Regionalverkehr

Brandenburg verschenkt 1997 60 Millionen DM

Durch die umfangreiche Bestellung und Bezuschussung von SPNV-Leistungen finanziert das Land Brandenburg indirekt die Trassenpreise für den DB-Bereich Netz. Doch dieser Geschäftsbereich investiert die eingenommenen Gelder nicht auf den Strecken, für die er kassiert. Brandenburg verliert dadurch allein 1997 rund 60 Millionen DM, die für Regionalverkehrsstrecken im Land gezahlt werden, ohne daß es eine Gegenleistung durch Investitionen in die entsprechenden Schienenwege gibt. Der Bahnkunden-Verband Brandenburg zeigt ein alternatives Finanzierungsmodell auf.

Wichtige, im Bundesinteresse liegende Zulaufstrecken auf Berlin wurden oder werden im Zuge der "Verkehrsprojekte Deutsche Einheit" oder des Bundesverkehrswegeplanes ausgebaut, so die Hauptbahnen von Berlin nach Wittenberge - Hamburg, Stendal - Hannover, Potsdam - Magdeburg, Belzig - Magdeburg, Jüterbog - Halle/Leipzig, Elsterwerda - Dresden und Fürstenwalde - Frankfurt (Oder). Weitere Hauptstrecken mit Fern Verkehrsanteil fuhren von Berlin nach Neustrelitz - Rostock, Angermünde - Stralsund/Stettin, Cottbus - Görlitz sowie von Frankfurt (Oder) über Cottbus nach Leipzig und sind teilweise im Bundesschienenwegeausbaugesetz berücksichtigt. Die vom Bund schon abgeschlossenen oder vorgesehenen Investitionen betragen zusammengefaßt für Brandenburg etwa 5,5 Milliarden DM.

Drei Strecken sind als sogenannte "Musterstrecken" der Altlastensanierung auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Reichsbahn (22 Deutsche Bahn Gründungsgesetz) vom Bund und dem Land Brandenburg ausgewählt worden:

  • Angermünde - Schwedt,
  • Berlin - Strausberg - Küstrin,
  • Hennigsdorf - Neuruppin (- Wittenberge), der sog. Prignitz-Express.

Der Investitionsbedarf beträgt hier 481 Mio DM. Ob der Bund die gesamte Summe bereitsteilt und die Mittelfreigabe kurzfristig erfolgt, scheint aufgrund erster Erfahrungen vor allem beim Prignitz-Express eher unwahrscheinlich.

Damit investiert der Bund direkt in Strecken mit insgesamt höchstens 1.009 km Streckenlänge - das sind 37% des brandenburgischen Bahnnetzes mit SPNV-Leistungen im Regionalverkehr.

Bahnhof
Foto: Betke und Beeking
Bahnsteig
Auch auf der Scharmützelseebahn zwischen Fürstenwalde (Spree) und Beeskow - hier am Bahnhof Bad Saarow-Pieskow - sind bisher keine Infrastrukturinvestitionen erfolgt. So zuckelt derTriebwagen mit 30 bis 50 km/h über alte Gleise. Viele Bahnübergänge sind ungesichert, andere müssen manuell bedient werden. Foto: Stephan Müller

Bei allen weiteren Investitionsmaßnahmen, die zur Umsetzung des SPNV-Planes des Landes Brandenburg notwendig sind (s. SIGNAL 5 und 7/96 ), ist heute die Finanzierung nicht absehbar. Die im Nahverkehrsplan ausgewiesenen Maßnahmen mit prioritärem Charakter umfassen Investitionen von 491 Mio DM. Hier erhofft sich die Landesregierung eine Einstellung in den Finanzierungsplan 1998-2002 nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz - heute ebenfalls nicht mehr als ein Wunschzettel eines Bettlers an einen Weihnachtsmann mit schmalem Sack.

Für die nicht in diese Liste aufgenommenen Strecken mit 1.061 km Streckenlänge, die jedoch im SPNV-Linienkonzept 2001 aufgeführt sind, besteht nach heutiger Lesart keine Chance auf Mittelzuweisungen für Investitionen. Zu diesen Strecken gehören die weiteren, meist tangentialen Hauptbahnen und diejenigen Nebenbahnen, die für die Auffechterhaltung der regionalen Schienennetze notwendig sind. Allein dort wären nochmals etwa 290 Mio DM Investitionen in die Infrastruktur nötig.

Regionalisierungsmittel fehlgeleitet

Auf den Strecken mit Bundesinvestitionen wurden für das Fahrplanjahr 1996/97 zwischen dem Land Brandenburg und der DB AG etwa 16 Mio Zugkilometer vereinbart (inklusive Teilstreckennutzung und SEV). Bei einer Gesamtbestelleistung von 31 Mio Zugkilometem entfallen somit 15 Mio Zugkilometer auf Strecken ohne Bundesinvestitionen. Diese Strecken binden damit bei einem aktuellen Zuschußbedarf von 17,37 DM pro Zugkilometer SPNV-Leistungen mit einem Zuschußbedarf von insgesamt 260,6 Mio DM.

Die Trassenkosten umfassen davon bei einem durchschnittlichen Trassenpreis von 8 DM pro Zugkilometer etwa 120 Mio DM. Setzt man von diesem Betrag die Hälfte für den laufenden Instandhaltungsaufwand sowie die Personal- und Verwaltungskosten des DB-Bereiches Netz ab, verblieben ca. 60 Mio DM, die für Investitionen zur Verfügung stehen müßten. Doch genau diese Investitionen finden nicht statt! Das bedeutet im Klartext, daß das Land Brandenburg zwar indirekt über die SPNV-Vereinbarung mit dem DB-Regionalverkehr Netzleistungen bestellt, jedoch für 60 Millionen DM keine nachvollziehbaren Gegenleistungen erhält.

Bahnhof
Noch lange nicht fit für den Verkehrsverbund. Zwar gestaltet die Stadt Angermünde zur Zeit ihren Bahnhofsvorplatz inklusive Busbahnhof um, das Bahnhofsgebäude selbst steht allerdings wie ein fauler Zahn am Platz. Die Akzeptanz des Verbundes durch die Bürger hängt jedoch unter anderem von einer attraktiven baulichen Gestaltung der Schnittstellen zwischen Bahn und Bus ab. Foto: Stephan Müller

Hauptursache ist die interne Verwendung der eingenommenen Trassengelder im DB-Bereich Netz. Investitionen werden eben nicht jeweils dort getätigt, wo Einnahmen in Form von Trassengeldern entstehen, sondern in einer "Black Box" gesammelt und für Schlüsselprojekte nach DB-Interessen - also vor allem für lukrative Fernverkehrsstrecken - verwendet. Dies ist aus der unternehmerischen Sicht der DB AG verständlich. Nicht hinnehmbar ist jedoch die Duldung durch Bundesländer wie Brandenburg, wo somit ein hoher Anteil (1997 mehr als 10%) der ohnehin knappen Regionalisierungsmittel außer Landes verschenkt und zweckentfremdet durch die DB AG verwendet wird. Hinzu kommt, daß diese fehlgeleiteten Steuergelder ab 1998 jährlich steigen, da der SPNV-Nahverkehrsplan des Landes Brandenburg auf vielen Strecken - erfreulicherweise! - deutliche Mehrleistungen vorsieht. Damit steigen der pauschale Zuschußbedarf und die anteiligen Trassenkosten.

Das Ziel, eine möglichst ausgewogene Infrastrukturentwicklung zu erreichen, wird nur erreicht, wenn eine grundsätzliche Änderung der Mittelvergabe durch den Besteller Land erfolgt.

Das Finanzierungsmodell des Bahnkun- den-Verbandes Brandenburg

Ausgehend von den Webfehlern der heutigen Netzfinanzierung müssen bei einer Neuregelung im Interesse des Landes Brandenburg folgende Ziele verfolgt werden:

  • Das Land trifft SPNV-relevante Investitionsentscheidungen beim Netzausbau;
  • Reinvestierung von im Land Brandenburg eingenommenen Trassengeldern;
  • Größtmögliche Transparenz beim Netzausbau mit Regionalisierungsmitteln;
  • Förderung des Wettbewerbs auf der Schiene durch geeignete Rahmenbedingungen bei der Fahrwegnutzung;
  • Förderung der Gründung regionaler oder kommunaler Fahrweggesellschaften.

Erreicht werden soll quasi die von der Verkehrsleistung unabhängige "Netz-Bestellung" mit geforderten Standards durch den SPNV-Aufgabenträger Land.

In der praktischen Umsetzung kann ein solches Modell wie folgt aussehen:

1. Das Land schließt nach Maßgabe seines SPNV-Planes mit dem DB-Bereich Netz eine bzw. mehrere Netzbetriebsvereinbarungen. In diesen sind der Umfang und die Kosten der Schienenwegeinvestitionen und des Netzbetriebes (inklusive Instandhaltung) geregelt. Als abgrenzbare und überschaubare "Betriebseinheiten" werden dabei die im Konzept des Bahnkunden-Verbandes Brandenburg e. V. vorgestellten Regionalnetze vorgeschlagen.

2. Zur Finanzierung der Investitionen und des Netzbetriebes stellt das Land dem Netzbetreiber Mittel bereit. Die Summe dieser Mittel entspricht exakt der Höhe der Trassenkosten, die die vom Land bestellten SPNV-Betreiber an den DB-Be- reich Netz zu zahlen hätten.

3. Die Höhe des Zuschußbedarfes, den das Land an die SPNV-Betreiber zahlt, wird genau um die Höhe der entstehenden Trassenkosten gekürzt. Das Land gibt also keinen Pfennig mehr als heute aus.

Effektiv bedeutet dies, daß das Land somit den SPNV-Betreibern die Trassenkosten abnimmt, also direkt den Netzausbau und -betrieb beeinflußt und finanziert. Damit wäre auch ein grundlegender "Geburtsfehler" der Bahnreform ausgeräumt: Das Land übernimmt trotz fehlender Eigentumsbindung mittelbar die Verantwortung für die regionale Schieneninfrastruktur - vergleichbar mit der Aufgabenträgerschaff für die Landstraßen. Dies ist eine grundlegende Voraussetzung für die Liberalisierung und Chancengleichheit sowohl innerhalb des gesamten Verkehrsmarktes als auch zwischen den zukünftigen Wettbewerbern von SPNV-Verkehrsleistungen. Der Zeitpunkt für die schnelle Umsetzung des neuen Finanzierungsmodelles ist naheliegend: Im Frühjahr 1997 schließt das Land Brandenburg mit der Deutschen Bahn AG einen neuen Leistungsvertrag ab!

Bahnhof
Noch immer sind keine Mittel für den gleistechnischen Umbau des Bahnhofes Strausberg bereitgestellt. Das Gleis, das hier der Güterzug befährt, wird auch gleichzeitig durch die S-Bahn-Züge von und nach Strausberg Nord sowie die Regionalbahn 25 von und nach Küstrin genutzt und ist deshalb ein gravierender Engpaß für die Fahrplangestaltung. Foto: Stephan Müller

Was passiert nun, wenn der DB-Bereich Netz nicht zur Kooperation mit dem Land bereit ist? Dann liegt es erst recht im Interesse des Landes wie auch der Verkehrsunternehmen, egal ob DB-Regionalverkehr oder nichtbundeseigene Eisenbahnen, die Schienenwege kostenfrei in eine regionale Betreiberschaff zu überführen. Dies lassen die Bahnreformsgesetze (Artikel 1, 26) ausdrücklich zu. Die Finanzierung erfolgt analog zum oben genannten Modell. Durchaus möglich ist es dabei, daß der regionale Netzbetreiber gleichzeitig auch Anbieter von Verkehrsleistungen ist. Dadurch sind sogar zusätzliche kostenentlastende Synergieeffekte nutzbar (siehe nebenstehende Grafik).

Modellfall Regionalnetz Prignitz

Am Beispiel des regionalen Schienennetzes in der Prignitz soll konkret die Finanzierbarkeit des Netzausbaus und -betriebs nachgewiesen werden. Das Regionalnetz Prignitz umfaßt die Nebenbahnen Wittenberge - Wittstock - Neuruppin, Neustadt (D) - Pritzwalk - Meyenburg, Wittstock - Dranse und Pritzwalk - Putlitz mit insgesamt 247 km Streckenlänge.

Laut SPNV-Vereinbarung zwischen dem Land Brandenburg und der DB AG umfassen im Fahrplanjahr 1996/97 die SPNV-Leistungen 1,25 Mio Zugkilometer. Der jährliche Zuschußbedarf beträgt 17,37 DM pro Zugkilometer, somit 21,6 Mio DM. Bei einem durchschnittlichen Trassenpreis von 8 DM pro Zugkilometer sind davon also 6 Mio DM Fahrweganteil. Auf all diesen ecken erfolgten jedoch in den letzten Jahren keine grundlegenden Investitionen. Auch in Zukunft würde sich daran unter bestehenden Bedingungen nichts ändern, es sei denn, daß die - allerdings äußerst vagen - Planungen für den Nordast des Prignitz-Expresses vorankämen.

Grafik
Grafik: DBV Brandenburg

Alle Bahnstrecken sind weiterhin im Linienkonzept des SPNV-Nahverkehrsplanes des Landes enthalten. Durch dort enthaltene Angebotsverbesserungen soll der Umfang der SPNV-Leistungen in den nächsten Jahren auf jährlich 1,94 Mio Zugkilometer steigen. Der Zuschußbedarf steigt dann auf 31,6 Mio DM, der Fahrweganteil auf 13,43 Mio DM. Bei letzterem ist unter anderem das DB-Angebot berücksichtigt, "nur" einen ermäßigten Trassenpreis von 5 DM pro Zugkilometer bei bestellten SPNV-Mehrleistungen zu verlangen.

Schätzt man nun die "echten" Kosten für den Ausbau, die Instandhaltung und den Betrieb des Fahrwegs auf dem Regionalnetz Prignitz ab, ergeben sich interessante Relationen. Ausgehend von einem strikt rationalisierten Netzbetrieb, getätigten Rationalisierungsinvestitionen und einem Streckenausbau auf mindestens 80 km/h sowie der bedarfsgerechten technischen Sicherung der Bahnübergänge entstehen jährliche Fahrwegkosten von ca. 9,7 Mio DM (inklusive Abschreibungen).

Das bedeutet, daß die heute gezahlten Fahrweganteile den Aufwand decken, wenn diese genau den Strecken zugeordnet würden, wo sie entstehen. Erst recht ist die Finanzierung abgesichert, wenn der SPNV-Nahverkehrsplan umgesetzt wird. Es verbleibt sogar Spielraum für weitere Investitionen zur Steigerung der Streckengeschwindigkeit.

Deutscher Bahnkunden-Verband Brandenburg e.V.

aus SIGNAL 9-10/1996 (Dezember 1996), Seite 25-27

 

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