Wer kann sich noch an das Projekt „Tick.et“
erinnern, mit dem zur Jahrtausendwende
mit dem elektronischen Fahrausweis eine
Revolution des Fahrkartenkaufs heraufbeschworen
wurde?
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Foto/Montage: Holger Mertens |
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Damals war das neue System, das nach der
Testphase wieder verschwunden ist, auch
verbunden mit der Diskussion um entfernungsabhängige
Tarife (siehe u. a. SIGNAL 7/1999 ). Bei den
seit 2014 für VBB-Fahrscheine
verfügbaren neuen Möglichkeiten zum
Ticketkauf steht jedoch der Tarif nicht in Frage.
Es wird schlicht ein neuer Vertriebskanal
hinzugefügt. Dabei gäbe es sogar ohne
Tarifänderungen einige Möglichkeiten, dem
Kunden diesen Vertriebsweg schmackhaft
zu machen. Beispielsweise eine automatische
Deckelung der Kosten in Bezug auf
Tages-, Wochen- und Zeitkarten, die sogenannte
Bestpreis-Abrechnung. Diesen
Schritt vollzieht derzeit jedoch nur Touch &
Travel und auch nur in Bezug auf Tageskarten.
Ein wirklich geldwerter Vorteil,
der dem
Vertriebsweg Handyticket schnell eine hohe
Marktdurchdringung bringen könnte, bleibt
daher aus. Bei Fahrkartenkontrollen sind
weiterhin abseits der Zeitkarten die Papierfahrscheine
allgegenwärtig.
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Bild 1. Die Tageskarte für 3 Personen ist teurer als die Kleingruppenkarte, wird aber kommentarlos verkauft. VBB |
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Im VBB-Raum stehen derzeit drei Möglichkeiten
zum Kauf eines Handytickets
zur Verfügung: Das VBB-Handyticket, das
BVG-Handyticket sowie Touch & Travel der
Deutschen Bahn, jedoch nicht zu verwechseln
mit dem DB-Handyticket, das nicht für
Fahrten innerhalb des VBB nutzbar ist.
VBB-Handyticket
Seit Januar 2014 ist der Kauf von
Fahrscheinen direkt aus der VBB-App
(„Bus & Bahn“) möglich. Die
hierzu notwendige Registrierung
beim Systemanbieter „HandyTicketDeutschland“
soll angeblich
direkt aus der App in ein
bis zwei Minuten durchgeführt
werden können. Hierzu werden
persönliche Daten, mindestens
ein Bezahlverfahren (Lastschrift,
Kreditkarte oder Prepaid-Konto
per Vorabüberweisung) angegeben
sowie eine Geheimzahl
festgelegt. Vor jedem Ticketkauf
wird diese PIN abgefragt.
Der Fahrkartenkauf ist entweder
direkt aus einer Fahrplanverbindung
heraus oder direkt
über dem Menüpunkt Tickets
erreichbar. Gekauft werden können
derzeit diejenigen VBB-Fahrausweise,
die längstens einen
Tag gelten, also der sogenannte
Bartarif. Fahrradkarten sind noch
nicht verfügbar. Es ist auch erlaubt, Tickets
für seine Mitfahrer mitzukaufen. Diese müssen
jedoch aufgrund der Personalisierung
auf den Smartphone-Inhaber immer mit
diesem zusammen fahren.
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Bild 2. Der Sinn der zählenden Uhr am rechten Rand will nicht so recht einleuchten. Noch dazu stoppt sie bei „02:00“. Was passiert nun? VBB |
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Hier achtet die App jedoch nicht auf sinnlose
Fahrscheinvarianten.
So lässt es
die App ohne Warnung
zu, dass der
Fahrgast sich drei
oder mehr Tageskarten
kauft (Bild
1). Da diese jedoch
systembedingt
zum sofortigen
Fahrtantritt gelten
und – ebenfalls
systembedingt –
alle drei Personen
zusammenbleiben
müssen, wäre hier
auf jeden Fall die
Kleingruppenkarte
günstiger.
Verwirrend sind
mache Tarifaufschriften
auf den
Handytickets. So
steht beispielsweise
auf einem ermäßigten Fahrschein, dass dieser
nur von Kindern zwischen
6 und 14 Jahren genutzt
werden darf. Jedoch können
auch Erwachsene, die im Besitz
einer DB-Bahncard sind,
nach außerhalb der ABC-Zonen
ermäßigte Fahrscheine
benutzen.
Direkt nach dem Kauf des
Tickets läuft eine 2-Minuten-Uhr ab (Bild 2). Sind die 2
Minuten abgelaufen, blinkt
es durchgehend „2:00“. Auf
Nachfrage stellte sich heraus,
dass hiermit verhindert
werden soll, dass ein Fahrgast
direkt bei Ausrufen
einer Fahrausweiskontrolle
das Ticket erst im Zug kauft.
Das wird aber nirgends erklärt
und sorgt beim Nutzer
mindestens für Irritationen.
Ist das Ticket nur 2 Minuten
gültig? Oder läd es sich auf 2
Stunden auf? Der Nutzer vermutet hier die
Ticketgültigkeit. Und tatsächlich wäre diese
Funktion als Count-Down durchaus sinnvoll.
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Bild 3. Im geschraubten Alt-Amtsdeutsch wird dem Kunden hier mehr oder weniger klargemacht, dass man sich selbst beim elektronischen Fahrausweis weigert, diese nach Tarifumstellung weiter zu akzeptieren, ja nichtmal beim Nachkauf in Zahlung nimmt. Verbraucherrechtlich unhaltbar. VBB |
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Bild 4. Im VBB-Registrierungsprozess muss der Nutzer ein zusätzliches Kontrollmedium auswählen. Wählt man etwas anderes als den Personalausweis aus, erhält man trotzdem Hinweise zur Personalausweisnummer. VBB |
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Bild 5. Vokabeltest nicht bestanden: Wer sich beim VBB registrieren will, muss auf „Anmelden“ klicken, wer sich anmelden will, klickt auf „Login“. VBB |
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Im Raum Berlin wird in der App auch
die 4-Fahrten-Karte angeboten. Die Umsetzung
ist jedoch mehr als mangelhaft.
Man kauft ein Einzelticket zum 4-fachen
des normalen Preises, welches sofort nach
Kauf beginnt abzulaufen. Die drei weiteren
Fahrten findet man, wenn man beim Suchen
nicht aufgibt, in einem anderen Tab,
wo man sie dann bei Bedarf für jeweils 0
Euro erneut kaufen kann, bis alle aufgebraucht
sind.
Dabei hätte man hier die
Vorteile des elektronischen
Erwerbs voll nutzen und
dem Kunden eine Bestpreis-Abrechnung anbieten können,
indem einfach jedes
vierte gekaufte Einzelticket
entsprechend rabattiert
wird. Aber diese Möglichkeit
war wohl zu einfach, zu
transparent und zu nutzerfreundlich.
Irritierend ist außerdem,
dass man in ganz Berlin und
Brandenburg über die App
immer ein OVG-Ticket kauft.
Wer diese kennt, weiß, dass
er jetzt einen Fahrausweis
eines ländlichen Busbetreibers
der Region Oberhavel
erworben hat. Sowohl diese
rechtliche Konstellation als
auch die Positionierung dieser
„Information“ in der App
sind mindestens fragwürdig.
Auch fragwürdig ist hier,
ebenso wie beim Thema
Fahrcard, der Datenschutz.
In der VBB-App meldet
man sich beim Handy-Ticket-Deutschland an,
einer bundesweiten
Privatfirma des VDV
(Verband Deutscher
Verkehrsunternehmen),
wo man dann Tickets
von einem Oberhavelschen
Busbetrieb kauft.
Mindestens drei Unternehmen
durchlaufen
dabei die persönlichen
Daten und Kontodaten
des Fahrgastes. Wer hat
jetzt was? Und gibt es
neben den dreien noch
weitere Unternehmen,
die darauf Zugriff haben?
Die Vermutung
liegt nahe.
Die Registrierung
ging bei unserem Test
nicht so flott, wie behauptet.
Für die EC- oder
Kreditkarten-Einrichtung
wurde beispielsweise
ein taggenaues Enddatum verlangt.
Alle EC- und Kreditkarten haben jedoch
nur Monat und Jahr als Ablaufdatum aufgedruckt.
Geht der Registrierungsprozess
schief, erhält man nichtssagende Fehlermeldungen.
Welches Eingabefeld fehlerhaft
ausgefüllt wurde, muss der Kunde erraten.
Auch muss der Kunde hier ein zusätzliches
Kontrollmedium auswählen. Nimmt man
hier nicht den Personalausweis, führen einen
die Hinweistexte in die Irre.
Bei der Registrierung per Bankkonto wird
die IBAN und BIC vorausgesetzt. Mal abgesehen
davon, dass die BIC komplett überflüssig
für die Kontoidentifikation ist, überlässt
man die IBAN-Berechnung aus Kontonummer
und BLZ (nur diese sind derzeit auf den
meisten EC-Karten aufgedruckt) komplett
dem Kunden. Unterwegs ist das unmöglich.
Dabei hätte sich diese Funktion mit Leichtigkeit
einbauen lassen. Das IBAN-Feld ist
zusätzlich in der Zeichenzahl beschränkt,
obwohl die IBAN selbst auch mal mehr oder
weniger Stellen haben kann, wenn die Bank
nicht in Deutschland sitzt. Das führt auch
dazu, dass wenn man seine IBAN mit Trenn-Leerzeichen
eingibt, so wie sie von den Banken
angegeben wird, die Eingabe ebenfalls
zu früh abbricht. Error by Design.
BVG-Handyticket
Im Januar startete auch die BVG fast zeitgleich
zum VBB mit ihrem eigenen Handyticket.
Die Registrierung läuft ähnlich ab und
verursacht aber bei vielen Nutzern Probleme,
wie aus den Rezensionen in Googles
Playstore hervorgeht. Auch uns war es zunächst
nicht möglich, eine Mailadresse mit
der Endung „@gmail.com“ anzumelden, so
dass wir auf @googlemail.com ausweichen
mussten. Ein peinlicher Patzer zu Beginn,
aber inzwischen behoben. Ansonsten geht
der Registrierungsprozess aber einfacher
von der Hand. Hier sind keine falsch formatierten
Eingabefelder vorhanden. Die Fehlermeldungen
bei fehlenden oder falschen
Eingaben sind genau und zielführend. Ein
zusätzliches Kontrollmedium muss nicht
ausgewählt werden. Die Nutzungsbedingungen
weisen darauf hin, dass ein gültiger
Lichtbildausweis mitgeführt werden muss.
Leider hat es auch die BVG nicht geschafft,
den Kunden die Eingabe von Kontonummer und Bankleitzahl zu
ermöglichen. Auch will
sie die überflüssige BIC
wissen. Wenigstens ist
man hier frei beim Eingabeformat
der IBAN. Es
stehen die Zahlungsmethoden
Kreditkarte und
Sepa-Lastschrift, jedoch
keine Vorkasse zur Verfügung.
Die BVG-App lässt nur
den Kauf von Tickets für
den Raum Berlin zu, hier
aber sogar Fahrradkarten.
Allerings ist es in der App
nicht möglich, 4-Fahrten-Karten zu kaufen. Hier
sollte schnell nachgebessert
werden. Denn wer
den Vertriebsweg vom
Automaten auf das Gerät
des Kunden auslagert,
muss ihm mindestens die
Rabatte zur Verfügung
stellen, die er am Automaten
oder beim Verkaufspersonal
auch erhält. Dann sollte die
Funktion aber im Gegensatz zur VBB-App
einfach und kundenfreundlich umgesetzt
werden.
Kauft man aus einer Fahrtverbindungssuche
heraus, bietet einem die App nur
diejenigen Tickets zum Kauf an, die auf die
Verbindung passen. Falsch gelösten Kurzstreckentickets
will man damit entgegenwirken.
Darauf könnte man allerdings in der
App hinweisen und auch am Ende der Liste
einen Link zu allen Tickets anbieten.
Zum Thema Recht und Datenschutz ist
hier alles klar. Der Ticketkauf läuft über den
BVG-eigenen Webshop ab, dessen Nutzungsbedingungen
und Datenschutzerklärungen
einwandfrei sind.
Touch & Travel
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Bild 6. Der 9-stufige Registrierungsprozess ist etwas für Leute, die viel Zeit haben. Zusätzlich sind die Seiten ungeeignet für Smartphone-Bildschirme. Touch&Travel |
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Das besondere an Touch &
Travel ist, dass der Fahrgast
keinen Fahrausweis vor
der Fahrt kauft, sondern
sich vor der Fahrt anmelden
und nach der Fahrt abmelden
muss. Der richtige
Fahrausweis wird nach
der Fahrt vom System errechnet.
Dieses System
wurde 2008 gestartet, als
die ersten Handys mit NFC-Technik
(berührungsloser
Nahfunk) auf den Markt
kamen. Da die NFC-Technik
jedoch bis heute keine
große Marktdurchdringung
erfahren hat, wurde
2011 die Lokalisierung per
GPS, Fotografieren eines
2D-Barcodes und das Eintippen
einer Touchpoint-Nummer ebenfalls als An- und
Abmeldemöglichkeit
zugelassen, was das System
vor der vorzeitigen
Einstellung rettete.
Vor der ersten Fahrt ist ein Registrierungsprozess
notwendig. Fraglich ist, warum es
hier nicht möglich ist, sich mit seinem Account
bei bahn.de anzumelden. Dies könnte
dem Fahrgast umständliche Doppelregistrierungen
ersparen.
Im Registrierungsprozess muss eine nicht
an mobile Geräte angepasste Webseite
aufgerufen werden und in 9 (!) Schritten
müssen persönliche Daten und das Bezahlverfahren
(ausschließlich Lastschrift)
eingegeben werden. Auch die DB-eigene
Bahncard-Kreditkarte kann hier also nicht
zur Zahlung eingesetzt werden. Versucht
man, den Registrierungsprozess dennoch
auf dem Smartphone durchzuführen, so
werden auch technikerprobte Kunden sehr
wahrscheinlich mindestens 10 Minuten
benötigen und so einige Flüche ausstoßen.
Die Nutzung von Touch & Travel ist zudem
an eine bestimmte Handynummer gebunden.
Wer die zur Handynummer zugehörige
Simkarte in seinem Smartphone austauscht,
kann dies nirgends in der App oder auf der
Webseite in seinem Profil anpassen, sondern
muss zwangsläufig mit dem Kundenservice
Kontakt aufnehmen.
Touch & Travel ist ausschließlich für eine
Person bestimmt. Die Möglichkeit, Fahrscheine
für Hunde, Kinder oder Fahrräder
gleich mitzukaufen, das heißt diese vor
der Fahrt im Profil zu hinterlegen, gibt
es nicht. Ebenso kann der App nicht mitgeteilt
werden, dass beispielsweise eine
Zeitkarte für Berlin ABC bereits vorhanden
ist. So wäre dem Kunden der Gedanke abgenommen,
ab welcher Station er nun
das Ticket für die Fahrt nach Brandenburg
benötigt.
Die App, die in der Gesamtwertung in
Googles Playstore bisher nie auch nur 4 von
5 Sternen erreichte, hat einen minimalen
Funktionsumfang und wirkt sehr altbacken.
Sie bietet dem Fahrgast nicht einmal
einfachste Einstellungsmöglichkeiten wie
zum Beispiel, seinem Profil eine Bahncard
hinzuzufügen. Wer dies beispielsweise im
Anmeldeprozess nicht getan hat, etwa weil
er damals noch keine hatte und kurz vor
der Fahrt nachholen möchte, ist wieder
auf den Telefonservice angewiesen. Diesem
muss zu Gute gehalten werden, dass
er allzeit sofort erreichbar ist. Bei unseren
fünf Versuchen zu verschiedenen Tagen
und Tageszeiten mussten wir nie warten,
keinem Sprachcomputer antworten und
keine nervenden Sprachmenüs überwinden,
sondern waren stets bereits nach ca.
10 Sekunden mit einem hilfsbereitem Mitarbeiter
verbunden.
Fazit
In der VBB-App ist das Fahrscheinsortiment
am größten, zudem ist hier, als derzeit einziger
App, die 4-Fahrten-Karte verfügbar. Es
können Fahrscheine auch für Mitfahrer gekauft
werden. Das Design ist ansprechend
und funktional, das System HandyTicket-Deutschland
in vielen anderen Regionen
etabliert und mit den gleichen Anmeldedaten
nutzbar, der Fahrschein über eine
Vielzahl von Möglichkeiten bezahlbar. Allerdings
weist die App noch Schwächen auf, so
z. B. die irreführenden Tariftexte sowie den
Umstand, dass Fahrgäste ohne Warnhinweis
unnötig zu teure Fahrscheinkombinationen
kaufen. Außerdem stellt sich hier die Frage,
wer eigentlich Vertragspartner ist. Der VBB?
Die OVG? Oder das Handyticket Deutschland?
Die BVG-App ist ebenfalls gut handhabbar
in der Bedienung, ihre größte Schwäche
liegt vor allem in dem auf Berlin ABC
begrenzten Fahrscheinsortiment sowie im
Fehlen der 4-Fahrten-Karte.
Die Touch&Travel-App ist ein interessanter
Ansatz, den Kunden völlig von der Tarifkenntnis
zu entbinden. Ein gesundes Misstrauen
über die korrekte Tarifberechnung
und somit doch die Kenntnis über den Tarif
sollten jedoch trotzdem vorhanden sein.
Die Umsetzung der App ist allerdings misslungen.
Der Registrierungprozess ist nicht
fürs Smartphone geeignet, die Profilverwaltung
in der App nicht möglich, das Tarifsortiment
minimal. Einziges Trostpflaster
ist die allzeit schnell erreichbare und kompetente
sowie kostenlose Kundenhotline,
die in unseren Fragestellungen immer helfen
konnte.
Allen Handytickets ist gemein, dass keine
Zeitkarten gekauft werden können. Jedoch
sollte in Zukunft auch diese Möglichkeit
dem Kunden angeboten werden. Ein vergessenes
Smartphone fällt sicher schneller
auf als ein vergessenes Portmonee. Ebenfalls
sollten die Apps so erweitert werden,
dass sie den Fahrgästen einen echten Anreiz
bieten, sie zu nutzen. Hierzu würde sich ein
Bestpreis-Verfahren anbieten. (hm) Berliner Fahrgastverband IGEB
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