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Der Jubel im Bezirk Steglitz war groß,
als die Wahlsieger SPD und AL im
Frühjahr 1989 vereinbarten, bis 1993
die S-Bahn-Strecke zwischen Priesterweg und Lichterfelde Süd wieder in Betrieb
zu nehmen. Noch 1990 wollte man
mit den Bauarbeiten beginnen. Die
Rückkehr des Schienenverkehrs in den
mit öffentlichen Verkehrsmitteln eher
spartanisch ausgestatteten Bereich
Lankwitz/Lichterfelde schien in greifbare Nähe gerückt. Doch schon vor
dem 9. November 1989 zogen die ersten
dunklen Wolken auf. Der Wiederinbetriebnahmetermin rutschte aus unerfındlichen
Gründen immer weiter nach
hinten, und Anfang 1990 schließlich
wollte man gar keinen mehr nennen
und dafür den Nordring vorziehen.
Böse Erinnerungen an den Vorgängersenat wurden wach, sollte man diese
Regierung etwa genauso wenig beim
Wort nehmen können?
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Stillgelegte Anhalter Bahn (S6) und S-Bahn-Zug nach Lichtenrade (S2). Die Sanierung dieser Brückenbauwerke wird vom Senat als erste Baumaßnahme zur Wiederinbetriebnahme der S6 ausgegeben ... Foto: T. Staeck |
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Die Krone wurde dem ganzen dann
kürzlich von Bausenator Wolfgang Nagel aufgesetzt, der anläßlich eines Besuches in
Steglitz stolz verkündete, man
werde bis 1993 tatsächlich die Anhalter
S-Bahn wieder in Betrieb nehmen, doch
nur Provisorisch, eingleisig, auch nur
bis Lichterfelde Süd und nicht bis Teltow, wo doch jetzt die Wiederanbindung
des Umlandes an Wichtigkeit gewonnen hat. Aus der Bezeichnung
“provisorisch" läßt sich mit wenig
Phantasie aber auch vermuten, daß es
sich wohl nur um einen besseren (?)
Pendelverkehr im 20-Mirıuten-Takt
handelrı dürfte. Deshalb drängen sich
zwei Fragen auf: Warum soll dieser
provisorische Betrieb erst 1993 und
nicht schon 1991 beginnen? Oder wird
das Provisorium wieder einmal so aufwendig, daß nach seiner Verwirklichung
die volle Wiederinbetriebnahme
in weite Ferne rückt? Um eines klarzustellen: Wir haben nichts gegen Stufenpläne
einzuwenden. Im Gegenteil, es
wäre begrüßenswert, den Bürgern
schon vor dem endügltigen Termin eine
Teillösung zur Verfügung zu stellen. Es
darf aber nicht sein, daß dabei der gesamte Terminplan in Frage gestellt
wird!
Offensichtlich wird, obwohl sich schon
1986 20.000 Steglitzer mit einem Bürgerbegehren für diese Strecke engagiert
haben, die Bedeutung der Anhalter
Bahn noch immer unterschätzt. Die alte
Ausrede, sie führe “am Bedarf vorbei"
(gemeint ist die City um den Zoo),
kann man nun noch weniger gelten lassen als zuvor. Neben der direkten Anbindung
des alten Zentrums in Berlin-Mitte und des Berliner Nordens wird
durch die Verknüpfung mit Stadt- und
Ringbahn ein beachtlicher Bereich der
Stadt angebunden. Außerdem darf man
nicht vergessen, daß es über Teltow
hinaus bereits erhebliche Vorleistungen
(Bahndämme etc.) bis nach Stahnsdorf
einerseits und in Richtung Ludwigsfelde bis nach Großbeeren andererseits
gibt. In absehbarer Zeit könnten somit
große Siedlings- und Industriegebiete
erschlossen werden. Umso unverständlicher ist es, daß der Senat weiterhin
das Umland ignoriert und an der Stadtgrenze halt machen will. Dabei wird die
Anbindung des Umlandes aus Bundesmitteln finanziert. Was hindert den Senat
also daran, sowohl die Reaktivierung der stillgelegten S-Bahn-Strecken
im vereinbarten Zeitrahmen als auch
den Anschluß des Umlandes voranzutreiben?
Wo das Geld derzeit hinfließt, war
schon in SIGNAL 3/90 nachzulesen: in
die U-Bahn und zur Verschönerung des
derzeit betriebenen S-Bahn-Teilnetzes.
Für die Anhalter S-Bahn sieht es dagegen schlecht aus. Man denke nur daran,
daß die Kosten für deren Reaktivierung
- 1984 noch mit 25 Mio DM beziffert -
inzwischen mit sage und schreibe 280
Mio DM (!) veranschlagt werden. Wo
bitte soll das alles verbaut werden?
Bei den in diesem Jahr als Ausgaben
für die S6 genannten 6 Mio DM muß
sich der Senat fragen lassen, was davon
eigentlich für die Anhalter S-Bahn gedacht ist. Sind etwa die paar Meter
Gleis am Bahnhof Priesterweg gemeint,
über die jetzt die S2 fährt, damit deren
Brückenbauwerke saniert werden können? Eine Maßnahme, die eindeutig
der Sanierung eines schon betriebenen
Teilstückes dient, nun als eine zur
Reaktivierung einer brachliegenden
Strecke auszugeben, kann man wohl
nur als Etikettenschwindel bezeichnen.
Gegen die fortwährende schikanöse
Behandlung der Anhalter S-Bahn legen
wir scharfen Protest ein und fordern:
- Einen Senatsbeschluß zur Wiederinbetriebnahme der S6 entsprechend der
Koalitionsvereinbarung bis 1993, allerdings gleich bis Teltow und mit einem
Angebot, daß sie von der Bevölkerung
auch akzeptiert wird. Ein Provisorium
wäre nur akzeptabel, wenn es zu einer
früheren Betriebsaufnahme führt.
- Eine drastische Senkung der Kilometerkosten und Bauzeiten auf das im
Bundesgebiet übliche Niveau. Auch
sollten die vom Vorgängersenat kritiklos übernommenen - obwohl fragwürdigen -
Verschiebungen fast aller Bahnhöfe der S6 überprüft werden. Dies gilt
auch für die Verschiebung von Lichterfelde Süd, da der Bahnhof nach Wegfall
der Grenzen nun auch den Teltower
Stadtteil Seehof erschließt. Und bevor
nicht klar ist, ob und wie die U9 nach
Lankwitz verlängert wird, sollte auf den
viergleisigen Ausbau von Lankwitz und
vom angrenzenden Abschnitt bis Südende verzichtet werden. Der noch bstehende
Bahnhof Lankwitz kann
durchaus wieder benutzt werden.
- Überprüfun der U-Bahn-Verlängerungen U8/U9, denen nach wie vor ein
ihrem Nutzen nicht entsprechendes
Gewicht zugestanden wird. Vielleicht
öffnet man sich irgendwann einmal
auch beim Senat für kostengünstigere
Stadtbahnsysteme, die die Lücke zwischen Bus und U-Bahn schließen könnten.
Es bleibt zu hoffen, daß sich SPD und
AL noch an ihre Mitwirkung beim Bürgerbegehren, an ihre großen Worte vor
der Wahl und an die Koalitionsvereinbarung erinnern und die Steglitzer Bürger
nicht für dumm verkauken wollen.
Im Laufe der nächsten drei Jahre wird
sich herausstellen, ob man uns mal wieder nur leere Worthülsen geboten oder
wirklich eine neue Verkehrspolitik begonnen hat.
S-Bahn Initiative Lankwitz/Lichterfelde
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