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“Es ist sehr anders jetzt in Berlin." Mit dieser
nur scheinbar banalen und lediglich stilistisch
etwas verunglückten Feststellung begann
Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer
(CDU) am 12. April seine Rede zur
Eröffnung der 1. Sitzung des Stadtforums,
um dann auszuführen: “Das betrifft die
Themen, mit denen sich die Stadt jetzt
beschäftigen muß und ebenso die Formen, die
für eine erfolgversprechende Arbeit an diesen
Themen notwendig sind." Deshalb
schufen Hassemer und seine Verwaltung
das Stadtforum, “Wir haben es eingerichtet,
weil wir davon überzeugt waren, daß Berlin
in dieser Zeit für seine stadtplanerischen
Grundthemen einen Gesprächsort benötigt
und daß weder Verwaltung noch Politik für
sich, noch die unterschiedlichen Fachöffentlichkeiten
dem Ganzen dieses Aufbruchs
gerecht werden können." Dieser Gesprächsort
soll das Stadtforum sein, in dem “zwar
nicht alle, aber viele und von vielen Seiten"
vertreten sind.
Letzteres ist gelungen. Natürlich gibt es
eine Vielzahl wichtiger Personen und Verbände,
die fehlen, und natürlich ist die
IGEB in dieser Frage befangen, da doch ihr
Vorsitzender Gerhard J. Curth in den
“Kreis der Auserwählten" berufen wurde.
Doch selbst wenn der Kreis verdoppelt oder
verzehnfacht würde, gäbe es immer noch
wichtige gesellschaftliche Gruppen, die
nicht vertreten sind. Viel entscheidender ist,
daß Senator Hassemer nicht - wie sonst üblich -
allein die etablierten Planer, Politiker
und Verbandsvertreter ins Stadtforum berufen
hat, Natürlich bilden diese wieder die
Mehrheit, aber auf der Bank “Berliner Gesellschaft"
sitzen eben nicht nur die bekannten Lobbyisten
von IHK und ADAC, sondern auch der Mieterverein, der BUND und
der Fahrgastverband IGEB. Und daß solche
Berücksichtigung von Fahrgastbelangen leider
noch nicht selbstverständlich ist, zeigen
ausgerechnet Beispiele aus dem Verkehrsbereich.
So sind im Verkehrsbeirat, einem
Beratungsgremium des Berliner Verkehrssenators,
die Fahrgäste ebenso wenig vertreten wie im
Verwaltungsrat der Bahnen
(siehe Seite 8 in diesem Heft).
Positiv zu bewerten ist ferner, daß mit dem
alle zwei Wochen tagenden Stadtforum aktuelle
Themen der Berliner Stadtplanung
ausführlich, kontrovers und öffentlich diskutiert
werden, auch wenn eine breite Öffentlichkeit bisher
nur über die vielen Zeitungsartikel erreicht wurde.
Wie wichtig eine solche öffentliche Diskussion über
Planung ist, hat der letzte Flächennutzungsplan,
aufgestellt 1984 bis 1988, gezeigt. Ohne die breite
öffentliche Diskussion hätte es nicht so viele
Einwendungen gegeben, und ohne die Einwände der
Bürger hätte der Plan in Teilen
mit Sicherheit anders ausgesehen.
Besonders hervorzuheben ist auch, daß in
die Diskussionen des Stadtforums die Verkehrsplanung
einbezogen wurde. Eigentlich
sollte dies selbstverständlich sein, schließlich
ist Verkehrsplanung ein wichtiger Teil
der Stadtplanung. Doch die Verkehrsplaner
in Berlin (und nicht nur hier) versuchen
noch immer, sich einer Diskussion mit anderen
Fachplanungen und vor allem einer
öffentlichen Diskussion zu entziehen. Das
wurde auch beim Stadtforum wieder sehr
deutlich. Eine Infragestellung von Verkehrsprojekten
beispielsweise wegen der
Zerstörung der Stadtstruktur, wegen zu
hoher Kosten oder zu hoher Umweltbelastung
wird von den Verkehrstechnokraten in der
Regel nicht akzeptiert. Und dies dürfte
auch ein wesentlicher Grund sein, warum
Verkehrsplanung in Berlin, abgeschirmt
gegenüber Bürgern und Kollegen, häufig noch
wie ein Staatsgeheimnis behandelt wird,
übertroffen nur noch von der Militärplanung.
Die Berliner Unterstützung für das
Bonner Beschleunigungsgesetz, mit dem
elementare Planverfahren und Bürgerbeteiligung
ausgeschlossen werden sollen, ist der
jüngste Beweis für diese Haltung.
Zur positiven Bilanz des Stadtforums ist sicher
auch die "Werkbank" zum Fernbahnkonzept zu rechnen.
Anlaß für die Bildung
dieses Arbeitskreises war die Vorbereitung
des Wettbewerbs Potsdamer Platz, für den
die verkehrlichen Rahmensetzungen formuliert
und abgestimmt werden mußten. Die
Entscheidungen am Potsdamer Platz haben
wesentliche Auswirkungen auf das ganze
Berliner Eisenbahnnetz, weil in diesem Bereich
der diskutierte Nord-Süd-Tunnel für
die Fernbahn liegt, der wiederum entscheidend
ist für die Gesamtkonzeption. Deshalb
wurden von der Werkbank für die sehr unterschiedlichen
Berliner Eisenbahnkonzepte
zunächst einheitliche Bewertungskriterien
erarbeitet, und zwar unter verkehrlichen,
betrieblichen, stadtplanerischen und ökologischen
Gesichtspunkten. Mitgearbeitet haben daran
neben den Verwaltungsvertretern, der Studiengesellschaft Nahverkehr
(SNV) und der IGEB die Autoren der diversen Konzepte:
- DB-Consult (“Achsenkreuzmodell” mit Zentralbahnhof),
- BI Westtangente (Ring-Konzept 720),
- Föderverein Anhalter und Lehrter Bahnhof
(“Y-Modell“ mit Nord-Süd-Tunnel und
Tunnelabzweig zum Hauptbahnhof),
- Verschiedene Autoren (“Zwiebelmodell"
mit Führung der Ost-West-Züge über die
Stadtbahn und der Nord-Süd-Züge über die
Ringhälften).
Natürlich ersetzte dieses Schnellverfahren
nicht die gründliche Untersuchung, die jetzt
vom Verkehrssenator in Absprache mit dem
Bundesverkehrsminister in Auftrag gegeben
wurde und bis Ende des Jahres vorliegen
soll, aber sie ergab die benötigten Hinweise,
was beim Wettbewerb Potsdamer Platz zu
beachten ist und was nicht:
- Die Trasse für einen Nord-Süd-Tunnel soll freigehalten werden.
- Es sollte am Potsdamer Platz keinen Fernbahnhof geben,
- Kurzfristig sind Verbesserungen des Eisenbahnverkehrs
nur mit den vorhandenennStrecken (Stadtbahn und Ringbahn) möglich,
- Am Ring sollte, auch wenn dies Flächen
bindet, nichts verbaut werden, da dieser
eventuell auch bei Realisierung des Nord-Süd-Tunnels
noch ausgebaut werden muß.
Natürlich ist noch viel vom eigenen Anspruch
des Stadtforums unerreicht und sind
viele Erwartungen an das Stadtforum unerfüllt geblieben.
Und ob die Ergebnisse des
Stadtforums am Ende wirklich in Politik
und Planung umgesetzt werden, ist noch
völlig offen, hängt aber nicht nur von den
Politikern ab. Doch die Existenz des Stadtforums
allein ist schon ein Gewinn, weil es
von Anfang an kein Ort zur Selbstdarstellung oder
Beschönigung der Senatsgolitik
war, sondern ein Ort der zuweilen lebhaften
Auseinandersetzung, an dem z.B. nicht nur
das senatsgemäße Bahnkonzept der DB-Consult,
sondern eben auch die außerhalb
der Verwaltung entwickelten Gegenmodelle
gezeigt werden konnten. Die Beachtung solcher
Spielregeln, was in einem demokratischen System
an sich selbstverständlich sein
sollte, was aber den Stadtentwicklungssenator
z.B. wesentlich vom Verkehrssenator
unterscheidet, läßt hoffen, daß das Stadtforum,
trotz sicher einiger Enttäuschungen,
wohl auch nach seinem voraussichtlichen
Ende im kommenden Dezember positiv beurteilt werden kann.
IGEB
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