Hamburg

„Berlin wird zahlen“?
In Hamburg plant man eine neue U-Bahn-Linie

Seit geraumer Zeit wird in Deutschland nur noch relativ wenig U-Bahn gebaut. Das hat nicht nur mit einem mittlerweile erreichten Sättigungsgrad an unterirdischen Strecken zu tun. Vor allem wird der Tunnelbau immer teurer, sind die Kassen vieler Städte leer und hat manche Kommune bereits Schwierigkeiten, bestehende Trassen zu unterhalten. In Hamburg hingegen plant man jetzt nicht nur den Bau einer U-Bahn-Strecke, sondern gleich einer ganzen Linie.

Im April 2014 präsentierten Hamburgs Senator für Wirtschaft, Verkehr und Innovation Frank Horch (parteilos) und Günter Elste, Vorstandsvorsitzender der stadteigenen Hamburger Hochbahn AG, ihren Plan zum Ausbau des ÖPNVs der Hansestadt, der seit längerem wachsende Fahrgastzahlen vorweisen kann.

Karte
Das Hamburger Schnellbahnnetz (in Dunkelgrau) mit der U 5 in beiden Varianten sowie weitere, bis 2040 mögliche Ergänzungen, vorgeschlagen vom Senat und der Hochbahn. Hamburger Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation / Hamburger Hochbahn

Ein zentraler Punkt des Konzepts ist der Bau einer neuen U-Bahn-Linie: Von Bramfeld im Nordosten soll die U 5 durch die Plattenbausiedlung im benachbarten Steilshoop führen, an der Haltestelle Rübenkamp die S 1, an der Sengelmannstraße die U 1 und am Borgweg die Ringlinie U 3 berühren, durch das Büroviertel der City Nord, den Stadtpark, Winterhude sowie die Uhlenhorst östlich der Außenalster bis zum Hauptbahnhof verlaufen, wo alle U- und S-Bahn-Linien zusammentreff en. Von dort aus könnte es (in der Variante Süd) nach Westen weitergehen durch die Neustadt, St. Pauli, Altona-Altstadt, Ottensen und Bahrenfeld bis zur Trabantenstadt Osdorfer Born in Lurup und Osdorf.

Altes Projekt

Neu ist das Projekt größtenteils nicht: In den siebziger Jahren hatte der Baubeginn für diese Linie unmittelbar bevorgestanden, als der Senat unter dem 1974 ins Amt gekommenen Ersten Bürgermeister Hans-Ulrich Klose angesichts der desolaten Haushaltslage den Hamburger U-Bahn-Bau für einige Jahre vollständig einstellte.

Für das damals als U 4 bezeichnete Vorhaben waren bereits bauliche Vorleistungen erbracht worden: Nicht in Steilshoop, wenngleich sich das Gerücht von einem dort existierenden Geisterbahnhof bis heute hartnäckig hält. Aber unter dem viergleisigen unterirdischen S-Bahnhof Altona, den man darauf vorbereitete, von einer U-Bahn-Linie gekreuzt zu werden. Und vor allem am Hauptbahnhof und am Jungfernstieg, wo die – für Hamburger Verhältnisse besonders tief gelegenen – 1968 bzw. 1973 eröffneten Stationen für die U 2 gleich viergleisig ausgebaut wurden, um auch jene U 4 aufzunehmen. Den Tunnel zwischen diesen beiden Bahnhöfen führte man nur zweigleisig aus.

Seit Dezember 2012 werden die jahrzehntelang ungenutzten Bahnsteigkanten am Jungfernstieg von der neuen, in die HafenCity führenden U 4 bedient, die von der U 2 abzweigt (vgl. SIGNAL 2/2013 ). Die zusätzlichen Gleiströge am Hauptbahnhof sind nicht nutzbar, da 2006 in ihrem Bereich Aufzüge eingebaut wurden. Allerdings soll die neue U 5 ohnehin keine bestehenden Bahnanlagen mitbenutzen, weshalb am Hauptbahnhof zu den vorhandenen vier unterirdischen Haltestellen noch eine fünfte hinzugefügt werden müsste.

U-Bahn auf Tramspuren

Bus
Täglich 60 000 Fahrgäste. Selbst diese seit einigen Jahren eingesetzten, rund 25 Meter langen Doppelgelenkbusse können das Verkehrsaufkommen auf der Linie M 5 kaum noch bewältigen. Foto: Marc Heller

Für den weiteren Streckenverlauf nach Westen gibt es (mit der Variante Nord) eine Alternative zur fast geradlinigen Führung Richtung Altona: Die neue Linie könnte aus dem Stadtkern auch, nun auf der anderen Seite der Außenalster, steil nach Nordwesten streben, Grindelallee, Grindelberg, Hoheluftchaussee und Lokstedter Steindamm entlang. Damit würde eine Trasse bedient, auf der das Fahrgastaufkommen durch den Bus kaum mehr bewältigt werden kann – mit 60 000 Fahrgästen am Tag wird die M 5 als meistfrequentierte Buslinie Europas gehandelt. Mit dem Grindelviertel würde man auch den Hauptcampus der Universität erreichen, ferner die Stadtteile Hoheluft und Lokstedt. An der Station Hoheluftbrücke käme es zu einer weiteren Begegnung mit der U 3. Am Siemersplatz könnte dann ein scharfer Schwenk nach Westen und schließlich Südwesten erfolgen, um die U 2 nochmals am Bahnhof Hagenbecks Tierpark und in Stellingen S 3 und S 21 zu kreuzen, bis die U 5 in Lurup/Osdorfer Born enden würde.

Wie durch die Südvariante würden auch bei diesem Streckenverlauf die „Arenen“ (O2 World, Volksbank Arena und das jetzt Imtech Arena genannte Volksparkstadion) angebunden werden, deren derzeit nächster Schnellbahnhalt in Stellingen weit über einen Kilometer entfernt liegt. Im Zusammenhang mit der Olympia-Bewerbung Hamburgs ist im Gespräch, diesen Streckenteil, mit einem Anschluss an die U 2, vorzeitig auszuführen. Ferner würden durch die U 5, insbesondere bei Realisierung der Nordvariante, zwei der größten weißen Flecken im Hamburger Schnellbahnnetz getilgt.

Mit der Untertunnelung des Straßenzugs Grindelallee/Grindelberg/Hoheluftchaussee/Lokstedter Steindamm erhielte ein Trassenteil der letzten, im Herbst 1978 eingestellten Hamburger Tramlinie wieder Schienenverkehr. Nicht von ungefähr taucht diese Strecke regelmäßig in den Plänen für das Grundnetz einer wiederzuerrichtenden Hamburger Straßenbahn auf, ebenso wie die Anbindung von Bramfeld und Steilshoop.

„U-Bahn-Bau geht schneller als Straßenbahnbau“

Doch während die Tram andernorts eine Renaissance erlebt, tut man sich an der Alster noch immer schwer mit diesem Verkehrsmittel. Wohl auch deshalb wird, wenn es um dessen Rückkehr geht, in Hamburg stets von einer „Stadtbahn“ gesprochen, obwohl weder der Bau von Tunnelstrecken noch von Hochbahnsteigen geplant wurde, sondern eine Niederflurtram, die durchweg ebenerdig verkehren würde.

Erst verhinderte deren Bau, den der rotgrüne Senat beschlossen hatte, dessen Niederlage bei der Bürgerschaftswahl 2001. Dann verhinderte den Stadtbahn-Bau, den der schwarz-grüne Senat beschlossen hatte, das Ende dieser Regierungskoalition im November 2010 und der Machtwechsel zur SPD bei der vorgezogenen Bürgerschaftswahl im Februar 2011.

Der neue Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte kaum Eiligeres zu tun, als das bereits in der Planfeststellung befindliche Projekt beerdigen zu lassen – wohl auch aus Furcht vor Ärger mit um ihre Parkplätze bangenden Bürgern. Ebenso stoßen derzeit Vorhaben zur Busbeschleunigung bei betroffenen Anwohnern auf Widerstand.

Ein Zug des neuen Hamburger U-Bahn-Wagentyps DT5 auf der Hochbahnstrecke der U 3 südlich des Rathauses.
U-Bahn-Zug
Bildunterschrift Foto: HOCHBAHN

Die U-Bahn-Baupläne werden denn auch ganz offiziell damit begründet, dass sich eine Tunnelstrecke viel problemloser und sogar schneller als eine Straßenbahntrasse errichten lasse: „Angesichts der hohen öffentlichen Sensibilität bei Eingriffen im Straßenraum ist eine relativ rasche ÖPNV-Schienenanbindung nur mit einer unterirdischen Lösung erreichbar“, lässt sich Senator Horch zitieren. Konsequenterweise soll die U 5 größtenteils in bergmännischer Bauweise errichtet werden, einschließlich der Stationen (die folglich entsprechend tief liegen werden). „Ab 2020“ könnte mit dem Bau begonnen, 2025 ein erster Abschnitt in Betrieb gehen, in rund zwanzig Jahren die gesamte, 28 bis 32 Kilometer lange Linie fertiggestellt sein, meint man beim Hamburger Senat, wo man bekanntlich keinerlei Probleme mit ambitionierten Großprojekten kennt, die sich immer weiter hinziehen und deren Kosten explodieren.

Die zuletzt von Schwarz-Grün geplante Stadtbahn sollte 2014 in Betrieb gehen, das rund 50 Kilometer lange Zielnetz bis Mitte der 2020er Jahre entstehen. Der Bau eines solchen Verkehrsmittels sei allerdings immer noch denkbar, heißt es seitens der SPD-Bürgerschaftsfraktion, derweil der Senat eher den Eindruck erweckt, als wäre dieses Thema für ihn erledigt.

Kostenpunkt: Knapp vier Milliarden

Als realistisch erscheint Letzteres nicht nur, weil die U 5 Gebiete und Verbindungen bedienen wird, die der Straßenbahn Fahrgäste sichern sollten. Auch wird das Tunnelprojekt über viele Jahre hinweg große Geldsummen verschlingen: Der Bau rund vier Kilometer neuer U 4-Strecke von Jungfernstieg über den Zwischenhalt Überseequartier bis zum Bahnhof HafenCity Universität kostete 323,6 Millionen Euro. Die jüngst in Angriff genommene Verlängerung um rund 900 Meter zur nächsten Station Elbbrücken soll (ohne Kehranlage) mit 136 Millionen Euro zu Buche schlagen. Für die U 5 werden derzeit (!) bis 3,8 Milliarden Euro kalkuliert.

Bekanntlich läuft das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zum Ende dieses Jahrzehnts aus. Eine Nachfolgeregelung ist noch nicht gefunden worden, mithin unklar, ob und wie sich der Bund weiter am Bau städtischer Verkehrsinfrastruktur beteiligen wird. Den Hamburger U-Bahn-Verfechtern bereitet das keine Sorgen: Der Bund werde, so hofft Andreas Dressel, Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Bürgerschaft, den U 5-Bau mit hundert Millionen Euro unterstützen – jährlich, versteht sich, über einen längeren Zeitraum hinweg. Böse Zungen sagen, das Finanzierungs-„ Konzept“ laute: „Der Bund wird schon irgendwie die Hälfte der Kosten tragen.“

In der Hansestadt hat sich in den letzten Jahren die eher ungewöhnliche Situation entwickelt, dass die SPD vehement für den U-Bahn-Bau eintritt und von der Wiedereinführung der Straßenbahn wenig hält, während die CDU letztere ebenso entschieden befürwortet und meint, die Realisierung der U-Bahn-Pläne sei viel zu teuer, zu langwierig und habe einen zu geringen Nutzen. Wenig überraschend, teilen die Grünen, die von 2008 bis 2010 mit den Christdemokraten koalierten, diese Auffassung.

Aktuell erarbeitet die Hochbahn AG im Auftrag des Senats zunächst einmal eine Konzeptstudie für den Ausbau des U-Bahn-Netzes. In der kommenden Legislaturperiode soll dann eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben werden. Wohl nicht vor 2017 ist mit einer Entscheidung der Bürgerschaft zu rechnen, deren im kommenden Februar anstehende Neuwahl eine Rolle dabei gespielt haben dürfte, dass die spektakulären U-Bahn-Bau-Pläne jetzt vorgestellt wurden.

Weitere Informationen:
http://www.hamburgsofort.de/verkehr/item/7515-hamburgs-opnv-der-zukunft
http://www.hamburg.de/contentblob/4296690/data/pm-2014-04-09-hamburg-bewegt.pdf
http://www.nahverkehrhamburg.de/u-bahnhamburg/u-bahnhamburg

Jan Gympel

aus SIGNAL 5/2014 (Oktober/November 2014), Seite 6-7

 

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