Viel Geld, wenig Steuerung

LuFV: Bund zahlt jährlich 2,5 Mrd. Euro für Schienenwege

Um die Qualität des Schienennetzes auf hohem Niveau zu erhalten und die Attraktivität der Bahnhöfe zu verbessern, wurde seit rund zwei Jahren eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zwischen dem Bund und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) erarbeitet. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee und der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, haben am 14. Januar 2009 diese Vereinbarung unterzeichnet. Die LuFV setzt zwar bezüglich der Finanzierung des Bestandsnetzes neue Maßstäbe, hat aber dennoch etliche Schwächen.

Grundlage für die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ist der grundgesetzliche Gewährleistungsauftrag des Bundes für die Eisenbahninfrastruktur entsprechend Art. 87e Abs. 4 GG. Auch bislang kam der Bund dieser Pflicht nach, indem er Finanzmittel für Neubau-, Ausbau- und Ersatzinvestitionen gewährt hat (in der Praxis als nicht rückzahlbare Baukostenzuschüsse). Während bislang aber auf Grundlage von Rahmen- und Sammelvereinbarungen eine einzelmaßnahmenbezogene Finanzierung von Ersatzinvestitionen ohne qualitative Vorgaben stattfand, wird der Einsatz der Bundesmittel mit der LuFV nunmehr qualitätsorientiert gesteuert. Ziel ist es, zu einer höheren Effizienz des Einsatzes der Bundesmittel, aber auch der Eigenmittel der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu gelangen und auf diese Weise eine Verbesserung des Infrastrukturzustands zu erreichen. Insofern ist mit der LuFV eine entscheidende Reform der Infrastrukturfinanzierung erreicht worden. Der Vertrag gilt bis 2013.

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Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ist so gestaltet, dass die DB Netz AG den Konzentrationsprozess auf die aus Sicht der Bahn wichtigsten Strecken fortsetzen kann, zum Beispiel ICE-Strecken wie hier am Kölner Hauptbahnhof. Fotos: Christian Schultz

Der Bund verpflichtet sich, im Rahmen dieser Vereinbarung zweckgebundene Zahlungen zur Durchführung von Ersatzinvestitionen in die Schienenwege in Höhe von 2,5 Milliarden Euro pro Kalenderjahr zu leisten. Davon entfallen anteilig

  • 88 % auf die DB Netz AG (2,2 Milliarden Euro)
  • 10 % auf die DB Station & Service AG (250 Millionen Euro) und
  • 2 % auf die DB Energie GmbH (50 Millionen Euro).
Für bis zu 10 % des Infrastrukturbeitrags können die EIU eine anderweitige Aufteilung vereinbaren. Die EIU müssen 20 % des Infrastrukturbeitrags für Maßnahmen verwenden, die dem Schienenpersonennahverkehr dienen. Hierzu ist eine Abstimmung mit dem jeweiligen Bundesland erforderlich.

Risiken durch ungenügende Detailregelungen

Es besteht für die EIU im Übrigen die Pflicht, während der Vertragslaufzeit eigene Finanzmittel für die Instandhaltung der Schienenwege einzusetzen. Ausgangspunkt wird für 2009 ein Mindestinstandhaltungsbeitrag von 1,25 Milliarden Euro sein; danach ist aber eine Reduzierung dieses Anteils auf jährlich 1,0 Milliarden Euro möglich. Diese Regelung ist angesichts des heute bestehenden Instandhaltungsrückstaus speziell auf etlichen Strecken des Regionalverkehrs völlig unverständlich. Unabhängig von der Frage, ob die benannten Finanzmittel tatsächlich ausreichen werden, um die angestrebten Qualitätsziele zu erreichen, fehlt mindestens eine Klausel, mit der die jährlichen Kostensteigerungen ausgeglichen werden.

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Es ist zweifelhaft, ob der Instandhaltungsrückstand speziell auf Regionalstrecken mit den in der LuFV vorgesehenen Finanzierungsbeträgen tatsächlich abgebaut werden kann. Ein Beispiel von vielen: Die abgebildete Spreebrücke im Verlauf der Strecke Fürstenwalde—Bad-Saarow ist nur noch für 50 km/h zugelassen, die kurz dahinter liegende Brücke über die Bahnstrecke Berlin—Frankfurt (Oder) gerade noch für 30 km/h! Foto: Ch. Schultz

Eine volumenbedingte Anpassung des Infrastrukturbeitrags des Bundes erfolgt mit Wirkung für das nächste Kalenderjahr, wenn die Betriebslänge der im Infrastrukturkataster enthaltenen Strecken die Betriebslänge zum Inkrafttreten der Vereinbarung um 2 % über- oder unterschreitet. Für mehr Strecken gibt es also auch mehr Geld – und umgekehrt. Das hört sich plausibel an, wird aber durch die 2-Prozent-Regelung zum Problem. Denn damit wurde ein völlig unnötiger Anreiz für Streckenstilllegungen geschaffen, trotz des natürlich weiterhin geltenden § 11 AEG. Ein Schrumpfen des Netzes im benannten 2-Prozent-Rahmen bleibt ohne Auswirkungen auf den Infrastrukturbeitrag des Bundes!

In den nachfolgend genannten Fällen ist eine Finanzierung von Ausbaumaßnahmen für den Schienenpersonennahverkehr aus Infrastrukturbeiträgen des Bundes in der Regel ausgeschlossen:

  • für Strecken (einschließlich zugehöriger Bahnhöfe/Stationen), wenn eine Querschnittsbelastung von mindestens 1000 Reisendenkilometer je Kilometer Betriebslänge an Werktagen nicht erreicht wird;
  • für Bahnhöfe/Stationen an mehrgleisigen Strecken bzw. Streckenabschnitten mit niveaufreiem Reisendenzugang, wenn der Grenzwert von mindestens 1000 Ein-/ Aus-/Umsteigern pro Werktag nicht erreicht wird;
  • für sonstige Bahnhöfe/Stationen insbesondere an eingleisigen Strecken, wenn der Grenzwert von mindestens 100 Ein-/ Aus-/Umsteigern pro Werktag nicht erreicht wird.

Bei Unterschreitung dieser Grenzwerte bleibt es somit den Ländern überlassen, finanziell entsprechend einzuspringen, oder aber den Verfall der betroffenen Schieneninfrastruktur und im schlimmsten Fall eine Stilllegung aus technischen Gründen zu akzeptieren.

Pflicht zum jährlichen Bericht

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Bahnhof Müncheberg (Mark) an der Strecke Berlin—Kostrzyn. Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung bietet der DB Netz AG große Spielräume; so fehlt u. a. eine sanktionsbewehrte Kennzahl für die Entwicklung der Kapazität. Die Ostbahn ist nur ein Beispiel von vielen, wo die DB Bahnanlagen in den vergangenen Jahren zurückgebaut hat. Foto: Christian Schultz

Die EIU sind verpflichtet, dem Bund – d. h. dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und dem Bundesministerium für Finanzen – jährlich einen Infrastrukturzustands- und Entwicklungsbericht vorzulegen. Dieser Bericht muss ein Infrastrukturkataster enthalten. Damit soll nachgewiesen werden, dass die Verpflichtungen zur Erhaltung der Schieneninfrastruktur bzw. eines uneingeschränkt nutzbaren Zustands im abgelaufenen Kalenderjahr erfüllt wurden. Dies soll über folgende Qualitätskennzahlen erreicht werden:

  • DB Netz AG: Theoretischer Fahrzeitverlust im Fern- und Ballungsnetz, in den Regionalnetzen sowie im gesamten Netz
  • DB Netz AG: Gleisgeometrie
  • DB Netz AG: Funktionalität Bahnsteige und Bewertung Anlagenqualität der DB RegioNetz Infrastruktur GmbH
  • DB Station & Service AG: Funktionalität Bahnsteige und Bewertung Anlagenqualität
  • DB Energie GmbH: Versorgungssicherheit Bahnenergie

Für die Qualitätskennzahl „Theoretischer Fahrzeitverlust“ werden alle Infrastrukturmängel berücksichtigt, die länger als 180 Tage bestehen – ein sehr großzügig gesetzter Grenzwert!

Unverständlich ist, dass die Qualitätskennzahl „Gleisgeometrie“ erst mit Wirkung zum 1. Januar 2010 berücksichtigt wird, ebenso die Kennzahl „Bewertung Anlagenqualität“.

Es fällt des Weiteren auf, dass eine Qualitätskennzahl „Anlagenalter“ in diesem Rahmen gar nicht auftaucht bzw. damit nicht sanktionsbewehrt ist. Ein im Durchschnitt ansteigendes Anlagenalter weist jedoch auf ein zu geringes Investitionsniveau hin, die Störanfälligkeit an Gleis- und Zugsicherungsanlagen erhöht sich in der Regel mit zunehmendem Alter. Nicht enthalten ist auch eine sanktionsbewehrte Kapazitätskennzahl. Diese wäre jedoch vor dem Hintergrund zum Teil massiver Rückbaumaßnahmen im Schienennetz dringend notwendig. Bei Verfehlen der Qualitätskennzahlen ist der Bund berechtigt, den Infrastrukturbeitrag teilweise zurückzufordern.

Um die notwendige Transparenz zu gewährleisten, muss, entgegen der derzeitigen Regelung, der Infrastrukturzustands- und Entwicklungsbericht u. a. der Fachöffentlichkeit und interessierten Verbänden zugänglich gemacht werden! Angesichts der Tatsache, dass der Erhalt des Schienennetzes zu einem wesentlichen Teil mit Steuergeldern finanziert wird, sollte es selbstverständlich sein, diese Informationen auch der interessierten Öffentlichkeit, d. h. den Steuerzahlern, zur Verfügung zu stellen!

Es muss sich in den kommenden Jahren zeigen, ob mit der vorliegenden Leistungsund Finanzierungsvereinbarung das Ziel erreicht wird, die Schieneninfrastruktur langfristig in heutigem Umfang mit deutlich weniger Qualitätsmängeln zu erhalten. Wohl kaum zufriedenstellende Folgen einer unterfinanzierten Infrastruktur wären ein Verfall des Netzes oder aber drastische Erhöhungen der Nutzungsentgelte. Keinesfalls darf auch akzeptiert werden, dass die DB Netz AG mittels der LuFV einen Konzentrationsprozess auf die aus ihrer Sicht wichtigsten Strecken vollzieht.

Die Nachfolge-LuFV ab 2014 muss daher Korrekturen zu den genannten Problemen bzw. verbesserte Detailregelungen und Kontrollmechanismen beinhalten.

Deutscher Bahnkunden-Verband

aus SIGNAL 1/2009 (März 2009), Seite 5-6

 

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