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1991 wurde in München die “Integrierte ÖPNV-Planung” beschlossen, mit der in
der bayerischen Landeshauptstadt endlich der Streit “Straßenbahn oder U-Bahn”
beigelegt wurde und ein sinnvolles Nebeneinander aller existierenden
Verkehrsmittel vorgeschlagen wurde. Die Straßenbahn sollte neben der radialen
Netzergänzung und Zubringerdiensten zur U-Bahn wieder die Funktion der
Tangentialverbindungen zugewiesen bekommen. Schließlich wurden dann auch 70
neue Niederflurwagen bestellt (gleicher Typ wie in Berlin), die seit 1994
ausgeliefert werden. Doch zunächst einmal wurden erst noch über 20 km
Straßenbahn eingestellt und z. B. der gesamte Südwesten trambahnfrei gemacht.
Die Planungen für die vorgesehenen 21 km langen Neubaustrecken begannen
sehr zögerlich, bis mit der Berufung eines neuen Werkleiters sowie dem
Amtsantritt des sehr engagierten Oberbürgermeisters endlich Dynamik in
den Ausbau kam. Aber schon alleine die Beschleunigung der Linie 20 rief bei
der CSU, der Autofahrerlobby und sogar einigen “Straßenbahnfreunden” starke
Proteste wegen der angeblichen “Verkehrsschikanen” für den Autofahrer
herbei - ein Thema, das in München stärker als in jeder anderen Stadt
emotional und hysterisch angegangen wird. Nach der - relativ
unproblematischen - Wiederinbetriebnahme der Linie 17 vom Hauptbahnhof
zum Romanplatz im Juni 1996 ist nunmehr als erste Tangente die “Osttangente”,
d. h. ein trassenidentischer Wiederaufbau der alten Linie 12 im Abschnitt
Ostfriedhof-Wörthstraße, an der Reihe. Nach dem Planfeststellungsbeschluß
vom 30.09.1996 begannen nun die vorbereitenden Bauarbeiten; eine
Eröffnung ist für Oktober 1997 vorgesehen.
Nachdem die wenigen Bedenken der (sehr urban gesinnten) Bevölkerung
ausgeräumt werden konnten, behindert verwaltungsintern das für den
Straßenverkehr zuständige Kreisverwaltungsreferat mit dem
einzigen CSU-Referenten massiv den vorgesehenen Bauablauf der Stadtwerke.
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Foto: Th. Krauß, 14. Oktober 1996 |
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ÖPNV-Trasse. Foto: Th. Krauß, 14. Oktober 1996 |
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Aus: ÖV 2000, München 1990 (Pfeil durch die Rekation) |
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Die ÖPNV-Trasse im Englischen Garten wird derzeit von der Omnibuslinie 54 genutzt. Foto: Th. Krauß, 14. Oktober 1996 |
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Als nächste Strecke ist die sog. “Nordtangente” vorgesehen, und hier
beginnt die aktuelle Diskussion. Diese Strecke soll den Elisabethplatz mit
der Tivolistraße verbinden und damit eine Direktverbindung
Neuhausen-Schwabing-Bogenhausen schaffen und täglich bis zu 17 000
Fahrgäste befördern. Mit 7 neuen Kursen bei der Tram können somit 16 Busse
auf den Linien 33, 54 und 154 eingespart werden, die infolge der unattraktiven
Linienführung derzeit nur etwa 8000 Fahrgäste am Tag befördern. Da auf
diese Weise sogar noch täglich 1000 Autofahrten eingespart werden können,
erreicht diese Strecke in der Standardisierten Bewertung den sehr hohen
Nutzen-Kosten-Faktor von 2,2 und weist sogar einen betriebswirtschaftlichen
Nutzen in Höhe von 1,6 Mio. DM/Jahr auf - im Vergleich zu allen geplanten
oder diskutierten U-Bahn-Strecken traumhafte Ergebnisse. So verursacht die
in Bau befindliche U2 nach Riem jährlich über 20 Mio DM
Betriebskostenunterdeckung.
Ergänzend ist noch zu erwähnen, daß schon
1927 eine Straßenbahn durch den Englischen Garten geplant war, die aber
dann nicht verwirklicht wurde. Die Ausgangssituation gestaltete sich ähnlich:
mit der neuen Linie 22 (damals schon!) sollte eine Ringlinie, deren erste
Hälfte zwischen Sendling und Schwabing in den Jahren zuvor eröffnet wurde,
entstehen. Die geplante Verlängerung zum Herkomerplatz und weiter in den
Osten hätte dabei den Englischen Garten durchquert, allerdings auf einer
anderen und längeren Trasse als in der heutigen Planung. Aufgrund von
Protestes aus vornehmen Schwabinger “Künstlet kreisen”, die u. a. auch eine
Streitschrift gegen diese Tram herausbrachten, wurde die Strecke nicht
gebaut und stattdessen eine Bustrasse durch den Park gelegt, die dann
von der Autobuslinie A22, später 54, befahren wurde.
Der Englische Garten
Dieser Park wurde ab 1789 vom damaligen Herzog Karl Theodor als Militärgarten
angelegt, entwickelte sich aber aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Hofgarten
zu einem stark besuchten Ausflugsgebiet der Münchner. Die Planung erfolgte
durch den Gartenbaukünstler Ludwig von Sckell, der den Park als “Englischen
Garten” entwickelte und mit den Gartenanlagen von Lenne vergleichbar ist.
Neben der hohen Bedeutung in der Gartenbaukunst stellt der Englische
Garten - im Verbund mit den Isarauen und der ansschließenden Hirschau -
eine durchgehende Freifläche vom Stadtzentrum bis an den Stadtrand dar
und ist daher ökologisch besonders wertvoll. Aufgrund der zahlreichen
Erholungsmöglichkeiten und der Biergärten besitzt dieser Park auch
emotional einen hohen Stellenwert.
Die derzeitige Diskussion erinnert daher sehr stark an die vor 70 Jahren,
es gibt allerdings einen großen Unterschied, der selbst von der stark
polemisierenden “Abendzeitung” nicht erkannt wurde: im Gegensatz zu 1927
soll keine neue Trasse durch den Englischen Garten geschlagen werden,
sondern nur eine bestehende umgenutzt werden - ohne jegliche Eingriffe in
den Park. Dessen ungeachtet titulierte eben erwähnte Boulevardzeitung -
alle anderen halten sich bislang weitgehend aus der Diskussion heraus -
ausgerechnet an einem Wies'n-Samstag, also einem Tag mit der höchsten
Auflage, ihr Blatt mit der Schlagzeile “Der Millionen-Schmarrn: Tram durch
den Englischen Garten”. Im Innenteil waren farbige Fotos von malerischen
Postkutschen sowie eine Fotomontage von 1927, mit der die Künstler gegen
die alte Trasse argumentierten, plaziert. Dazu wurde noch eine bekannte
Fernsehdame (Welches Schweinderl hätten 's denn gern?) sowie der ehemalige
Park-Verwalter zitiert mit dem Tenor, für viel Geld würde das einmalige
Naturdenkmal vollkommen zerstört, obwohl keiner die Tram bräuchte. Die
“Argumentation beruht auf zahlreichen Tatsachenfälschungen sowie falschen
Spekulationen eines Reporters, der sich als „Alt- Linker” und “68er”
bezeichnet und in seiner falsch verstandenen Mission den Oberbürgermeister
vor “einem großen Fehler” bewahren will, in Wirklichkeit aber nur um seinen
Parkplatz fürchtet. Doch bezog sich der Protest nur gegen die geplante
Führung im Englischen Garten selbst, nicht jedoch gegen das Projekt als
ganzes. Allerdings wurde in der Folge die Argumentation immer fragwürdiger;
der einzig tatsächlich diskussionswürdige Punkt, nämlich die Gestaltung
der angeblich so zerstörenden Fahrleitung, wurde mit der Forderung nach
O-Bussen, die ja eine doppelte Fahrleitung benötigen, vollends ad absurdum
geführt. Aufgrund der sonst willkommen widerlegbaren Argumentation stürzten
sich die Gegner in der zweiten Stufe auf die gesamte Neubaustrecke mit ihrer
Durchquerung von Schwabing und, damit verbunden, auf das verkehrspolitische
Lieblingsthema in München schlechthin: dem Stau. Paradoxerweise leisten hier
“Alt-Linke” mit ihren Horrorszenarien “mehrfacher Staustufen” - als ob ein
Schiffahrtskanal quer durch Schwabing gelegt werden würde - ihren politischen
Gegnern, der “Rechtsaußen-CSU” mit ihrem Dauerbrenner der
“rot-grünen-Verkehrsschikanen” (alle Zitate entstammen einer
Diskussionsveranstaltung!) perfekte Hilfestellung, so daß diese Partei,
die noch kurz vorher im Stadtrat die Notwendigkeit der Strecke betont hat,
diese Negativstimmung begeistert aufgenommen hat. So tönt es vereint von
links und rechts, daß Schwabing “den größten Stau aller Zeiten erleben” wird
und die Strecke zudem “maßlose Verschwendung von Steuergeldern” sei. Aus
den gleichen Kreisen wird jedoch als langfristige Lösung der angeblich ja
nicht notwendigen Verbindung der Bau einer U-Bahn vorgeschlagen, der in
München schon wesentlich mehr Bäume als der Trambahn zum Opfer gefallen
sind und die gerade unter dem Englischen Garten aufgrund der
Grundwasserabsenkung verheerende ökologische Schäden anrichten würde. Auf
einer von jenem Boulevardblatt veranstalteten Diskussion, deren “neutrale
Leitung” der Chefredakteur war und die von den Gegnern rein emotional geführt
wurde, glitten die Behauptungen und Forderungen vollends ins Lächerliche ab:
neben dem Vorwurf, die Verantwortlichen seien reine “Ideologen” und
“Trambahnfanatiker”, kam die Forderung nach einer ersatzlosen Stillegung
der bestehenden Buslinien, deren Fahrplan korrekt zu lesen ein Schriftsteller
nicht in der Lage war, auf. Im übrigen störte sich keiner der “Schützer”
des Englischen Gartens an dem etwa 1 km nördlich verlaufenden vierspurigen
Mittleren Ring, der infolge eines von der CSU initiierten Bürgerentscheids
ausgebaut wird und Verkehrszuwächse von bis zu 30 Prozent haben soll,
also dann in diesem Bereich weit über 100 000 Autos am Tag!
Vorgeschichte:
Trambahn oder U-Bahn?
München ist im ganzen Lande für sein skurriles Verkehrswesen bekannt. In
den fünfziger und der ersten Hälfte der sechziger Jahren war München eine der
wenigen (west)deutschen Städte, in der die zahlreichen Neubausiedlungen
konsequent mit der Straßenbahn erschlossen wurden. In nur 8 Jahren - von
1956 bis 1964 - wurden nicht weniger als 30 km Neubaustrecken gebaut -
ein Rekord, der nur mit Ost-Berlin der achtziger Jahre mithalten kann.
Aber Mitte der sechziger Jahre begann, etwa mit Vergabe der Olympischen
Spiele an München, der plötzliche Wandel, so daß nur noch U- und S-Bahn
als Lösung der “Verkehrsprobleme” gefragt waren. Die Straßenbahn fand fortan
in den Planungen überhaupt keine Berücksichtigung mehr, da ihr Ersatz durch
die Schnellbahn stillschweigend vorausgesetzt wurde. So wurde 1965 keine
drei Jahre nach ihrer Eröffnung die vollkommen kreuzungsfreie Neubaustrecke
nach Freimann-Nord wegen der U-Bahn eingestellt; und selbst noch drei
Jahrzehnte später wurde die modernste und attraktivste Strecke zum
Hasenbergl, die andernorts als Vorbild für zahlreiche “Stadtbahnstrecken”
diente, durch eine über 500 Millionen teure U-Bahn ersetzt. Der Erfolg:
Busorgien, erhöhte Betriebskosten - und “kein nennenswerter Fahrgastgewinn”
(ca. 500 zusätzliche Fahrgäste am Tag; d. h. pro hinzugewonnenen Fahrgast
wurde 1 Million DM investiert!), so die offizielle Bilanz. Im Olympia- und
Baufieber unbemerkt, wurden Ende der sechziger Jahre mit Einstellung der
einzigen Tangentiallinien 12 und 22 die größten Fehlentscheidungen getroffen,
da seither das gesamte Schienennetz radial auf das Stadtzentrum
ausgerichtet ist und keinerlei bedeutsamen Querverbindungen
mehr existieren.
Nachdem dann 1983 unter einem berüchtigten Oberbürgermeister und einer
extrem straßenbahnfeindlichen Verwaltung 18 km Straßenbahnstrecken (für
6 km neue U-Bahn) eingestellt wurden, sollte den damaligen Planungen
zufolge bis zur Eröffnung der U-Bahn zum Hasenbergl der gesamte restliche
Straßenbahnbetrieb stillgelegt werden. Als Folge wurden keinerlei
Neuinvestitionen mehr vorgenommen und der Betrieb als “Auslaufbetrieb”
mit einem museumsreifen Wagenpark geführt.
Interessanterweise ist jedoch nach einem Gespräch des Münchener
Oberbürgermeisters mit dem bayerischen Ministerpräsidenten die bayerische
Staatsregierung von der Notwendigkeit und der Umweltverträglichkeit dieser
Strecke überzeugt und erhebt als Eigentümer des Englischen Gartens keinen
Widerspruch gegen das Projekt. Mehr noch: die staatliche Schlösser- und
Seenverwaltung akzeptiert sogar den Vorschlag der Stadtwerke, ein
befahrbares Rasengleis (zum Beispiel mittels Rasengittersteinen) anzulegen
und als Ausgleich einen Radweg neben der Trasse anzulegen, für den an
einigen Stellen in den Grünbestand eingegriffen werden müßte.
Trotz der argumentativen Notlage der Gegner wird in einer dritten Stufe
nunmehr umso heftiger gegen die gesamten Trambahnpläne geschrieben und
diskutiert. Bedauerlich in diesem Zusammenhang
ist jedoch auch die Tatsache, daß sich die Stadtwerke sehr zurückhalten
und einige Wochen z. B. keine Gegendarstellungen für objektive Falschmeldungen forderten. Vielmehr wurde auf die Mitte November beginnende Öffentlichkeitsarbeit verwiesen, die jedoch dann aus
der Defensive heraus geführt wird und somit einen schweren Standpunkt hat,
da die Emotionen gegen die Tram schon geweckt sind. So werden derzeit
sogar Unterschriften gesammelt mit dem Ziel, einen Bürgerentscheid gegen
die Tram herbeizuführen. Das Hauptargument hierbei ist neben den finanziellen
Auswirkungen die “Verkehrsschikane” Straßenbahn. Genau mit dem gleichen
Argument polemisiert die CSU auch im Westen gegen die anschließend zu
bauende Strecke in der Fürstenrieder Straße, der sog. “Westtangente” und
fällt damit in die Unzeiten der “autogerechten Stadt” zurück, als die
Trambahn als das Verkehrshindernis schlechthin angesehen wurde. Zusammen
mit dem bislang erfolgreichen Protestgeschrei gegen die geplante Tram
vom Effnerplatz nach St. Emmeram von den Anwohnern der Cosimastraße, die
abwechselnd die Straßenbahn einmal als “zu laut” und daher ruhestörend und
ein andermal als “zu leise” und daher gefährlich ablehnen, besteht damit
derzeit in München eine breite Front gegen alle geplante
Straßenbahn-Neubaustrecken (mit der Ausnahme Osttangente). Doch mit einem
Verzicht auf die wirtschaftlich notwendigen
Neubaustrecken ist langfristig der Bestand der Münchener Straßenbahn wieder
einmal gefährdet. Leider scheint die Ursache überwiegend das St.
Florians-Prinzip zu sein (“Trambahn find ich toll, aber nicht vor meiner
Haustüre”), da die Argumente gegen die Straßenbahn überall zu widerlegen
sind. Gleichzeitig nutzen die Oppositionsparteien im Rathaus diese Stimmung
aus und prangern so die angeblich rot-grünen, tatsächlich aber auch eigenen,
Beschlüsse in der Verkehrspolitik an. Es wird dabei auch deutlich, daß
insbesondere in den Medien verkehrspolitische Themen in München wesentlich
emotionaler und irrationaler behandelt werden als z. B. in Berlin, und
jeglicher Eingriff in den Individualverkehr mit einer unglaublichen und an
Urzeiten erinnernden Hysterie geahndet wird. Inwieweit diese Gegenbewegung
den Ausbau tatsächlich verhindern kann, ist derzeit nicht absehbar, im
Falle der Strecke nach St. Emmeram, die schon seit einiger Zeit in Betrieb
sein sollte, erzielt sie aber auf alle Fälle eine Verzögerung um mehrere
Jahre. Bei einem Wechsel der politischen Mehrheit im Rathaus sähen
jedoch die Perspektiven für einen umwelt- und menschengerechten Stadtverkehr
düster aus.
So könnte es geschehen, daß das verkehrspolitische Kabarett in München
bald wieder Schlagzeilen im ganzen Lande auslöst und die
Skurrilität des Münchener Verkehrswesens abermals steigert.
Thomas Krauß, Arbeitskreis Attraktiver Nahverkehr München
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