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Immerhin handelte es sich bei dem Empfangsgebäude
samt Treppenhäusern um ein
Frühwerk von Berlins bedeutendstem Bahnarchitekten
Richard Brademann, errichtet
- wenn wir dem Standardwerk „Berlin und
seine Bauten" glauben dürfen - 1921 bis
1924. Zwar erhielt die Anlage beim Wiederaufbau
Anfang der fünfziger Jahre eine neue
Schalterhalle samt von oben bis unten verglaster
Front. Doch auch solche Zeugnisse
der Nachkriegsmoderne sind bei der Berliner
S-Bahn mittlerweile rar geworden - nach
den Abrissen an den Stationen Halensee,
Gesundbrunnen, Schönhauser Allee, Landsberger
Allee, Hennigsdorf oder dem fast
vollständigen Umbau des Bahnhofs Alexanderplatz
und des Nord-Süd-Bahnsteigs
Friedrichstraße.
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In nur wenigen Wochen wurde das baufällige Empfangsgebäude des S-Bahnhofs Warschauer Straße Anfang 2005 beseitigt. Könnte es sein, daß die DB froh war, somit einer Diskussion über die durchaus erhaltenswürdige Architektur des nun ehemaligen Bahnhofsgebäudes entkommen zu sein? Foto: Marc Heller |
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Weil es jetzt so schnell zu gehen hatte,
entstand am S-Bahnhof Warschauer Straße
als Ersatz eine stählerne Behelfsbrücke. Den
Umsteigern von und zur Hochbahn zwingt sie
einen erheblichen Umweg auf, aber schon in
den Jahren 2007 bis 2010 soll dieses Provisorium
wieder weichen - nein, keinem neuen
Empfangsgebäude, derlei mag die Bahn sich,
ihren Kunden und dem Stadtbild ja selbst
an hervorragendsten Stellen nicht mehr gönnen.
Doch zumindest „eine ansprechende
Architektur aus Glas und Stahl" will man
an der Warschauer Straße laut Tagesspiegel
vom 25. November 2004 realisieren.
Diese Botschaft hören wir wohl, allein
- wir waren schon mal in Hamburg. Dort
wurde in Sachen Wirtschaftlichkeit der Bahn
(oder was die Verantwortlichen dafür halten)
in den letzten Jahrzehnten wahre Pionierarbeit
geleistet, insbesondere bezüglich
der Stationen. Und so fiel nicht nur der alte
Kopf bahnhof Altona der Spitzhacke und den
Schneidbrennern zum Opfer, man „ersetzte"
auch die großen Perronhallen der Stationen
Sternschanze und Holstenstraße durch
schnell schäbig gewordene Norm-Bahnsteigdächer,
stieß repräsentative Empfangsgebäude
ab und beseitigte Zugänge.
In Rübenkamp konnte das schmucke Empfangsgebäude
nur gerettet werden, weil
sich Lehrer und Studenten der benachbarten
Fachhochschule für Bau- und Vermessungswesen
für den Erhalt engagierten.
Derweil die Bahn nichts damit anzufangen
wußte, wurde es erfolgreich umfunktioniert
zu einem Restaurant und Veranstaltungsort
- gediegen tafelnd, hat man vom Stummel
der alten Bahnsteigbrücke aus einen vorzüglichen
Blick auf den Zugverkehr und auf die
Fahrgäste, die über jenen armseligen, ungedeckten
Holzsteg laufen müssen, welcher
heute zum Perron führt und unvermittelt auf
den Bahnhofsvorplatz mündet.
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Hamburg, S-Bahnhof Rübenkamp. Seit Jahren erreichen die Fahrgäste den Bahnsteig nur über einen ungedeckten Holzsteg. Auch die Berliner Fahrgäste am S-Bahnhof Warschauer Straße werden nun für viele Jahre ohne Witterungsschutz zum Bahnsteig laufen müssen. Foto: Jan Gympel, 1999 |
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Dieser Zugang zum S-Bahnhof Rübenkamp
sieht so aus, als wäre der Krieg gerade
vorbei. Allerdings hätte damals die alte
Behördenbahn wohl weder sich noch den
„Reisenden" eine solche Dauerlösung zugemutet.
Die dynamische, zukunftsorientierte,
zumindest auf dem Papier privatisierte Bahn
von heute sieht das offenkundig anders, sogar
an einer der wichtigsten Hamburger
S-Bahnstrecken, über die schon bald auch
die Züge zwischen Flughafen und Hauptbahnhof
verkehren sollen.
Insofern nehmen wir gern Wetten an, wie
viele Jahre die Behelfsbrücke an der Warschauer
Straße stehen bleiben und ob sie verschwinden
wird, bevor sie ihrerseits baufällig
und einsturzgefährdet geworden ist. Zumal
der angekündigte Neubau, für den das Genehmigungsverfahren
noch nicht eingeleitet worden
ist, „im Rahmen der Arbeiten am Bahnhof
Ostkreuz" erfolgen soll, deren Beginn
bekanntlich jahraus, jahrein verschoben wird.
Zu diesem Neubau gehört übrigens auch - geplante
Fertigstellung: spätestens 2015 - eine
Verschiebung des Hochbahnhofs Warschauer
Straße über den Fern- und S-Bahngraben. Enden
die U-Bahnzüge doch bislang in einem
Provisorium. Und zwar seit 1902. Jan Gympel
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