnfahrern.
Wie kämpferisch die frühere ÖTV für ihre
Busfahrer eintrat, zeigte sich erneut in den
1980er Jahren, als es um die Rettung der
West-Berliner S-Bahn ging. Die ÖTV machte
sich damals immer wieder durch polemische
bzw. sachfremde Stellungnahmen gegen die
S-Bahn bemerkbar.
Nun, die Zeiten haben sich geändert. Oder
doch nicht? Die politischen Gewohnheiten
des früheren West-Berlins in Frage zu stellen,
scheint nicht überall leicht zu fallen. Anderen
Wind in die Politik zu bringen, schon gar nicht.
Insbesondere CDU und FDP sind noch sehr
der autoorientierten Verkehrspolitik des früheren
West-Berlins verbunden. Zwar gab es
bei der CDU schon lange vor der Wiedervereinigung
Pro-Tram-Stimmen. Neue Ansätze
in der Stadtentwicklung stießen auch beim
ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Berliner
CDU, Friedbert Pflüger, auf Resonanz.
Aber nach seiner Abwahl ist die Hoffnung,
dass die Hauptstadt-CDU für eine umweltschonendere
Verkehrspolitik eintritt, nicht
gerade größer geworden.
So ist momentan leider auch nicht zu erkennen,
dass CDU und FDP in Berlin die Potenziale
einer modernen Straßenbahn zu würdigen
wissen – und das, obwohl gerade die
Wirtschaft stark von guten Straßenbahnlinien
profitiert. Das konnten die Geschäftsleute in
Strasbourg – die anfänglich heftige Vorbehalte
gegenüber der Tram hatten – bereits feststellen.
Umso stärker forderten sie später den
weiteren Ausbau! Schließlich fährt die Straßenbahn
an den Geschäften vorbei, so dass
die Fahrgäste die Angebote sehen können.
In Berlin gehören einige der Stadtteile
mit guter Straßenbahnanbindung zu den
absoluten „Rennern“: Prenzlauer Berg und
Friedrichshain. Unter den vielen jungen
Leuten ist Tramfahren „in“.
Bündnis 90 / Die Grünen sind traditionell
Befürworter des Ausbaus der Berliner Straßenbahn.
Im Juni 2007 beispielsweise fand
auf Initiative der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus
eine vielbeachtete Informationsveranstaltung
zum Thema Straßenbahn
statt. Inwieweit die Grünen jedoch ihre Forderungen
umsetzen könnten bzw. würden,
wären sie an der Regierung beteiligt, steht
auf einem anderen Blatt.
Berliner Senat pro Tram – auf dem Papier
Und wo steht der jetzige von SPD und Linkspartei
gebildete Senat? Sein Umgang mit der
Elektrischen ist auch nicht frei von einer gewissen
Ambivalenz. Zwar betonte der Senat
zuletzt durch seinen Beschluss vom 15.1.2008,
die Tram aufwerten zu wollen. Konkrete Vorhaben
aber kommen leider oft nur zähflüssig
voran und erleiden immer wieder Rückschläge.
So bedurfte es erst anhaltender Proteste
vor allem der IGEB, um den Senat – sozusagen
auf den „letzten Drücker“ – im Dezember
2007 zum Beginn der Bauarbeiten für die
Straßenbahn-Verlängerung in die Wissenschaftsstadt
Adlershof zu bewegen. Kurze
Zeit später wäre das Baurecht verfallen.
Bei der künftigen Tram in der Leipziger
Straße hält der Berliner Senat zwar an der
Planung fest, möchte aber im Bereich des
Potsdamer Platzes auf der freigehaltenen
Trasse „vorübergehend“ eine Ausstellung
zum Gedenken an bekannte Filmschauspieler
einrichten („Boulevard der Stars“). Kunst und
Kultur statt Straßenbahn – vor dem Hintergrund
der eingangs genannten Energie- und
Rohstoffprobleme erscheint diese Prioritätensetzung
geradezu absurd. Überdies müssen
bzw. dürfen Boulevard und Straßenbahn
keine Gegensätze sein, für beides ist Platz
genug vorhanden.
Ebenso wenig ist nachvollziehbar, weshalb
der Berliner Senat die künftige Nachfrage
der Tram in dieser Relation nochmals prüfen
will. Dass eine Straßenbahn vom Alexanderplatz
via Leipziger Straße, Potsdamer Straße,
Haupt-, Rhein- und Schloßstraße zum
S+U-Bahnhof Steglitz eine hohe Nachfrage
erschließen wird, liegt auf der Hand! Zudem
belegt eine Studie der TU Berlin den hohen
Nutzen einer Straßenbahn in dieser Relation
(siehe Seite 10). Können wir uns solche
Verzögerungstaktiken noch leisten? Die Zeit
drängt, der Klimawandel duldet kein allzu
langes Aufschieben richtiger und wichtiger
Entscheidungen! (hjb)
Weiter mit Teil II im übernächsten SIGNAL.
IGEB Stadtverkehr
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