Berlin

Peterchen und wie er die Welt sieht *)

Da hat der Senator der großen Ankündigungen und gebrochenen Zusagen aber wieder mal zugelangt: Während die Straßenbahn für Peter Strieder wegen »sinkender Einwohnerzahlen« verzichtbar ist (6. März 2003), fordert er nur wenige Tage später (12. März 2003) den wahnwitzigen und stadtzerstörerischen Bau von Stadtautobahnen in Form der A 100 - diesmal gleich durch bis zur Landsberger Allee.

Ist der Bevölkerungsschwund plötzlich doch zum Stillstand gekommen? Und war um gilt die dem Senator in Bezug auf die Straßenbahn gekommene Einsicht, „Aus diesem Grund kann es einen weiteren Ausbau des Verkehrsnetzes ... nicht mehr in dem einmal geplanten Sinne geben" (Strieder 16.März 2003) für die Autobahn plötzlich nicht?

Berlin hat es fertiggebracht, in den fast 13 Jahren seit der Wiedervereinigung genau eine echte Neubaustrecke für die Straßenbahn in Betrieb zu nehmen (Bezirk Wedding, fünf Kilometer). Alle anderen Bauten, die die Verkehrsverwaltung mit großer Geste in ihren „Erledigt"-Listen gerne aufführt, waren keine echten Neubauten, sondern gehören lediglich zum Maßnahmepaket der Grundinstandsetzungen („Alex I") oder waren letztendlich fragwürdige Schlenker über Wiesen (Französisch Buchholz) im Anschluss an bereits bestehende Strecken.

Straßenbahnhaltestelle mit Tram
Seit 13 Jahren die einzig wirklich neue Straßenbahn-Strecke in Berlin: vom S-Bahnhof Bornholmer Straße zum Virchow-Klinikum. Foto: Marc Heller

Tatsächliche Neubauten (Leipziger Straße, Hermannplatz, Adlershof) wurden bewusst verschleppt. Bisher war man versucht, diese Kräfte in erster Linie bei der CDU zu vermuten, die das Verkehrsressort jahrelang besetzt hatte. Aber nun regieren SPD und PDS, doch für den Berliner Straßenbahnausbau hat sich nichts geändert. Geändert wurde nur die Begründung des Nichtstuns: Finanzierungsprobleme. Geht es aber um Straßen- und Flughafenbau, scheint dieses Argument zu verfliegen.

Besonders enttäuschend ist das Agieren von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD). Vor einigen Jahren engagierte er sich noch für den vorgezogenen Einbau von Straßenbahngleisen in der Leipziger Straße. Heute steht er nur noch auf der Bremse, sei es beim Straßenbahnprojekt „Alex II", sei es beim Umbau des S-Bahnhofs Charlottenburg. Stets begründet er es mit angeblichem Geldmangel. Aber beim Autobahnbau redet er plötzlich nicht mehr über Kosten oder stagnierende Einwohnerzahlen. Dabei muss das Land Berlin den Bau der Bundesautobahnen mit Millionenbeträgen mitfinanzieren, weil die Anschlussteilen allein Sache des Landes sind. Auch wenn der Herr Senator offensichtlich glaubt, dass nur die Straßenbahn Folgekosten - „Wartung der Anlagen, Betriebskosten" - nach sich zieht, so sollte ihm ein Referent mal die Zahlen „raussuchen", aus denen hervorgeht, dass die Autobahnanschlüsse sich auch nicht von allein unterhalten werden: Mit dem Geld, das Berlin jährlich zur Sanierung der von 40-Tonnen-Lkws zerfahrenen Autobahnen beisteuern muss, hätte sich die Straßenbahn über die Karl-Liebknecht-Straße zum Alexanderplatz („Alex II") problemlos finanzieren lassen. Aber diese Zusammenhänge kann ein Senator offensichtlich nicht auch noch beachten. Was Peter Strieder den öffentlichen Verkehrsmitteln vorhält (Zitat: „Öffentliche Verkehrsmittel können nicht kostendeckend betrieben werden. Jede Erweiterung des Netzes vergrößert das Defizit der BVG."), gilt doch erst recht für das hochdefizitäre Straßennetz, dessen Kosten nicht einmal zu einem Drittel von den Autofahrern bezahlt werden - die Öffentlichen sind da inzwischen besser. Wer neue Straßen zu Lasten des ÖV baut, beschleunigt nichts - nur das Haushaltsdefizit.

*) frei nach John Irving

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 3/2003 (Juni/Juli 2003), Seite 15

 

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