Schon bald nach der "Wende" in der DDR traten die Potsdamer Verkehrsbetriebe
mit viel Engagement, innovativen Ideen, einem erfrischenden Design und
progressivem Marketing in Erscheinung, um den in Jahrzehnten angesammelten
VEB-Mief loszuwerden. Durch die konsequente Umstellung des Fahrzeugparks auf
(zunächst nicht modernisierte) ex-Berliner Tatra-Züge und Niederflur-Busse
wurde versucht, den Fahrgästen trotz beschränkter Mittel einen modernen ÖPNV
zu bieten. Mit der Schaffung einer attraktiven Kundenzeitschrift wurde der
Dialog mit den Bürgern gesucht und diesen der Eindruck vermittelt. umworbener
Kunde zu sein. Die Straffung des Liniennetzes und der Fahrpläne führte zu
einem übersichtlichen und benutzerfreundlichen Nahverkehrsangebot. Auch die
bald eingeleitete Modernisierung der Tatra-Flotte setzte ein deutliches
Zeichen gegen all jene (insbesondere in der Politik), die mit dem Ende des
»Sozialismus« auch gleich die Straßenbahnen in und um Berlin entsorgen
wollten.
Wir Berliner konnten nur neidvoll auf die vor den Toren Berlins liegende
Landeshauptstadt blicken - und uns weiter neben lernunwilligen Behörden
mit der "verbeamteten" Bus-und-U-Bahn-BVG herumärgern, für die allein schon
der Abschied vom "Behörden-Beige" bei den Bussen eine von den Gewerkschaften
argwöhnisch beobachtete Zäsur bildete.
Und nun erweist sich alles als Mißverständnis?
Der letzte Fahrplanwechsel brachte für die Landeshauptstadt Einschnitte
insbesondere in den Straßenbahnverkehr. die Potsdam auf das Niveau einer
x-beliebigen Provinzstadt zurückwerfen. Die Einstellung einer kompletten
Linie, vor allem aber der Betriebsschluß gegen
22:30 - dies alles sind Angebotseinschränkungen, die an die Substanz gehen.
Sicher - landauf, landab herrscht Ebbe in den öffentlichen Kassen, es
muß gespart werden. Und es verlangt niemand, daß Straßenbahnen zum
Selbstzweck durch die Straßen fahren.
Die offizielle Begründung für die Sparmaßnahmen läßt allerdings aufhorchen:
In der Nummer 96/2+3 der Kundenzeitschrift "ViP-Ziele" wird ganz einfach den
Fahrgästen vorgeworfen, gute Angebote nicht genutzt zu haben. Wörtlich heißt
es dort: "Im Falle des Spätverkehrs ist diese Rechnung [Fahr-Angebot] nicht
aufgegangen. Die Bahnen waren und blieben leer".
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In den letzten Jahren blickten Berliner Fahrgäste oft bewundernd und ein wenig neidisch nach Potsdam. Das Angebot und vor allem das Erscheinungsbild des ViP wurden rasant verbessert. Doch beim Abendverkehr ist Potsdam jetzt leider wieder Provinz geworden. Foto: Johann Hartl |
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Das riecht doch sehr nach Kundenschelte, die von den wahren Ursachen der
katastrophalen Entwicklung ablenkt. Denn anstatt die Ursachen der
Nicht-Nutzung zu untersuchen, zu benennen und möglichst zu beseitigen,
wird einfach der Verkehr eingestellt. Diese Ursachen aber liegen jenseits
vom ViP in einer völlig verfehlten Verkehrspolitik der Stadt Potsdam.
Überbordende Schnellstraßenplanungen, Ampelschaltungen, die die Straßenbahn
mit 90 Sekunden Wartezeit belasten (Holzmarktstraße), eine auf
Dauerunmögliche Umsteigesituation am Bahnhof Potsdam Stadt (die bekannt
gewordenen Planungen für das Potsdam-Center lassen keine deutliche Besserung
erwarten, s. SIGNAL 1/96 ) etc. sind wahrlich keine
Einladung an Fahrgäste, die Straßenbahn zu benutzen.
Man fühlt sich an Berliner Verhältnisse erinnert - was angesichts der auch
in Potsdams Stadtverordnetenversammlung real existierenden "großen" Koalition
aus Autolobby, SPD und CDU nicht weiter verwundert. Unter derartigen lähmenden
Bedingungen stößt natürlich jegliches Engagement der Mitarbeiter der
Verkehrsbetriebe schnell an seine Grenzen.
Wir können nur hoffen, daß diese jüngste Maßnahme nicht das letzte Wort
bleiben und ein Weg gefunden wird, den Potsdamern und ihren zahlreichen
Gästen (speziell aus der Nachbarstadt Berlin) auch in den Spätstunden ein
besseres Angebot als zwei alle 30 Minuten verkehrende Buslinien zu bieten.
Denn schon regt sich Widerstand - und das von einer Klientel, die
normalerweise nicht unbedingt zu den großen Unterstützern des ÖPNV zu zählen
ist. Die Gewerbetreibenden und Hoteliers der Stadt Potsdam beklagten den
verfrühten Betriebsschluß als "wenig hilfreich zur Förderung des Tourismus
in der Stadt" (Berliner Zeitung vom 22.6.96).
Das sieht die IGEB ebenso.
IGEB
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