Die vorgestellten Überlegungen können
Denkanstöße für die notwendige Diskussion über ein Verkehrskonzept für
den Großraum Berlin sein. Unverzichtbare Vorausselzung für dessen Konkretisierung
bleibt allerdings die Frage
nach den Zielen und Perspektiven der
zukünftigen Stadtentwicklung Berlins.
Nur in diesem Zusammengang kann
man zu einer Einordnung und Bewertung der Lösungsvorschläge für den
Verkehrssektor gelangen. Bis dato liegen derartige stadtplanerische Konzepte - außer nebulösen
Visionen über
eine neue/alte Hauptstadt - aber nicht
vor.
Die Bedeutung des Verkehrs für die
zukünftige Stadtentwicklung gebietet
andererseits eine Berücksichtigung
möglicher Fernbahnplanungen bei größeren Planungsentscheidungen. Dabei
muß man sicherlich über dıe Stadtverträglichkeit einer neuen Eisenbahnstrecke
und eines Berliner “Zentralbahnhofes" noch diskutieren, doch es
wäre unverantwortlich, jetzt Entscheidungen für den “Zentralen Bereich”
zwischen Lehrter Bahnhof und Gleisdreieck zu treffen, zum Beispiel über
die Planungen eines Verwaltungszentrums des Daimler-Benz-Konzerns am
Potsdamer Platz, wenn damit ein Nord-Süd-Fernbahntunnel für alle Zeiten
verbaut würde. Angesichts des enormen
Ideen- und Investitionsdrucks ist die
Grundsatz-Entscheidung für oder gegen den Nord-Süd-Tunnel und eine
damit verbundene Trassenfreihaltung die nicht mit einem schnellen Baubeginn
gleichzusetzen ist - also schon jetzt
zutreffen.
Michael Cramer (AL)
(im Tagesspiegel vom 1. März 1990)
Michael Cramers Überlegungen für ein
Verkehrskonzept sind von den im folgenden dargestellten möglichen Entwicklungen in
bezug auf den Fernverkehr am konkretesten dargestellt. Ausgehend von dem Ziel der
Minimierung
des Flug- und Autoverkehrs und dem
gleichzeıtigen erheblichen Zuwachs des
Verkehrs von und nach Berlin um rund
200% geht er von bis zu 40 Millionen
Bahnreisenden pro Jahr (heute ca. 3
Millionen) aus.
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Die Planungen für eine Nord-Süd-Durchmesserlinie durch Berlin haben eine Tradition. Bereits 1910 entwarfen die Architekten Brix und Grenzmer im Rahmen des Wettbewerbs für Groß-Berlin eine Eisenbahnstrecke zur Verbindung von Anhalter und Lehrter Bahnhof. Ihre Arbeit trug den noch heute aktuellen Titel Denk an künftig. Später wurde die Idee u.a. von Mächler (1917) und im Kollektivplan (Scharoun u.a. 1946) aufgegriffen. Abb. aus Berlin und seine Bauten, Teil X, Bauten für den Fernverkehr. S. 79. |
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Um den zu erwartenden Zuwachs im
Berlin-Verkehr zu bewältigen, sollen
die vorhandenen 13 “Hauptabfuhrstrecken” langfristig für eine Geschwindigkeit
von 200 km/h ausgebaut werden.
Bei ca. 290 InterCity-, EuroCity- und
InterRegio-Zügen pro Tag muß der
Verkehr auf unterschiedlichen Strecken
und Bahnhöfen innerhalb des Stadtgebietes verteilt werden.
Nach den Vorstellungen von Herrn
Cramer sollte neben der Stadtbahn für
den Ost-West-Verkehr eine zusätzliche
Durchmesserlinie durch die Stadt irı
Form eines Nord-Süd-Fernbahntunnels
geschaffen werden, die den Nord-Süd-Verkehr aufnimmt. Am Lehrter Stadtbf. könnte - in
Tieflage - ein zentraler
Bahnhof mit Umsteigemöglichkeit zur
Stadtbahn entstehen. Auch im übrigen
Fernbahnnetz sollten - soweit möglich
bzw. nötig - neue Fernbahnhöfe konzipiert werden, z.B. am Bf. Ostkreuz.
Das Berliner Netz soll zu einem leistungsfähigen und attraktiven Knoten
im europäischen Bahnnetz ausgebaut
werden, das in der Lage ist, Aufgaben
des Flugverkehrs zu übernehmen.
Rainer B. Giesel (CDU)
im Tagesspiegel vom 25. Februar 1990
Berlin hat sich im 19. Jahrhundert entlang der Fernbahntrassen entwickelt.
Auch zukünftig sollte hier der Schwerpunkt der Siedlungsentwicklung liegen.
Notwendig ist dazu die Entwicklung
bzw. Wiederherstellung leistungsfähiger
S-, Regional- und Fernbahnverkehre.
Bei der Fernbahnplanung ist die Bündelung der Verkehre aus dem Süden
besonders wichtig. lm Bereich des
Bahnhofes Schöneberg könnte ein
Fernbahnhof entstehen, der über eine
unterirdische Strecke mit einem weiteren Fernbahnhof südlich des Lehrter
Stadtbahnhofes verbunden ist. Giesel
verweist auf die lange Tradition einer
derartigen Planung ın Berlin (z.B. M.
Mächler, 1917). Er wendet sich im Zusammenhang mit dieser Planung gegen
die Anlage der Bundesgartenschau in
der geplanten Form, die die Trassierung der Nord-Süd-Fernbahnstrecke
verhindern würde. Da Herr Giesel den
Weiterbau der Stadtautobahn, d.h. unter anderem der Westtangente fordert,
steht die Planung für einen Nord-Süd-Fernbahntunnel auch im Zusammenhang mit
dem von der CDU favorisierten Autobahnbau durch den Tiergarten.
Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung und Umweltschutz
vom Januar 1990
Um das Angebot der Bahn gegenüber
dem Flugzeug und dem Auto konkurrenzfähig und das Bahnnetz bei einem
steigenden Verkehr langfristig leistungsfähiger zu machen, sınd drıngend
Verbesserungen erforderlich, die stufenweise erfolgen könnten:
- Zunächst werden Züge des Regionalverkehrs auf gegenwärtig bestehenden
Fernbahntrassen von und nach Berlin
(West) hineingeführt.
- DDR-Binnenverkehr und Regionalverkehr werden, soweit sinnvoll, durch
Berlin (West) geführt, die Kremmener
Bahn wird für den Regionalverkehr aktiviert.
- Ringbahn, Nordbahn, Anhalter und
Dresdener Bahn werden in den Regional- und Binnenverkehr integriert. Am
S-Bahnhof Westkreuz entsteht ein neuer Fernbahnhof.
- Das Berliner Bahnnetz wird durch
einen Nord-Süd-Fernbahntunrıel in einen Fernbahnhof am Lehrter Stadtbahnhof geführt, der
den Binnenverkehr aus dem Norden und Süden aufzunehmen hätte. Der internationale Verkehr
sollte über die Stadtbahn geführt
werden. Die Ringbahn dient dern Regionalverkehr.
Im Rahmen des schrittweisen Ausbaues
des Fernbahnnetzes ist die Anlage zusätzlicher Fernbahnhöfe zu berücksichtigen.
Alle Entwicklungen und Planungen sind im Hinblick auf den erwarteten Bedarf und die
städtebaulichen und
stadtstrukturellen Auswirkungen zu
überprüfen.
Wie eine Pressekonferenz der Stadtentwicklungssenatorin Michaele Schreyer
am 9. März zur zukünftigen Gestaltung
des Zentralen Bereiches zeigte, entspricht das-vorstehende Konzept offenbar
aber nicht der Meinung der politischen Spitze des Hauses. So äußerte
Frau Schreyer, der neue Fernbahnhof
“sollte sinnvollerweise" nicht am Lehrter Bahnhof, sondern am Westkreuz
entstehen (tageszeitung vom 10.3.1990).
Jürgen Starnick (F.D.P.)
im Tagesspiegel vom 17. Dez. 1989
Im Rahmen eines Ausblickes auf die
mögliche zukünftige Entwicklung Berlins unter den veränderten politısichen
Verhältnisse fordert der ehemalige
Stadtentwicklungssenator auch den
Ausbau des Fernbahnnetzes. Neben der
Beibehaltung der Stadtbahn als Ost-West-Achse des Reiseverkehrs sollte
zusätzlich eine direkte Führung von
Zügen aus dem Norden und dem Süden
in die Innenstadt Berlins mit Hilfe eines
zu bauenden Bahnhofs erfolgen. Herr
Starnick verweist - wie Herr Giesel -
auf die lange Tradition der Idee eines
Fernbahntunnels durch Berlin.
IGEB
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