Fast vier Jahre nach dem Fall der
Mauer hat der Verkehrssenator im
Sommer 1993 endlich das Planfeststellungsverfahren
für eine der wichtigsten
Straßenbahnverlängerungen in den Westteil
der Stadt eingeleitet.
Verlängert werden soll die
Tram-Linie 23 von der heutigen Endhaltestelle
S-Bf. Bornholmer Straße über die
Bornholmer und Seestraße zum Eckernförder
Platz. Aber die im Herbst im Rahmen der Bürgerbeteiligung
präsentierten Pläne lassen wenig
Hoffnung aufkommen, daß die Senatsplaner
ernsthaft am Ausbau der Tram interessiert sind. Als sollte der
Beweis angetreten werden, daß eine
Straßenbahn nicht nach (West-)Berlin
paßt, ist die Strecke mit überzogenen technischen und betrieblichen
Vorgaben geplant worden. Würde man
stattdessen stadtgestalterische und
landschaftsplanerische Aspekte - so wie
dies in anderen Städte selbstverständlich
ist und dort ganz wesentlich zur Akzeptanz der Straßenbahn
beiträgt - auch in Berlin berücksichtigen,
müßte z.B. nicht ein einziger
Baum für diese Tram-Verlängerung fallen.
Jetzt aber ist verständlicher
Widerstand von Naturschützern und Anwohnern vorprogrammiert.
Um die dringend benötigte Tram-Verlängerung
von Prenzlauer Berg nach Wedding schnell realisieren
zu können, sind grundlegende Korrekturen
an der Senatsplanung erforderlich. Der Berliner
Fahrgastverband IGEB fordert deshalb:
- Anschaffung von Zweirichtungsfahrzeugen
Dann kann der Baumbestand in der Grünanlage
am Eckernforder Platz unangetastet bleiben. Ob
in Los Angeles, Paris, Manchester oder Istanbul:
Bei fast allen neu errichteten großstädtischen
Straßenbahn Systemen werden Zweirichtungswagen
eingesetzt. Nur in Berlin hält man verbohrt
am Einrichtungswagen fest, obwohl auch bei allen
anderen Tramverlängerungen Probleme mit
den Wendeschleifen zu erwarten sind.
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Vor der Bösebrücke (Im Hintergrund) endet heute die Tram. Sie soll über die Brücke in den Wedding geführt werden. Doch wie wenig ernst diese Planung beim Senat selbst genommen wird, zeigen die jüngsten Straßenbauarbeiten: Genau auf die geplante Trasse wurden jetzt neue Ampelmaste gesetzt(Pfeil). Foto: Matthias Horth |
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Auch bei der Erneuerung der Fahrbahndecke auf der Brücke wurde keine Vorleistungen erbracht. Anstatt Gleise zu verlegen, wurde die künftige Tram-Trasse lediglich abmarkiert. Foto: Matthias Horth |
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- Nur drei Abstellgleise am Eckernforder Platz
Dann kann der hier besonders wertvolle Baumbestand
im Mittelstreifen erhalten bleiben. Mehr
als drei Abstellgleise sind für einen effizienten
Tram-Betrieb ohnehin nicht erforderlich.
- Keine Bäume für Kfz-Linksabbiegespuren
abholzen
Die geplante Baumfällaktion hat ursächlich
nichts mit dem Straßenbahnbau zu tun und ist besonders
dreist, denn hier soll die Tram dazu benutzt
werden, die Leistungsfähigkeit für den Autoverkehr
zu erhöhen, und dies soll auch noch die
Tram (auch finanziell) angelastet werden!
- Bau von Rasengleisen
Während andernorts seit Jahren positive Erfahrungen
mit Rasengleisen gemacht wurden und
damit die Akzeptanz von Neubaustrecken wesentlich
erhöht wurde, werden in Berlin weiterhin
Schottergleise geplant. Lediglich auf einem
60 m langen Abschnitt soll das Wachsen des
Rasens in Berlin "erprobt" werden.
- Verzicht auf eine durchgängige - auch noch
beidseitige - Einzäunung der Tramstrecke
Dieses Vorhaben ist genauso beispiellos wie
überflüssig und für die Gestaltung des Straßenraumes
absolut unverträglich.
Diese und weitere Kritikpunkte hat der Berliner
Fahrgastverband IGEB dem Verkehrssenator am
15. September in einer ausführlichen Stellungnahme
mitgeteilt. Im Rahmen der Bürgerbeteiligung
zum Planfeststellungsverfahren schrieb die
IGEB u.a.:
Die IGEB befürwortet ausdrücklich die geplante
Verlängerung der Straßenbahn über die Bornholmer,
Osloer und Seestraße nach Wedding, da
durch sie eine entscheidende Lücke im öffentlichen
Verkehrsnetz zwischen den beiden Stadthälften
geschlossen werden kann. Die für diese
Strecke prognostizierten Fahrgastzahlen belegen
die Dringlichkeit dieser Verlängerungsstrecke, so
daß die Weiterführung des Planfeststellungsverfahrens
ohne weitere Verzögerung erfolgen muß
und der Bau der Strecke noch vor 1997 abzuschließen
ist. Deshalb fordert die IGEB auch, die
im vorliegenden Planfeststellungsverfahren nicht
berücksichtigte Planung der notwendigen Gleichrichterwerke
unverzüglich nachzuholen bzw. die
Realisierung durch Plangenehmigung sicherzustellen.
Ein wesentliches Qualitätsmerkmal der Straßenbahn
ist ihre Integrierbarkeit in die vorhandene
Stadt. Die Renaissance der Straßenbahn ist in
vielen Städten nicht zuletzt auf ihre stadträumliche
Verträglichkeit zurückzuführen. Dazu sind
sowohl unter funktionalen wie auch
gestalterisehen Gesichtspunkten in anderen Städten hervorragende
Lösungen erarbeitet worden, die jedoch
bei den vorliegenden Berliner Plänen insbesondere
durch
- die Nichtberücksichtigung von Rasengleisen,
- das unnötige Fällen von über 130 Bäumen
- und die durchgehende (und beidseitige!)
Einzäunung der Neubaustrecke völlig ignoriert
werden.
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Foto: I. Schmidt |
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Fahrgäste, die von Prenzlauer Berg nach Wedding wollen, werden sich noch viele Jahre mit Straßenbahn-Ersatzverkehr begnügen müssen. Zwar hat der Verkehrssenator nach wiederholt nicht eingelösten Versprechen im Sommer 1993 endlich das Planfeststellungsverfahren für die erste Tram-Verlängerung nach Westen eingeleitet. Aber Vieles deutet daraufhin, daß Verkehrsstaatssekretär Schmitt und sein Senator Haase kein Interesse haben, das Verfahren schnell abzuschließen. Allzu viele Konflikte sind vorprogrammiert. Foto: Matthias Horth |
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So liegen bereits seit Ende der 70er Jahre Erfahrungen
mit Rasengleisen in zahllosen Städten des
In- und Auslandes vor. Die positiven Auswirkungen
von Rasengleisen auf die Stadtgestalt und die
Schallentwicklung haben überall zu einer erhöhten
Akzeptanz von Straßenbahnstrecken geführt,
und die von anderen Verkehrsbetrieben als "marginal"
bewerteten Mehrkosten machten sich damit
bezahlt. Zu der beschriebenen Korrosionsgefahr
durch Streuströme bei Rasengleisen wird z.Z.
im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums ein
Forschungsvorhaben durchgeführt, zu dem bereits
Zwischenberichte vorliegen. Die sich daraus
und aus dem Abschlußbericht ergebenden
bautechnischen Empfehlungen sind bei der Anlage
von Rasengleisen auch für Berliner
Neubaustrecken anzuwenden.
Der Straßenzug Wisbyer, Bornholmer, Osloer,
Seestraße weist aufgrund seines breiten Querschnitts
und seiner repräsentativen Straßenraumgestaltung
einen boulevardähnlichen Charakter
auf. Insbesondere durch seine durchgehenden
Baumreihen am Fahrbahnrand und im Mittelstreifen
stellt er einen homogenen und den Bezirk
Wedding prägenden Straßenraum dar, der in
seinen Qualitäten weder durch die Straßenbahn
noch durch Fahrbahnaufweitungungen gefährdet
werden darf - und auch nicht muß. So ist das
Abholzen von über 130 Bäumen entlang der geplanten
Strecke völlig unnötig: Der Bau der Straßenbahnstrecke
wäre auch ohne Baumfällungen
möglich, wenn im Entwurf stadtgestalterische
und landschaftsplanerische Aspekte hinreichend
berücksichtigt worden wären.
Besonders gravierend sind die Eingriffe im Bereich
der Abstellanlage am Eckernforder Platz,
da hier auf einer Länge von über 150 m beide
Baumreihen im Mittelstreifen zugunsten von vier,
besonders großem Gleismittenabstand angelegten
Abstellgleisen
abgeholzt werden sollen.
Neben einer Abstellkapazität
von vier
Zügen in Doppeltraktion
(ohne Berücksichtigung
der Ankunfts-
und Abfahrtsbahnsteige)
für zwei
Linien wird gleichzeitig
dem betrieblichen
Sonderfall entsprochen,
daß auch bei voller
Belegung aller Abstellkapazitäten
ein ankommender
Zug die
pausierenden Züge
überholen und sofort
wieder zurückfahren
kann.
Es muß geprüft werden,
ob durch eine Reduzierung
des Querschnitts
der Gleisanlagen
beide Baumreihen
erhalten bleiben
können. Z.B. dienen
die beiden innenliegenden
Gleise nur
"überholenden" Zügen,
so daß keine Ausstiegfläche
für Fahrer berücksichtigt
werden
braucht. Sollte dies
nicht möglich sein,
muß zugunsten des Erhalts
der beiden Baumreihen
das vierte Gleis entfallen. Dem oben beschriebenen
betrieblichen Sonderfall (Überholen
von pausierenden Zügen) kann durch zusätzliche
Weichen und entsprechende signaltechnische
Ausstattung für einen Zweirichtungsbetrieb des
"Ankunftsgleises" entsprochen werden.
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Foto: Ingo Franßen |
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Vorprogrammiert sind z.B. Konflikte am Eckenförder Platz (oben) und auf der Seestraße (hier). Weil Verkehrssenator und BVG die Anschaffung von Zweirichtungsfahrzeugen blockieren, soll unnötigerweise in die Grünanlage auf dem Eckenförder Platz eine Wendeschleife für die Tram gebaut werden. Ebenso unverantwortlich sind die Pläne für den Mittelstreifen der Seestraße: Während in anderen Städten die Straßenbahn gerade deshalb eine Renaissance erlebt, weil sie ein besonderes stadt- und umweltverträgliches Verkehrsmittel sein kann, soll in Berlin offenbar das Gegenteil bewiesen werden. Zwischen Klinikum Rudolf Virchow und Eckenförder Platz sollen beide Baumreihen gefällt werden, weil nach Senatsplanungen vier nebeneinanderliegende Gleise gebaut werden sollen. Foto: I. Schmidt |
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Ein erheblicher Teil der Bäume soll zur Steigerung
der Leistungsfähigkeit für den Autoverkehr
durch Neuanlage von zum Teil doppelten Linksabbiegespuren
geopfert werden. Das Fällen dieser
Bäume, das nicht im ursächlichen Zusammenhang
mit der Straßenbahn-Neubaustrecke steht,
wird daher von der IGEB entschieden abgelehnt
Bäume sollen auch fallen, weil ohne Rücksicht
auf die Örtlichkeit die angestrebte Bahnsteigbreite
von 3,5 m zum Dogma erhoben wird: Es würde
weder die Fahrgäste noch den Betrieb beeinträchtigen,
wenn im Einzelfall unter Rücksichtnahme
auf den Baumbestand die Bahnsteigbreite
etwas reduziert werden würde. Somit könnten
auch alle Baumfallungen im Bereich geplanter
Bahnsteige unterbleiben.
Im übrigen weist die IGEB daraufhin, daß bei
einer Berücksichtigung von Zweirichtungsfahrzeugen
die Errichtung der Wendeschleife in der
Grünanlage am Eckernforder Platz entfallen
könnte und damit eine höhere Stadtverträglichkeit
der Straßenbahn gegeben wäre. Da auch
andere geplante Straßenbahn-Verlängerungsstrecken
hinsichtlich der Wendeschleifen eine
ähnliche Problemlage aufweisen, fordert die
IGEB die kurzfristige Beschaffung auch von
Zweirichtungsfahrzeugen für die Berliner Straßenbahn,
wie sie z.B. in Bochum, Halle oder
Frankfurt/Main (hier in vollständiger Niederflurbauweise)
bereits verkehren.
Die vorgesehene beidseitige Einzäunung der
Strecke durch "Schutzzäune" läßt die Straßenbahnstrecke
unnötig zu einer stadträumlichen
Barriere für Fußgänger werden und reduziert
zusammen mit den geplanten Schottergleisen die
stadtgestalterische Verträglichkeit der Neubaustrecke.
Sie widerspricht den in anderen Städten
vorliegenden Erfahrungen über die Notwendigkeit
von Streckeneinzäunungen. So weist keine
der in den letzten Jahren gebauten städtischen
Straßenbahn-Neubaustrecken im In- und Ausland
eine durchgehende Einzäunung auf.
Mit ca. 450 m ist der durchschnittliche Haltestellenabstand
ungewöhnlich kurz, was zu einer niedrigen
Reisegeschwindigkeit führen wird, wegen
der dichten Bebauung und aufgrund der lokalen
Gegebenheiten aber vertretbar scheint. Unverständlich
ist die Lage der Bahnsteige am U-Bf.
Seestraße westlich der Müllerstraße, da somit zur
Haltestelle Antwerpener Straße ein Haltestellenabstand
von lediglich 267 m, zur Haltestelle Indische
Straße aber ein Haltestellenabstand von
625 m (Plan) bzw. 725 m (Erläuterungsbericht)
und damit eine unnötige Erschließungslücke entstehen
würde. Da sich aus der Umsteigesituation
zur U-Bahn keine Präferenz für die Lage der
Straßenbahnhaltestellen ergibt, sollten die Bahnsteige
zugunsten einer besseren Flächenerschließung
auf die Nordostseite der Kreuzung
See-/Müllerstraße verlegt werden.
Die Lage des Bahnsteiges Bösebrücke Ost ist
nicht sinnvoll, da zukünftig in diesem Bereich
kein Zugang zur S-Bahn verbleibt. Vom im Bau
befindlichen östlichen S-Bahnsteig Bornholmer
Straße wäre auch weiterhin die Straßenbahn-Haltestelle
Bösebrücke West die nächstgelegene.
Durch die beabsichtigte Auflassung der Haltestelle
Björnsenstraße würden sich vielmehr aus den
angrenzenden Wohnblöcken unnötig verlängerte
Fußwege ergeben. Die IGEB schlägt deshalb
die Beibehaltung der jetzigen Bahnsteige unmittelbar
östlich der Kreuzung Bornholmer/Bjorsen-/Malmöer Straße vor.
Um den Umsteigeweg zwischen S-Bahn und
Straßenbahn zu verkürzen, sollten der Bahnsteig
Bösebrücke West und der ampelgeregelte Zugang
um mindestens 20 m weiter nach Osten
verlegt werden. Zugunsten eines kürzeren Umsteigeweges
sollte die hier geplante Kfz-Wendespur
ersatzlos entfallen.
Generell sollten alle Bahnsteige von beiden
Bahnsteigenden her zugänglich sein. Dadurch erweitern
sich nicht nur die Einzugsbereiche der
Haltestellen, sondern den Fahrgästen, die in ihrer
Mehrzahl ohnehin den kürzesten Weg wählen
werden, bleibt das Übersteigen von Zäunen
und Schottergleisen erspart. In Frankfurt/Main
führte das Bestreben, Fahrgästen und Fußgängern
das Überqueren der Gleisanlagen durch Zäune zu
verbieten, nach mehreren, nur durch die Zäune
verursachten Unfällen inzwischen dazu, daß
nachträglich zusätzliche Zugänge an Stadtbahnhaltestellen
eingerichtet werden. Ein zweiter
Zugang, der übrigens bei Straßenbahnhaltestellen
mit keinerlei zusätzlichen Unterhaltskosten
verbunden ist, ist daher auch an den Haltestellen
Bösebrücke West, Koloniestraße, Reinickendorfer
Straße, Antwerpener Straße, Amrumer Straße
und Klinikum Rudolf Virchow vorzusehen.
Ferner ist für alle Tram-Haltestellen ein einheitlicher
Ausstattungsstandard erforderlich. Dazu
gehören z.B. an allen Haltestellen (und nicht nur
im "Bedarfsfall") Lautsprecheranlagen, über die
die Fahrgäste bei Betriebsstörungen informiert
werden können.
Zu der vom Verkehrssenator geplanten Trassierung
muß festgestellt werden, daß offenbar vor
Kurven keine Übergangsbögen berücksichtigt
worden sind. Zugunsten eines höheren Fahrkomforts
Ist die Verwendung von Übergangsbögen
auch bei der Trassierung von Straßenbahnstrecken
üblich und sollte auch in Berlin Standard werden. IGEB
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