Nahverkehr

U-Bahn nach Schönefeld? Nein danke!

"Bonn macht Druck für eine verbesserte Schienenanbindung der Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld. Wohnungsbauministerin Irmgard Adam-Schwaetzer (F.D.P.) hat den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen aufgefordert, die U-Bahn-Linie 7 zügig von Rudow nach Schönefeld zu verlängern", berichtete die Berliner Morgenpost am 23. August 1991. Ein halbes Jahr später zeigte der Druck Wirkung: "Der Senat plant die Verlängerung der U-Bahn-Linie 7 zur besseren Anbindung des Flughafens Berlin-Schönefeld an den öffentlichen Personennahverkehr. Hierzu sind Abstimmungen mit der Landesregierung Brandenburg erforderlich, die eine baldige Aufnahme der Verlängerung in die Finanzplanung der beiden Länder zum Ziel haben", berichtete der Landespressedienst am 5.2.

Offensichtlich haben die Länder Berlin und Brandenburg zu viel Zeit und vor allem zu viel Geld, so daß sie sich nun auf eines der unsinnigsten U-Bahn-Projekte stürzen müssen.

Erfreulich eindeutig war die Reaktion der BVG. Die Senatsplanung werde, berichtete der Tagesspiegel am 6. Februar, "von der BVG nicht unterstützt ... Die Linie 7, schon jetzt die längste, ist bereits enorm störungsanfällig; jeder Kilometer mehr verstärkt diese Probleme. Die Fahrt von der Innenstadt zum Flughafen mit Halt auf so vielen Bahnhöfen sei nicht besonders attraktiv." Den Interessen der heutigen U7-Fahrgäste dient die Verlängerung also sicher nicht. Aber wem soll sie dann dienen?

Das Dorf Schönefeld rechtfertigt keinen U-Bahn-Anschluß, und der Flughafen ist bereits durch den S- und Fernbahnhof erschlossen. Eine zusätzliche U-Bahn wäre höchstens sinnvoll, wenn das Verkehrsaufkommen des Flughafens (früher 3 bis 4 Mio, heute 1 Mio Fluggäste jährlich) Größenordnungen wie in Frankfurt/M (25 Mio) oder London-Heathrow (40 Mio) erreichen würde. Will der Senat das? Dann muß er es aber auch sagen und nicht länger behaupten, die Standortentscheidung für den Berliner Großflughafen sei noch völlig offen.

Genau hier kippt die Verkehrsplanung des Senats endgültig zum Dilettantismus. Weil die Zukunft des Flughafens Schönefeld noch ungewiß ist, wird die U-Bahn-Verlängerung nur bis zum S- und Fernbahnhof Schönefeld, nicht aber bis zum Flughafen selbst geplant. Das heißt, daß die Fluggäste trotz einer rund 3 km langen, 650 Mio DM teuren U-Bahn-Neubaustrecke weiterhin auf den Bus umsteigen oder 1/2 km laufen müssen.

Dabei gibt es, unabhängig davon, ob Schönefeld als Flughafen erhalten oder das ganze Gelände für Wohnen und Gewerbe genutzt wird, sinnvollere, preiswertere und viel schneller zu realisierende Lösungen als die U-Bahn-Verlängerung. Bereits 1993 kann die S-Bahn mit der Wiederinbetriebnahme des Südringes und der Verbindung über Köllnische Heide auch den Westteil Berlins besser an den Flughafen Schönefeld anbinden. Mittelfristig wäre vor allem eine Verlängerung der S-Bahn von Schönefeld in Richtung Lichtenrade, ungefähr auf dem ehemaligen Güteraußenring, interessant. Ein solcher Neubau wäre immer noch billiger als die U7-Verlängerung, würde aber zusätzlich ein großes Gebiet mit Wachstumspotentialen erschließen, (siehe auch SIGNAL 1/90 )

Darüber hinaus sollte die Straßenbahn vom S-Bf. Adlershof über Altglienicke sowie vom U-Bf. Rudow zum Flughafen Schönefeld geführt werden. Diese Neubaustrecken sind nicht nur für Fluggäste interessant. Außerdem können sie für nur 1/6 der Kosten der U7-Verlängerung und natürlich sehr viel schneller realisiert werden. Doch Verkehrssenator Haase hält es "für unwahrscheinlich", daß "in absehbarer Zeit eine Straßenbahn den Flughafen Schönefeld anfahren wird." Seine Begründung: "Erst wenn Wohnungen, Gewerbe und Industrie sich dort angesiedelt haben werden, würde sich eine Straßenbahn rechnen." Diese Meldung in den Potsdamer Neuesten Nachrichten vom 20.3.92 gebe die Auffassung des Senators durchaus korrekt wieder, bestätigte seine Pressesprecherin. Das verblüfft: Für eine Straßenbahn reicht das Verkehrsaufkommen des Flughafens allein nicht aus, aber für eine U-Bahn soll es reichen? "Die Fluggäste würden vom Auto oder Taxi höchstens auf die U-Bahn, nicht aber die Tram umsteigen, die ist zu langsam", lautet die Erklärung aus dem Hause des Verkehrssenators ... Kein Kommentar. Es lohnt sich einfach nicht, da Senator Haase - trotz gelegentlich anders lautender Erklärungen - offensichtlich prinzipiell gegen jede Tram ist, in Schönefeld und anderswo.

Bleibt eine letzte Frage: Hat das Land Brandenburg, über dessen Gebiet ca. 1 km der U-Bahn-Verlängerung führt, wirklich keine wichtigeren Projekte, als Millionen von Steuergeldern in eine Strecke zu stecken, die - wenn überhaupt - fast ausschließlich von Berliner Fluggästen genutzt wird?

IGEB

aus SIGNAL 3/1992 (Mai 1992), Seite 19-20

 

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