Überregional

Ein Plädoyer für Spiegel an Loks und Triebwagen

Fahrgastärger verspürt DB Regio, seit der schaffnerlose Betrieb im Regionalverkehr eingeführt wird. Immer wieder berichten Fahrgäste von sich automatisch schließenden Türen, bevor sie eingestiegen sind. Der Zug fährt ohne die Reisenden, die eigentlich mitfahren wollten, ab.

Die Betroffenen bleiben ungewollt auf dem Bahnsteig zurück. Die Lösung gegen diesen alltäglichen Bahnkundenärger ist für die DB so einfach: Nachbessern der Betriebsvorschriften und Installieren von Spiegeln an Loks und Triebwagen, damit der Lokführer vor Abfahrt bequem am Zug entlang gucken kann.

Zug mit Rückspiegel
Zugbegegnung in Arendsee. An den älteren Triebwagen der Baureihe 772, auch liebevoll Ferkeltaxen genannt, sind noch Spiegel für den Lokführer vorhanden. Ohne weitere Technik kann er wirkungsvoll die Türen beobachten. Foto: Ingo Franßen

Spektakulär berichteten Presse, Funk und Fernsehen im Mai von der alptraumhaften Bahnfahrt einer Studentin in Rheinland-Pfalz. Am Bahnhof Germerheim wurde von außen ihr Arm in die sich schließenden Türflügel des Triebwagens der Baureihe VT 611 eingeklemmt. Sie wurde von dem anfahrenden Zug mitgerissen, bis sie an einem Bahnübergang kurz vor Speyer von einem wartenden Autofahrer gesehen wurde. Mit den Nachwirkungen von Prellungen konnte sie wenige Tage später das Krankenhaus wieder verlassen. Es war Glück im Unglück, denn das unfreiwillige „Mitsurfen" hätte für sie auch viel schlimmer ausgehen können.

Wurde anfangs vermutet, hier sei an der pannenreichen Baureihe 611/612 „Pendolino" wieder mal ein bisher nicht bekannter technischer Fehler aufgetreten, zeigte sich bald, dass die unfreiwilligen Mitfahrt Folge der automatische Türschließung beim frisch eingeführten Betrieb ohne Zugbegleiter war. Der Zugbegleiter (besser bekannt als Schaffner) ist auf dieser Strecke erst kürzlich abgeschafft worden. Meldet jetzt die technische Überwachung die Türen als geschlossen und ist die Strecke frei, kann der Triebwagenführer sich selbst den Abfahrtsauftrag für seinen Zug geben. Der Zug rollt an und beschleunigt, ohne dass noch ein kontrollierender Blick auf den Bahnsteig geworfen wurde.

In Rheinland-Pfalz ordnete das Eisenbahn-Bundesamt an, bei den Triebwagen der Baureihen VT 611 /612 solange wieder Schaffner einzusetzen, bis die Türschließtechnik nicht solch lebensgefährliches Mitfahren verhindert.

Kundenverdruss wegen der automatisch schließenden Türen gibt es bei der DB im Nahverkehr immer häufiger, nicht auch nur bei der Baureihe VT 611 /612 in Rheinland-Pfalz. Als Antwort auf Personalkürzungen und Mittelstreichungen werden, soweit die technischen Voraussetzungen erfüllt sind, immer mehr Züge ohne Schaffner gefahren. Die Aufsichtsmitarbeiter, die früher dem Lokführer das Zeichen zur Abfahrt gegeben haben, gibt es schon längst nicht mehr.

Wo DB Regio im Regionalverkehr jetzt ohne Schaffner fährt, gibt es jedoch eine steigende Zahl verärgerter Fahrgäste, unter anderem in Norddeutschland bei Dieseltriebwagen der weit verbreiteten Baureihe 628, bei schaffnerlosen Doppelstockwendezügen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen und Bremen als auch bei den S-Bahn-ähnlichen Triebwagen vom Typ ET 423,424, 425 und 426.

Die Altmark-Zeitung berichtete im Juni von einer Mutter, die in Tangerhütte in den Zug nach Magdeburg gestiegen war. Als regelmäßiger Fahrgast wusste sie aus Erfahrung, dass der Aufenthalt des Zuges sehr knapp bemessen ist. Ihre Kinder und Enkel konnten nicht schnell genug folgen. Die Türen schlössen sich, bevor sie einsteigen konnten, der Zug fuhr an, die Kinder blieben alleine zurück. Ein Kontrollblick des Lokführers hätte den Ärger vermeiden helfen.

Beim Einstig in einem ICE
Sicherheitsrisiko Türen? Dank Personal in allen Fernverkehrszügen besteht hier dieses Risiko nicht. Foto: Alexander Frenzel

Über frustrierte Fahrgäste von Magdeburg nach Genthin am 21. Juli wusste die „Magdeburger Volksstimme" zu berichten. Der Zug war zwar pünktlich um 5.10 Uhr in Burg, die Türen öffneten sich jedoch nicht. Bevor einer der wartenden Fahrgästen den Bahnsteig entlang zum Führerstand an der Zugspitze gesprintet war, hatte der Lokführer den Zug wieder anfahren lassen. Das System hatte ihm ja nach einigen Sekunden Halt alle Türen als ordnungsgemäß geschlossen gemeldet. Fahrgäste im Zug fuhren unfreiwillig elf Kilometer weiter zur nächsten Station Güsen, wo sie den Zug endlich verlassen konnten. Die Fahrgäste auf dem Bahnsteig warteten eine Stunde und neun Minuten, um in den nächsten Zug einsteigen zu können. Zwar hat sich die DB in Halle für den Ärger entschuldigt und für kostenlose Weiterfahrt der betroffenen Fahrgäste gesorgt. Hätte der Lokführer vor der Abfahrt des Zuges einen Blick entlang des Bahnsteiges geworfen, wäre der Ärger vermieden worden.

Kundenärger mit der automatischen Türschließung beim schaffnerlosen Betrieb sind leider keine Einzelfälle, die medienwirksam besonders aufgepuscht werden. Sie passieren täglich und im gesamten Bundesgebiet. Zumeist beobachtet man „nur" Koffer und Fahrräder, die allein im anfahrenden Zug sind, während die Fahrgäste auf dem Bahnsteig vor der sich automatisch schließenden Tür stehen. Ärgerlich wird es vor allem da, wo die Züge nicht im dichten S-Bahn-ähnlichen Abstand fahren, sondern zwei Stunden oder noch länger auf die nächste Fahrgelegenheit gewartet werden muss, die letzte Fahrt des Tages entwischt oder Anschlüsse verloren gehen. Auch ohne Presseecho spricht sich das Dilemma mit den Türen beim Bahnfahren vor Ort schnell herum. Manch betroffener Kunde kehrt dem Verkehrsträger „Schiene" den Rücken.

Ursache ist das blinde Vertrauen der Ingenieure zu automatischen Türen bei der Einführung des schaffnerlosen Betriebes. Der Lokführer darf sich auf die Meldung des Überwachungssystems „Türen ordnungsgemäß geschlossen" verlassen. Er braucht nicht mehr den Bahnsteig in Augenschein nehmen. Er kann abfahren, ohne den Bahnsteig eines Blickes zu würdigen. Im Unterschied zu Bussen und Straßenbahnen haben die neuen Loks und Triebwagen der DB für die Fahrzeugführer weder Spiegel noch Videoüberwachung, die es ihm erlauben würden, vor der Anfahrt einen Blick entlang des Zuges zu werfen.

Solche Vorschriften sind offenbar von technikorientierten Ingenieuren entworfen, die den eigentlichen Zweck des Personenverkehrs, nämlich Fahrgäste zu befördern, aus den Augen verloren haben. Es sei DB Regio dringend geraten, nicht abzuwarten, bis das Eisenbahn-Bundesamt weitere Opfer der automatischen Türschließung entdeckt.

Züge dürfen einfach nicht mehr abfahren, solange nicht der Lokführer einen Blick entlang des Zuges geworfen hat. Bundesweit sind schleunigst die Betriebsvorschrift zur Abfahrt beim schaffnerlosen Betrieb nachzubessern und das Fahrpersonal entsprechend zu schulen.

Triebwagen und Loks sind standardmäßig mit Spiegeln nachzurüsten. Und bei neuen Fahrzeugen sollte diese Kleinigkeit zugunsten von Fahrgastsicherheit und Kundenzufriedenheit eine Selbstverständlichkeit sein. Wo Spiegel fehlen und der Lokführer keine andere Möglichkeit hat, vor der Abfahrt einen Blick auf Bahnsteig und geschlossene Türen seines Zuges zu werfen, müssen die Züge weiter mit Schaffner fahren. Bahnpersonal und die Kunden werden es gleichermaßen zu schätzen wissen.

DBV Niedersachsen

aus SIGNAL 4/2003 (August/September 2003), Seite 14-15

 

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