Planung

Pfifferling oder Fliegenpilz?

Das Pilzkonzept für die Berliner Eisenbahn (6. Teil)

Für die Realisierung des sogenannten Pilzkonzeptes stehen "Mittel in Höhe von rund 10 Milliarden Mark" zur Verfügung", schreibt die Senatsverkehrsverwaltung in einem im Juli herausgegebenen Faltblatt (s. Ausschnitt im Kasten). Daß dies nur die halbe Wahrheit ist, zeigen die Antwortschreiben Bonner Politiker an den Berliner Abgeordneten Michael Cramer. Die Antwortschreiben beziehen sich auf Herrn Cramers Positionspapier "Der Lehrter Zentralbahnhof - Berlins Tunnelbau zu Babel" (s. SIGNAL 6/93 ). Die Briefe aus Bonn verdeutlichen zugleich einen gravierenden Mangel der Berliner Tunneldiskussion. Es wird praktisch ausschließlich über "alles oder nichts" gestritten. Wenn aber der Wirtschaftlichkeitsnachweis ein so entscheidendes Kriterium ist, warum sind dann keine Untersuchungen mit weniger Tunnelgleisen durchgeführt worden? Und warum gibt es keine Variante ohne den Straßentunnel, der wie eine Zecke am Bahntunnelprojekt zu hängen scheint? Sind sich Berliner Senat und Deutsche Reichsbahn ihrer Sache so sicher, daß sie nur die Maximalvariante planen? Daß diese "Siegesgewißheit" verfrüht sein könnte und es für eine Überprüfung des Pilzkonzeptes noch nicht zu spät ist, das zeigen (Herrn Cramer sei Dank) die Briefe aus Bonn.

Ausschnitt
Eisenbahn für Berlin: Das Pilzkonzept heißt ein Faltblatt der Berliner Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe, dem wir desen Ausschnitt entnahmen. für an dem Faltblatt interessierte: Die Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe finden Sie An der Urania 4-10 in 10787 Berlin.

Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Mitglied des Deutschen Bundestages Bonn, den 17. August 1993

Sehr geehrter Herr Kollege,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 29.06.1993 hinsichtlich des Eisenbahnkonzeptes in Berlin. Ich habe Ihre Ausführungen mit Interesse gelesen, mache jedoch darauf aufmerksam, daß die Baukommission des Deutschen Bundestages sich ausschließlich mit den Bauangelegenheiten des Deutschen Bundestages in Berlin und Bonn beschäftigt und nicht mit verkehrlichen Grundsatzfragen. Die Kolleginnen und Kollegen der Baukommission klinken sich in diese Diskussion nur insoweit ein, als im Detail Bauplanungen des Parlamentsviertels betroffen werden. Wir haben deswegen im städtebaulichen Wettbewerb die potentiellen Tunneltrassen freigehalten. Ich habe mir deswegen erlaubt, Ihr Schreiben dem Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages weiterzugeben, der im parlamentarischen Bereich die Angelegenheiten des Bundesverkehrsministers behandelt.

Manfred Carstens
Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr Bonn, den 17. August 1993

Sehr geehrter Herr Cramer,
Herr Minister Wissmann dankt für Ihr Schreiben vom 25. Juni 1993. Er hat mich gebeten, Ihnen zu antworten. Im Bundesverkehrswegeplan 1992 und im Schienenwegeausbaugesetz, welches der Bundestag am 30. Juni 1993 verabschiedet hat, ist die Eisenbahnkonzeption Berlin (vorbehaltlich eines positiven Ergebnisses der Wirtschaftlichkeitsberechnungen) im "Vordringlichen Bedarf" als "Neues Vorhaben" enthalten. Den Planungen wird, entsprechend dem ausdrücklichen Wunsch der Deutschen Reichsbahn und des Berliner Senates, das "Pilzkonzept" in der ersten Stufe zugrundegelegt, wobei die Kosten auf 10 Mrd. DM begrenzt sind. Die Deutsche Reichsbahn ist beauftragt, den erforderlichen Wirtschaftlichkeitsnachweis zu erbringen.

Für neue S-Bahnen ist unter anderem Voraussetzung, daß ein entsprechendes Verkehrsbedürfnis besteht, die Maßnahme volkswirtschaftlich sinnvoll ist und sichergestellt ist, daß dem Bund und der Deutschen Bundesbahn/Deutschen Reichsbahn durch die Maßnahmen keine neuen Folgekosten entstehen. Das dazu vom Berliner Senat durchgeführte standardisierte Bewertungsverfahren ist ebenfalls noch nicht abgeschlossen.

Folgerungen für die S- und Fernbahn sind erst nach Abschluß der Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen möglich. Was die Frage der U-Bahn oder einer alternativen Straßenbahnplanung angeht, so liegt dafür die Zuständigkeit ausschließlich beim Berliner Senat.

Dr. Joachim Grünewald, MdB
Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen Bonn, den 24. August 1993

Sehr geehrter Herr Kollege,
vielen Dank für Ihr Schreiben an Bundesminister Dr. Theo Waigel zum Eisenbahnkonzept für die Bundeshauptstadt Berlin. In den Bundesverkehrswegeplan 1992 sind Maßnahmen im Rahmen der Eisenbahnkonzeption Berlin im Umfang von 10 Mrd. DM vorbehaltlich des Nachweises der Wirtschaftlichkeit aufgenommen worden. Den Vorstelungen des Berliner Senats und der Deutschen Reichsbahn entsprechend wurde dabei das sogenannte Pilzkonzept in der Stufe 1 berücksichtigt. Im Mittelpunkt der Planungen steht der Neubau einer Nord-Süd-Achse mit zentralem Bahnhof im Bereich des Hamburger und Lehrter Bahnhofs.

Dieses Konzept wurde den weitergehenden Planungen und Wettbewerben für den Verkehrsbereich und die städtebauliche Gestaltung insbesondere im Parlaments- und Regierungsbereich zugrundegelegt. Inwieweit eine grundlegende Änderung der Konzeption möglich ist, wäre von der zuständigen Senatsverwaltung und der Deutschen Reichsbahn zu klären.

Das Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zum Eisenbahntunnel im Spreebogen liegt mir noch nicht vor. Bitte haben Sie Verständnis, wenn ich deshalb zu Ihrer Aussage, der Tunnel rechne sich nicht und die Deutsche Reichsbahn verlange von der Bundesregierung die Übernahme der Defizitkosten für den Tunnel, nicht Stellung nehme.

IGEB

aus SIGNAL 7/1993 (September 1993), Seite 8-9

 

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