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Wer dem Wohlstandsfetisch Automobil huldigen und sich über neueste
Trends informieren will, dem steht eine reiche Auswahl von Ausstellungen,
Messen und anderen Informationsmöglichkeiten zur Verfügung, die
im allgemeinen volksfestartige Ausmaße annehmen. im Bereich des öffentlichen
Verkehrs und speziell seiner schienengebundenen Variante ist
das Angebot schon etwas spärlicher und wäre kaum der Rede wert, wenn
nicht die Verkehrsbetriebe selbst dankenswerter Weise hin und wieder ihre
Türen öffnen würden.
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GTW 2/6 von Stadler (Schweiz) in Zusammenarbeit mit DWA und ABB - Low-cost-Fahrzeug unter 2,5 Millionen DM ? Foto: I.Köhler |
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1993 und nun im September 1995 war in Leipzig eine Fachmesse „Waggon 93" bzw.
„Waggon 95" zu besichtigen. Über die Eintrittspreise und die
Art der Bekanntmachung wird im wesentlichen schon sichergestellt, daß
sich kein normaler Bahnkunde hierher verirrt.
Den hartgesottenen „Fans", die sich aus unstillbarer Neugier trotzdem in das Reich der
Krawatten und Maßanzüge wagen, wird -
nicht ohne Erfolg - das Gefühl vermittelt, hier
irgendwie fehl am Platze zu sein.
Dabei sind es die dort vorgestellten innovativen Konzepte für neue Fahrzeuge und
Verkehrskonzepte durchaus wert, einem breiteren Publikumskreis nahegebracht und
diskutiert zu werden. Wenn den Herstellern und
Betreibern öffentlicher Verkehrsmittel tatsächlich daran gelegen ist, ihre Marktchancen
und ihre Akzeptanz zu verbessern, sollten sie
sich zu mehr Öffentlichkeit bekennen und
gerade neue Konzepte offensiver unters Volk
bringen. Leider ist an manchen Stellen eine
gegenläufige Entwicklung zu beobachten und
öffentliche Auftritte werden zuweilen dazu
benutzt, um dem interessierten Verkehrs-Kunden klarzumachen, daß er eh keine Ahnung
hat und wie schwer wir es doch alle haben,
nicht wahr? „Sein’se froh, daß überhaupt was
fährt! Und was wolln’se denn nun eigentlich'!" Kaum ein Autohersteller würde
angesichts des harten Wettbewerbs auf solche Ideen kommen.
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Regiosprinter von DUEWAG - negativ: fährt nicht in Berlin und Brandenburg... Foto: I. Köhler |
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Regiosprinter von DUEWAG - positive: preiswert durch Tram- und Omnibus-Komponenten. Foto: I. Köhler |
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Aber zurück nach Leipzig: Neben der traditionell vorherrschenden und auch weiter
nötigen Entwicklung von Hochtechnologie waren
erstmals greifbare Ergebnisse von Bemühungen um Kostensenkung im
Schienenfahrzeugbau sichtbar. Zwei Wege werden angeboten:
Modernisierung älterer Technik und „Low-Cost" -Fahrzeuge. Es wurde erkannt, daß
unter Verwendung bewährter Komponenten aus
anderen Bereichen (Straßenverkehr, Straßenbahnkomponenten in Eisenbahnfahrzeugen)
herzustellende „Low-Cost“-Fahrzeuge durchaus ihren Markt finden können und eine
notwendige Voraussetzung sind, um dem Schienenverkehr im Zuge der Regionalisierung
überhaupt noch eine Chance zu geben.
Als eine der beachtenswerten Neuentwicklungen wäre das „Low-Cost“ -Fahrzeug für
den Regionalverkehr von ABB, DWA, Stadler und SLM zu nennen. Der GTW 2/6 setzt
sich zusammen aus einem (begehbaren) Mittelwagen, der den Maschinenteil aufnimmt
und aufgesattelten Endteilen mit geräumigen
Fahrgasträumen, die über niedertfurige Einstiege zu erreichen sind. Die Wagenenden
sind über den patentierten Laufdrehgestellen
hochflurig, so daß sich ein Nf-Anteil von 70
Prozent ergibt. Der Maschinenwagen des hier
vorgestellten Fahrzeuges war mit einem Dieselmotor von Daimler-Benz ausgestattet. Der
Vorteil dieses Konzeptes ist, daß der Antrieb
beliebig ausgewählt werden kann (Elektro,
Diesel usw.), der Fahrgastteil aber immer der
gleiche bleibt. Es wird auch an einer Variante
für Elektro-/Dieselbetrieb gearbeitet. Die ansprechende Innenausstattung weist ebenfalls
auf Bemühungen zur Kostensenkung hin. Leider für Vandalismus anfällig Elemente wie
Armlehnen wurden aus entsprechend geformtem Holz hergestellt, was durchaus keine
Komforteinbuße darstellt. Im Gegensatz zu
anderen Neuentwicklungen auf diesem Gebiet weist der Wagen auch den im
Eisenbahnbetrieb geforderten Pufferdruck an den Wagenenden auf. Bestellungen aus Österreich und
der Schweiz liegen vor. An dem Ausschreibungen der Deutschen Bahn AG haben sich
die deutschen Partner dieses Projektes beteiligt, ohne daß sich über konkrete Ergebnisse
schon etwas sagen läßt.
Ebenfalls vertreten war der Regio-Sprinter der DUEW AG, der im Prinzip die
Umkehrung des GTW 2/6 darstellt. Das niederflurige
Zwischenwägelchen nimmt ein Laufgestell
auf, während in den Endteilen die Maschinenanlage untergebracht ist. Die beiden
Einstiege sind auch hier niederflurig, der Nf-Anteil
beträgt ebenfalls 70 Prozent. Es ist genügend
Raum vorhanden für Kinderwagen, Rollstühle, auch an Fahrradhalterungen wurde
gedacht. Die ersten Einheiten sind mittlerweile
bei der Dürener Kreisbahn im Einsatz.
Der Doppelstock·Schienenbus des ehemaligen DWA-Werkes Dessau durfte nicht
fehlen. Bestellungen liegen vor für die Strecke Weimar - Kranichfeld und aus
Rheinland-Pfalz. Was aus diesem interessanten Projekt
wird, muß angesichts der unsicheren Zukunft
des Dessauer Werkes allerdings abgewartet
werden. Möglicherweise findet eine Fertigung in Ammendorf statt. Kritisiert wurde in
der Vergangenheit der ziemlich leichte Aufbau des Wagens hinsichtlich der
Aufprallsicherheit und damit des Schutzes der Insassen vor leider evtl. vorkommenden Unfällen.
Man kommt aber nicht umhin. ein angemessenes Verhältnis zwischen der möglichen
Sicherheit vor etwaigen Unglücksfällen und dem
Aufwand zur Beschaffung eines solchen Fahrzeuges zu hinterfragen. Ausschlaggebend ist
dabei vor allem der Konkurrenzdruck anderer
Anbieter. Fragt bei einem Linienbus jemand
nach Pufferdruck? Die potentielle Gefährdung ist annähemd gleich.
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Doppelstock-Steuerwagen - positiv: Niederflureinsteige auch mit Rollstuhlrampe Foto: I. Köhler |
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Doppelstock-Steuerwagen - negative: Abteil-Glastüren ohne Kantenschutz Foto: I. Köhler |
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Die DWA Görlitz hat ihren Doppelstocksteuerwagen weiterentwickelt. Er wurde
vorgestellt als erste Komponente eines demnächst
zu erwartenden Doppelstocktriebzuges für den
Vorortverkehr. Die jetzt zu bauenden Steuerwagen werden unter anderem auf der
Höllentalbahn eingesetzt. Bemerkenswert ist, daß
der 1993 im Signal geäußerte Hinweis auf die
generelle Beibehaltung des Niederflureinstiegs
der Reichsbahnvariante offenbar ernst genommen wurde und die Fahrzeuge jetzt
generell in dieser Version projektiert werden. Dies
war verbunden mit einer völligen Umgestaltung der Treppen und des Eingangsbereiches,
so daß der Vorteil der Bundesbahn-Version,
nämlich die bessere Ausnutzung des Oberdecks, trotzdem gegeben bleibt. An eine
Rollstuhlrampe wurde gedacht, wobei der Hersteller über die sehr differenzierten und sich
teilweise widersprechenden Forderungen regionaler lnteressenvertretungen der
Behinderten klagt, so daß es kaum einem recht zu
machen ist. Hier ist mehr Koordination dringend erforderlich. Bei aller persönlichen
Tragik für die Betroffenen, die in Geld nicht
aufzuwiegen ist: es geht um enorme Aufwendungen für diesen Teil der Bevölkerung, der
selbstverständlich weitestgehend in den Alltag integriert werden soll. Wie bei allem, muß
aber auch hier ein vemünftiges Maß gefunden
werden, so daß zumindest abgestimmte Forderungen vorliegen sollten. Ein Detail des
Görlitzer Doppeldeckers sollte vielleicht geprüft werden: die Abteiltüren im Wageninnem
sind zum Zwecke des Öffnens mit einem
Ausschnitt in der die Tür darstellenden Glasscheibe versehen. Die Möglichkeit, daß die
Kanten der Glastür beschädigt werden, besteht immer. Der sich daraus ergebenden
Verletzungsgefahr sollte mit einem geeigneten
Kantenschutz begegnet werden.
Es ist beileibe keine DDR-Erfindung: Umbau von älteren Fahrzeugen.
Weiterverwendung hochwertiger Baugruppen wie Rahmenteile und Fahrwerk, im Osten als
„Rekonstruktion“ bekannt geworden. In den zwanziger Jahren gab es so etwas schon und auch
westdeutsche Verkehrsbetriebe und Bundesbahn hatten ihre „Aufbau"- und „Umbau“- Wagen.
Was heute als Ausdruck einer gewissen Notsituation verstanden wird, kann als
durchaus sinnvoller Umgang mit Rohstoffen
und vorgegenständlichter Arbeit angesehen
werden und sollte auch in heutigen Tagen
fortgesetzt werden. Die PFA Weiden versucht, den Eisenbahnen eine Entscheidung in
diese Richtung leicht zu machen: mit dem
„Puma“-Wagen. Einer der in den siebziger
und achtziger Jahren vom RAW Halberstadt
hergestellten 26,4-Meter-Nahverkehrswagen
wurde zerlegt bis auf Drehgestelle und Bodenrahmen. Auf den gut erhaltenen Rahmen
wurde ein neuer Aufbau aus vollständiggeschraubten Aluminium-Profilen aufgebaut. Die
Inneneinrichtung wurde selbstverständlich neu
gestaltet, der Einstieg erfolgt jetzt durch
Schwenkschiebetüren. Wer diese klassischen
Eisenbahntüren kennt, wird das als Wohltat
empfinden. Ein Vorteil dieses Konzeptes besteht auch darin, daß Änderungen des
Aufbaues hinsichtlich veränderter Kundenwünsche aufgrund des leicht zerlegbaren
Aufbaues mit geringem Aufwand möglich sind. Vielleicht sollten die Designer aber einen Weg
finden, die Gestaltung des Wagens so hinzubekommen, daß das optische Verhältnis
zwischen dem Aufbau und den übergroß wirkenden Drehgestellen etwas günstiger ausfällt.
Im Augenblick besteht hier eine Disproportion. Um es in Abwandlung eines alten Spruchs
zu sagen: Das Auge fährt mit!
Im Straßenbahnsektor waren mit originalen
Exponaten GEC Alstholm/LHB mit dem
Darmstädter Niederflurbeiwagen und CKD
mit dem schon länger in Erprobung befindlichen Niederflurwagen RT6-N vertreten. Der
Darmstädter Beiwagen hat sich nach Anlaufschwierigkeiten im Betrieb bewährt. Dadurch,
daß er an alle dortigen Fahrzeugtypen angehangen werden kann, konnte innerhalb
kurzer Zeit zwar nur ein teilweises Niederflurangebot installiert werden, das aber im ganzen
Netz! Die Akzeptanz in Darmstadt ist beachtlich. Es gibt mittlerweile berechtigte
Hoffnungen, diese Fahrzeugbauart auf weiteren Gleisnetzen zu sehen. Leipzig, Düsseldorf und
Rostock haben bereits Interesse angemeldet.
Hier würde eine Zugbildung mit bereits vorhandenen bzw. im Bau befindlichen
70% Niederflurwagen vorgenommen werden. Man
fährt wieder Straßenbahn!
Beim tschechischen Niederflurwagen handelt es sich um eine hoffnungsvolle
Entwicklung, da hier vor allem hinsichtlich des Einkaufspreises eine Alternative zu anderen
„Markenprodukten" bestehen könnte. Allerdings
ist der Anblick in natura vor allem hinsichtlich des Innenraumes eine Enttäuschung. Daß
ein Prototyp nicht die handwerkliche Vollendung eines am Fließband gefertigten
Serienwagens aufweist, mag noch einleuchten. Ob
man sich in Prag allerdings tatsächlich Chancen auf dem deutschen Markt ausrechnet,
wenn abgewetzte Plastesitze zu sehen sind,
die Türöffner lieblos in irgendeiner gerade
passenden Ecke versteckt werden und der
offenbar für Massentransport konzipierte Nf-Teil gerade einmal 20 Sitzplätze aufweist,
bleibt wohl das Geheimnis des Prager Herstellers. Interessant sein könnte
möglicherweise eine Option auf Herstellung des mechanischen Teils in Prag und Endausbau in
Deutschland. So könnte man preiswerte Anschaffung mit hiesigen Komfortansprüchen
verknüpfen.
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PUMA - Umbaukonzept mit Alu-Aufbau und Verwendung von Altkomponenten. Foto: I. Köhler |
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NF-Beiwagen aus Darmstadt - noch nicht kostengünstig, weil Kleinserie! Foto: I. Köhler |
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Verbesserungsbedürftig hinsichtlich der
Wagenkastenkonstruktion ist auf jeden Fall
noch der Übergang zwischen dem Niederflurbereich und der „Aussichtsplattform“ über
den Drehgestellen. Laut Prospekt ist der Wagen lieferbar in Breiten von 2,20 m, 2,30 m
und 2,44 m. Mit 4 x 102,5 kW ist der Wagen
ausreichend motorisiert, die Steuerung mittels GTO-Thyristoren und die
Anfahrbeschleunigung von 1,2 m/s² entsprechen den
üblichen Normen, Die Luftfederung ermöglicht laut Werksangaben die ständige
Einhaltung einer gleichbleibenden Einstiegshöhe
(350 mm) unabhängig von der Belastung des
Wagens und von der Radreifenabnutzung.
Man sollte diesen Wagen auf jeden Fall weiter im Auge behalten.
Als Modell waren die Vario-Bahn für die
Oberrheinische Eisenbahn (Mannheim—Heidelberg) sowie deren Unterart für Dresden zu
sehen.
Abgesehen von den eingangs erwähnten
prinzipiellen Überlegungen zu Ausstellungen
solcher Art bliebe als Resümee noch festzuhalten: Es kann nicht befriedigen, wenn dem
in einem nie gekannten Umbruch befindlichen Schienen- und Nahverkehrsmarkt nur
ewige Prototypen, Kleinserien und Nischenprodukte zur Verfügung stehen. Vor allem
versuchen wenige regionale Hersteller einer
Entwicklung hinterherzulaufen, die in einem
anderen Sektor, nämlich der Autoherstellung,
mit mehr Erfolg, mehr Popularität und mehr
lnternationalisierung offenbar nicht aufzuhalten ist, aller ökologischen und irgendwann
auch ökonomischen Folgen zum Trotz, Gerade beginnen die einschlägigen Konzerne in
Asien einen riesigen Markt auszumachen,
nachdem Europa in der Blechlawine und in
Abgasen zu ersticken droht. Wo bleiben die
preiswerten Angebote für robuste Großserien
(Leichttriebwagen, Straßenbahnen, Obusse,
Omnibusse), mit denen man die noch funktionierenden Nahverkehre nicht nur in
Deutschland, sondern auch in den östlichen Staaten
erhalten, ausbauen und modernisieren kann?
Abgesehen von den Milliardenprojekten, mit
denen einige „Systemanbieter" in wenigen
Städten unter Einkassieren riesiger Summen
von Fördergeldern in ansonsten armen Ländern hochgezüchtete Technik installieren,
passiert da nicht viel. Wenn ein Konzentrationsprozeß stattfindet, wie jüngst für die
Schienenfahrzeugbereiche von ABB und AEG
angekündigt, dann mit der (eine Dreistigkeit
darstellenden) Behauptung, einem „Preisverfall" entgegen wirken zu wollen. Zu
Erinnerung: moderne Niederflurwagen, die in beachtenswerter Vielfalt für einige
Straßenbahnen hergestellt werden und sich zuweilen
durch eine bemerkenswerte Häufung technischer Pannen auszeichnen, kosten ab Werk
zwischen 3 und 4 Mio. DM. Die jüngst ins
Feld geführten „kaufmännischen Randbedingungen" usw. ändern nichts an der Tatsache,
daß solche Fahrzeuge erst einmal beschafft
und bezahlt werden müssen. Es geht offenbar
weiter darum, die Kommunen und letztlich
den Steuerzahler maximal auszunehmen, wozu
natürlich in zunehmend nachlassendem Maße
die Bereitschaft fehlen wird, Was damit langfristig aus den in den europäischen
Wettbewerb entlassenen Verkehrsbetrieben wird,
kann man sich leicht ausrechnen. IGEB
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