|
|
Von 1954 bis 1979 diente dieses schmucke Empfangsgebäude in der Einmündung der Innsbrucker Straße als Zugang zum U-Bahnhof Innsbrucker Platz. Anschließend abgerissen, ist es heute weitgehend in Vergessenheit geraten. An seiner Stelle befindet sich jetzt ein Brunnen. Foto (1954): Museen Tempelhof-Schöneberg/Archiv |
|
Die knapp drei Kilometer lange, fünf Stationen
umfassende Schöneberger U-Bahn
zwischen Nollendorfplatz und heutigem
Innsbrucker Platz entstand, um das westliche
Stadtgebiet aufzuwerten, welches
teils gerade bebaut worden war, teils noch
der Bebauung harrte. Durch die Errichtung
„vornehmer“ Häuser, insbesondere in Gestalt
des Bayerischen Viertels, sollten noch
mehr wohlhabende Berliner dazu verleitet
werden, nach Schöneberg zu ziehen – und
nicht etwa in die Nachbargemeinden Charlottenburg
und Wilmersdorf. Schließlich
finanzierten sich die Kommunen im Kaiserreich
wesentlich durch einen Zuschlag auf
die Einkommensteuer. Eine bequeme, leistungsfähige
Verbindung in das damalige
Berlin mit einer hochmodernen elektrischen
Schnellbahn war ein wichtiges Werbeargument,
zumal in einer Zeit, als die individuelle
Motorisierung noch in den Kinderschuhen
steckte.
|
Ein Markenzeichen der Schöneberger U-Bahn waren die pompösen Portale wie hier am Zugang zum Bahnhof Stadtpark (heute Rathaus Schöneberg). Foto (um 1910): Paul Wittig, Architektur der Hoch- und Untergrundbahn in Berlin, Berlin 1922 |
|
2002 erhielt der im Zweiten Weltkrieg zerstörte Eingang wieder eine repräsentative Form: an das historische Vorbild angelehnt, doch erkennbar der Gegenwart entstammend. Foto (15.8.2010): Jan Gympel |
|
Sehr nobel: Der Fahrkartenschalter im Vorraum des Bahnhofs Stadtpark (heute Rathaus Schöneberg) war aus Eichenholz. Foto (11.11.1910): Museen Tempelhof-Schöneberg/Archiv |
|
Die gleiche Perspektive rund hundert Jahre später nach der im Jahre 2002 durchgeführten Neugestaltung des Vorraums, der zuvor sehr schäbig gewirkt hatte. Foto (15.8.2010): Jan Gympel |
|
Baugrube der U-Bahn von der Münchener Straße (rechts) kommend durch die in diesem Bereich 1958 aufgehobene Speyerer Straße zum im Hintergrund befindlichen Bayerischen Platz. Außer den dort sichtbaren Häusern wurden alle Gebäude im Zweiten Weltkrieg zerstört. Foto (23.4.1909): Museen Tempelhof-Schöneberg/Archiv |
|
Die U-Bahn entsteht parallel mit der Bebauung des Gebiets – ein Vorgehen, welches später in (West-) Berlin leider häufig keine Nachahmung fand: Arbeiten für die Schöneberger U-Bahn im Bereich der Innsbrucker Straße, wo am 8. September 1908 auch die Feier des ersten Spatenstichs stattgefunden hatte. Im Hintergrund West-, Nord- und Ostseite des Bayerischen Platzes. Foto (7.10.1908): Museen Tempelhof-Schöneberg/Archiv |
|
Der bis 1926 bestehende Inselbetrieb erforderte eine eigene Werkstatt. Im Zweiten Weltkrieg zerstört, lag sie dort, wo sich heute die Waldenburg-Schule und ihre Freiflächen befinden. Im Hintergrund rechts die jetzige Eisackstraße, die unter der Ringbahn hindurch zum heutigen Innsbrucker Platz führt. Foto (17.11.1910): Museen Tempelhof-Schöneberg/Archiv |
|
Geschmackvoll und gediegen: Der südliche Vorraum der Station Bayerischer Platz – beispielhaft für alle Stationen der Schöneberger U-Bahn. Der dementsprechend ganz ähnlich gestaltete nördliche Vorraum dieser Haltestelle ist der einzige, der bis heute erhalten geblieben ist. Foto (10.11.1910): Museen Tempelhof-Schöneberg/Archiv |
|
Stationshäuschen und ebenfalls historischer Hydrantenschrank am Nordende der Bahnsteighalle Bayerischer Platz der U 4. Die Fliesen fertigte die für eine individuelle, lebhafte Gestaltung durch „Laufglasuren“ berühmte Werkstatt von Richard Mutz. Foto (15.8.2010): Jan Gympel |
|
Erst im Zuge von Umbau- und Renovierungsarbeiten wurden 2002 auf dem U-Bahnhof Rathaus Schöneberg die an den Enden der Bahnsteighalle erhaltenen historischen Fliesenverkleidungen wieder freigelegt, einschließlich der alten Stationsschilder, welche den bis 1951 gültigen Namen zeigen. Foto (15.8.2010): Jan Gympel |
|
Kostbarer sollten die Fliesenverkleidungen der Hintergleisflächen wirken als auf den U-Bahnhöfen im damaligen Berlin und in Charlottenburg. Die ungewöhnliche, da wenig zweckgerechte Verwendung von Frakturschrift auf dem Schild ist dem (Un-) Geist der Zeit geschuldet, in der die Station Hauptstraße ihren bis heute gültigen Namen erhielt: Mai 1933. Foto (15.8.2010): Jan Gympel |
|
„Rufgerät mit gesonderter Alarmanlage für Notfälle“: Im Februar 1980 wurden auf den Stationen der U 4 diese Vorläufer der heutigen Informations- und Notrufsäulen installiert, jedoch erst zwei Jahre später in Betrieb genommen. Foto (1993): Jan Gympel |
|
Der neue, 2003 eröffnete nördliche Zugang zum U-Bahnhof Viktoria-Luise-Platz in der Motzstraße. Obwohl nahe der verkehrsreichen Martin-Luther-Straße gelegen, entstand er erst aus Sicherheitserwägungen. Im Hintergrund der alte Südzugang auf dem Namensgeber der Station. Foto (15.8.2010): Jan Gympel |
|
Ursprünglich waren im Bereich der Bahnsteige die Köpfe aller Stützen so gestaltet wie hier auf der Station Viktoria-Luise-Platz zu sehen. Foto (15.8.2010): Jan Gympel |
|
Schöneberg benötigte das Geld der neuen
Bürger dringend, um seine Infrastruktur
weiter auszubauen: Innerhalb weniger Jahre
war aus der Klein- eine Großstadt geworden.
Hatte sie 1890 noch 28 721 Einwohner
gehabt, waren es 1910 schon 172 823. So
diente denn die Schöneberger U-Bahn auch
indirekt dem, was heutzutage „öffentliche
Sicherung der Daseinsvorsorge“ heißt, als
Teil einer Politik, die meinte, manche Aufgaben
könne die öffentliche Hand besser
als das private Unternehmertum erfüllen
und müsse sie deshalb auch übernehmen.
Dabei wurde die Stadt nicht etwa von den
Sozialdemokraten beherrscht, sondern von
Liberalen, angeführt von den Oberbürgermeistern
Rudolph Wilde – der einen Monat
vor der Eröffnung der U-Bahn überraschend
starb – und Alexander Dominicus.
Baukosten werden unterschritten
Nachdem Verhandlungen insbesondere mit
der privaten Hochbahngesellschaft, die die
seit 1902 in Berlin und Charlottenburg eröffneten
Strecken betrieb, zu keinem Erfolg
geführt hatten, baute Schöneberg seine
U-Bahn einfach selbst: Mit Siemens & Halske
quasi als Generalunternehmer und einem
provisorischen Endbahnhof am Nollendorfplatz.
Mit pompösen Portalen aus Muschelkalk
und an den Berliner und Charlottenburger
U-Bahnhöfen orientierter Architektur,
die in Details allerdings höheren Anspruch
zeigte, etwa in kostbarer wirkenden Fliesenverkleidungen.
Hinzu kam in Gestalt der
Station Rathaus Schöneberg – bis 1951 nach
dem zusammen mit der U-Bahn angelegten
Stadtpark benannt – eine Sehenswürdigkeit
und ein Kuriosum, verdankt sie ihre Lichtfülle
doch dem Umstand, gleichzeitig über
der Erde und im Tunnel zu liegen. All dies
entstand fristgerecht innerhalb von weniger
als 27 Monaten, und die veranschlagten Baukosten
wurden nicht nur eingehalten, sondern
sogar deutlich unterschritten.
Schönebergs Stadtväter hätten es sich
wohl nicht träumen lassen, von wie wenig
Erfolg ihr mutiger Schritt gekrönt werden
würde: Die von Anfang an geplante Weiterführung
in Berlins Mitte kam ebensowenig
zustande wie die Verlängerung in das – heute
weitgehend von Kleingärten eingenommene
– Schöneberger Südgelände, wo ein
weiteres „vornehmes“ Wohnviertel vorgesehen
war. Die Schöneberger U-Bahn, als
Mittelstück einer viel längeren Strecke gedacht,
blieb ein Fragment. Abgesehen vom
Bau der heutigen unterirdischen Bahnsteighallen
am Nollendorfplatz, der 1926 endlich
das Ende des Inselbetriebs brachte, wurde
sie nie erweitert, und wenn die U 55 an das
Netz angeschlossen wird, wird sie wieder
Berlins kürzeste U-Bahn-Linie sein.
Verlängerung nach Lichterfelde und Weißensee?
Dabei war noch um 1920 nicht nur die Verlängerung
in die alte City, wo wohl die meisten
Neu-Schöneberger arbeiteten, in den
Konzepten eines Groß-Berliner Schnellbahnnetzes
aufgetaucht. Da man Radiallinien als
ineffizient ansah, sollte die Strecke einerseits
bis nach Lichterfelde, andererseits über die
Linden zum Alexanderplatz führen und von
dort nach Weißensee. Doch am Ende jenes
Jahrzehnts spielte die Schöneberger U-Bahn
in den großen Plänen nur noch eine kleine
Rolle. Zum Verhängnis war ihr das Bestreben
geworden, möglichst bald ans Netz der Hochbahngesellschaft
angeschlossen zu werden,
weshalb man deren technische Parameter
übernommen hatte – also das heutige Kleinprofil
der Berliner U-Bahn. Im Wachstumsund
Weltstadtrausch der „Roaring Twenties“
galt der Bau solcher Strecken für Züge mit
erheblich geringerem Fassungsvermögen
als beim Großprofil jedoch als indiskutabel,
zumal auf Trassen durch die Innenstadt.
Im „Zehlendorfer Plan“, dem allerersten
Konzept für den Wiederaufbau Berlins nach
dem Zweiten Weltkrieg, sollte der Schöneberger
Tunnel gar einer Schnellstraßenbahn
überlassen werden. In den ab Mitte der fünfziger
Jahre entwickelten „200-Kilometer-
Plänen“ zum Ausbau des Berliner U-Bahn-
Netzes war dann keine Verlängerung dieser
Strecke mehr vorgesehen. Erst in den neunziger
Jahren gab es wieder Überlegungen,
ihr eine Station anzufügen: In der Genthiner
Straße, nördlich der bis zur Lützowstraße reichenden
Kehr- und Aufstellanlage, die um
1970 entstand, als die Schöneberger U-Bahn
mitten im Bahnhof Innsbrucker Platz „abgewürgt“
wurde, um den Tunnel der Stadtautobahn
zu bauen sowie ein Streckenstück für
die damals geplante U 10. Heute soll diese
von Weißensee kommende Linie statt nach
Steglitz Richtung Wittenbergplatz führen
und die Schöneberger U-Bahn könnte mit
ihr am Lützowufer zusammentreffen. Irgendwann
einmal.
Bereits seit 1951 bildet die Schöneberger
U-Bahn wieder eine eigene Linie, die 1966
die Nummer 4 erhielt. Für eine Wiederaufnahme
des durchgehenden Verkehrs von
und nach Kreuzberg – 1992 vom Abgeordnetenhaus
verlangt – fehlt am Nollendorfplatz
eine Weiche. Das Verkehrsaufkommen
auf der Strecke hielt sich wohl stets in Grenzen:
Die von Anfang an vorgesehenen zweiten
Ausgänge der Stationen Viktoria-Luise-
Platz und Innsbrucker Platz entstanden erst
in jüngster Zeit und allein aus Sicherheitserwägungen.
Erste „handytaugliche“ U-Bahn Europas
Das Schattendasein als wenig beachtete,
oft belächelte, von Zwei-Wagen-Zügen bediente
„Stummelstrecke“ bietet allerdings
auch Chancen: Da die U 4 relativ unbedeutend
ist, diente sie der BVG immer wieder
als Versuchsfeld. So wurden hier ab 1957
Experimente zur Einsparung der Zugabfertiger
unternommen. 1967 erhielt sie als erste
Berliner U-Bahn-Linie Zugfunk, 1980 die
Vorläufer der heutigen Informations- und
Notrufsäulen, bald darauf erprobte man
Komponenten für die „Zugfahrerselbstabfertigung“.
1981 bis 1995 fungierte die U 4
als Referenzstrecke für das automatische
Betriebssystem SELTRAC, für welches hier
der Funktions- und Sicherheitsnachweis
erbracht wurde, 1995 wurde sie als erste
U-Bahn-Linie in Europa „handytauglich“.
Und 1999 stellte die BVG hier etwas vor, woran
sich die Berliner in den nächsten Jahren
(wieder) gewöhnen sollen: Wagen mit Hartschalensitzen.
Schneidige Kostenoptimierer haben die
U 4 auch wiederholt als Stilllegungskandidaten
ausgemacht. Da beruhigt der Brief,
den Wilfried Kramer im August 2009 an den
Bezirksbürgermeister von Tempelhof-Schöneberg
Ekkehard Band schrieb: Der Marketingchef
der BVG versicherte, diese habe
nicht vor, die U 4 auf eigene Faust stillzulegen,
sondern werde sie betreiben, solange
der Berliner Senat dies bestelle.
In Kürze erscheint:
Jan Gympel:
100 Jahre Schöneberger U-Bahn,
Verlag Matthias Herrndorff,
Berlin, ca. 200 Seiten,
ca. 19,90 Euro,
ISBN 978-3-940386-01-4.
Erhältlich u. a. im Fahrgastzentrum
im Bahnhof Berlin-Lichtenberg
und unter www.bahnbuchshop.de
Jan Gympel
|