Berlin
Schon seit längerer Zeit war hinter vorgehaltener Hand von einer
"Low-Cost-Bahn" die Rede. Im Sommer wurde sie in Düsseldorf unter dem
Namen "Combino" erstmals der Fachpresse vorgestellt. Am 8.10. 1996
präsentierte sie Siemens auf BVG-Gleisen in Marzahn. Die entscheidende
Frage nach dem Verkaufspreis blieb offen. Deutlich niedriger als bei
bisher angebotenen Modellen wird er aber voraussichtlich nicht sein.
Siemens verspricht Kostenvorteile durch billigeren Betrieb infolge
geringerem Reparatur- und Wartungsaufwand sowie günstigerem
Energieverbrauch durch ein vergleichsweise niedriges Fahrzeuggewicht.
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Anders als bei neuen S-Bahn-BR 481 scheint es beim „Combino“ keine Beeinträchtigung der Lesbarkeit der Zugzielanzeige durch Spiegelungen zu geben. Foto: Ivo Köhler |
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Der Wagen besteht aus mehreren individuell kombinierbaren Modulen, mit
denen sich für alle denkbaren Anwendungsfälle geeignete Fahrzeuggrößen
zusammenstellen lassen, sowohl als Ein- als auch als Zweirichtungswagen.
Im elektrischen wie im mechanischen Bereich wurden keine allzu großen
Experimente gestartet, so daß man mit kurzen Inbetriebnahmephasen ohne böse
überraschungen rechnen dürfte. Die Fahreigenschaften des Wagens
beeindruckten durchaus.
Die einleitenden Worte vom Technischen Vorstand der BVG, Herrn Dr.
Dubenkropp, klangen bei genauem Hinhören optimistisch. Nach der Feststellung,
man habe nach "dem erfolgreichen Einsatz der GT6N" nun auch Mitbewerbern eine
Chance zur Präsentation geben wollen, folgten Andeutungen über einen in
naher Zukunft denkbaren Einsatz des vorgestellten Wagens in Berlin, der
den jetzt erfolgenden Neuausschreibungen folgen könnte.
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Der Innenraum des „Combino“ wirkt freundlich und übersichtlich und bietet Sitzenden ausreichend Beinfreiheit. Foto: Ivo Köhler |
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Das glücklose AEG-Fahrzeug ist nach wie vor alles andere als erfolgreich,
von 60 Wagen stehen 54 als Einsatzbestand zur Verfügung, es gab erneut
Probleme mit den Getrieben, mehrere Wagen mußte wegen Rissen im Dachbereich
für den Personenverkehr gesperrt werden. Die wenig überzeugende
Innenraumgestaltung kommt hinzu. Im Falle der "Fahrgastbefragungen", die
zu einem durchweg positiven Ergebnis gekommen sein sollen, wäre es
interessant zu erfahren, was konkret dort gefragt wurde. Mit Suggestivfragen
ist immer ein positives Ergebnis zu erhalten.
Nüchtern betrachtet bleibt die Suche nach Alternativangeboten, die ganz
einfach besser sind. Der "Combino" kann eine solche Alternative sein. In der
präsentierten Form wird er niemals in Serie gefertigt, da es Siemens darum
ging, alle denkbaren Komponenten vorzuführen. In der Praxis
werden Kombinationen aus bis zu drei oder vier Modulbausteinen erfolgen,
je nach Grad der Motorisierung des Wagens und der gewünschten Länge. Die
Ausstattung kann den Bestellerwünschen angepaßt werden. Und hier sollte
einiges beachtet werden. So muß die Zahl der Kinderwagenstellplätze gegenüber
dem im Wageninnern hoffnungslos verbauten GT6N unbedingt erhöht werden.
In einer Niederflurstraßenbahn müßten mindestens drei bis vier Stellplätze
angeboten werden. Zum Vergleich: In den außer Dienst gestellten Rekowagen
konnten beim Dreiwagenzug mindestens fünf Kinderwagen mitgeführt werden.
Auch sollte über Windfänge im Türbereich nachgedacht werden, um ein Auskühlen
des Wagens während des Fahrgastwechsels zu vermeiden.
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Der „Combino“ bei der Präsentation in Berlin-Marzahn. Foto: Ivo Köhler |
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Die Ausstattung sollte dem bisherigen Standard entsprechen, was beim
Konzept des Wagens ohne zusätzliche Kosten möglich sein dürfte. Dies betrifft
unter anderem die Art der Bestuhlung und die Ausstattung mit
Haltewunschtastem als auch natürlich das Farbkonzept. Lediglich bei den
Außen-Türtastem sollte versucht werden, zu Betätigungselementen überzugehen,
die eindeutiger sind. Beobachtungen vor Ort zeigen, daß die in Berlin
verwendeten Elemente mißverständlich sind und mit Sensortasten verwechselt
werden. Nur auf "Streicheln" reagieren diese Taster nicht. Ebenso muß hier
ein von einem Leuchtfeld umgebener gelber Bereich betätigt werden, im
Gegensatz zu U-Bahn und S-Bahn, wo auf das Leuchtfeld oder zumindest eine
grüne Fläche gedrückt werden muß. Bei dieser Gelegenheit: mehr
Einheitlichkeit bitte!
Potsdam
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Prototyp Combino Zeichnung: Siemens Verkehrstechnik |
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Der modulare Aufbau ermöglicht eine große Variationsbreite innerhalb der Combino-Fahrzeugfamilie. Text und Grafik: Siemens Verkehrstechnik |
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Am 12. und 13. Oktober lud der Verkehrsbetrieb in Potsdam (ViP) zu einer
Präsentation mehrerer Niederflurfahrzeuge. Nach einem Pressetermin am
11. Oktober hatte an den genannten beiden Tagen die Bevölkerung Gelegenheit,
sich selbst ein Bild über die Angebotspalette zu machen. In die noch dieses
Jahr erfolgende Bestellung sollen die Hinweise und Wünsche der Potsdamer
Fahrgäste mit einfließen. Aus Berliner Sicht erscheint dieses Vorgehen als
geradezu sensationell. Vorgestellt wurden der oben erwähnte Combino von
Siemens-Verkehrstechnik, der von einem Konsortium unter Führung der DWA
hergestellte Dresdner 65%-Niederflurwagen und der allseits bekannte GT6N
von ADtranz. Ein bislang von der BVG noch nicht abgenommenes (1994 gebautes)
Fahrzeug wurde eilig mit Folien in der ViP-Lackierung beklebt. Was man bei
naiver Sichtweise als nette Geste abtun kann, ist genaugenommen eine dreiste
Frechheit. Denn den geladenen Potsdamer "Normalverbrauchern" wurden damit
Fakten suggeriert, die noch längst nicht gegeben sind. Siemens begnügte
sich mit einer Postkarte des Combino in ViP-Farben.
Neun Hersteller haben sich bisher auf die EG-weite Ausschreibung gemeldet,
ab 1998 plant man die Beschaffung von jährlich vier neuen Wagen. Ein
Bescheid des Landes über die Erteilung von Fördermitteln liegt vor. Ab
1998 soll zugleich die Aussonderung älterer, nichtmodernisierter
Tatras fortgesetzt werden. Da in Potsdam gleich zu Beginn die Fahrgäste
effektiv einbezogen werden, dürfte der tatsächlichen Akzeptanz der dortigen
Wagen nichts entgegenstehen.
Es bleibt nur zu hoffen, daß auch eine technische Lösung gewählt
wird, die ohne allzuviel Anlaufschwierigkeiten dem Betriebseinsatz
übergeben wird.
IGEB
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