Im wesentlichen sieht sich die BVG-Straßenbahn
gut aufgestellt. Die teilweise dramatischen
Einbrüche der Fahrgastzahlen Mitte
der neunziger Jahre scheinen überwunden
zu sein, das umfangreiche Erneuerungsprogramm
der Fahrzeuge und Anlagen nähert
sich jetzt auch beim Fahrweg dem Abschluß.
Danach müssen sich die Fahrgäste
nicht mehr auf Totalumbauten, sondern nur
noch auf die Erhaltungsmaßnahmen im
Netz einstellen.
Leider sind auch weiterhin keine relevanten
Neubaustrecken (Potsdamer Straße,
Zoo,...) zu erwarten - alle Maßnahmen, die
auf eine Überwindung der Teilungsfolgen
bei der Straßenbahn hinzielen, werden von
der unwilligen Verwaltung nach Kräften
verschleppt und blockiert. Während in Neukölln
ohne viel Federlesens ein ganzer Stadtteil
mittels Flächenabriß zugunsten des Autobahnbaus
plattgemacht wurde, werden
im Falle geplanter Straßenbahnstrecken
Gullydeckel und Bordsteinkanten in den
Rang unantastbarer Heiligtümer erhoben
und bis zum Überdruß zwischen den einzelnen
Referaten hin- und hergeschoben.
Der Straßenbahn-Bereich beobachtet diese
Entwicklung (die auch unter dem rotgrünen
Senat unverändert fortgesetzt wurde)
mit Sorge, da man dort erkannt hat,
daß nur ein sinnvolles Strecken Wachstum
das langfristige Überleben der Straßenbahn
in Berlin sichern kann. Gleichwohl sieht man
sich bei der BVG außerstande, den Eigentümer
Land Berlin öffentlich an seine Pflichten
und Zusagen zu erinnern.
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Straßenbahn im Weißenseer Weg. Foto: Marc Heller |
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Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der
Lärmproblematik, die - ausgelöst durch die
fehlkonstruierten Niederflurstraßenbahnen
des Typs GT6N - einen breiten Raum in der
öffentlichen Diskussion erlangt hat. Hier
scheint jetzt Abhilfe in Sicht. Die derzeit
gelieferte vierte Serie GT6N (Zweirichtungsfahrzeuge)
weist neben geringfügigen Verbesserungen
für die Fahrgäste auch neu
konstruierte Getriebe auf, bei denen eine
geänderte Flankengeometrie der Zahnräder
eine Reduzierung der Schallabstrahlung um
6 dB(A) erbringt. Das markerschütternde
Heulen beim Anfahren und Bremsen wird
dadurch gemildert. Neben dem Einbau einer
Klimaanlage im Fahrgastraum ist dies
„das Beste, was man mit diesem Fahrzeugtyp
noch machen kann" (Dr. Predl). Eine
entsprechende Getriebeausrüstung soll
nach und nach die gesamte GT6N-Flotte
(insgesamt 150 Fahrzeuge) erhalten. Das
Problem der inakzeptabel engen Fußräume
und der schlechten Türverteilung bleibt hingegen
ungelöst und ist weiterhin ein
Grund, einer irgendwann anstehenden Ablösung
dieser Fahrzeuge hoffnungsvoll entgegenzusehen.
Breiten Raum nahm wieder der Punkt RBL
ein, von dessen Einführung sich die Straßenbahn
einiges verspricht. Wie aber insbesondere
die Erfahrungen mit dem nun
schon mehrjährigen „Betatest" des RBL-Systems
im Busbereich zeigen, ist bei derartigen
Absichtserklärungen allergrößte Skepsis
angezeigt, insbesondere die Verbesserungen
für den Fahrgast dürften sich in sehr
überschaubarem Rahmen bewegen. Im allgemeinen
werden Verbesserungen auf der
einen Seite (zum Beispiel Fahrgastinformation)
von Verschlechterungen auf der anderen
(zum Beispiel bei der Anschlußsicherung)
mehr als aufgewogen.
In puncto Beschleunigung der Straßenbahn
an Lichtsignalanlagen ist man - zumindest
auf dem Papier - einen großen
Schritt vorangekommen. Nachdem 1999 die
Linie 6 das bekommen hat, was man sich in
Berlin unter „Bevorrechtigung" vorstellt (in
anderen Straßenbahn-Städten Europas
lacht man über derartige Großtaten), soll
bis Frühjahr 2002 das komplette Maßnahmenpaket
abgearbeitet sein, das - entgegen
einer früheren Festlegung der Senatsverkehrsverwaltung
- auch die City Ost umfassen
soll. Insbesondere die bislang sträflich
vernachlässigten Netzbereiche Karlshorst,
Schöneweide/Johannisthal und Köpenick
könnten dann wenigstens ansatzweise
beschleunigt werden. Aber selbst auf den
bereits bearbeiteten Netzteilen sind regelmäßig
Störungen und Fehler zu verzeichnen
(technischer und programmtechnischer
Art), die zum Beispiel dazu führen, daß erst
sämtlichen an einer Kreuzung versammelten
Linksabbiegern freie Fahrt gegeben
wird, bevor dann auch mal ein Straßenbahnzug
mit hundert Fahrgästen fahren
darf.
In den Fragen der zahlreich erschienenen
Fahrgäste ging es erwartungsgemäß um
die Ärgernisse des täglichen Betriebes. So
wurde wiederholt kritisiert, daß durch die
Aufhebung von Doppelhaltestellen (zum
Beispiel am S- und Regionalbahnhof Schöneweide)
Umsteigemöglichkeiten zwischen
verschiedenen Linienrelationen zerstört
wurden.
Das Thema „behindertenfreundliche Straßenbahn"
ist in den Bereichen des Netzes,
in denen ausschließlich Tatrazüge verkehren,
ein ganz dunkler Fleck auf der weißen
Weste der BVG. Hier rächt sich, daß die
Beschaffung von Niederflurbeiwagen solange
verschleppt wurde, bis aufgrund des Fahrgastrückganges
und der nichterfolgten
Streckenerweiterungen ein deutlicher Fahrzeugüberschuß
eingetreten ist, der jetzt die
Beschaffung derartiger Beiwagen „natürlich
wirtschaftlich unmöglich" macht. Somit
muß für die BVG gelten, die vorhandenen
Niederflur-Züge besser im Netz zu verteilen
als das bisher der Fall ist, um auf allen Relationen
wenigstens zeitweise ein niederfluriges
Angebot zu schaffen.
Fahrzeugüberschuß auf der einen Seite,
Überfüllungen bei einigen Linien (8, 62, 68,
z.B. nach Schulschluß) auf der anderen: da
müßte doch durch Einsatz längerer Züge
wie T6+T6+B6 Abhilfe möglich sein? Die
BVG versprach zumindest, das Problem
noch einmal zu überdenken.
Es bleibt das Fazit: der Sprechtag Straßenbahn
war wie auch schon in der Vergangenheit
wieder eine interessante und
empfehlenswerte Veranstaltung.
IGEB,
Abteilung Stadtverkehr
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