Seit Jahren werden im Land Brandenburg
regelmäßig Bahnstrecken stillgelegt. Die
Anlässe unterscheiden sich, die Begründung
ist stets dieselbe: zu wenige Fahrgäste.
Ein Gesamtkonzept, wie viel Schienenverkehr
es in Zukunft aus verkehrlichen, siedlungsstrukturellen,
umweltpolitischen und finanziellen Gründen geben soll, fehlt
noch immer. Eine Abstimmung zwischen Schienen- und
Busangeboten fehlt ebenso.
Wie lange wollen sich Landtagsabgeordnete, Kreise
und Kommunen diese dilettantische
Politik ihrer Landesregierung eigentlich noch bieten lassen?
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Dem Sensenmann entkommen. Ursprünglich sollte die komplette Strecke Eberswalde—Templin sterben. Nach heftigen Protesten bleibt die Teilstrecke Eberswalde—Jochimsthal (zunächst) am Leben. Der Abschnitt Joachimsthal—Templin wird amputiert. Im Bild: ODEG in Alt-Hüttendorf. Foto: Florian Müller |
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Erste Abbestellungen zum Fahrplanwechsel am 10. Dezember
waren bereits im Mai angekündigt worden. Begründet
wurden sie mit gestiegenen Energiepreisen. Die
nächsten sehr viel umfangreicheren Abbestellungen werden
nun mit der Kürzung der Regionalisierungsmittel-Zahlungen
des Bundes begründet. An dieser Stelle muss daran erinnert
werden, dass das Land Brandenburg den Kürzungen
im Bundesrat zugestimmt hat, da es in ungefähr 10-facher
Höhe Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer erwarten
kann. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass
das Land bisher keine Eigenmittel für öffentlichen Verkehr
aufbringt. Alles wird aus den Regionalisierungsmitteln des
Bundes finanziert: der SPNV,
der 50-Millionen-Zuschuss an die Landkreise
für den ÖPNV, die Ausgleichszahlungen für
die Schülerbeförderung und die Zahlungen
für die Regieleistungen des VBB.
Zwei Schritte zurück, einer vor
Bemerkenswert ist allerdings, dass die Landesregierung
die aktuelle Streichorgie so geschickt
inszenierte, dass sich die Mehrzahl der
von Abbestellungsdrohungen aufgeschreckten
Fahrgäste und Kommunalpolitiker als Sieger
der jüngsten Auseinandersetzung fühlen
konnte. Der Schachzug: Man stellte der Öffentlichkeit
am 22. August eine Abbestellungsliste
vor, die deutlich über das hinausging, was finanziell
angestrebt wurde. Nun konnten sich
alle Akteure einen Monat lang erregen, natürlich
auch gute Argumente vorbringen, u. a. auf
drei Regionalkonferenzen, und erst danach
wurde eine abschließende Entscheidung getroffen
und am 21. September präsentiert. Der
„Jubelsturm der Geretteten" überdeckte dann
in der öffentlichen Wahrnehmung die Enttäuschung
der Verlierer.Hinzu kam, dass die
Verfechter der abbestellten Strecken als geradezu
maßlos in ihren Ansprüchen diffamiert
wurden: Für 200 Fahrgäste am Tag könne man
doch keinen Bahnverkehr aufrecht erhalten.
Verschwiegen wurden die tatsächlichen Kosten
und die strukturellen Auswirkungen auf
die Entwicklung einzelner Städte, Regionen
und auch Unternehmen. Bedenkt man, dass
an anderen Stellen im Land hunderte von
Millionen Euro für die Förderung von einigen
hundert Arbeitsplätzen ausgegeben werden
oder, wie im Falle der Frankfurter Chipfabrik,
auch in den märkischen Sand gesetzt werden,
erkennt man, dass öffentlicher Nahverkehr im
Land Brandenburg einen extrem unterentwickelten
Stellenwert hat.
Ignorante Berliner Politik
Verschärft wird diese Situation durch die Haltung
beim BerlinerSenat,derRegionalverkehr
als alleiniges Thema des Landes Brandenburg
betrachtet und nicht bereit ist anzuerkennen,
dass ein erheblicher Teil der Fahrgäste in den
Zügen Berliner Berufs- und Ausbildungspendler
sowie Ausflügler sind und dass das
brandenburgische Schienennetz wesentlich
zur Lagequalität Berlins beiträgt, also auch
von Berlin mitfinanziert werden muss.
Abbestellungen
vor allem bei den Privaten
Auffällig ist, dass von den Streichungen überproportional
häufig private Anbieter, vor allem
die Prignitzer Eisenbahn (PEG) und die
Ostdeutsche Eisenbahngesellschaft (ODEG),
betroffen sind, die erst vor wenigen Jahren
im Wettbewerb den Zuschlag für die jetzt
abbestellten Verkehre erhielten. Da sie ihre
gerade neu aufgebaute betriebliche Infrastruktur
nun nicht mehr auslasten können,
verschlechtert sich ihr wirtschaftliches Ergebnis
erheblich. Zugleich läuft
das Land Brandenburg Gefahr,
sich als berechenbarer
Vertragspartner zu diskreditieren.
Diese Schwerpunktsetzung hat auch praktische
Auswirkungen: Weil vorwiegend Strecken mit einem
unterdurchschnittlichen Bestellerentgeltsatz
betroffen sind, müssen mehr Zugkilometer
eingespart werden, um auf die gewünschten
finanziellen Einsparungen zu kommen. Oder anders
formuliert: maximale Zugkilometer-Abbestellung für
kleinste Euro-Einsparung.
Man mag sich fragen, warum
Brandenburg nicht wie in anderen Ländern geschehen,
die lukrativen Regionalexpresslinien
ausschreibt, sondern sie zu hohen Bestellerentqelten
bei der DB belässt. Hier wäre ein wesentlich höheres
Einsparungspotenzial vorhanden. Ein Grund
ist dem Vernehmen nach, dass dem Land
durch frühere Verträge mit der Bahn die Hände
gebunden sind, da es ein Koppelgeschäft
mit der Vorfinanzierung der RE160-Wagen
durch das Land gab, die nun mit den Bestellerentgelten
verrechnet werden. Nebenbei:
Der damals verantwortliche Verkehrminister
Hartmut Meyer bekam später einen lukrativen
Beratervertrag bei der DB.
Unabsehbare Folgewirkungen
Offen bleibt die Zukunft der verbliebenen
Strecken. Wie soll sich die jetzt gerade noch
von der Klinge gesprungene Strecke Eberswalde—Joachimsthal
halten, wenn nach der
bevorstehenden Einstellung des Abschnitts
Joachimsthal—Templin weitere Reisende
fehlen? Für die Salamitaktik der scheibchenweisen
Abbestellung von Strecken gibt es
hierzulande genug Beispiele. Ein aktuelles
ist die ab Dezember mit der Begründung gestiegener
Energiepreise eingesparte Strecke
Werneuchen—Tiefensee, wo die Weiterführung
nach Wriezen vor einigen Jahren abbestellt
wurde.
Oder wird sich die Strecke nach Rheinsberg
nach der Einstellung des Abschnittes Herzberg—Neuruppin
und den Ausdünnungen
auf dem Reststück dauerhaft halten können?
Zwar ist es für Berliner Ausflügler durchaus
sinnvoll, wenn sie künftig über den kürzeren
Weg via Löwenberg geführt werden. Aber
werden die Fahrgäste das zusätzliche Umsteigen
akzeptieren? Und werden sie die
Bahn auch außerhalb des Sommerhalbjahres
nutzen, wenn die Züge nur an den Wochenenden
fahren?
Gerade noch so davon gekommen sind die
Strecken Pritzwalk—Meyenburg und Basdorf—Wensickendorf,
wo der Wegfall der
weiterführenden Abschnitte über Plau nach
Güstrow bzw. nach Liebenwalde ebenso zu
weniger Fahrgästen auf dem Reststück führte.
Busersatzverkehr ist kein Ersatz
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Aus der Traum. Auf der Strecke Pritzwalk—Putlitz begann vor zehn Jahren der Betrieb der Prignitzer Eisenbahn. Nun wird sie abbestellt. Foto: Florian Müller |
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Seitens des Landes wurden Busse als Ersatz
angekündigt. Für den Schülerverkehr mögen
diese eine sinnvolle Alternative sein. Aber
bekommt man wirklich ortsfremde Touristen
dort hinein? Wie es hier jenseits aller schönen
Reden von den „attraktiven, die Orte besser
erschließenden" Bussen in Wirklichkeit
aussieht, zeigen zwei Beispiele: Die Strecke
Meyenburg—Plau—Güstrow wurde im Jahr
2000 durch das Land Mecklenburg-Vorpommern
abbestellt. Seitdem verkehren dort Busse
im Zweistundentakt, genau wie es früher
die Bahn tat. Die Touristen aus dem Berliner
Raum, die einstmals die Bahn nutzten, blieben
dennoch aus. Nachdem es einige Zeit
wenigstens trotzdem noch Alibi-Anschlüsse
in Meyenburg von der Bahn zum Bus gab,
hält man es nun nicht einmal mehr für nötig,
diese zu gewähren. Fast anderthalb Stunden
Aufenthalt im kleinen Meyenburg sind angesagt!
Da fährt natürlich niemand mehr mit
öffentlichen Verkehrsmitteln, der es
nicht unbedingt muss.
Noch übler getroffen hat es
Wittstock und Mirow im Zuge der
einstigen Bahnlinie Wittenberge—Neustrelitz:
Die Alibi-Busse (einstmals
im Zweistundentakt) sind dort
nun ganz weggefallen. Vermutlich
hat es kaum einer gemerkt, für
Durchgangsreisende waren sie zu
unattraktiv und das lokale Potenzial
dort ist gering.
Keine Anschlüsse
in Neustadt (Dosse)
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Gewissermaßen als „RegionalExklusiv” soll die Bahn nur noch im Wochenend- und Saisonverker nach Rheinsberg fahren. Foto: Florian Müller |
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Wie Inkompetenz eine Strecke ruinieren
kann, zeigt sich auch am Beispiel
der Strecke Neuruppin—Neustadt
(Dosse), die zum Dezember abbestellt
ist. Die kleine Stadt Neustadt
bietet nur wenig eigenes Potenzial.
Interessant wären dagegen die Weiterreisemöglichkeiten
in die verschiedenen Richtungen, etwa zum
Knoten Wittenberge, was deutlich schneller
als über Pritzwalk ginge. Aber in beiden
Richtungen werden die Anschlüsse in Neustadt
knapp verpasst - fast eine Stunde Warten
ist angesagt. Genauso wenig funktionieren
die Anschlüsse zu den Bussen in
Richtung Rathenow, die seit drei Jahren die
Bahn ersetzen sollen. Die einzige Richtung
mit funktionierenden Anschlüssen ist die in
Richtung Kyritz. Hier sorgt aber der Landkreis
Ostprignitz-Ruppin mit einem dichten parallelen
Angebot an Direktbussen dafür, dass
nicht allzu viele Leute die Bahn benutzen.
Ein anderes Beispiel: Man kann zwar die
Begründung nachvollziehen, dass nur wenige
Leute die direkten, aber auf Umwegen
fahrenden Regionalexpresszüge des RE 3
(ehemals RE 5 Süd) nach Senftenberg nutzen,
sondern statt dessen mit der RB 14 fahren,
weil es schneller geht. Aber ist so ein überall
haltender Bummelzug wirklich ein angemessenes
Verkehrsmittel für eine attraktive Anbindung
einer ganzen Region weit von Berlin?
Ließe sich hier nicht mit schnelleren Zügen
deutlich mehr herausholen? Und schlug nicht
auch hier die Salamitaktik mit der Streichung
der Verbindung ins im „sächsischen Ausland"
gelegene Hoyerswerda (40 000 Einwohner) zu?
Auch Busverkehr
betroffen
Die breite Diskussion um die
Abbestellung von Bahnverkehren
hat in den Hintergrund gedrängt, dass
auch im Busverkehr der Kreise und im
Straßenbahnverkehr der Städte Brandenburg
an der Havel, Cottbus und Frankfurt
(Oder) schwere Einschnitte zu befürchten
sind. Das Ministerium für Infrastruktur und
Raumordnung drängt z.B. die Stadt Brandenburg
zur kompletten Einstellung des
Straßenbahnverkehrs. Der Amoklauf der
Landesregierung ist offensichtlich noch
lange nicht zu Ende.
Fazit
Bei aller berechtigten Kritik an der Politik des
Bundes bezüglich der Regionalisierungsmittel
ist für die nächste große Abbestellungsrunde
allein das Land Brandenburg verantwortlich.
Diese geht vor allem zu Lasten der privaten
Anbieter und kann noch nicht absehbare negative
Folgen für künftige Ausschreibungen
von Strecken haben. Doch ohne Wettbewerb
wird Brandenburg seine Ausgaben weiterhin
nur durch Abbestellungen begrenzen können
- ein fataler Weg. So ist für die Zukunft wenig
Gutes zu erwarten, zumal Ausdünnungen
auch zu sinkenden Fahrgastzahlen auf den
verbliebenen Strecken führen werden. Dem
kann nur durch das seit Jahren
überfällige fachlich und politisch
diskutierte Gesamtkonzept
begegnet werden. Außerdem
muss sich das Land endlich mit
Eigenmitteln zum öffentlichen
Verkehr bekennen. (kut) Berliner Fahrgastverband IGEB
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