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Im März 1990 wurde die Arbeitsgruppe 12 "Verkehr"
im Provisorischen
Regionalausschuß beauftragt, eine Verkehrsentwicklungsplanung
für die Regen Berlin zu erarbeiten.
Nachfolgend berichten wir über
den im Oktober 1990 vorgelegten 1. Zwischenbericht.
1. Einleitung
Die Planung erfolgt in drei Stufen und beginnt
mit den kurzfristigen Maßnahmen, die
teilweise schon realisiert sind (Durchbindung der Stadtbahn)
oder konzipiert werden (S-Bahn Wannsee - Potsdam Stadt). In
einer zweiten Stufe sollen Verkehrsszenarien
und verkehrliche Leitvorstellungen entwickelt
werden und entsprechende alternative Netzkonzeptionen
erstellt werden. Die
dritte Stufe beinhaltet die Detailplanung für
die Verkehrswege. Der 1. Zwischenbericht
erläutert die alternativen Planungen entsprechend
der zweiten Stufe und versteht
sich als Auftakt für die Diskussion und die
zukünftigen Verkehrslösungen.
2. Nahverkehr
In Berlin gab es die für die westdeutschen
Städte typischen Verkehrsverflechtungen
bisher nicht oder nur bedingt. In West-Berlin
konnte insbesondere die “Kern-Rand-Wanderung"
von Bevölkerung und Industrie nicht über die Stadtgrenzen
hinausgehen, aber auch die Pendlerbeziehungen zwischen
Ost-Berlin und dem Umland hatten
sich in vergleichsweise geringem Umfang
entwickelt. Auf der Basis des vom Deutschen Institut
für Wirtschaftsforschung erstellten Trend-Szenarios
“Zersiedelung” für
das Jahr 2010 wird die neue Verkehrsentwicklung
für Berlin und die angrenzenden
Land- und Stadtkreise wie folgt prognostiziert:
Einwohner | heute: | 2010: |
Westberlin | 2,1 Mio. | ↓ |
Ostberlin | 1,3 Mio. | 4,9 Mio. (+15%) |
Umland | 0,9 Mio. | ↑ |
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Pkw-Bestand | 1,5 Mio. | 2,4 Mio. |
Fahrleistung (Entwicklung bis 2010) | ÖPNV: | Pkw: |
Westberlin | +11% | +54% |
Ostberlin | -21% | +150% |
Umland | -6% | +165% |
Die prognostizierte Bevölkerugszunahme
basiert auf der Annahme einer hohen Attraktivität
der Region Berlin als Wirtschafts- und Wohnstandort.
Eine Erhöhung
des Pkw-Bestandes ergibt sich aus der Annahme,
daß die Zahl der Pkw pro 1.000 Einwohner im Gebiet
der ehemaligen DDR auf
den West-Standard steigt. Falls die Entwicklung
tatsächlich in diese Richtung geht,
bedeute dies eine generelle Überlastung der
Straßeninfrastruktur, insbesondere in der
Berliner Innenstadt. Die Attraktivität als
Wirtschaftsstandort wäre demzufolge in
Frage gestellt, die Gefahr der Zersiedelung
gestiegen.
Vor dem Hintergrund dieser möglichen
Entwicklung wurde als Zielsetzung für die
Verkehrsentwicklungsplanung formuliert,
die in den gegenwärtigen Entwicklungstendenzen
liegenden Gefahren
abzuwenden. Zur Realisierung dieser Zielsetzung
wurden folgende Leitvorstellungen
formuliert:
- “Mobilität": Schaffung gleicher Mobilitätschancen für
alle Bevölkerungsgruppen.
- “Ökologie”: Das Verkehrssystem soll
durch Begrenzung und Reduzierungen umwelt- und
stadtraumverträglich sein.
- “Ökonomie": Das Verkehrssystem muß
die wirtschaftliche Funktionalität herstellen
und die Attraktivität des Standortes Berlin
ausbauen.
Die Umsetzung dieser Leitvorstellungen sei
mit dem klassischen Instrumentarium der
Verkehrsplanung (Infrastrukturplanung,
Ordnungspolitik, Verkehrsregelung) nur
unvollständig möglich, deshalb seien weitere
Instrumente in Anspruch zu nehmen:
- Flächennutzungsplanung,
- Gesetzgebung über die Rahmenbedingungen des
Verkehrs, sofern in der Länderkompetenz,
- Wirtschaftsförderungspolitik,
- Steuer- und Preispolitik,
- Informationspolitik bzw. Öffentlichkeitsarbeit, Marketing,
- Organisatorische Maßnahmen,
- Forschung und Technologie.
Auf der Basis dieser Instrumentarien seien
für den privaten Personen- wie auch für den
Wirtschaftsverkehr Maßnahmenkonzepte
für drei Handlungsfelder zu erarbeiten:
- Verkehrsvermeidung: Für Standortentscheidungen
Konzept der “Kurze Wege".
- Verkehrsverlagerung: Da die freie Verkehrsmittelwahl
zukünftig nicht mehr möglich sein wird,
ist eine Unterscheidung in
notwendigen/nicht notwendigen Kfz-Verkehr erforderlich;
der Wirtschaftsverkehr
zählt dabei stets zum notwendigen Kfz-Verkehr.
Der nicht notwendige Kfz-Verkehr
soll auf den ÖPNV verlagert werden.
- Umwelt- und stadtverträgliche Verkehrsabwicklung:
In Konkurrenzsituation zum
individuellen Pkw-verkehr mussen ÖPNV-Oberflächenverkehr
und Wirtschaftsverkehr
Vorrang haben. “Umweltverträgliche Verkehrsabwicklung”
bedeute aber keine
grundsätzliche Ablehnung einer Infrastrukturverbesserung
für das Straßennetz, denn:
den Verkehrsstau als "Chance" zur Verlagerung des
motorisierten Individualverkehrs
auf den öffentlichen Verkehr zu begreifen,
widerspreche einer umwelt- und stadtverträglichen
Verkehrsabwicklung.
Besondere Bedeutung für den ÖPNV wird
dem Schienenverkehr eingeräumt. Als Vorleistung
für die künftige Nachfrage und im
Hinblick auf die geplante weitere Entwicklung
der Siedlungsstruktur in der Region
entlang der Schienenverkehrsachsen sei ein
schneller Ausbau des S-Bahn-Netzes (und
der Regionalbahn) notwendig. Zur Bewältigung des
Verkehrsbedarfs in der Innenstadt
sei das U-Bahn-Netz zu vervollständigen
und das Straßenbahnnetz zu einem modernen
Stadtbahnsystem auszubauen. Aus finanziellen
Gründen könne die Stadtbahn
auf bestimmten Relationen U-Bahn-Vorlaufbetrieb übernehmen.
Alle im Bau befindlichen ÖPNV-Maßnahmen
sollen auch unter den jetzt geänderten
politischen Bedingungen fertiggestellt werden.
Die bekannten Lückenschließungen
(Maßnahmen des ersten Zugriffs) sollen
längerfristig durch weitere S-Bahn-Strecken
und innerstädtische U-Bahn-Verbindungen
ergänzt werden. In der nächsten Bearbeitungsstufe
der Verkehrsentwicklungsplanung ist deshalb
eine Bewertung der mehr
als 50 Einzelmaßnahmen zur Erstellung einer
Prioritätenliste notwendig, worauf beim
derzeitigen Bearbeitungsstand wegen fehlender
Strukturdaten verzichtet werden
mußte. Im Straßenverkehr werden die
Stadtring-Verlängerung, die Ausbauten
Oberbaumbrücke und Bernauer/Invalidenstraße
für einen Innenstadt-Ring sowie die
Wiederherstellung weiterer Straßenverbindungen
im Stadtbereich genannt.
3. Fernverkehr
Für den Fernverkehr ist ein Bahnanteil von
11,5% im Jahr 2010 prognostiziert. Das entspricht
19 Mio. von 164 Mio. Personenfahrten im
Quellverkehr. Der Flugverkehr wird
auf 10 bis 12 Mio. Reisende im Quellverkehr
für das Jahr 2010 eingeschätzt.
Der Güterfernverkehr werde sich insgesamt
mehr als verdoppeln, allerdings gebe es eine
Zielverlagerung: Im Verkehr zwischen
West-Berlin und der ehemaligen DDR wird
deshalb eine Verfünffachung erwartet (4
Mio. Tonnen 1985, 21 Mio. Tonnen im Jahr
2010), im Güterfernverkehr mit Westdeutschland
eine Halbierung. Das Wachstum des Güterverkehrs
wird vor allem zugunsten der Straße erwartet, während die
Bahn Einbußen haben werde.
Zur Angebotsverbesserung im Bahnreiseverkehr
wird die Einführung neuer, besserer
Produktangebote (InterCity, InterRegio)
gefordert, die durch den Regionalverkehr
ergänzt werden sollen, Als Variante für die
innerstädtische Führung des Personenfernverkehrs
wird diejenige favoriert, die die
Benutzung der Stadtbahn einschließlich ihrer Zulaufstrecken,
die Reaktivierung stillgelegter Eisenbahnstrecken im Stadtgebiet
und den Neubau eines Nord-Süd-Fernbahntunnels vorsieht.
Für den Flugverkehr wird der Bau eines
neuen Großflughafens als Ersatz für die
Flughäfen Tegel und Tempelhof angestrebt.
In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen,
daß eine S- bzw. U-Bahn-Anbindung der
bestehenden Flughäfen von der zu
wählenden Flugverkehrskonzeption abhängt.
IGEB
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