Brandenburg

Potsdamer Diskussion zum Landtagsneubau gefährdet wichtiges Straßenbahn-Projekt

Nach jahrelangen Planungen und Diskussionen beabsichtigt das Land Brandenburg, den Neubau für den Landtag in den Jahren bis 2011 auf dem Grundriss des im Zweiten Weltkrieg beschädigten und 1960 abgerissenen Potsdamer Stadtschlosses am Alten Markt zu errichten. Voraussetzung dafür ist, dass die Stadt Potsdam in diesem Bereich die gesamten Verkehrsanlagen umbaut. Nach dem Abriss der Schloss-Ruine hatte man mit dem Ziel, hier ein „sozialistisches Stadtzentrum" zu schaffen, erheblich in die vorhandene Struktur eingegriffen und breite Straßen sowie die Straßenbahn über das ehemalige Stadtschloss-Grundstück gebaut. Entstanden ist - typisch für die Entwicklung in den 1960er Jahren - eine in großen Teilen autogerechte Stadtmitte.

Straße mit Gleisen
Blick vom Potsdamer Hauptbahnhof Richtung Innenstadt auf die Lange Brücke. Durch eine neue Straßenbahnbrücke in Seitenlage (rechts) soll das Queren der Fahrbahn künftig entfallen, wovon täglich viele tausend Fahrgäste und auch die Autofahrer profitieren würden. Foto: Frank Böhnke

Bereits seit Anfang der 1990er Jahre gibt es Beschlüsse der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung zur behutsamen Annäherung an den alten Stadtgrundriss sowie zur Bevorrechtigung des ÖPNV. Diese Beschlüsse passen gut auf das jetzige Projekt, denn die Breite Straße und die Friedrich-Ebert-Straße sollen zurückgebaut werden, um das ehemalige Schlossgrundstück und seine Umgebung wieder bebauen zu können. Zugleich soll die Straßenbahn in eine Seitenlage gebracht werden, so dass zwei Querungen des Autoverkehrs entfallen, womit die Fahrzeit zwischen Hauptbahnhof und Innenstadt verkürzt und der Fahrplan stabilisiert werden kann. Auch der Autoverkehr profitiert von dieser Entflechtung. Voraussetzung dafür ist aber der Bau einer eigenen Straßenbahnbrücke neben der Langen Brücke.

Doch jetzt formieren sich gegen dieses Projekt Widerstände - und die kommen genau aus einer Richtung, aus der man sie eher nicht vermutet hätte. Wohl weil man grundsätzliche Probleme mit dem zumindest teilweisen Wiederaufbau des Stadtschlosses selber hat (PDS und Fraktion „Die Andere") bzw. dem Verkehrsbetrieb ablehnend gegenübersteht (Teile der Grünen), bemüht man sich nun, den Bau einer neuen Straßenbahnbrücke zu verhindern bzw. man hinterfragt das Vorhaben öffentlich recht heftig. Unbeachtet bleibt dabei:

  • Seit Anfang der 1990er Jahre gibt es Vorschläge zur Beschleunigung des ÖPNV, nämlich diesen, wie auf der Brücke über die Eisenbahn bereits geschehen, die Straßenbahn in Seitenlage zu bringen.
  • Trotz ständiger Notsanierungen ist die Lange Brücke im Wesentlichen nicht mehr in der jetzigen Form zu erhalten - dies zeigen ständig notwendige Arbeiten am Gleisbett und an der Straße, verursacht durch Mängel an der Brücke, die selbst für den Laien sichtbar sind.
  • Mit der Umgestaltung der Verkehrsführung ließe sich der Verkehr in der Innenstadt weiter beruhigen, da die jetzige Gestaltung förmlich zum schnellen Einfahren in die Stadt einlädt.

Dem Beobachter der Situation drängt sich somit der Verdacht auf, dass hier wieder einmal der Nahverkehr und seine Nutzer zum Nebenkriegsschauplatz für Diskussionen um ein ganz anderes Projekt missbraucht werden. Erinnert sei, dass zu früheren Zeiten - noch ohne das Projekt Stadtschloss bzw. Landtag im Hintergrund - Überlegungen zur seitlichen Verlegung des ÖPNV bereits weitgehend politischer Konsens in der Stadt waren. Für den engagierten Fahrgast stellt sich nunmehr die Frage, wem er politisch die Realisierung seiner Interessen überhaupt noch zutrauen kann. Die Nutzer wollen nicht immer und überall nur Sparschwein (ÖPNVMittel) und Spielball einer Diskussion um ein gänzlich anderes Projekt sein. Der Bahnkunden- Verband wird die Entwicklung weiter kritisch beobachten.

Bahnkunden-Verband Potsdam-Mittelmark

aus SIGNAL 5/2006 (Oktober/November 2006), Seite 19

 

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