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Wie verkauft man Peinlichkeiten? Wer sich für die Lösung dieses Problems
interessiert, sollte Kontakt mit einem bekannten Schienenfahrzeughersteller
hier in der Region aufnehmen. Was andernorts Normalität ist, nämlich die
kontinuierliche Erneuerung des Wagenparks mit modernen Niederflurwagen,
ist in Berlin noch immer ein sich über Jahre hinziehendes Geduldsspiel.
Leidtragende sind die BVG-Fahrgäste, Gewinner die Potsdamer, die sich
nicht dazu haben verleiten lassen, unzulängliche Fahrzeuge zu kaufen, nur
weil diese im brandenburgischen Hennigsdorf hergestellt werden.
Die 1994 von ADtranz für die BVG aufgelegte Serie von 60 Stück GT6 nähert
sich nach vielen Problemen langsam der vollständigen Inbetriebnahme.
Abzüglich zweier Unfallwagen, die gerade auswärts weilen, fehlt nur noch
ein Wagen. Und "schon" 1996 wurde mit dem Bau der zweiten Lieferserie
begonnen, doch neue Schwierigkeiten folgten.
Zunächst gab es einige Probleme, die dem Hersteller nicht anzulasten sind. So
müssen insgesamt 14 Wagen durch Verschulden einer Zulieferfirma noch einmal
neu gebaut werden. Aber im Herbst 1997 sind aus der zweiten Produktionsserie
endlich zwei Wagen eingetroffen. Statt nun mit der gebotenen Bescheidenheit
zügig für eine Inbetriebnahme der dringend benötigten Fahrzeuge zu sorgen,
hat man doch tatsächlich den eher peinlichen, weil erheblich verspäteten
Auslieferungstag genutzt, Presse, Funk und Fernsehen zu einer Feier
einzuladen. So geschehen am 25. September 1997 am Hackeschen Markt. Das
Thema: die 61. Niederflurbahn für Berlin. Wenn das kein Grund zum Feiern
ist. Werden auch der 71., 81. und 104. Wagen derart vorgestellt werden?
Daß die Verantwortlichen so "detailversessen" waren und den präsentierten
Wagen 1075 notdürftig als "1061" tarnten, zeigt eigentlich nur, daß man
offenbar ein schlechtes Gewissen gegenüber der Öffentlichkeit hat, aber
nicht in der Lage ist, mit entstandenen Problemen ehrlich und offensiv
umzugehen, geschweige denn, sie zu lösen.
Parallelen zum Gebaren in einem 1990 verblichenen mitteleuropäischen
Staat drängen sich zwangsläufig auf.
Wer die Presse aufmerksam verfolgt, weiß es: ADtranz
steckt in ernsthaften Schwierigkeiten. Der angekündigte Arbeitsplatzabbau
auch in den Berliner und brandenburgischen Betrieben wird die bestehenden
sozialen Probleme noch verschärfen. Dem muß verständlicherweise
entgegengewirkt werden. Aber mit potemkinschen Dörfern und offenkundigem
Dummverkaufen der Öffentlichkeit? Oder wäre termingerechtes Liefern
funktionierender und brauchbarer Fahrzeuge nicht doch eine bessere Variante?
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Hackescher Markt Aufwendige Präsentation des 61. GT6N, den ADtranz an die BVG ausgeliefert hat. Foto: Ivo Köhler (25.9.1997) |
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Die jetzt allmählich eintreffende Serie GT6-96 - man beachte die Jahreszahl -
wird voraussichtlich erst Ende 1998 vollständig abgeliefert sein. Entschieden
zu lange, vergleicht man dies mit anderen Lieferanten. Und: Wenn Jahre nach
dem Serienstart noch immer konzeptionelle Mängel zutage treten sowie Fertigung
und Inbetriebnahme über Gebühr lange dauern, dann sollte das
erforderlichenfalls auch in der Erkenntnis enden, ein nicht ganz so
hochgezüchtetes Produkt anzubieten. Ein Problem dürfte es für ADtranz kaum
sein, den GT6 zu den Akten zu legen, denn man hat auch noch andere und
erfolgreichere Typen im Katalog. Oder konkurriert man gar im eigenen
Unternehmen?
Betrachten wir den am 25. September vorgestellten Wagen genauer. Einige
Veränderungen gibt es. Auffallend für den Fahrgast sind die Sprechstellen
an den Türen. Zum einen sind sie mit der Notbremse verbunden - man kennt
es von der U-Bahn. Andererseits kann auch der Fahrer direkt um Auskünfte
gebeten werden. Hoffen wir, daß der Betriebsablauf nicht zu sehr darunter
leidet. Das aus Fahrgastsicht größte Problem dieses Wagens bleibt die
vollkommen ungenügende Beinfreiheit innerhalb der Sitzabteile. Zwar wurde
in den am Hackeschen Markt abgehaltenen Reden beteuert, dieses Problem sei
gelöst worden. Ein Probesitzen im bereitgestellten Waggen zeigte aber, daß
hier der Wunsch der Vater des Gedankens war. Oder deutlicher: Hier wurde
gelogen. Subjektiv ist kein Unterschied zur vorherigen Serie feststellbar.
Wenn überhaupt dürfte der Unterschied nur einige Millimeter ausmachen.
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Die BVG baut jetzt auch die ihr verbliebenen G1/1-U-Bahn-Züge („Gisela“) für Fahrerselbstabfertigung um und wird sie noch viele Jahre einsetzen. Ursprünglich wollte man sich bei der BVG (West) von den „Ost-Zügen“ schnellstmöglich vollständig trennen. Foto: Marc Heller (1/98) |
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Bei nüchterner Überlegung ist hier auch kaum etwas zu ändern. Denn der
verbleibende Raum unter den Sitzpodesten ist schon völlig ausgereizt, um
die Drehgestelle einschließlich Kraftübertragung unterzubringen. Und somit
muß wieder die Frage nach der Alltagstauglichkeit des Sorgenfalls gestellt
werden. Aus anderen Städten verlautete schon, diesen Typ würde heute niemand
mehr kaufen. Denn die altbekannten Probleme mit den Getrieben, Gelenken
und mit übermäßigem Radsatzverschleiß sind unverändert aktuell. Dazu kommt
das Kurvenverhalten dieses Wagens, der mit den ausschwenkenden Wagenteilen
an den Zugenden das Durchfahren enger, dicht befahrener Straßen - wie im
Bereich um den Hackeschen Markt oder in der Köpenicker Altstadt - im
Vergleich zum KT4D erheblich komplizierter und das Verkehrsmittel
Straßenbahn damit langsamer macht.
In der gegenwärtig laufenden Neuausschreibung sollte man sich bei
langfristiger Sichtweise doch für ein Fahrzeugkonzept entscheiden, das mehr
an den Multigelenkfahrzeugen mit kleinen Zwischenwagen und eingehängten
großen Wagenkästen orientiert. Derartige Lösungen sind bei allen Systemhäusem
im Angebot, so daß hier keine Bevorzugung eines Anbieters zu befürchten ist.
Das Problem der Beinfreiheit wäre dann auch gelöst. Man betrachte die
Variobahn von ADtranz, den Combino von Siemens oder die Wagen für Dresden,
Mannheim, Ludwigshafen und Karlsruhe.
IGEB
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