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Nachdem in London am Anfang der 50er
das dichte Straßenbahnnetz binnen kürzester
Frist stillgelegt wurde, plant man nun
die Einrichtung eines zunächst ca. 30 km
langen neuen Stadtbahnnetzes im Süd-Londoner
Bezirk Croydon, dem bedeutendsten
Londoner Büro- und Einkaufsgebiet außerhalb
der City. Unter dem Stichwort “Öffentlicher
Nahverkehr für das 21. Jahrhundert" sollen
mit der Stadtbahn die chronischen Verkehrsprobleme,
von denen ganz
London tagtäglich geplagt wird, schnell und
preiswert gelöst werden. Denn längst hat
man in Croydon und bei LRT erkannt, daß
der Bau neuer Straßen nur zusätzlichen
Verkehr und Chaos erzeugt und daß der
Bau von neuen Schnellbahn- oder gar U-Bahn-Linien
viel zu teuer ist und sich außerdem nur im
Schneckentempo realisieren ließe.
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Croydon heute. Zukünftig soll durch diese Hauptverkehrsstraße im Londoner Dienstleistungs- und Einzelhandelszentrum Croydon die Straßenbahn fahren. Foto: M. Horth |
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Die Vorteile von modernen, geräuscharmen,
umwelt- und stadtverträglichen Stadtbahnen
haben vor Ort alle Politiker erkannt, und so
findet das "Tramlink"-Projekt
denn auch die Unterstützung aller Parteien
und aller betroffenen Nachbarbezirke.
Denn auch die Nachbarbezirke profitieren
von der neuen Stadtbahn-Tangentialverbindung
durch verbesserte Erreichbarkeit. An mehreren
Stellen wird es Umsteigemöglichkeiten
zum dichten Eisenbahnnetz von British Rail geben und in
Wimbledon auch zur Londoner U-Bahn.
Zuerst: Bürgerbeteiligung
Schon frühzeitig wurde mit einer breiten
Öffentlichkeitsarbeit fur das “Tram1ink"-Projekt
durch umfangreiches Infornationsmaterial
begonnen. Als ein besonders wichtiger
Punkt sind dabei die Vorteile eines
modernen Stadtbahn-Systems hinsichtlich
der Umweltverträglichkeit gerade auch im
Vergleich zum Bus verdeutlicht worden.
Hier bestand ein großer Informationsbedarf,
denn - ähnlich wie in Berlin
- kann sich mangels Beispiel auch kaum ein
Londoner ein Bild von einer modernen
Stadtbahn machen. Nachdem von Experten
unter Berücksichtigng von technischen,
finanziellen und Umwelt-Gesichtspunkten
mehrere Routen untersucht worden sind,
wurden die Bürger bis Ende März 1991 in
Ausstellungen, Videos und schließlich nicht
weniger als 12 Informationsveranstaltungen
über das Vorhaben - und mögliche Alternativrouten - in
Kenntnis gesetzt und angehört. Auch wenn die exakte Auswertung der
Bürgereingaben noch aussteht, schätzt der
zuständige Manager von LRT, Tim Yardley,
daß 80% dem Projekt zugestimmt haben.
Das Ergebnis ist nicht nur ein Erfolg für die
Straßenbahn, sondern auch ein Beweis, wie
erfolgreich eine Verkehrsplanung, die bei
uns nur hinter verschlossenen Amtstüren
stattfindet, sein kann, wenn die Bürger informiert
und beteiligt sind. So stehen die
Chancen gut, daß in Croydon der erste Abschnitt
Mitte 1994 in Betrieb gehen kann.
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Croydon morgen? Zu den umfangreichen Material zur Information der Bürger gehört auch diese Fotomotage, mit der die Verträglichkeit der Supertrams auch in schmalen Innenstadtstraßen veranschaulicht wird. Foto: LRT |
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"Supertram"
Und dabei machen es sich die Londoner
Verkehrsplaner nicht leicht. Sie nutzen
nämlich das ganze Spektrum von Einsatzmöglichkeiten
eines modernen Stadtbahnsystems. So liegt der
überwiegende Teil der
Strecken auf vom übrigen Straßenverkehr
abgegrenzten Trassen und, wenn der Platz
besonders knapp ist, auch mal im normalen
Straßenplanum. Im Haupteinkaufsgebiet
soll die Strecke durch die Fußgängerzone
führen. Und schließlich sollen auf mehreren
Abschnitten die Eisenbahngleise von British
Rail mitgenutzt werden: Zum Teil auf
Strecken, an deren Aufrechterhaltung British Rail
kein Interesse mehr hat, zum Teil
aber auch auf Abschnitten, die weiterhin
von der Eisenbahn benutzt werden sollen.
Überall werden die Züge jedoch freie Fahrt
bekommen, denn selbstverständlich gehört
zu dem System an allen Ampeln eine Vorrangschaltung.
Und auch sonst werden die
Londoner "Supertrams" den Fahrgästen alle
Vorzüge bieten: Stufenloser Einsteig, problemloser
Zugang zu den Haltestellen, Einsehbarkeit von Haltestellen
und Fahrzeugen, dichter Haltestellenabstand, dichter
Takt etc. Die Kosten werden sich für die 30
km langen Strecken inklusive der bei British
Rail anfallenden Kosten auf umgerechnet ca.
240 Millionen DM belaufen. Dem britischen
Parlament, das dem Vorhaben zustimmen muß,
soll zum Ende des Jahres die
Kostenrechnung vorgelegt werden. Zu diesem
Zeitpunkt werden sich dann die Parlamentarier
schon in einer anderen britischen Großstadt von den Vorzügen eines
Stadtbahnsystems überzeugen können, dem
sie bereits 1988 zugestimmt haben:
Manchester
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In der Innenstadt von Manchester laufen die Bauarbeiten für die neue Stadtbahn auf Hochturen, damit der Eröffnungstermin für den ersten Bauabschnitt zum Ende dieses Jahres eingehalten werden kann. Foto: M. Horth |
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Als erste britische Stadt entschloß sich nämlich
Manchester bereits Mitte der 80er Jahre zur
Einrichtung eines völlig neuen Stadtbahnsystems,
das als Rückgrat des ÖPNV
auch die Olympia-Bewerbung der Stadt in
das Jahr 2000 unterstützen soll. Ein 32 km
langes Netz befindet sich dort gerade im
Bau, und Ende dieses Jahres soll der erste
Abschnitt in Betrieb genommen werden.
Wahrend der überwiegende Teil der Stadtbahn
bisher von British Rail befahrene
Gleise benutzt, fährt die Stadtbahn durch
die City von Manchester überwiegend auf
eigenen Gleisen und wird u.a. die beiden
wichtigsten innerstädtischen Bahnhöfe miteinander verbinden.
Ab 1. August d.J. werden, nachdem vor kurzem die
Zustimmung durch das britische
Parlament erfolgte, auch in Sheffield die
Bauarbeiten für ein Stadtbahnsystem beginnen.
Schon Ende 1993, zur studentischen
Olympiade, soll der erste Abschnitt in Betrieb
gehen. Insgesamt soll ein Netz von 31
km Länge bis Mitte 1995 in Betrieb gehen.
Darüber hinaus gibt es in zahlreichen anderen
britischen Städten konkrete Planungen
für neue Stadtbahhnsysteme, von denen die
für Birmingham und Glasgow am weitesten
fortgeschritten sind.
An diesen Beispielen aus Großbritanien
wird deutlich, wie sehr die Berliner Verkehrsplaner
von einem Blick auf die Insel
lernen könnten. Vielleicht würde ihnen
dann klar werden, daß sie mit ihrer Verkehrspolitik,
mit der sie in West-Berlin die
Straßenbahn in den 60er Jahren vollständig
stillgelegt haben und mit der sie nun das
Ost-Berliner Netz mit fadenscheinigen Argumenten
halbieren wollen, Fehler begehen, die woanders
nicht mehr gemacht werden würden. IGEB
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