Nahverkehr

70 Jahre elektrische Stadtbahn
1928 bis 1998

Am 11. Juni 1998 jährt sich der Beginn des elektrisch betriebenen Nahverkehrs auf der Stadtbahn zum 70. Mal. Damals, nach den Jahren großer gesellschaftlicher Veränderungen und den verheerenden Zeiten der Inflation bedeutete dies ein wichtiges Zeichen des Fortschritts. Nicht nur auf kulturellem Gebiet, sondern auch in der Technik und im öffentlichen Nahverkehr war Berlin Spitze. Das Jubiläum fällt auf ein Jahr, das für den öffentlichen Nah-, Regional- und Fernverkehr der Bahn in Berlin ebenso große Bedeutung haben wird wie einst das Jahr 1928: Am 24. Mai 1998 wurde - nach mehrjähriger Bauzeit der elektrische Betrieb auf den Ferngleisen der Stadtbahn aufgenommen. Mit dem durchgehenden Regional- und Fernverkehr ist ein wichtiger Schritt getan, das Angebot des Stadt- und umweltverträglichen Bahnverkehrs nachhaltig zu verbessern und Berlin wieder zur „Eisenbahnstadt” zu machen.

Auch in den kommenden Jahren wird sich einiges in der Stadt tun, um dem Anspruch eines vorbildlichen Bahnverkehrsnetzes (noch) besser gerecht zu werden. Im Bahnverkehr werden der Nord-Süd-Fernbahntunnel und der neue Zentralbahnhof (Lehrter Bahnhof) erhebliche Veränderungen bringen. Auch an der S-Bahn wird weiter gebaut. Die Schließung des Nordringes wird dabei die wichtigste Maßnahme sein. Schon wenn das nächste Jahr beginnt, werden aber die S-Bahnstrecken bis nach Spandau und Hennigsdorf, nach Lichterfelde Süd wieder in Betrieb sein. Dann wird es einiges zu feiern geben, denn die Berliner S-Bahn wird am 8. August 1999 ihren 75. Geburtstag feiern!

Einleitung

Zug
Elektrischer Versuchszug aus dem Jahre 1903 für die Strecke Potsdamer Bahnhof — Lichterfelde Ost. Foto: Werkfoto AEG

Die Viaduktstrecke der Berliner Stadtbahn stellt nicht nur die erste ihrer Art in Europa dar, sondern auch die für die Stadtentwicklung Berlins bedeutendste Verkehrsader. Die 1882 fertiggestellte viergleisige Eisenbahnstrecke mit je einem Gleispaar für den Lokal- und dem Fernverkehr sorgt bis heute für stetige und schnelle Verbindungen zwischen dem Osten und dem Westen der Stadt. Immer wieder gab es Veränderungen und Erneuerungen an dieser wichtigen Strecke. Die Gründe hierfür waren und sind vielfältig: Da gab es Verschleiß aufgrund der hohen Beanspruchung und der Schäden durch Rauchgase der Dampflokomotiven, notwendige Modernisierungen/Erweiterungen wegen der hohen Zahl von Reisenden und Zügen (wie beim Bahnhof Friedrichstraße), konstruktive Fehler oder neue Techniken und ihre Anforderungen an Strecke und Bauwerke. Schließlich galt es Kriegsschäden oder die Folgen der - ebenfalls durch Baumaßnahmen begleiteten - Teilung zu beseitigen. In den letzten Jahren wurden nicht nur die Folgen der jahrzehntelang vernachlässigten Instandhaltung und Modernisierung beseitigt. Vielmehr soll die Stadtbahn am Ende der Baumaßnahmen für die technischen und betrieblichen Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerüstet sein.

Schon einmal, in den zwanziger Jahren, gab es umfassender Veränderungen an der Berliner Stadtbahn. Sie standen im baulichen Umfang und den daraus erwachsenden Konsequenzen für den Betrieb den jetzt abgeschlossenen Maßnahmen in nichts nach. Dabei ging es zum einen um nachfolgende Instandsetzungs- und Erweiterungsmaßnahmen an Viadukten und Bahnhöfen, zum anderen um die Elektrifizierung der Stadtbahn- (das heißt S-Bahn-)Gleise. Am 11. Juni 1928 war es soweit: Der regelmäßige elektrische Betrieb mit neuen, modernen Zügen konnte beginnen, die Dampflokära war vorbei. Ein wichtiger Schritt, Berlin mit einem der modernsten Nahverkehrssysteme der Welt auszustatten, war getan.

Die lange Vorgeschichte

Die ersten Vorstöße, den schwerfälligen und aufwendigen Dampfbetrieb durch elektrische Fahrzeuge zu ersetzen, reichen weit zurück. Schon 1888 legte Siemens einen Plan zur Elektrifizierung der Stadtbahn vor. Diese Pläne stießen zunächst nicht auf Gegenliebe. Die Preußische Eisenbahn Verwaltung setzte - nicht zuletzt durch Einflußnahme ihrer Lokomotivlieferungen - auf die weitere Verbesserung der auf der Stadtbahn eingesetzten Dampfloks.

Elektrische Zugförderung auf den Gleisen der Eisenbahn in und um Berlin blieb so zunächst auf Versuche der Industrie beschränkt. Das Unternehmen Siemens und Halske richtete 1900 - 1902 auf den Gleisen der Wannseebahn zwischen Potsdamer Bahnhof und Zehlendorf einen Versuchsbetrieb ein, der der späteren S-Bahn schon recht nahe kam: Gleichstrombetrieb mit seitlicher Stromschiene. Einen ähnlichen Betrieb richtete die AEG 1903 auf der Strecke Potsdam Bahnhof - Lichterfelde Ost ein. Er hielt sich bis zur Anpassung an das Berliner S-Bahn-Netz im Jahre 1929.

1903 bis 1905 wurde auf der Strecke Niederschöneweide - Spindlersfeld ein Versuchsbetrieb mit Einphasenwechselstrom durchqeführt.

Spektakulär waren die 1903 auf der Königlichen Militär-Eisenbahn durchgeführten Hochgeschwindigkeitsfahrten zwischen Marienfelde und Zossen.

Walter Reichel aus dem Hause Siemens forderte 1907 nachdrücklich die Elektrifizierung der Berliner Stadtbahn nach Hamburger Vorbild. Dort wurde mit 6000 Volt Wechselstrom „elektrisiert". Angesichts der gestiegenen Beförderungsleistungen der an ihrer Kapazitätsgrenze angelangten Stadtbahn legte die Königliche Eisenbahndirektion 1909 ein Konzept zur Elektrifizierung mit 10.000 Volt und 15 Hertz vor. Nach langen politischen Auseinandersetzungen beschloß der Landtag 1913 ein Gesetz zur Elektrifizierung der Stadt- und Ringbahn. Um zu Aufschlüssen über die günstigste Betriebsart zu kommen, hatte die Eisenbahndirektion auf der bereits 1910/1911 elektrifizierten Strecke Dessau - Bitterfeld Versuche unternommen. Nach kriegsbedingter Einstellung des dortigen elektrischen Betriebs am 1. August 1914 wurden die Versuche auf den schlesischen Strecken Hirschberg - Königszelt und Niedersalzbrunn - Halbstadt fortgesetzt.

Grundgedanke war, die alten Abteilwagen weiter zu benutzen. Neben dem Einsatz elektrischer Lokomotiven wurde die Verwendung von Triebdrehgestellen erwogen. Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurden Vorarbeiten für die Elektrifizierung mit Wechselstrom wieder aufgenommen. Anfang 1921 war aus wirtschaftlichen Gründen ein Umdenken zu verzeichnen. Der wachsende Einfluß der Elektroindustrie spielte dabei sicherlich eine Rolle.

Die „Elektrisierung" sollte nun nach dem bereits auf den Strecken nach Zehlendorf und Lichterfelde sowie auf der Hoch- und Untergrundbahn bewährten Prinzip mit Gleichstrom und seitlicher Stromschiene erfolgen. Die technische Ausrüstung der Wagen war einfacher, auch konnte man die Stromversorgung an das öffentliche Netz anschließen und war nicht zum Bau eigener Bahnkraftwerke gezwungen. Dafür wurde in Kauf genommen, kurze Speiseabschnitte anlegen zu müssen.

Eine neue Fahrzeuggeneration wurde entworfen, die die nach jahrelangem Einsatz verschlissenen Abteilwagen ersetzen sollte.

1922 begannen die Arbeiten zur Elektrifizierung durch den Bau der Gleichrichterwerke. Am 8. August 1924 wurde zwischen dem damaligen Stettiner Bahnhof und Bernau der regelmäßige elektrische Betrieb aufgenommen. Dies war quasi der "Geburts-Tag" der Berliner S-Bahn.

Die Sanierung der Stadtbahn 1918 - 1933

Zug
S-Bahn auf Fernbahngleisen zwischen Bode- und Pergamonmuseum während der Stadtbahn-Sanierung 1995. Foto: Marc Heller

Vor der mit der "Elektrisierung" verbundenen umfassenden Modernisierung und Attraktivierung der Stadtbahn standen dringend notwendige Sanierungsmaßnahmen an Bahnhöfen, Viadukten, Bögen und Brücken. Die sich bereits wenige Jahre nach der Eröffnung 1882 einstellenden Bauschäden nahmen immer mehr zu - bedingt durch die voranschreitende Zeit, den zunehmenden Zugverkehr, die größeren Achslasten der Lokomotiven und die infolge des Ersten Weltkrieges vernachlässigten Instandhaltung. Sollte die Stadtbahn weiterhin als zentrale Strecke des Nah- und Fernverkehrs erhalten bleiben, war eine umfassende Sanierung der Viaduktbögen, eine Auswechselung der stählernen Hallen und Brücken sowie eine punktuelle Erweiterung der Bahnanlagen, insbesondere für den Fernverkehr, unumgänglich.

Die Baumaßnahmen umfaßten:

  • Sanierung nahezu aller Viadukte zwischen dem heutigen Ostbahnhof und dem S-Bahnhof Savignyplatz
  • Neubau aller Brücken über Straßen (zum Teil auch in Bahnhofsbereichen) und Gewässer mit teilweise umfangreichen Neufundamentierungen und punktuell Ersatz von steinernen Viadukten durch stählerne Brücken konstruktionen (zum Beispiel am Bahnhof Jannowitzbrücke).

Bei diesen umfangreichen Maßnahmen kamen neue Bautechniken zur Anwendung, und es hielt gleichzeitig eine neue Gestaltung Einzug, insbesondere der Bahnhöfe. Vor allem die neuen Stützenkonstruktionen aus Stahl und Beton ermöglichten eine wesentlich offenere und freiere Raumaufteilung der Bahnhofsanlagen. Dem gründerzeitlichen Muff mit seinen historisierenden Formen folgte expressive Gestaltung oder die klare schnörkellose Sprache der Neuen Sachlichkeit.

Die wichtigsten Maßnahmen im einzelnen:

Schlesischer Bahnhof, der heutige Ostbahnhof: völlige Erneuerung der beiden stählernen Hallenkonstruktionen.

Jannowitzbrücke: Neubau auf einem sanierten und erweiterten Viadukt, Bau eines Umsteigebahnhofs zur U-Bahn.

Alexanderplatz: umfassende Modernisierung der Empfangsräume, Neubau der Bahnsteighalle und Verknüpfung des Stadtbahnhofes mit der U-Bahn.

Börse: Sanierung der Bahnsteighalle, Neubau der nahegelegenen Brücken über die Museumsinsel.

Friedrichstraße: Wiederaufnahne der vor dem Ersten Weltkrieg begonnenen Erneuerung und Erweiterung der Anlage auf sechs Gleise, Verknüpfung mit der U-Bahn.

Lehrter Bahnhof: umfassende Sanierung der Stützen- und Brückenkonstruktion, Sanierung der Bahnsteighalle.

Bellevue: Sanierung der Bahnsteighalle, Neubau der angrenzenden Spreebrücke.

Tiergarten: Erneuerung der nahegelegenen Brückenanlagen am Landwehrkanal.

Baumaßnahmen im Rahmen der Elektrifizierung

Bahnhof Friedrichstraße
Stadtbahn-Sanierung 1995: Bau der „Festen Fahrbahn” für die S-Bahn am Bahnhof Friedrichstraße Foto: Dirk Riediger

Da die neuen Triebwagen für den elektrischen Betrieb eine andere Fußbodenhöhe besaßen als die alten preußischen Abteilwagen und zugleich durch stufenfreies Ein- und Aussteigen der Fahrgastfluß verbessert werden sollte, war es erforderlich, die Bahnsteige anzuheben. Ihre Höhe wurde von 76 cm auf 96 cm über Schienenoberkante verändert. Auf den meisten Bahnsteigen wurden in diesem Zusammenhang alle Aufbauten (Diensträume, Warteräume, Kioske etc.) erneuert und das bisherige Erscheinungsbild der Anlagen dadurch z.T. erheblich verändert.

Die umfangreichste Baumaßnahme im Rahmen der Stadtbahn-Elektrifizierung war der Bau des S-Bahnhofs Ausstellung westlich von Charlottenburg in den Jahren 1927-29 nach Plänen des Reichsbahnarchitekten Richard Brademann. Mit der Anlage dieses Bahnhofes - seit 1932 "Westkreuz" genannt - wurden mehrere Ziele verfolgt:

  • Verbesserung der Umsteigesituation zwischen der Stadtbahn, der Ringbahn und der Spandauer Vorortstrecke durch Schaffung eines Umsteigebahnhofes unmittelbar an der Kreuzung der verschiedenen Linien
  • bessere Erschließung des damals neuen Ausstellungsgeländes der Stadt Berlin. Hierfür wurde an der Spandauer Vorortstrecke zusätzlich der Bahnhof Eichkamp angelegt
  • Neuordnung der Gleisanlagen für Vorort-und Fernverkehr im Raum westlich von Charlottenburg.

Insgesamt konnte durch diese Maßnahmen das Bahnangebot und die Umsteigesituation am westlichen Ende der Stadtbahn deutlich verbessert werden.

Die Stromversorgung

Die Elektrifizierung erforderte umfangreiche technische und hochbauliche Veränderungen der Bahnanlagen. Die S-Bahn übernahm den Strom von den Kraftwerken der BEWAG bzw. dem damaligen mitteldeutschen Verbundnetz (EWAG) als Drehstrom mit 30.000 Volt Spannung an zwei Stellen im Osten und im Westen, an den wichtigen Punkten, wo die Stadtbahn und der Ring sich schneiden. Als Übernahmestellen und als zentrale Überwachungs- und Steuerungsstelle entstanden zwei Schaltwarten neu: in Halensee und am Markgrafendamm (am S-Bahnhof Ostkreuz). Von dort wurde und wird der Drehstrom durch 30.000-Volt-Kabel über das ganze Bahnnetz verteilt und den einzelnen längs der Strecke angeordneten Unterwerken zugeführt.

In den Unterwerken befinden sich die Anlagen, mittels deren Drehstrom mit 30.000 Volt in Gleichstrom umgewandelt wird.

Während in den Werken der Vorortlinie die Leistung für größere Streckenabschnitte vereinigt ist, wurde für die Stadt- und Ringbahn die verteilte Speisung mit Fernsteuerung gewählt. Die ganze Strecke wurde in viele kurze Teilstrecken aufgeteilt, von denen 30 von je einem kleinen Gleichrichterwerk mit je zwei Gleichrichtersätzen gespeist werden. Von diesen Werken konnten acht in Stadtbahnbögen untergebracht werden. So war es möglich, im dicht bebauten, wertvollen Innenstadtgebiet auf eigenständige Bauten für die Stromversorgung der S-Bahn zu verzichten.

Um die notwendigen Kabel zwischen den Unterwerken unterzubringen, entstanden entlang des Viaduktes Kabelkanäle, die zugleich als Weg für Wartungspersonal ausgeführt wurden. Ein Kabelkanai führte die Starkstromkabel für die Energieversorgung. Der andere war für die Aufnahme der Schwachstromkabel (z.B. für die neuen elektrischen Signale) erforderlich.

Die notwendige Freimachung des Lichtraumprofils für die Durchführung der Stromschienen und Stromabnehmer war insbesondere bei den bestehenden Brückenbauwerken mit Schwierigkeiten verknüpft. Obwohl die Bauart des Stromabnehmers es zuläßt, in gewissen Grenzen in der Senkrechten und Waagerechten auszuweichen, mußten in vielen Fällen Gleishebungen und Verschwenkungen sowie Änderungen der Eisenkonstruktionen von Brücken vorgenommen werden.

Die neuen Fahrzeuge

Zug
Zug der Baureihe 481 der Berliner S-Bahn auf der Kupfergraben-Brücke vor der Einfahrt in den Bahnhof Friedrichstraße Foto: Marc Heller

Nachdem Anfang der 20er Jahre die Entscheidung zur Elektrifizierung der Strecken der Berliner Stadt-, Ring- und Vorortbahnen mit Gleichstrom und zur Neubeschaffung von Triebwagen gefallen war, wurden zunächst antriebslose Versuchszüge in Auftrag gegeben. Mit ihnen sollte die optimale Form des Einstiegs und des Grundrisses im Wageninnern gefunden werden. Die Züge kamen ab dem 8. August 1924 auf der Strecke vom Stettiner Vorortbahnhof nach Bernau zum Einsatz. Basierend auf den Versuchszügen entstand die erste Fahrzeugserie der S-Bahn weitgehend an den Versuchszug A angelehnt. Von dieser Serie wurden 17 Einheiten ausgeliefert, die Bauart „Bernau" (später ET/EB 169). Die Eröffnung weiterer Strecken machte erneute Fahrzeugbeschaffungen erforderlich. Diese Bauart „Oranienburg" (später ES/ET/EB 168) bestand aufgrund der gesammelten Erfahrungen nicht mehr aus „Halb"-Zügen (fünf Wagen) als kleinster Zugeinheit, sondern aus Einheiten mit je einem Trieb- (ET) und einem Steuerwagen (ES). Damit wurde es möglich, variabler auf den Platzbedarf zu reagieren. 50 Stück dieser Einheiten wurden geliefert.

Von 1927 bis 1930 wurde eine weitere Fahrzeuggeneration in Betrieb genommen. Notwendig war ihre Beschaffung durch die „Große Elektrisierung" von Stadtbahn, Ringbahn sowie den meisten anderen, bis dahin mit Dampf betriebenen Vorortbahnen. Ihr Ersteinsatz auf der Berliner Stadtbahn brachte den Zügen ihren Namen: Bauart „Stadtbahn". Gegenüber der Bauart Oranienburg wurde eine Reihe von konstruktiven und kleineren Verbesserungen durchgeführt. Die Bauart „Stadtbahn" wurde nicht nur zur meistgebauten deutschen Fahrzeugserie überhaupt, sondern auch zu der „S-Bahn" schlechthin. Die ihr in den verschiedenen Jahrzehnten nachfolgenden Fahrzeugtypen basierten alle auf ihrem Gesamtkonzept. Noch rund 70 Jahre nach ihrem ersten Einsatz, sind Züge der Bauart Stadtbahn in Betrieb - wenn auch vielfach grundüberholt und soweit modernisiert, daß sie mit ihren Vorfahren als charakteristischstes Merkmal nur noch die Nieten gemeinsam haben.

Betriebliche und ökonomische Auswirkungen

Die wechselhaften Jahre nach dem Ersten Weltkrieg brachten erhebliche Schwankungen in den Fahrgastzahlen der Berliner Nahverkehrsmittel. Der Anteil der Stadt-, Ring- und Vorortbahnen (erst ab 1.12.1930 hieß es "S-Bahn") ging dabei beständig zurück. Dr.-Ing. Remy, ein leitender Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn, notierte 1931 rückblickend viele Gründe:

„...Seit dem Jahr 1907 versahen dieselben Lokomotiven den Dienst. Die Wagen hatten ein Alter bis zu 46 Jahren. Jede bauliche Verbesserung hatte man mit Rücksicht auf die kommende Elektrisierung und die schwebenden Groß-Berliner Verkehrspläne verschoben. Die Stadtbahnhöfe mit den dunklen Zugängen, der teils sehr ungünstigen Lage zu den Verkehrsströmen, mit den hohen Treppen übten eine mehr abstoßende als anziehende Wirkung aus. Man mied die Stadtbahn. Inzwischen aber hatten Hoch- und Untergrundbahnen mit ihrem erweiterten Netz, den bequem gelegenen Haltestellen, die Straßenbahnen mit den sorgfältig ausgestatteten Wagen, eine rationalisierte Streckenbedienung der Straßenbahnlinien, eine mit großen Mitteln unterstützte Ausdehnung des Omnibusbetriebs die Stadt- und Ringbahnlinien auf vielen Teilstrecken aus dem Feld geschlagen..."

Die Elektrifizierung - verbunden mit umfangreichen Modernisierungen - sollte hier eine Wende bringen. Dazu Dr.-Ing. Remy:

"1. Die Beschleunigung der Personenbeförderung
Die Reisegeschwindigkeit konnte durch die elektrische Zugförderung vermöge der hohen Anfahrbeschleunigung erhöht werden. Die Höchstgeschwindigkeiten betrugen im Dampfbetrieb auf der Stadtbahn 45 km, auf der Ringbahn ebenfalls 45 km, auf den Vorortstrecken 60 km. Sie wurden erhöht je auf 55 km, 65 km und 75 km. Die Reisegeschwingkeit betrug auf der Stadtbahn beim Dampfbetrieb 22 km, sie wurde erhöht auf 31 km/Std, auf dem Ring von 24 auf 33 km, auf den Vorortstrecken von 30 km auf 35 bis 43 km.

2. Vermehrung der Zugzahl. Verdichtung der Zugfolge
Die Zugzahl in der Stunde auf der am dichtesten belegten Strecke, der Stadtbahnstrecke, war bisher 24, ausnahmsweise 26. (...). Durch den elektrischen Betrieb war die Möglichkeit geschaffen, 40 Züge in der Stunde zu fahren. Diese Zugvermehrung läßt also auf der Stadtbahn einer Entwicklung Raum, die in einer Stunde in einer Richtung die Beförderung von 40 mal 1208 = rund 50.000 Personen, in Ausnahmefällen von 64.000 Personen ermöglicht. In den Dampfzügen konnten 24-27.000 Fahrgäste befördert werden...

3. Steigerung der Leistungsfähigkeit duch vergrößerte Aufnahmefähigkeit der Züge
Die Aufnahmefähigkeit der Züge war durch eine (...) günstigere Verteilung der Sitz- und Stehplätze bei dem Ganzzug auf 1200 -(...) 1600 Personen zu steigern.

Regio und S-Bahnzug
Stadtbahn neu und neuer: Der Pressezug anläßlich der Wiederaufnahme des Fernverkehrs über die Stadtbahn neben einem S-Bahn-Zug am 20. Mai 1998 im Bahnhof Alexanderplatz. Foto: Marc Heller

4. Größere Annehmlichkeit für die Reisenden. Vorteile für die Sicherheit
Beseitigung der Rauch- und Rußplage galt schon immer als eine der größte Annehmlichkeiten des elektrischen Betriebs. Sie kommt nicht nur dem Reisenden zustatten, sondern wirkt sich auch im Betrieb fördernd und wirtschaftlich aus. (...) Im Verein mit der Umgestaltung des Betriebs war die Erhöhung der Bahnsteige möglich, die eine bequemere und schnellere Abfertigung der Reisenden verbürgt, und endlich konnte in begrenztem Umfang an einige Bahnhofsbauten gedacht werden, die der Förderung der Fahrtenzahl zugute kommen mußte..."

Auch wenn mit Statistiken und Durchschnittswerten sehr vieles und manchmal auch das Gegenteil bewiesen werden kann, die folgenden Zahlen aus dem Jahr 1929 sprechen eine deutliche Sprache über den ökonomischen Nutzen der Elektrifizierung der Stadt-, Ring- Vorortbahnen.

Die Kosten in Reichspfennigen: ein Zugkilometer im Durchschnitt 324,3, ein Zugkilometer im Dampfbetrieb 412,0, ein Zugkilometer im elektr. Betrieb 281,8, ein Platzkilometer im Durchschnitt 0,24, ein Platzkilometer im Dampfbetrieb 0,40, ein Platzkilometer im elektrischen Betrieb 0,21, eine Person im Durchschnitt 23,8, eine Person im Dampfbetrieb 36,5, eine Person im elektrischen Betrieb 16,9.

Berliner S-Bahn-Museum GbR

aus SIGNAL 4-05/1998 (Juni 1998), Seite 15-20

 

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