1. Tram-Betrieb
Überfüllte Straßenbahnen
durch kürzere Züge
Die pauschale Kürzung der Zuschüsse an
die BVG von allein 150 Mio DM im Jahr
1992 führt dazu, daß die BVG gezwungen
ist, fahrgastfeindliche Angebotskürzungen
auch bei der Tram durchzuführen. So verkehren
zahlreiche Linien nur noch als Kurzzüge
oder völlig ohne Beiwagen, obwohl die
dadurch erreichbaren Kosteneinsparungen
minimal sind. Ein Beispiel: Während Verkehrssenator
Haase für den Autoverkehr
einen leistungsfähigen "inneren Straßenring"
plant, fahren auf den dort verkehrenden
Tramlinien 4 und 13 nur noch Kurzzüge,
was zu teilweise völlig überfüllten Zügen
nicht nur im Berufsverkehr führt.
Immer längere Fahrzeiten
mangels eigener Trassen
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Möllendorffstraße in Berlin. Die Straßenbahn steht im Autostau. Solche Mißstände findet man in vielen Straßen der Stadt. Durch Freihaltung der Gleise wären bei der BVG 20 bis 30 Mio DM im Jahr einzusparen. Foto: F. Brunner |
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Auf immer mehr Streckenabschnitten bleibt
die Tram tagtäglich im Autostau hängen,
obwohl Abmarkierungen für eine eigene
Trasse problemlos und kostengünstig sofort
für Beschleunigung und damit Reduzierung
der Betriebskosten sorgen könnten. Höchste
Priorität müssen dabei Abmarkierungen
auf der Invaliden-, Brunnen-, Chaussee-,
Eberswalder, Möllendorff-, Seelenbinder- und
Bahnhofstraße sowie auf der Prenzlauer
Promenade und der Langen Brücke
haben. Jeder Kilometer abmarkierte Trasse
bedeutet jährliche Kosteneinsparungen von
1 bis 5 Mio DM, so daß allein durch
Gleisabmarkierungen auf den vorgeschlagenen
Straßen 20 - 30 Mio DM pro
Jahr eingespart werden können. Stattdessen
werden selbst dort, wo bisher Abmarkierungen
existierten, diese nicht mehr erneuert,
z.B. Dimitroffstraße/Schönhauser Allee. An
anderen Stellen werden bewußt Linksabbiegespuren
auf den Tramgleisen angelegt,
z.B. Seelenbinderstraße.
Immer längere Fahrzeiten
durch fehlende Vorrangschaltungen
Allein 1991 sind 20 neue Lichtsignalanlagen
an Kreuzungen bzw. Einmündungen gebaut
worden, die von Tramlinien befahren werden.
Bei keiner Ampel hat die Tram eine
Vorrangschaltung erhalten. Im Gegenteil:
Häufig hat die Tram nur 8 bis 10 s grün bei
Ampelumlaufzeiten von z.T. mehr als 2 Minuten.
Allein für die 1991 neu gebauten
Ampeln entstehen der BVG nach Berechnungen
der IGEB Mehrkosten durch
erhöhten Personal-, Fahrzeug- und Energieeinsatz
von über 10 Mio DM.
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Währinger Straße in Wien. So einfach und preiswert ist es, das Gleis der Tram freizuhalten. Im Notfall können die Schwellen von den Autos überfahren werden. Solche oder ähnliche Lösungen findet man in vielen Städten - ausgenommen Berlin. Foto: M. Horth |
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Auch bei den zukünftig geplanten Lichtsignalanlagen
wird die Tram - entgegen den
offiziellen Verlautbarungen von Verkehrssenator
Haase - keinen Vorrang bekommen.
Es wird nicht auf andernorts längst bewährte
Technik zurückgegriffen, sondern die
Vorrangschaltung soll erst durch ein - nach
heutigen Planungen im Jahr 2003 zur Verfügung
stehendes - hochkompliziertes Betriebsleitsystem
gesteuert werden.
Aber selbst bestehende Anforderungsschaltungen
für die Tram werden häufig grundlos
außer Betrieb genommen, z.B. Pappelallee
Ecke Stargarder Straße, Invaliden- Ecke
Brunnenstraße und an mehreren Stellen im
Zuge des "inneren Straßenringes" (Dimitroffstraße).
Viel zu wenig Geld
für Streckenmodernisierungen
Der Zustand der Gleisanlagen macht an
vielen Stellen dringend Sanierungen erforderlich.
In diesem Jahr hat der Verkehrssenator
lediglich ca. 20 Mio DM dafür bereitfestellt.
Bei Modernisierungskosten von ca.
3 Mio DM je Kilometer können 1992 also
lediglich ca. 7 km des insgesamt 176 km langen
Netzes modernisiert werden. Hinzu
kommt, daß die Verwendung der Mittel
nicht nach der Dringlichkeit für die Tram-Sanierung
erfolgt. So werden z.B. wegen
Straßenbauarbeiten ÖPNV-Mittel zum
Gleisbau in der Schönhauser Allee eingesetzt,
obwohl der Zustand der Gleise hier
keine sofortige Sanierung erfordert. Und
nach Abschluß der Arbeiten wird sich für
die Fahrgäste in der Schönhauser Allee
nichts verbessert haben: Die Tram wird weiter
im Stau stehen, und auch an der unzumutbaren
Zustiegssituation wird nichts geändert.
Dort, wo Sofortmaßnahmen erforderlich
sind, fehlt es dann angeblich an Geld. So
muß die Straßenbahn in der Allee der Kosmonauten
wegen des schlechten
Gleiszustandes abschnittsweise bereits seit
Jahren im Schrittempo fahren, was nicht
nur den Fahrgästen Verdruß bringt, sondern
auch die Betriebskosten unnötig in die
Höhe treibt.
Auch eine für den Einsatz der moderneren
Tatra-Fahrzeuge erforderliche bessere
Stromversorgung durch zwei neue Unterwerke
im Pankower und im Köpenicker
Netz ist bis zum heutigen Tage unterblieben,
obwohl BVG, Fahrgäste und Anwohner
vom Einsatz der moderneren Tatra-Wagen profitieren würden.
Fahrgastschikanen
bei Schienenersatzverkehr
Auf den Strecken, auf denen endlich die
Gleisanlagen erneuert werden, sind kurzzeitige
Streckenstillegungen unvermeidbar.
Die daraus resultierenden Nachteile für die
Fahrgäste müssen aber auf ein unvermeidbares
Minimum reduziert werden. Die
Realität sieht anders aus: Während in anderen
Städten, wie z.B. Köln, auch längere
Streckenabschnitte über ein Wochenende
total erneuert werden, kommt es in Berlin
zu Wochen- und teilweise monatelangen
Betriebseinstellungen.
Ein Schienenersatzverkehr (SEV) wird z.T.
gar nicht mehr eingerichtet (Beispiel Köpenick,
Müggelseedamm: Stillegung seit
Herbst 1991, Ende noch nicht absehbar),
oder er ist völlig unzureichend, z.B. zu kleine
und zu wenig Busse, Busse die keine
Kinderwagenmitnahme erlauben, fehlende
Fahrgastinformationen usw. Es werden
Strecken tagelang für Arbeiten gesperrt, die
problemlos auch nachts erfolgen können
(z.B. Gleisstopfarbeiten zwischen Betriebshof
Marzahn und Hellersdorf vom 5.5. bis
10.5.92). Während der 2-wöchigen Gleiserneuerungsarbeiten
auf dem 200 m langen
Abschnitt der Konrad-Wolf-Straße zwischen
Weißensseer Weg und Altenhofer Straße
hätte täglich Zehntausenden von Fahrgästen
eine mehr als 2 km lange Stop-and-Go-Fahrt im
Bus auf der Landsberger Allee erspart
bleiben können, wenn die Verkehrspolizei
sich nicht geweigert hätte, für die
bestehende (!) Gleisverbindung von der
Hohenschönhauser Straße in den Weißenseer
Weg eine Grünphase im Ampelumlauf
vorzusehen (s. SIGNAL 9/91 ).
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Friedrichstraße. Auch während der Erneuerung der Weidendammer Brücke könnte hier die Straßenbahn fahren. Zwar ist die Wendeschleife Am Kupfergraben nicht erreichbar, aber der Einsatz der vorhandenen Zweirichtungsfahrzeuge würde ein Enden auf der Friedrichstraße ohne Wendeschleife ermöglichen. Foto: F. Brunner |
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Z.T. erfolgen Betriebseinstellungen aber
auch, ohne daß irgendwelche Straßenbahnerneuerungen
erfolgen. So ist die Linie 71
seit Herbst 1991 abschnittsweise eingestellt.
Grund: Wegen Straßenbaumaßnahmen in
der Blankenburger und der Rotenbachstraße
erfolgt eine Umleitung des Autoverkehrs
entlang der Tramstrecke. Damit
der Autoverkehr nicht behindert wird, werden
Fahrgäste nicht mehr befördert...
Auch die ab Sommer 1992 geplante Sperrung der
Weidendammer Brücke wird für
Tramfahrgäste einschneidende Nachteile
bringen. Bei Einsatz aller vorhandenen
Zweirichtungsfahrzeuge könnte wenigstens
ein Teil der Linien bis zum nördlichen
Brückenkopf fahren. Stattdessen wird der
Straßenbahnbetrieb in der Friedrichstraße
vollständig eingestellt, und die in der Oranienburger
Straße verkehrenden Linien
werden hoffnungslos im Stau stecken bleiben,
weil diese Straße Umleitungsstrecke
für den Autoverkehr wird und Trassenabmarkierungen
natürlich nicht vorgesehen
sind.
2. Straßenbahn-Fahrzeuge
Berlin ist bald die einzige Stadt
ohne modernisierte Fahrzeuge
Während inzwischen fast alle Städte in den
neuen Bundesländern angefangen haben,
mit Hilfe von Bundesgeldern ihren Straßenbahn-Fahrzeugpark
zu modernisieren,
hat man in Berlin die zur Verfügung stehenden
Gelder bis heute nicht abgerufen. Eine Modernisierung
der Berliner Fahrzeuge ist
aber vor allem wegen der damit möglichen
deutlichen Reduzierung der Betriebskosten
durch niedrigeren Energieverbrauch und
feringeren Wartungsaufwand sowohl beim
Fahrzeug wie am Gleisbau dringend erforderlich.
Die Potsdamer Verkehrsbetriebe
werden allein 1992 20 Wagen mit Hilfe von
Bundesgeldern umfassend erneuern, und
Städte wie Magdeburg, Schwerin oder Halle
werden innerhalb der nächsten 2 Jahre fast
ihren gesamten Fahrzeugpark modernisieren.
Nur in Berlin geschieht nichts.
Keine Bestellung von Neufahrzeugen
Trotz bereitstehender Bundesgelder aus
dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
(GVFG) ist bis zum heutigen Tage nicht ein
einziges Neubaufahrzeug bestellt worden.
Die Lieferfristen betragen wegen des bundesweiten
Nachfragebooms inzwischen mindestens
2 Jahre. Stattdessen gaukelt Verkehrssenator
Haase der Berliner Bevölkerung
vor, daß schon 1993 Neubaufahrzeuge
über Berlins Gleise rollen werden. Dabei
liegen in Berlin noch nicht einmal konkrete
Vorstellungen über die neuen Fahrzeuge
vor. Die Verkehrsverwaltung streitet noch
mit der BVG darüber, ob Ein- oder Zweirichtungswagen
beschafft werden sollen.
Unklar ist ferner, ob die Fahrzeuge 27 m
oder 36 m lang sein sollen oder ob vielleicht
beide Fahrzeuglängen beschafft werden.
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Ein sogenannter Reko-Zug der BVG. Diese wenig attraktiven Altfahrzeuge erhalten keine weitere Hauptuntersuchung, sie werden verschrottet. Da aber noch immer keine neuen Straßenbahnfahrzeuge bestellt wurden, sind Streckenstillegungen durch Fahrzeugmangel absehbar. Foto: F. Brunner |
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Das einzige, was in Berlin beim Straßenbahn-Fahrzeugpark
geschieht, sind Verschrottungen.
Da an den ca. 350 Altbau-Fahrzeugen seit geraumer Zeit keine
Hauptuntersuchungen mehr erfolgen und
damit laufend Fahrzeuge ausgemustert werden
müssen, gleichzeitig jedoch keine Neubestellungen
ergehen, läuft das Nichtstun
des Verkehrssenators unweigerlich auf
Streckenstillegungen hinaus, da in absehbarer
Zeit nicht mehr ausreichend Fahrzeuge
zur Verfügung stehen werden.
3. Tram-Planungen
Noch immer kein einziges
Planfeststellungsverfahren eingeleitet
Das bestehende Straßenbahnnetz stellt zwar
ein wertvolles Potential für ein kurzfristig
ganz wesentlich zu verbesserndes ÖPNV-Netz
dar, ohne Netzerweiterungen - vor allem
in der Innenstadt und zur Verknüpfung
mit dem West-Berliner Verkehrsnetz -
bleibt es jedoch ein Torso. Die IGEB hat
zusammen mit anderen Verkehrs- und Umweltinitiativen
im August 1991 mit dem
Konzept "Tra(u)mstadt Berlin" die dringendsten
Verlängerungsstrecken (30 km
Neubaustrecken bis 1995 und weitere 50 km
bis zum Jahr 2000) mit den Finanzierungsmöglichkeiten
benannt. Auch die BVG hat
in ihrem Strategiepapier vom September
1991 die Vorteile der modernen Tram dargelegt
und mit kurzfristigen Netzerweiterungen
von 43 km, vor allem in der Berliner
Innenstadt, den dringendsten Erweiterungsbedarf
für ein betrieblich sinnvolles Tramnetz
benannt. Aber dank Verkehrssenator
Haase ist davon bis zum heutigen Tage kein
Meter in Angriff genommen worden.
Für Sommer 1991 hatte der Senator ein
Tram-Konzept angekündigt, das er bis heute
nicht zustande gebracht hat. Im November
1991 stellte er auf Druck der Öffentlichkeit
die "Kurzfassung" (eine Langfassung
gab und gibt es nicht) eines "Stadtbahnkonzeptes"
vor und kündigte - neben zahlreichen
Streckenstillegungen - immerhin die
Einleitung von Planfeststellungsverfahren
für die Strecken Bornholmer Straße - Osloer
Straße - U-Bf. Seestraße, Eberswalder
Straße - Invalidenstraße - Lehrter Stadtbahnhof
und Prenzlauer Tor - Alexanderplatz
- Spandauer Straße - Leipziger Straße
- Potsdamer Platz - Kulturforum für das
Frühjahr 1992 an. Inzwischen vertröstet er
die Fahrgäste auf Ende '92. Ein Grund für
die Verzögerung ist, daß das Bundesverkehrsministerium
Senator Haases Konzept
nicht als seriöse Planungsgrundlage für
die Vergabe von GVFG-Geldern akzeptiert
hat ...
Streckenstillegungen drohen
Wenn man in Berlin schon keine Planung
auf die Reihe bekommt, arbeitet man wenigstens
an den Stillegungsplänen weiter,
ausgerechnet auf Strecken, die überwiegend
oder teilweise auf eigenen Trassen verlaufen,
z.B. die Linie 22 nach Rosenthal oder
die Linie 84 nach Altglienicke. Doch die
Frage nach Sinn oder Unsinn einer Strecke
wird bald nicht mehr die ausschlaggebende
sein, weil der Verkehrssenator, wie vorstehend
gezeigt, die Sachzwänge für Stillegungen
vorsätzlich herbeiführt.
Anhand dieser zahlreichen Beispiele wird
deutlich, daß die Tram in Berlin schon sehr
bald auf der Strecke zu bleiben droht, wenn
nicht sofort Entscheidungen zugunsten dieses
zukunftsträchtigen Verkehrsmittels getroffen
werden. Der Fahrgastverband IGEB
fordert den Berliner Senat auf, unverzüglich
die Demontage-Politik von Senator Haase
zu unterbinden und dafür zu sorgen, daß
endlich mit den überfälligen Maßnahmen
zur Attraktivierung des heutigen Betriebes,
zur Modernisierung und Erneuerung des
Fahrzeugparks und zur Erweiterung des
Netzes begonnen wird. IGEB
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