Nahverkehr

Seit 2.1 im Busnetz-Ost: Vieles neu - Weniges besser

Die Berliner Busfahrgäste hatten wenig Anlaß zur Freude über die Vereinigung von BVB und BVG zu Beginn des Jahres. Denn sie bescherte ihnen auf allen bisherigen BVB-Linien zum Teil drastische Fahrzeitverlängerungen. Darüber hinaus gab es auf einigen der Linien umfangreiche Streckenänderungen. Anlaß für die Fahrzeitverlängerungen war die Einführung des Fahrscheinverkaufs durch die Fahrer. In diesem Zusammenhang wurde im Ostteil Berlins auch eine neue Zustiegsregelung eingeführt, die das Zusteigen an der zweiten Tür untersagt.

Bei der Bemessung der neuen Fahrzeiten ist die BVG jedoch weit über das Ziel hinausgeschossen: Viele Buslinien haben nun im Fahrplan eine völlig überdimensionierte Fahrzeit (denn der Anteil der Barzahler ist in Ost-Berlin erfreulich gering), was selbst im Berufsverkehr dazu führt, daß Busse trödeln oder die Fahrer die Fahrgäste durch ausschließliches Öffnen der Vordertür schikanieren (siehe SIGNAL 1/92 ). Obwohl der jetzt wieder mögliche Erwerb von Einzelfahrscheinen im Bus zweifelsohne postitiv zu bewerten ist, hat die BVG durch die völlig überzogenen Fahrzeitverlängerungen den Ost-Berliner Busverkehr noch unattraktiver und zugleich auch unwirtschaftlicher gemacht. Denn als Folge der unnötigen Fahrzeitverlängerungen sind ein wesentlich höherer Personal- und Wageneinsatz nötig, was teilweise schon zum 2. Januar zu einem reduzierten Verkehrsangebot in vielen Stadtteilen führte.

So erfolgten auch die Fahrwegänderungen auf insgesamt 16 Buslinien zum 2. Januar primär unter dem Gesichtspunkt der Einsparungen im Verkehrsangebot. Besonders betroffen war das Treptower Netz. Auf vier der fünf Buslinien, die das nördliche Treptow bedienen, gab es zum Teil gravierende, teils positive, teil negative Veränderungen.

Die Linie 165 (Karl-Kunger-Straße - Oberspree) fährt jetzt auch im Spätverkehr; auf dem Abschnitt vom Bahnhof Schöneweide bis Oberspree konnte deshalb die Bedienung durch die Linie 265 in den Abendstunden entfallen. Diese beiden Buslinien haben nunmehr in der gesamten Betriebszeit einheitliche Endstellen, womit wenigstens in diesem einen Fall das Angebot überschaubarer wurde. Der 166er fährt im Norden nun nicht mehr bis zur Karl-Kunger-Straße, sondern als Ringlinie um den Treptower Park und gleich in südlicher Richtung zurück, jetzt jedoch über Eichbuschallee, Kiefholzstraße und Südostallee statt über Schnellerstraße. Dadurch verschlechtert sich im Norden die Anbindung des dicht besiedelten Wohngebietes um die Karl-Kunger-Straße. Bisher ergänzten sich hier die Linien 165 und 166 tagsüber zum fahrgastfreundlichen 10-Minuten-Takt. Da die seit dem 5. Oktober 1991 auf 20 Minuten verdichtete Linie 164 von Karl-Kunger-Straße zum Rathaus Treptow nach wie vor nur montags bis freitags sowie sonnabends bis gegen 15 Uhr verkehrt, bleibt den Fahrgästen von und zur Karl-Kunger-Straße ab Sonnabendnachmittag bis Sonntagabend nur noch die Linie 165 mit ihrem 20-Minuten-Takt. Sportliche Fahrgäste können alternativ zur Linie 167 laufen.

Bus
Foto: K. Kotzur
Bus
Dieser Bus der Linie 167, fotografiert in der Neuköllner Erkstraße, fahrt bis Köpenick, Müggelschlößchenweg. Doch vor 7 und nach 19 Uhr (und nicht erst nach 20 Uhr, wie in "BVG aktuell 12/91" gemeldet) rührt der 167er nur bis Schöneweide oder gar nur Treptower Park. Es wird höchste Zeit, daß die fahrgastfeindliche Unsitte mehrfach wechselnder Endstellen, die im HVB-Busnetz sehr verbreitet war. endlich abgeschafft wird. Rechts: Bus 168 an der Endstelle in Köpenick. Die HVZ-Fahrten vom S-Bf. Köpenick zum S-Bf. Kaulsdorf wurden zum 2.1.92 gestrichen - eine von vielen Fahrplaneinschränkungen im Ost-Berliner Busnetz. Foto: K. Kotzur

Hinsichtlich der Busbedienung in Johannisthal-Süd ist zu kritisieren, daß - neben Adlershof - nur noch der nächstgelegene Bf. Schöneweide umsteigefrei erreicht werden kann, weil die Linie 166 dort entfallen ist; die Busse fahren stattdessen zum Groß-Berliner Damm. Die für Johannisthal-Süd neu eingerichtete Ringlinie 365 endet stets am Bf. Schöneweide, ebenso die von Schönefeld kommende Linie 260.

Von den Fahrgästen gut angenommen wurde die neue Linie 167. Diese fährt, vom UBf. Boddinstraße kommend, nunmehr geradlinig über Köpenicker Landstraße, Schnellerstraße (statt Eichbuschallee, Kieferholzstraße, Südostallee), Oberspreestraße Müggelheimer Straße und Salvador-Allende-Straße bis zum Müggelschlößchenweg in Köpenick. Hier werden neue umsteigefreie Direktverbindungen von Köpenick nach Treptow und Neukölln angeboten, die z.Z. weder von der Tram noch von der S-Bahn gleichwertig zu erhalten sind.

Einmalig im Berliner Verkehrsnetz sind jedoch die permanent wechselnden südlichen Endstellen der Buslinie 167. Im morgendlichen Berufsverkehr (!) entfällt der Abschnitt Schöneweide - Köpenick, abends ist dann bereits am S-Bf. Treptower Park Endstation, und am Wochenende wechselt die Bedienung der Abschnitte noch häufiger. Das Ost-Berliner Bus- (und auch Tram-)Liniennetz weist ohnehin schon eine Vielzahl von Linien auf, die nur zu bestimmten Tageszeiten bzw. zeitweilig nur auf bestimmten Abschnitten verkehren. Im Interesse eines überschaubaren Verkehrsangebot müssen diese Betriebsweisen auf ein Minimum reduziert werden und nicht, wie im Fall der Buslinie 167 geschehen, noch komplizierter gestaltet werden.

Völlig verfehlt ist beim 167er außerdem das Angebot eines 20-Minuten-Taktes. Die Linie ist so stark frequentiert, daß die Bedienung mit Standard-Eindeckbussen eigentlich ausscheiden sollte: 'schnürsenkelbreite' Stehplätze im Businneren sind die Folge. Dagegen fahren - die nicht im Fahrplan ausgewiesenen - Einsetzer von Treptower Park nach Neukölln zum Teil nur schwach besetzt spazieren. Diese Einsetzfahrten müssen bedarfsgerecht bis Schöneweide bzw. Köpenick verlängert werden.

Glücklicherweise als Ente erwies sich die in "BVG aktuell 12/91" veröffentlichte Meldung, daß die Linie 160 zwischen Altglienikke, Kirche und Falkenhöhe im Spätverkehr und an Wochenenden morgens entfallen würde. Tatsächlich fiel die Linie 160 zu den betreffenden Zeiten zwischen Rudower Chaussee und Altglienicke, Kirche weg. Dieser Abschnitt wird aber durch die Linie 260 weiterhin bedient. Zugleich wurde die Linie 260 nunmehr auch an den Wochenenden durchgehend auf einen 20-Minuten-Takt verdichtet (bisher nur alle 30 Minuten). Damit besteht jetzt im gesamten Ortsteil Johannisthal ein Mindestangebot von 20 Minuten - mit verbesserten Umsteigemöglichkeiten zur Straßenbahnlinie 84 und zur S-Bahn am S-Bf. Adlershof.

Auch in Köpenick gibt es Verbesserungen, aber die Angebotsverschlechterungen überwiegen auch hier. So entfielen zwischen S-Bf. Kaulsdorf und S-Bf. Köpenick die bisherigen Fahrten der Linie 168 in der Hauptverkehrszeit; für diese Relation blieb nur noch der 169er übrig. Anstelle der hier aufgegebenen Linie 168 wird die südliche Raulsdorfer Straße nunmehr von der umverlegten Linie 269 vom Müggelschlößchenweg zum U-Bf. Elsterwerdaer Platz befahren; in der Gehsener Straße entfiel diese Linie dementsprechend ersatzlos. Vom S-Bf. Köpenick zum Müggelschlößchenweg fährt die Linie 269 inzwischen montags bis freitags von 5 bis 19 Uhr sowie mit Einzelfahrten zwischen 21 und 22 Uhr. Bisher verkehrte diese Buslinie auch auf diesem Abschnitt nur in der Hauptverkehrszeit - eine Angebotsverbesserung, auf die in "BVG aktuell 12/91" nicht hingewiesen wurde.

Weitere Verschlechterungen in anderen Stadtteilen in Kürze:

  • Eingestellt wurde die "Krankenhauslinie" 392 (S-Bf. Biesdorf - Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus). Die BVG empfiehlt die Benutzung der Linie 190 und 299 über den U-Bf. Elsterwerdaer Platz. Für die mit der S-Bahn anreisenden Fahrgäste wird damit zusätzliches Umsteigen "angeboten".
  • Die bisher montags bis freitags verkehrende Linie Linie 298 (Ringlinie S-Bahnhof Mahlsdorf) wird von 8.30 Uhr bis 13.30 Uhr nicht mehr bedient. Als Busersatz werden in dieser Zeit Fußwege geboten.
  • Auch die Linie 198 vom U-Bf. Elsterwerdaer Platz bis zum S-Bf. Mahlsdorf wurde weitgehend auf "Fußwegbedienung" umgestellt. Sie fährt fast nur noch im Berufsverkehr.
  • In Buch, Blankenburg und Wilhelmsruh wurden Ausdünnungen im Spätverkehr durch Wegfall von je einer Buslinie (158 bzw. 255) vorgenommen.

Diesen umfassenden Veränderungen durchaus angemessen kündigte die BVG in "BVG aktuell 12/91" an: "Die genauen Fahrpläne werden in einem Nachtrag zum Kursbuch veröffentlicht, der aber erst Ende Januar erscheint". Doch - wie berichtet - ist dieser Nachtragsfahrplan plötzlich entfallen. Also ist wieder einmal das schon geübte Abschreiben der Fahrpläne an den Haltestellen angesagt - bei winterlichen Temperaturen ein besonderes Vergnügen.

Fazit

Trotz einiger Lichtblicke sind die Linienänderungen zum 2. Januar 1992 insgesamt als fahrgastfeindlicher Abbau von Busbedienungen zu charaktersieren. Die getroffenen Maßnahmen sind ein weiteres Resultat der vom derzeitigen Berliner Senat verordneten Einsparungen. Auf niedrige Fahrgastzahlen überwiegend mit Linieneinstellungen und weniger Fahrten zu reagieren, ist jedoch perspektivlos. Bei einer Fortsetzung dieser Art "Sparpolitik" wird einer wachsenden Zahl von Menschen der Zugang zu den öffentlichen Verkehrsmitteln erschwert. Wenn die nächste Haltestelle kilometerweit entfernt ist und immer seltener bedient wird, verlieren die öffentlichen Verkehrsmittel insgesamt an Ausstrahlung, und es drohen weitere Fahrgastverluste im noch betriebenen Busnetz.

Deswegen ist es auch falsch, Fahrgastzahlen einzelner Linien isoliert zu betrachten und dabei das ÖPNV-Gesamtnetz aus dem Blick zu verlieren. Vielmehr muß ein schlüssiges Gesamtkonzept für den Busverkehr im Berliner Raum entwickelt werden, wobei für West-Berlin noch immer das "Busnetz '90" als Grundlage geeignet ist. In diesem Zusammenhang wäre die Einstellung von an den Fahrgastbedürfnissen vorbeifahrenden Buslinien durchaus denkbar - bei gleichzeitiger Verbesserung des Gesamtangebotes.

IGEB

aus SIGNAL 2/1992 (März 1992), Seite 12-13

 

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