Warum neue Fahrzeuge für Potsdam ?
Diese Frage wurde an den Verkehrsbetrieb und ebenso an unseren Verband
in der Vergangenheit immer öfter gerichtet, besonders von Berlinern.
Deshalb soll hier eine schriftliche Begründung in einer Berliner Zeitschrift
erfolgen, denn leider ist mit dem Ende von "VBB-aktuell" für den
Verkehrsbetrieb Potsdam eine Information nach Berlin immer schwieriger
geworden.
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Foto: Ivo Köhler |
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Der GT6N von ADtranz und der „Combino“ von Siemens bei der Präsentation Mitte Oktober auf dem ViP-Betriebshof in Potsdam. Foto: Jörg-Peter Schultze |
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Der Verkehrsbetrieb in Potsdam betreibt seit 1975 den Einsatz von
Straßenbahnen des Typs CKD KT4D und ist damit der dienstälteste Anwender
dieses Fahrzeugtyps (Potsdam war Einsatzort der beiden Prototypen). Die
Geschichte dieser Fahrzeuge, genauer: deren Zuführung nach Potsdam,
erwies sich für den Verkehrsbetrieb als kaufmännisch sehr ungünstig.
Der Verkehrsbetrieb erhielt seine Fahrzeuge in zwei grundlegenden Etappen
der Beschaffung: ab Werk seit 1977
bis zur Betriebsnummer 043 und 1989/90 "schlagartig" die Berliner
Fahrzeuge mit den alten Betriebsnummem 044 bis 124. Die ersten Fahrzeuge
befinden sich somit bereits seit 15 bis 20 Jahren im Einsatz, und ein Umbau
zu moderneren Fahrzeugen würde einen erheblichen Kraftaufwand erfordern,
zumal die Potsdamer Tram-Fahrzeuge im wesentlichen ständig der Witterung
ausgesetzt sind, da es hier kaum Hallenstandplätze gibt.
Die Fahrzeuge der ersten Etappe werden auch als erste durch die
Neubaufahrzeuge ersetzt werden, da die Zuführung zu den Zeitpunkten der
notwendigen kostenintensiven Hauptuntersuchungen der Fahrzeuge erfolgen soll.
Die 1989/90 aus Berlin zugeführten KT4D waren alle gerade erst 2 bzw. 3 Jahre
alt. Somit erfolgt die Fälligkeit für die gesetzlich geforderten
kostenintensiven Untersuchungen jeweils zu gemeinsamen Zeitpunkten.
Die seither erfolgte Modernisierung hat lediglich eine Verteilung auf 4
Jahre geschaffen.
Folgende Mängel konnten auch durch die Modernisierung
nicht beseitigt werden:
- Die Fahrzeuge haben - der Situation der Herstellungszeit und -materialien,
nicht den Herstellern geschuldet - einige Schwachstellen, deren
Ausgleich je Untersuchung immer erheblicher wird.
- Die Fahrzeuge sind hochflurig, und selbst der Einbau von
Niederflur-Mittelteilen (s. SIGNAL 1/96 ) würde
nur einen geringen Anteil an Niederflurigkeit schaffen. Zudem
könnten die umgebauten "Niederflur-KT4D" nur als Solowagen im
Netz verkehren, da sonst viele Haltestellen nicht nutzbar wären.
- Die Möglichkeiten einer weiteren Modernisierung der KT4D sind
erheblich eingeschränkt oder nur für viel Geld zu realisieren.
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„Combino“-Probefahrt durch Potsdam mit Oberbürgermeister Horst Grämlich (Mitte). Foto: Ivo Köhler |
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Dieses bedeutet keine Verteufelung der KT4D, denn dieser Typ hat in
Potsdam immer seine guten Dienste geleistet. Doch der kaufmännische
und technische Aufwand der Einsatzbereiterhaltung ist inzwischen zu
hoch, und so manche Erwartung der Fahrgäste an ein modernes Fahrzeug
werden eben nicht erfüllt. Der Abschied vom KT4D wird parallel zur
Neufahrzeugzuführung innerhalb von 8 bis 10 Jahren erfolgen. Ein
Neubaufahrzeug wird jeweils zwei Tatras ersetzen (sprich Trieb- und Beiwagen).
Die Neubeschaffung erfolgt zudem in der bereits seit Jahren
bekannten Zeitplanung für Investitionsmaßnahmen des ViP, die vorsah
bzw. vorsieht:
-
Erneuerung des Busparks und Modernisierung der KT4D,
-
gleichzeitig und fortschreitend Erneuerung und Modernisierung
des Liniennetzes der Tram,
- Neubau eines Betriebshofes (Tram und Bus),
- Beschaffung von Niederflurbahnen und Bau neuer Strecken,
- nach 2000 eventuell Einsatz von Zweisystembahnen mit
Fahrt ins DB-AG-Netz.
Daraus wird deutlich, daß die jetzt geplante Fahrzeugbeschaffung
keineswegs einer Laune entspringt, sondern Teil eines langfristigen
Konzepts ist.
Wie sollten die Bahnen beschaffen sein?
Ziel des Verkehrsbetriebes ist es, durch eine intelligente Beschaffung
die möglichen Kosten für das Fahrzeug gering zu halten. Es soll keine
spezielle Serie nur für Potsdam geben, was kostentreibend wäre und oft
auch wenig Vorteile für die Fahrgäste erbringt. Der ViP geht von einer
Niederflurigkeit zwischen 70 und 100% aus, wobei die Türen im niederflurigen
Bereich unterzubringen sind. Gefordert wurde zudem eine weitestgehende
Podestfreiheit im Fahrgastbereich, was mittlerweile bereits viele
Fahrzeuge erfüllen.
Zu prüfen bleibt bei den angebotenen Fahrzeugen die Schaffung von Rampen
oder Liften für Rollstühle u.ä. Hier stellte sich heraus, daß auch unter
den Vertretern der Interessen Behinderter oft keine Einigkeit über die
bevorzugte Lösung besteht. Nach unserer Meinung sollte auf technisch
aufwendige und oft störanfällige technische Lösungen verzichtet werden,
da gerade in Potsdam viele Haltestellen über Inseln verfügen, die einen
entsprechenden Zugang ermöglichen. Für die anderen Haltestellen sollte
es wesentlich einfachere Lösungen als einen Hublift geben. Gerade die
teuren Maßnahmen lassen oft das Geld für alternative Lösungen im
Fahrzeug fehlen, die allen Fahrgästen nutzen. Leider erhält noch kein
Verkehrsbetrieb eine Förderung aus dem Sozialhaushalt oder aus ähnlichen
Mitteln, weil er besondere technische Hilfen für Behinderte anschafft.
Bei den Neufahrzeugen soll der Ausstattungsstandard der jetzigen
modernisierten Tatras gehalten bzw. zum Teil noch verbessert werden.
Dieses betrifft sowohl die Fahrgastinformation als auch die allgemeine
Nutzbarkeit. Erfreulich war, daß der Verkehrsbetrieb bereits bei der
Erstellung des Lastenheftes möglichst viele Nutzergruppen mit einbezog und
deren Vorstellungen einfließen ließ. Die Erfahrung aus täglicher Nutzung
eines Fahrzeuges bringt oft auch Hinweise für durchaus einfache Lösungen
und Forderungen bei Beachtung bestimmter Nutzungsgewohnheiten.
Beibehalten werden der Einbau von Fahrkartenautomaten und die vielfältigen
Möglichkeiten der Fahrgastinformation im Fahrzeug, so zur Anzeige der
nächsten Haltestelle, zum Liniennetz, zu den Tarifen usw. Eine Forderung
des Bahnkunden-Verbandes ist weiterhin die Schaffung eines möglichst großen
Durchblicks durch die Fahrerkabine auf die vorliegende Strecke. Dies erkennt
auch die Industrie immer stärker als Trend der Zeit, zumal diese größere
Sichtfläche die bessere Übersicht des Fahrers auf das Geschehen im
Fahrgastraum gewährleistet.
Als Nutzer legen wir natürlich zudem Wert auf die übrigen Annehmlichkeiten
für die Fahrgäste. Eine hohe Sitzplatzanzahl sollte nicht zu Lasten der
Gangbreite und des Abstands der Sitze untereinander gehen. Kritisch stehen
wir zum Einbau von Vis-a vis-Sitzgruppen. Sie benötigen oft einen größeren
Platz, sind dabei zu eng ausgelegt (Platzprobleme bei zwei
gegenübersitzenden Personen besonders im Kniebereich) und werden gerne dazu
mißbraucht, Füße auf den gegenüberliegenden Sitz zu legen. Diese genannten
Punkte konnten die vorgestellten Fahrzeuge nur im bestimmten Umfang
erfüllen, sie sind jedoch auf Bestellerwunsch anpaßbar.
Welche Fahrzeuge wurden vorgestellt, und wo liegen deren Mängel?
Nach der Potsdamer Ausschreibung gab es Angebote verschiedenster Hersteller
aus der Europäischen Union. Eine Entscheidung soll Ende diesen Jahres fallen.
Die Vorstellung der Fahrzeugtypen war noch keine Vorab-Entscheidung. Vielmehr
wurde den Entscheidem ein erweiterter Überblick über die vorhandene Situation
und über die Fahrgastwünsche ermöglicht. Deshalb wurde auch durch den
Verkehrsbetrieb eine Fragebogenaktion durchgeführt. Die Hersteller nutzten
diese Möglichkeit ebenso, "um das Ohr an die Fahrgäste zu legen". Es stellten
sich ADtranz mit dem GT6N, Siemens Verkehrstechnik mit dem "Combino" und das
Konsortium Sachsentram hinter Federführung der DWA Bautzen mit der dresdener
Niederflurtram vor. Zudem wollte sich Kiepe mit dem Kölner K4000 vorstellen,
dies wurde jedoch durch den parallelen Aufstellungstermin auf der Berliner
InnoTrans-Messe verhindert.
Etwas dick aufgetragen war die Außengestaltung eines im ViP-Design beklebten
Berliner Wagens und die Beschriftung "Aus Brandenburg für Brandenburg".
Insider wissen, daß ADtranzden GT6N nicht nur im Land Brandenburg bauen läßt,
sondern ebenso in Nürnberg. Bei der Innengestaltung läßt der Wagen für uns
schon bei Betrachtung der obigen Forderungen einige Wünsche offen. Zu nennen
ist hier u.a. die Vis-a-vis- Anordnung von Sitzen. Diese liegen zudem
ungünstig im Heckteil des Fahrzeuges vorder in bestimmten Betriebszuständen
auch im Fahrgastbetrieb notwendigen Rückfahreinrichtung. Übertechnisiert ist
zudem der Behindertenlift an der
ersten Tür. So viel Technik ist immer wieder störanfällig!
Der "Combino" ist ein reiner Prototyp, deshalb muß die Beurteilung dieses
Fahrzeuges eingeschränkt erfolgen. Ändern würde sich im Anwendungsfall
Potsdam der Zustand der Platzaufteilung im Fahrzeug, da beim
Einrichtungsfahrzeug die Türen auf einer Seite wegfallen würden. Hiermit
wären einige Engpässe im Fahrgastraum beseitigt. Der von einigen Fahrgästen
kritisierte etwas harte Lauf des Fahrzeuges resultierte aus den breiteren
Radreifen gegenüber den anderen Fahrzeugen. Zudem ergeben sich für Siemens
weitere Anpassungen, da dieses Fahrzeug in Potsdam erstmals im Streckennetz
eines Verkehrsbetriebes, dabei zum Teil mit Fahrgästen, fuhr. Zu ändern wäre
nach Ansicht des Bahnkunden-Verbandes vor allem die Fahrerkabinenrückwand.
Eine fast vollständige Sichtbehinderung ist nicht im Sinne der
Übersichtlichkeit für Fahrer und Fahrgast, zumal diese Rückwand durch einen
dahinter befindlichen Sitz nicht als Befestigung für Fahrgastinfos genutzt
werden kann. Ungünstig ist hier auch das Vorhandensein einiger ungenutzter
Winkel, die als Müllablage mißbraucht werden dürften.
Der Dresdener Wagen konnte nicht im Streckennetz eingesetzt werden, so
daß nur die Besichtigung vor Ort verblieb. Festzustellen war, daß dieses
eigentlich gelungene Fahrzeug einen erheblichen Fehler hat: Man bemühte
sich, möglichst viele Sitzplätze zu schaffen, und schuf dadurch zu kleine
Gänge bzw. eine zu geringe Kniefreiheit für die Sitzenden. Besonders
kritisch ist dieser Fakt hinter der zweiten Tür: Durch die gegenüberliegende
Anordnung von Fahrkartenautomat und Entwerter sowie einer Doppelsitzreihe
wird hier ein künstliches Hindernis erzeugt, das in erheblichem Umfang den Ein- und Ausstieg behindern kann. Ungünstig ist ebenso die Vis-a-vis-Anordnung der Sitze im Heckteil, wiederum vor
der Rückfahreinrichtung. Bei Gesprächen des Bahnkunden-Verbandes mit
Mitgliedern des Betriebsrates des ViP bezweifelten beide Seiten ebenso
die Nutzbarkeit der zusätzlichen Fahrertür nach außen im Bereich der
Fahrerkabine, da diese sehr klein und eng ausfällt. Die Fahrer mit zu großer
Körperfülle müssen sich wohl durch den engen Fahrgastraumgang zwängen.
Die parallele Vorstellung der zur Auswahl stehenden Fahrzeuge war nach
Ansicht des Bahnkunden-Verbandes Potsdam-Mittelmark ein gelungenes Beispiel
für die Einbeziehung breiter Nutzuergruppen im Vorfeld der - hoffentlich
fahrgastfreundlichen - Entscheidung bei der Fahrzeugbeschaffung - und dies
trotz begrenzter Finanzen.
Deutscher Bahnkunden-Verband
Regionalverband Potsdam-Mittelmark
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