Wie kann der im Rohbau fertige
U-Bahn-Tunnel zwischen Brandenburger Tor und
„Hauptbahnhof" genutzt werden, bevor
hier eines fernen Tages die Züge der U 5
fahren?
Diese Frage kam auf, als sich abzeichnete,
dass der Geldgeber Bund eine zeitnahe verkehrliche
Nutzung verlangen könnte. Das
Nachdenken hat den Ruf Berlins als Hauptstadt
der Kreativen, nicht aber den als selbst
ernanntes Kompetenzzentrum Verkehr bestätigt.
Kaum ein Projekt im Berliner Nahverkehr
hat die Gemüter in den letzten zehn Jahren so
bewegt, wie die geplante Verlängerung der
U 5 vom jetzigen westlichen Endpunkt Alexanderplatz
zur vorläufigen Endstation im künftigen
„Berlin Hauptbahnhof - Lehrter Bahnhof"
mit den Zwischenstationen Berliner Rathaus,
Schlossbrücke, Unter den Linden (Umsteigebahnhof
zur U 6 bei gleichzeitiger Aufgabe
des U 6-Bahnhofs Französische Straße),
Brandenburger Tor (Umsteigebahnhof zur
Nord-Süd-S-Bahn, heute S-Bahnhof Unter den
Linden) und Reichstag.
Schon der Zusatz „vorläufige Endstation"
beim „Lehrter Bahnhof" zeigt, dass in der
Auseinandersetzung um dieses Projekt von
Beginn an immer wieder unsachlich argumentiert
wurde. Denn eine weitere Verlängerung
vom „Lehrter Bahnhof" zum U-Bf Turmstraße
wird auf lange Sicht nicht finanzierbar sein.
Aber weil die U5-Planung bei der vorgeschriebenen
Standardisierten Bewertung nur mit
dem Abschnitt Alexanderplatz - Turmstraße
den erforderlichen Nutzen-Kosten-Faktor erreichte,
wurde eben etwas gemogelt.
Es ist hier nicht der Platz, um über die gesamte
Diskussion zur günstigsten ÖPNV-Erschließung
des Zentralen Bereiches und des
Regierungsviertels zu berichten. Nur so viel:
Die IGEB hatte zu Beginn der Planungen favorisiert,
diesen Bereich vor allem mit der Straßenbahn
und einer von der Nord-Süd-S-Bahn
abzweigenden so genannten S 21 zu erschließen,
für die bereits seit den 30er Jahren eine
Ausfädelung zwischen Potsdamer Platz und
Brandenburger Tor existiert und die über Platz
der Republik und „Lehrter Bahnhof" zum
Nordring geführt werden soll. Inzwischen hat
sich der Senat diesen Überlegungen zur S 21
angeschlossen, nachdem er sie vor zehn Jahren
gemeinsam mit der Bahn aus der Planfeststellung
für den Nord-Süd-Tunnel herausgestrichen
hatte.
Für den Abschnitt vom Nordring zum „ Lehrter
Bahnhof" läuft derzeit das Planfeststellungsverfahren.
Zunächst geweckte Hoffnungen,
dass hier die ersten S-Bahn-Züge bereits
zur für 2006 offiziell geplanten Inbetriebnahme
des neuen Fernbahnhofs fahren können,
haben sich allerdings längst verflüchtigt. Kenner
des hiesigen Bahnbau-Tempos rechnen
mit etwa 2010.
Zurück zur U 5. Senat und Bundesregierung
hatten sich im Hauptstadtvertrag damals bei
der Frage der ÖPNV-Erschließung des Gebietes
um den Reichstag und das zukünftige Parlaments-
und Regierungsviertel auf die oben
dargestellte U 5-Verlängerung festgelegt und
vereinbart, dass Berlin vom Bund zusätzlich
zu den üblichen GVFG-Mitteln gesonderte Zuschüsse
in Höhe von umgerechnet 75 Millionen
Euro für den U 5-Bau bekommt.
Normalerweise hätte die Verlängerung einer
bestehenden U-Bahn-Strecke dort angesetzt,
wo bereits gefahren wird, nämlich am
U-Bahnhof Alexanderplatz. Aber Bundesregierung
und Bundestag hatten die Sorge, dass in
diesem Fall der U 5-Bau genau dann das Parlaments-
und Regierungsviertel erreicht, wenn
sie von Bonn nach Berlin umgeziehen. Um
also nicht eine U 5-Großbaustelle vor die Fenster
gesetzt zu bekommen, erhielt Berlin vom
Bund Geld mit der Maßgabe, den U 5-Abschnitt
Pariser Platz - Platz der Republik umgehend
rohbaufertig zu errichten. Dazu gehörte
auch der Bau des U-Bahnhofs „Reichstag"
unter dem Platz der Republik.
Die Folge ist heute, dass in Berlin zum wiederholten
Mal viel Geld für einen U-Bahn-Tunnel
vergraben wurde, der für lange Zeit
verkehrlich nicht genutzt werden kann. Dass
der U-Bahnhof Reichstag für „Events" jedweder
Art erfolgreich vermietet wird kann, ist
für Fahrgäste dieser Stadt kein ernstzunehmender
Trost.
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Karte aus: Planung der Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich. Hrsg. Koordinierungsgruppen Verkehrsanlagen Zentraler Bereich, Berlin 2000 |
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Somit begann die Diskussion, was mit dem
„Reichstagsstummelstück" der U 5 denn nun
Sinnvolles gemacht werden könne. Hauptanlass
dafür ist die durchaus nicht abwegige
Gefahr, dass der Bund die Mittel für den U 5-Rohbau
im Regierungsviertel zurückfordert.
Er könnte das zumindest tun, da Berlin seine
vertraglichen Pflichten nicht einhielt und auf
absehbare Zeit noch nicht einmal einen Termin
nennen kann, wann mit dem Bau des
„restlichen" Tunnelabschnittes zum Alexanderplatz
begonnen wird, geschweige denn,
wann Züge vom Alex zum Lehrter fahren werden.
Deshalb hat der Senat Überlegungen anstellen
lassen, ob und wie man den im Rohbau
fertigen Abschnitt „Lehrter Bahnhof" -
Reichstag - Pariser Platz verkehrlich nutzen
kann.
Die U-Bahn Variante
Ein Hauptproblem ist der fehlende Bahnhof
am Pariser Platz. Der Tunnelrohbau endet am
Brandenburger Tor noch vor dem S-Bahnhof
Unter den Linden. Dies erschwert eine verkehrliche
Nutzung erheblich. So entwickelte
man bei Senatsverwaltung und BVG die Idee,
in dem für eine Großprofil-Linie (Wagenbreite
2,65 Meter) gebauten Tunnel in einer Röhre
eine Kleinprofil-U-Bahn (Wagenbreite^
2,30 Meter) pendeln zu lassen. Wenn diese am
Ostende der Tunnelröhre nicht mittig, sondern
in Seitenlage verkehrt, könnte man am Pariser
Platz einen Seitenbahnsteig in die Tunnelröhre
bauen.
Doch spätestens an dieser Stelle wird man
hellhörig. Wie soll denn dieser Bahnsteig erschlossen
werden? An seinem östlichen Ende
könnte man einen Zugang zum westlichen
Verteilergeschoss des S-Bahnhofs Unter den
Linden bauen. Wie soll das aber am westlichen
Ende passieren? Denn seit dem Brand auf
dem U-Bahnhof Deutsche Oper muss jeder
Tunnelbahnhof zwei Ausgänge als potenzielle
Fluchtwege haben. Wie sich das am Pariser
Platz realisieren lassen soll, ist schwer vorstellbar.
Auch betrieblich sind Probleme zu erwarten.
Da wahrscheinlich nur eine Röhre befahren
werden wird, könnte immer nur ein 4-Wagen-Kleinprofilzug
pendeln. Damit wäre maximal
ein 10-Minuten-Takt möglich. Und was
geschieht im Störungsfall? Sicherlich kann
man am „Lehrter Bahnhof" noch einen zweiten
4-Wagen-Kleinprofilzug in Bereitschaft
halten. Aber das wäre eine absurde Betriebsreserve
von 50 %. Zugleich wären Überführungsfahrten
von U-Bahn-Fahrzeugen vom
„Lehrter Bahnhof" zur nächsten U-Bahn-Werkstatt extrem aufwändig.
Doch selbst wenn alle technischen und finanziellen
Probleme befriedigend lösbar wären,
bliebe die Frage nach dem Verkehrswert
dieser Stummelstrecke. Da ein 10-Minuten-Takt
deutlich schlechter ist als das Angebot
auf der Stadtbahn und im Nord-Süd-Tunnel,
wird fast niemand die U-Bahn nutzen, um
vom „Lehrter Bahnhof" zum S-Bahnhof Unter
den Linden zu fahren. Es bliebe als einzige
Funktion die Erschließung eines kleinen Teils
des Parlaments- und Regierungsviertels über
den U-Bahnhof Reichstag. Und das rechtfertigt
niemals den hohen Aufwand und die hohen
Kosten für Einrichtung und Unterhalt dieses
Inselbetriebes.
Die Straßenbahn-Variante
Vor den Überlegungen zum U-Bahn-Betrieb
gab es einen Vorschlag, dem man vor allem
Originalität bescheinigen kann, entwickelt
von Tilo Schütz und Simon Heller. Kern ihrer
Idee ist, den U 5-Tunnel in das Straßenbahnnetz
zu integrieren. Dazu soll die Straßenbahn
vom Alexanderplatz über Rathausstraße und
Französische Straße bis Mauerstraße verlängert
werden mit Umsteigemöglichkeit zur U 6
am U-Bahnhof Französische Straße (die Bahnhofsverschiebung
„Unter den Linden" entfiele).
Dann würde über eine Rampe im Bereich
der verlängerten Französischen Straße in einen
Anschlusstunnel zum U 5-Tunnel eingefahren,
der unter der Wilhelmstraße mit einer
U-Straßenbahn-Haltestelle „Pariser Platz"
zum vorhandenen Tunnel am Brandenburger
Tor führte. Eingesetzt würden Straßenbahn-Zweirichtungsfahrzeuge.
Gegenüber der „Spielzeug-U-Bahn" ist bei
diesem Konzept vor allem die bessere Integration
in das bestehende Verkehrsnetz hervorzuheben.
Die Nutzung des Tunnels würde das
durchbinden der großen Radiallinien über
Mitte hinaus nach Westen ermöglichen. Zulauf-Strecken
zum Tunnel wären die Äste Prenzlauer
Allee, Greifswalder Straße und Landsberger
Allee mit verzweigenden Strecken. Theoretisch
ließen sich auch Linien aus dem Bereich
Hackescher Markt einfädeln. Für eine
Weiterführung zum „Lehrter Bahnhof" böten
sich die Linien 1,3,4 und 6 an.
Die Straßenbahn-Idee ist sicherlich fahrgastorientierter
als die U-Bahn-Variante.
Dennoch gibt es neben offenen Fragen zur Finanzierung
der hohen Investitionskosten (die
Autoren rechnen für den zusätzlich zu bauenden
Tunnel mit ca. 80 Mio €) auch Fragen nach
dem verkehrlichen Nutzen. Zum einen würde
in einem zentralen Berliner Straßenbahn-Netzteil
der Einsatz von Zweirichtungsfahrzeugen
auf Dauer unumkehrbar. Gegen Zweirichtungsfahrzeuge
ist sicherlich bei Strecken,
die bestimmte Endstellen erreichen sollen,
nichts zu sagen, wie das zum Beispiel bei der
Linie 20 in Berlin der Fall ist. Aber wenn große
Netzteile ausschließlich mit solchen Fahrzeugen
befahren werden könnten, würde das
zu problematischen Restriktionen und Mehrkosten
führen.
Darüber hinaus würde bei Realisierung dieser
Idee die U 5-Verlängerung Richtung Westen
für alle Zeit unmöglich sein. Ist das verantwortbar?
Der Verkehr in Berlin-Mitte wird
durch eine weitere Verdichtung der City-Ost in
den nächsten 20 Jahren erheblich zunehmen.
Nirgends in Berlin sind die Zwänge und die
Chancen so groß, diesen Zuwachs überwiegend
auf den ÖPNV zu lenken wie hier im historischen
Zentrum der Stadt. Dann wird eine
U 5-Verlängerung nicht mehr die Fahrgäste
von der Stadtbahn abziehen und den Straßenbahn-Bau
behindern, sondern sie wird zusätzlich
zur Bewältigung der großen Fahrgastzahlen
benötigt werden. Heute ist das eine Vision.
Bis sie Realität wird, werden noch viele
Jahre vergehen. Aber die Option für diese Verlängerung
darf nicht verbaut werden.
Die Spurbus-Variante
Noch unsinniger als die U-Bahn- und Straßenbahn-Variante
ist der Vorschlag, den Tunnel
mit Spurbussen zu befahren. Wäre es ein reiner
Pendelbetrieb, wäre der Nutzen so gering
wie bei der U-Bahn. Würde man den Abschnitt
in das überörtliche Netz integrieren,
wären bauliche Veränderungen erforderlich,
die, wie bei der Straßenbahn-Variante, viel
Geld kosten und eine langfristige U 5-Verlängerung
erheblich behindern. Auch verkehrstechnische
Innovationen wären mit einem
Spurbus-Projekt nicht mehr möglich. Das System
ist entwickelt, aber die Erfahrungen
waren so unbefriedigend, dass die Industrie
die Entwicklung nicht mehr vorangetrieben
hat. Doch kein Projekt scheint verwegen genug
zu sein, um nicht Berlins Verkehrssenator
Peter Strieder zu gefallen. Dieser hat hausintern
die Spurbus-Variante favorisiert...
Wie nun weiter?
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Unützer Beton im Berliner Sand: der U-Bahnhof Reichstag. Foto: Florian Müller |
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Die kurze Darstellung der drei Varianten zeigt,
dass alle weder aus Fahrgastsicht noch finanziell
und betrieblich überzeugen können. Deshalb
muss der Berliner Senat offen und sachlich
mit der Bundesregierung verhandeln, um
zu verhindern, dass es zu einer fatalen Fehlentwicklung
kommt. Zugleich muss über Alternativen
zur kurz- und mittelfristigen Erschließung
des Parlaments- und Regierungsviertels
nachgedacht werden. Die IGEB bleibt bei ihrer
Auffassung, dass diese Gegend am besten
durch die Straßenbahn, ausgehend von einer
Strecke in der Französischen Straße, bedient
werden kann. Aber oberirdisch!
Zugleich sollte, auch wenn ein Weiterbau
am U 5-Tunnel in den nächsten Jahre verkehrlich
und finanziell nicht zu verantworten ist,
der Bundesregierung ein Signal gegeben werden,
dass Berlin darüber nachdenkt, wie die
Vorleistungen des Bundes eines fernen Tages
doch noch sinnvoll genutzt werden können.
Aber dieses Nachdenken muss in eine andere
Richtung gehen, als bei der Entwicklung von
Umnutzungsvarianten für den Tunneltorso.
Vielmehr müssen die bisherigen Planungen für
den U 5-Abschnitt Alexanderplatz - Pariser
Platz überprüft und u. E. grundlegend überarbeitet
werden. Das dürfte erhebliche Einsparmöglichkeiten
ergeben. So hatte man vor einigen
Jahren bei der U-Bahn-Bauabteilung der
BVG die Idee entwickelt, die Gesamtstrecke
im unterirdischen Schildvortrieb einschließlich
der Bahnhöfe zu bauen. Dabei kann man den
Querschnitt so wählen, dass man die Bahnhöfe
in den gebauten Tunnel einbauen kann. Das
ist billiger. Bis jetzt wurden zum Teil sehr aufwändige
Entwürfe von Stars der internationalen
Architekturszene favorisiert. Berlin sollte
sich besser auf die sparsamen und dennoch
zeitlos schönen Entwürfen aus der späten
Phase von Alfred Grenander besinnen, zu sehen
z.B. im U-Bahnhof Samariterstraße der
U5.
Darüber hinaus sollte die Notwendigkeit
geplanter Bahnhöfe geprüft werden. Unstrittig
sind natürlich die Umsteigebahnhöfe zur
U 6 und zur Nord-Süd-S-Bahn. Auch der Bahnhof
unter der Schlossbrücke ist sinnvoll. Aber
der Bahnhof Berliner Rathaus ist aus Sicht
der IGEB entbehrlich. Dieser Bereich liegt in
fußläufiger Entfernung vom Bahnhof Alexanderplatz
und kann außerdem wesentlich besser
durch die Straßenbahn erschlossen werden
- sobald Herr Strieder seine Blockade-
Politik beim Straßenbahnneubau am Alexanderplatz
beendet.
IGEB
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